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THEORIE/028: Hilfe kommt von den Strings (FTE info)


FTE info - Sonderausgabe EIROforum - Februar 2007
Magazin über europäische Forschung

Hilfe kommt von den Strings


Wie lässt sich die Beschaffenheit der Elementarteilchen jenseits der Vorgänge bei ihrer Entstehung beschreiben? Neben dem so genannten "Standardmodell" der Teilchenphysik, das auf den Thesen der Quantenmechanik beruht, setzt die moderne Wissenschaft ihre Hoffnungen auf die völlig neue und vereinheitlichende Sichtweise der mathematischen Stringtheorie. Diese eröffnet ungekannte Perspektiven für Experimente am CERN.


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Das Standardmodell ist der Grundpfeiler der modernen Physik, der im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgebaut wurde. Es sieht die Elementarteilchen als Punkte, die durch drei fundamentale Wechselwirkungen zwischen den Teilchen geleitet werden: Elektromagnetismus sowie schwache und starke Kräfte. Daraus lässt sich eine Beschreibung ableiten, die sehr gut zu dem passt, was in der Welt des unendlich Kleinen geschieht. Dieses Modell berücksichtigt jedoch nicht die vierte Wechselwirkung, nämlich die Gravitation. Genauso wie sich das Licht mit Hilfe eines Teilchens namens Photon ausbreitet, muss sich im Quantenkonzept auch die Gravitation mit Hilfe eines anderen Teilchens, dem so genannten Graviton, übertragen.


Auf der Suche nach einer Vereinheitlichung

Daher lässt sich ein derartiges Teilchen nicht mit dem Standardmodell beschreiben (siehe Kästchen). Außerdem ist das Universum am Anfang extrem klein und gleichzeitig auch extrem massiv (die gesamte Energie und Materie sind in einem winzigen Volumen konzentriert).

Folglich muss auch die Theorie, mit der die zu dieser Zeit vorherrschenden Teilchen beschrieben werden sollen, die Gravitation berücksichtigen. Wie lässt sich also in das Ganze die Allgemeine Relativitätstheorie integrieren, die Einstein Anfang des letzten Jahrhunderts aufgestellt hat und deren Leitlinie auf der Gravitation beruht? "Die Vereinheitlichung der Quantenmechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie ist zum Heiligen Gral der Physiker geworden. Ganze Armeen von Physikern arbeiten daran. Am aussichtsreichsten scheint hier die Stringtheorie zu sein."


Von Punkten zu Strings

Was vermittelt uns diese Theorie über unsere Welt? Erst einmal betrachtet sie die Teilchen nicht als Punkte, sondern als "Elemente", die etwa mit extrem kurzen Saiten (engl. strings) in einer Größenordnung von 10-35 m (35 Nullen und eine 1 hinter dem Komma!) vergleichbar sind.

Diese winzigen Saiten aus Energie befinden sich in einem Schwingungszustand, der je nach Schwingungsart auf die verschiedenen Teilchenarten hinweist. Je stärker die Schwingung, desto energiereicher ist das entsprechende Teilchen.

Eines der Merkmale der Stringtheorie (aber nicht nur dieser), das für die mathematische Kohärenz notwendig ist, ist die so genannte Supersymmetrie. Für ein besseres Verständnis ist sicher eine kurze "Elementarteilchenkunde" notwendig. Das Quantenuniversum der Teilchen lässt sich in zwei Gruppen unterteilen: Zum einen gibt es die Gruppe der Fermionen. Hierbei handelt es sich um Elementarteilchen der Materie, zu der unter anderem auch die Elektronen und die Quarks gehören. Zum anderen gibt es die Gruppe der so genannten Bosonen. Hierzu gehören die Austauschteilchen der grundlegenden Wechselwirkungen, wie z. B. das Photon, das die elektromagnetische Kraft transportiert oder das oben erwähnte Graviton für die Gravitation.


Die Supersymmetrie

Die Supersymmetrie ordnet jedem fermionischen Teilchen einen bosonischen Partner zu und umgekehrt, woraus sich die Idee der Symmetrie ergibt. Bis jetzt wurde zwar noch kein supersymmetrisches Teilchen entdeckt, aber die Teilchenphysiker hoffen, dass sie sie in hoch energetischen Zusammenstößen von Teilchen beobachten können. Diese werden bald im LHC, dem neuen Teilchenbeschleuniger des CERN, durchgeführt.

Es sei denn, Astronomen beobachten in der Zwischenzeit indirekt die Auswirkungen dieser geheimnisvollen Teilchen. Denn die Gesamtmasse der Galaxien und Galaxiehaufen scheint viel größer zu sein als die leuchtende Masse (Sterne, Gase usw.), die von den Astronomen durch die Teleskope wahrgenommen werden kann. Daher nehmen sie an, dass es eine unsichtbare dunkle Materie gibt, die nur über die Gravitationskräfte eine Wechselwirkung mit der übrigen Materie eingeht. Diese dunkle Materie besteht aus sehr stabilen und folglich sehr leichten Teilchen und hat viele gemeinsame Eigenschaften mit den leichtesten der supersymmetrischen Teilchen. Es könnte sich hierbei um die rätselhaften Bestandteile der dunklen Materie handeln, deren Auswirkungen zum ersten Mal 1933 von dem schweizerischen Astronomen Fritz Zwicky beobachtet wurden.


Vier Wechselwirkungen hervorgegangen aus einer einzigen

Eine andere Frage, mit der sich die Wissenschaftler beschäftigen, betrifft die vier bekannten fundamentalen Wechselwirkungen der Natur (1). Warum sind ihre Amplituden so unterschiedlich? Die Amplitude der Gravitation ist beispielsweise viel schwächer als die der elektromagnetischen Wechselwirkung. Belegen lässt sich diese Tatsache damit, dass der Magnetismus eines einfachen Magneten genügt, um eine relativ große Masse Metall anzuziehen. Auf der anderen Seite ist ein ganzer Planet nötig, um die gleiche Masse mit Hilfe der Gravitation anzuziehen.

"Eine Antwort auf diese Frage wäre, dass aufgrund der zu Beginn des Universums herrschenden Energiedichte, die fundamentalen Wechselwirkungen in einer einzigen vereint waren. Das ist in etwa so, wie wenn Wasser bei einer Temperatur unter null Grad zu Eis wird. Erst als die Energie des Universums niedrig genug war, hat sich diese eine Wechselwirkung in vier verschiedene aufgespaltet, wie wir sie heute kennen." Diese Vereinheitlichung der fundamentalen hochenergetischen Wechselwirkungen wird unter anderem auch durch die Stringtheorie beschrieben.


Sieben weitere Dimensionen

Eine der spektakulärsten theoretischen Aussagen der Stringtheorie ist zweifellos die Existenz anderer Dimensionen als unserer drei Raumdimensionen (Breite, Höhe, Länge) und der Zeit. Damit die Stringtheorie nämlich auch mathematisch kohärent ist, benötigt sie sieben weitere Raumdimensionen (vergleichbar in etwa mit dem Flächenbegriff, der nur dann mathematisch kohärent ist, wenn auch die beiden anderen Raumdimensionen existieren). Die Materie und die elektromagnetischen, starken und schwachen Interaktionen wären auf die drei herkömmlichen Raumdimensionen beschränkt. Auch wenn wir die Welt hauptsächlich anhand dieser Wechselwirkungen erfassen (z. B. durch die elektromagnetische Wechselwirkung des Lichts), ermöglichen sie es uns dennoch nicht, die sieben anderen räumlichen Dimensionen wahrzunehmen, die für uns "unsichtbar" bleiben.

Und so stellt sich das Leben der Teilchen dar. In den energiereichsten Phasen des Universums sind sie aus dem Quantenvakuum entstanden. Die Physiker beschreiben sie heute als winzige schwingende Strings, wodurch eine Vereinheitlichung der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik ermöglicht wird. Bestimmte Teile dieser Theorie, wie beispielsweise die Existenz von supersymmetrischen Teilchen, könnten in den kommenden Jahren im LHC überprüft werden, was die Stringtheorie glaubhafter machen, sie aber dennoch nicht beweisen würde.


Die "Artenvielfalt" der Elementarteilchen

Elementarteilchen sind definitionsgemäß unteilbar. Es gibt zwei Arten: die Bosonen und die Fermionen.

Im Rahmen des so genannten "Standardmodells" besteht die Familie der Bosonen aus vier Teilchen, die die vier Wechselwirkungen der Natur übertragen. Auf diese Weise ist das Photon für die Ausbreitung der elektromagnetischen Wechselwirkung verantwortlich, woraus sich Licht und Elektrizität ergeben. Das Gluon ist das Boson, das für die Ausbreitung der starken Wechselwirkung verantwortlich ist, die den Zusammenhalt der Atomkerne gewährleistet. Die W+, Z0- und W--Bosonen sind für die Ausbreitung der schwachen Wechselwirkung verantwortlich, mit der sich beispielsweise die Radioaktivität erklären lässt. Alle diese Bosonen wurden von den Teilchenphysikern bereits beobachtet, mit der Ausnahme des Gravitons, das für die Ausbreitung der Gravitation verantwortlich ist und dessen "hypothetisches" Higgs-Boson die Masse der Teilchen erzeugen würde.

Die Familie der Fermionen lässt sich in drei Untergruppen unterteilen. Die erste bildet die normale Materie und besteht aus Elektron, Elektron-Neutrino sowie Up- und Down-Quarks. Bei Quarks handelt es sich um Elementarteilchen. Sie bilden die Protonen und Neutronen, aus denen wiederum die Atomkerne bestehen. Die beiden anderen fermionischen Familien der Elementarteilchen beinhalten auch jeweils vier Teilchen, die nur zum Zeitpunkt des Urknalls existiert haben. Ihre Existenz lässt sich heute nur in hoch energetischen Strahlungen nachweisen.

Das Standardmodell enthält folglich 17 Elementarteilchen. Diese Zahl wird in der Stringtheorie verdoppelt, da die Supersymmetrie jedem Boson ein Fermion zuordnet und umgekehrt. Um die supersymmetrischen Partner der Bosonen zu benennen, hängen die Physiker normalerweise das Suffix "ino" an den Namen des Bosons im Standardmodell an. Auf diese Weise findet man das Photino und das Gravitino, während die Superpartner der W+- und der W--Bosonen Charginos genannt werden, da sie die Ladung tragen. Für die Superpartner der Fermionen wird normalerweise das Präfix "s" verwendet. Dadurch ergeben sich Squarks, Selectrons und Sneutrinos. Mit der Wissenschaft musste sich auch die Sprache der Physiker innovativ weiterentwickeln.


Anmerkung:
(1) Die elektromagnetische Wechselwirkung, die Gravitation sowie die starke und die schwache Wechselwirkung.


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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Simulation der Signatur eines Neutrinos in einem Teilchendetektor. Die unterschiedlichen Kurven zeigen die Spuren der Teilchen, die die Abstrahlung des Neutrinos begleiten. Dieses supersymmetrische Teilchen könnte die dunkle Materie bilden, die von den Astronomen so fieberhaft gesucht wird.

> Simulation der Zerstörung eines Higgs-Bosons mit zwei Strahlen (Mitte) und zwei Elektronen (unten links) im CMS-Detektor des LHC am CERN. Die Spuren deuten auf die Teilchen hin, die durch den Zusammenstoß eines Protonenpaars mit extrem hoher Energie entstanden sind. Die von den Teilchen im Detektor abgesetzte Energie wird hellblau dargestellt.



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Quelle:
FTE info - Sonderausgabe EIROforum, Februar 2007, Seite 8-9
Magazin über europäische Forschung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2007