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INTERVIEW/007: Kernfusion und Plasmaforschung - es fehlt nur die Genauigkeit ...    Prof. Dr. Jürgen Kolb im Gespräch (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Professor Jürgen Kolb und andere Plasmaexperten am 18.8.2015 über die Vorteile und Grenzen der Dekontamination von frischem Gemüse, andere Einsatzmöglichkeiten von kalten Plasmen in der Umwelt, der Atmosphäre und wie man die Existenz eines extrem kurzlebigen Teilchens doch noch über seine Wirkung auf die Umgebung höchstwahrscheinlich nachweisen kann ...


Seit es 2011 das erste Mal als neue Gefahr durch die Medien geisterte, ist das Thema EHEC (kurz für: Enterohämorrhagisches Escherichia Coli), keines mehr. [1] Denn seitdem man genauer weiß, womit man es bei dem äußerst seltenen Hybrid-Klon eines Bakteriums, genauer "HUSEC041 (O104:H4)", zu tun hatte und wie man eine weitere Kontamination von Lebensmitteln damit vermeiden kann, ist die Infektion, an der 4.000 Menschen durch den Genuß von frischen Bockshornkleesprossen erkrankten und mehr als 50 starben, fast vergessen. Nicht vergessen ist jedoch vielen Frischgemüsefans, daß es heutzutage offenbar nicht immer ausreicht, Rohkost gründlich zu waschen, um sie chemiearm, genußfertig und hygienisch keimfrei für Verzehr und Weiterverarbeitung aufzubereiten. Manche Keime können, wie sich bei den EHEC-Bakterien zeigte, durch eine Laune der Evolution begünstigt, wie Teufel auf allen Oberflächen kleben und lassen sich mit dem Wasserstrahl nur bedingt entfernen. Aufgrund dieser speziellen Fragestellung wurde 2011 auch eine neue Technologie diskutiert, die Bakterien mit Hilfe eines moderaten, kalten Plasmas quasi aus dem Salat beamen sollte, die dann aber nicht mehr zum Einsatz kam.

Die Erinnerungen an EHEC & Co werden jährlich durch neue Lebensmittelskandale wachgehalten, bei denen unter Stichworten wie Gammelfleisch, BSE, Dioxin in Fisch, Salmonellen in Eiern, Noroviren in chinesischen Erdbeeren oder häufiger E-Coli in Mayonnaiseprodukten oder Eiscreme immer wieder unterschiedliche Erreger oder Giftstoffe mehr oder weniger unangenehme Beschwerden auslösen - gemeinsam gekennzeichnet dadurch, daß jeweils fremde Substanzen oder Lebensformen, die dort nichts zu suchen haben, die Oberfläche von Lebensmitteln besetzen. Anders als die verbreitete Idealvorstellung, Obst und Gemüse wanderten gleich nach der Ernte auf den Tisch, Hühnchen, Steak und Aufschnitt sollten auch aus dem Supermarkt von regionalen Erzeugern stammen, sind die Lebensmittel, die man heute einkauft, selten wirklich frisch, aber in jedem Fall anfällig für den mikrobiellen Verderb. Der industrielle Verarbeitungsprozeß begünstigt durch viele manuelle Verarbeitungsschritte, daß sich bereits vorhandene Mikroorganismen wie Bakterien, Schimmelpilze, Hefen und Viren, von denen auch nach dem Waschen noch etwa 10 Prozent verbleiben, weiter wachsen. Das gleiche gilt für die immer beliebter werdenden sogenannten Convenience-Produkte, frisch zubereitete und vorgeschnittene Salate oder Früchte, die gerne von berufstätigen Singles gekauft und konsumiert werden. Mikroorganismen scheinen gerade zu frischen Schnittflächen eine besonders hohe Affinität zu haben. Darüber hinaus nehmen die Kontaminationsmöglichkeiten durch Massentierhaltung, resistente Keime und das Recycling von Gülle und Mist als organische Düngemittel zu. Die darin enthaltenen Medikamente, vor allem Antibiotika, geben Bodenbakterien Nahrung zur weiteren Anpassung. Die pharmazeutische oder chemische Bekämpfung von Krankheitserregern führt darüber hinaus zu weiteren, trickreicheren sowie aggressiveren Keimen und Mikroorganismen, die über diesen Weg verbreitet werden können. Daß auch globale Veränderungen und Umweltprobleme wie steigende Temperaturen, der globale Bevölkerungszuwachs und die Dichte der Besiedlung, Wassermangel, Versalzung von Brunnen oder zunehmende Natur- und Flutkatastrophen weitere negative Einflüsse auf diese Entwicklung haben, läßt sich nicht ausschließen und sorgt dafür, daß Kontaminationsprobleme nicht aussterben.

Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Jürgen Kolb, der am INP den Forschungsschwerpunkt Dekontamination des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie e.V. leitet, bekommt seither viele Anfragen der Lebensmittelindustrie und anderer Interessenvertreter, um mittels Plasmatechnik die Keimzahlen auf Lebensmitteln weiter zu reduzieren und somit die Haltbarkeit zu verlängern. Dem Plasma eilt der Ruf voraus, die schädlichen Erreger schonend bei nur 40 °C abzutöten und gleichzeitig den Abbau von Pestiziden und anderen Schadstoffen voranzutreiben, ohne daß der Salat dabei schlapp wird oder geschmackliche Einbußen aufweist.

Im Gegensatz zu normalen Gasen, die elektrisch neutrale Atome oder Moleküle enthalten sollen, die sich unter bestimmten Druck- und Temperaturbedingungen völlig frei bewegen, sind ionisierte Gase laut Definition noch stärker "angeregte" Gase, bei denen z.B. mit Hilfe eines glühenden Drahts oder eines angelegten starken elektrischen Felds den Gasatomen oder -molekülen Elektronen aus den äußeren Elektronenhüllen entrissen werden. Auf diese Weise entstehen positive Ionen und negative Elektronen, die sich unabhängig voneinander bewegen sollen. Solche Zustände erreichen normalerweise, komplett ionisiert, Temperaturen bis zu 100.000 Grad Celsius und sind somit in mehrfacher Hinsicht höchst aggressive Medien.

Kalte Plasmen sind dagegen stark verdünnt, nur etwa jedes milliardste Molekül wird ionisiert. Das damit behandelte Gemüse müßte gerade einmal handwarm werden. Auch die Moleküle der Luft sollen nur für kurze Zeit durch die Argonflamme ionisiert werden. Anschließend kehren sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück, so daß Plasma angeblich keine Spuren hinterläßt.

Die Wissenschaftler, die sich mit den noch offenen Fragen auseinandersetzen, sind solchen Erwartungen gegenüber eher vorsichtig und sehen hier noch viel Forschungsbedarf. Nicht jedes Lebensmittel reagiere gleich auf den Plasmastrahl und im Plasma kommen nicht nur Ionen, sondern auch andere Komponenten wie UV-Strahlung, Licht, elektromagnetische Strahlung, Ionen- und Elektronengas, Wärmestrahlung und schließlich sogenannte "Radikale" zum Zuge, die jeweils auf andere Weise Oberflächen angreifen.

Was weiß die Forschung wirklich von der Wirkung kalter Plasmen auf Lebensmitteln und heißt das nicht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, waren die Fragen, mit denen die SB-Redakteure im Rahmen einer Pressereise nach Greifswald an Prof. Dr. Jürgen Kolb herantraten. Im Anschluß an den Presseüberfall am Institut für Plasmaforschung und -Technologie e.V. (INP) in Greifswald und einem Besuch des Instituts für Physik der Universität Greifswald (IfP) ergab sich gemeinsam mit dem Leiter des Instituts Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann, Frau Cathleen Möbius, die den Ansturm der Medienvertreter im Haus koordinierte, sowie Frau Dr. Sybille Hasse, die für eine spezielle Frage als Expertin herangezogen wurde, das folgende Gespräch.


Prof. Dr. Jürgen Kolb
während seines Vortrags im INP - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wieviel Plasma vertragen Lebensmittel und mag man sie anschließend noch essen, darüber sind sich Experten wie Prof. Dr. Jürgen Kolb noch nicht ganz sicher.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Prof. Kolb, seit der EHEC-Krise hört man eigentlich kaum mehr etwas darüber. Wie schätzen Sie heute die Problematik ein? Ist die Dekontamination, die Entkeimung von Lebensmitteln noch ein Thema für die moderaten Plasma-Kanonen des INP?

Professor Dr. Jürgen Kolb (JK): Damals, als das Problem hochkochte, waren sehr viele Firmen und Partner daran interessiert, schnell eine Lösung zu finden. Aber wie Sie schon andeuteten, sowohl die Besorgnis wie auch der Bedarf sind, kurz nachdem man gefunden hatte, was dafür verantwortlich war, wieder abgeflaut. Man konnte die Ursache der Krise an der Quelle abstellen. Aber für die Plasmaforschung war es eine Gelegenheit zu zeigen, daß Plasma, so haben wir es auch gesehen, eine Lösung darstellen kann. Das Interesse von der Industrie und die Anfragen von den Betrieben, die an uns herangetragen wurden, nahmen natürlich ab. Wahrscheinlich hat man die Notwendigkeit, in neue Technologien zu investieren, nicht mehr eingesehen, denn im Endeffekt ist das ein zusätzlicher Aufwand, der auch Kosten mit sich bringt. Soviel zum Stand dazu.

Wir haben unseren Forschungsschwerpunkt dann etwas erweitert, denn was mit den EHEC-Keimen geht, läßt sich auch auf andere übertragen. Unser aktuelles Forschungsziel konzentriert sich auf Salmonellen, weil auch dafür ein Risiko der Kontamination besteht, bei dem sich gerade zeigt, daß Plasmen durchaus auch einen Beitrag leisten können, um beispielsweise die Keimzahl auf Gemüsen zu reduzieren. Hierzu erreichen uns sehr viele Anfragen. Gerade bei verderblicher Ware, bei frischen Salaten, Eiern oder auch Fleischprodukten, bei denen man mit einer verlängerten Haltbarkeit auf dem Weg zum Kunden auch eine erhöhte Sicherheit leisten kann, gibt es tatsächlich auch einen Bedarf, Plasmen zu nutzen. Von der unmittelbaren EHEC-Krise hat sich die Forschung also ein bißchen mehr zu der generellen Fragestellung verlagert: Auf welchen Lebensmitteln kann ich mit Plasmen welche Keime erreichen?

SB: Es werden für die Sterilisation empfindlicher Oberflächen auch noch andere Verfahren wie die Begasung mit Ethylenoxid, früher auch mit dem inzwischen verbotenen Formaldehyd, die Bestrahlung mit UV-Licht oder mit radioaktiven Strahlen (Elektronen-, Röntgen- und Gammastrahlung) angewendet. Jetzt käme praktisch noch eine weitere Anwendung dazu. Sind die Verfahren unterschiedlich von den Nebenwirkungen wirksam und decken sie den gleichen Bereich ab? Kann man sie überhaupt vergleichen?

JK: Das ist eine sehr komplexe Frage. Ich fange mal am Anfang an. Die Gammastrahlung, die in den USA oder anderen Ländern eingesetzt wird, ist in Deutschland nicht zulässig, bestenfalls für Gewürze, denn da gibt es zu große Bedenken, daß von der radioaktiven Strahlung irgendetwas in den Lebensmitteln zurückbleiben könnte. Das sehen die Amerikaner oder die Asiaten ganz anders, aber unsere Gesetzeslage ist so, daß Gammastrahlung eben nicht verwendet werden darf. Der Vorteil der Physik besteht darin, daß es sich um eine durchdringende Strahlung handelt, die das Erbgut der Bakterien schädigt, die davon abgetötet werden. Das betrifft aber alle lebenden Zellen, so daß man weitere Schäden nicht mit Sicherheit ausschließen kann. Das sind die Bedenken dabei.

Bei Formaldehyd oder Ethylenoxid, die zur Begasung zur Verfügung stehen, gibt es Zweifel, ob in Verbindung mit organischem Material auf chemischem Wege weitere Stoffe entstehen können, die schädlich und vielleicht im schlimmsten Falle sogar krebserregend, aber zumindest nicht verträglich sind.

Die UV-Bestrahlung funktioniert im Prinzip sehr gut. Dabei gibt es nur die Schwierigkeit, daß es sich um Licht handelt, und wo Licht ist, ist auch Schatten. Wenn aber im Schatten ein Bakterium wächst, dann kann ich mit der UV-Bestrahlung nichts machen. Also muß ich die Tomate eigentlich die ganze Zeit drehen, um sie von allen Seiten mit dem UV-Licht zu erreichen.

Demgegenüber hat Plasma den Vorteil, keine Schatteneffekte aufzuweisen. So werden beispielsweise gerade in der indirekten Anwendung Stickstoffoxide bereitgestellt, von denen wir wissen, daß sie Bakterien sehr gut abtöten, kurzlebig sind und zudem in der Gasphase durch feine Ritzen und Poren, die für Gase durchlässig sind, überall hingelangen. Das gleiche gilt auch für Ozon, das sich durch Plasmen erzeugen läßt und sich ebenfalls immer relativ schnell wieder abbaut. Diese beiden Komponenten, Stickoxide und Ozon, sind es, die bei der Plasmaanwendung zum Einsatz kommen.

SB: Und diese Gase lassen sich quasi mit einer Plasmaquelle erzeugen?

JK: Genau. Etwas anderes, was man machen kann und mit dem sich bereits viele Kollegen beschäftigen, ist plasmaaktiviertes Wasser [2], mit dem man Lebensmittel wäscht. Dessen antimikrobielle Wirkung klingt zwar schnell ab, aber man erhält damit für gewisse Zeit - und wenn es auch nur bei großer Hitze über den Transportweg hinweghilft oder das Lebensmittel dadurch das Umladen übersteht - einen Zugewinn an Sicherheit gerade auch bei leicht verderblichen Lebensmitteln wie Eiern, Tomaten oder Gemüse. Dazu kommt, daß hierzulande viele Produkte in den Supermärkten schon kurz nach der Anlieferung weggeworfen werden müssen, weil die Ware verdorben ist. Momentan gibt es Bestrebungen, diesen enormen Schwund durch frühzeitig verdorbene Lebensmittel einzudämmen. Plasma bietet dafür eine Möglichkeit, das Wachstum von Bakterien, Schimmelpilzen, sogar Schimmelsporen einzudämmen. Ganz weg bekommt man sie natürlich nicht, denn sobald jemand, der damit umgeht, nur ausatmet oder die Waren in die Hand nimmt, sind schon wieder neue Keime drauf.


Indonesier betrachten eine Wasserentkeimungsanlage, bei der
wassergefüllte PET-Flaschen in die Sonne gelegt werden. - Foto: by SODIS Eawag als CC BY 3.0 [(http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Warum einfach, wenn es auch mit Plasma geht?
Sonnenlicht (UV-Strahlung) wird hier zur Wasserentkeimung genutzt. In kalten Plasmen ist UV-Licht eine von sechs wirksamen Komponenten.
Foto: by SODIS Eawag als CC BY 3.0 [(http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

SB: Gegen welche Mikroorganismen lassen sich Plasmen einsetzen? Oder kommt es auf die Art des Plasmas, auf seine jeweilige Zusammensetzung an?

JK: Das kommt zum Teil auf das Plasma an. Wir hatten bisher das Glück, daß alle Bakterien, die wir bis jetzt untersucht haben, sehr gut darauf ansprechen. Es gibt natürlich auch andere sporenbildende Mikroorganismen, die sich einkapseln und sich dann auf diese Weise Tausende von Jahren selbst konservieren, bis man Wasser dazu gibt und sie wieder anfangen zu leben. Die sind natürlich sehr viel schwieriger mit Plasmen abzutöten bzw. nur mit derart hohen Dosen und Konzentrationen an Plasma, wonach ich - im Falle von Lebensmitteln - das Gemüse dann wahrscheinlich auch nicht mehr essen möchte. Plasmatechnik hat auch Grenzen.

Aber gerade bei der Dekontamination von Schimmel und Bakterien wie die Durchfall verursachenden Salmonellen oder E-Coli haben wir ebenso gute Erfolge wie bei der Wundheilung. [3]

SB: Mit welchen chemischen Veränderungen muß man rechnen, wenn Lebensmittel mit Plasma behandelt wurden? Sie deuteten bereits geschmackliche Veränderungen an. Werden nach der Plasmabehandlung dann künstliche Aromen zugesetzt, damit es wieder so schmeckt, wie es schmecken soll?

JK: Künstliche Aromen werden nicht zugesetzt, schon aus dem Grund, weil es sich hauptsächlich um frische und nicht um zubereitete Ware handelt, die mit Plasma dekontaminiert wird. Ich glaube nicht, daß ein aufgeschnittener Apfel anschließend noch mit künstlichen Aromastoffen behandelt werden könnte oder sollte. Die erste, sehr viel interessantere Frage ist jedoch, es läßt sich zwar vieles mit dem gleichen Plasma behandeln, aber jedes Lebensmittel reagiert anders darauf.

Ein aufgeschnittener Apfel beispielsweise, der bereits im Naturzustand von Luftsauerstoff sehr stark oxidiert wird und sich braun verfärbt, der reagiert natürlich entsprechend auch mit den Sauerstoffradikalen im Plasma. Ich kann ihn also nur ganz kurz damit behandeln und bekomme dann weniger Effekte. Anders ist es natürlich, wenn ich nur die äußere Schale behandele. Man muß wirklich jedes Lebensmittel nochmal untersuchen, welche Veränderungen, vor allem auch geschmackliche Veränderungen, durch die Plasmabehandlung entstehen. Denn wir haben es hauptsächlich mit oxidativen Effekten zu tun und die sorgen bei dem einen Gemüse oder Lebensmittel dafür, daß ich es nicht mehr essen möchte, bei anderen viel toleranteren Gemüsen aber nicht. Wir haben bereits Versuche mit Gewürzen, Nüssen und Eiern gemacht, da ging es sehr gut. Ein geschnittener Apfel ist allerdings bereits ein Problem. Was auch sehr gut funktioniert, ist dann wieder überraschenderweise Blattspinat oder andere dunkelgrüne Gemüse, die relativ robust sind und sich auch - so wie ich es verstanden habe - im Geschmack nicht verändern. Allerdings sind wir da keine Experten und arbeiten deshalb mit Lebensmittelinstituten zusammen. Die haben bestimmte Testverfahren, mit denen sie feststellen können, wie sich der Geschmack verändert hat und ob das noch ohne zusätzliche Behandlungen und Aufwände, die wir nicht wollen, vertretbar ist. Denn wir müssen auch den kommerziellen Erfolg gewährleisten, sonst springen uns die Partner ab.


Getrocknete Apfelschnitze - Foto: by Matthieu Deuté (Own work) als CC BY-SA 3.0
[(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Nicht mehr schön, aber keimfrei.
Keime haben eine besonders hohe Affinität zu Schnittflächen. Aber bei der Plasmabehandlung stellen diese ebenfalls ein Problem dar.
Foto: by Matthieu Deuté (Own work) als CC BY-SA 3.0 [(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

SB: Können dabei auch die Vitamine verloren gehen? Die werden doch oft als "Radikalenfänger" bezeichnet, aber bei dem gewaltigen Plasmaansturm mit Radikalen, die ja theoretisch darin vorkommen sollen, ist doch fraglich, ob noch freie Radikalenfänger im Gemüse übrigbleiben ...

JK: Genau das wird an diesen Lebensmittellabors auch untersucht, das muß geprüft werden. Die Frage, wie tief das Plasma reingeht und wirkt, ist dann wieder unser Problem.

Wir sollen aber vor allen Dingen mit der Plasma-Technologie die Haltbarkeit verlängern, also den Zeitpunkt, bis es wirklich verrottet, möglichst lange hinauszögern, und das geht nur, indem man die Bakterien- und die Schimmelpilzzahl reduziert, bis die sich dann wieder ausbreiten. Das ist der Effekt auf der Oberfläche und da ist das Plasma auch voll wirksam. Aber es gibt immer wieder Anfragen, die möchten den Schwarzwälder Schinken bis ganz tief im Innern behandelt haben. Doch Plasma ist etwas, das vor allem an der Oberfläche wirkt. Wenn nun Vitamine an der Oberfläche sitzen, zum Beispiel sollen bei Äpfeln die meisten Vitamine in der Schale vorkommen, dann muß auch getestet werden, ob etwas verloren geht. Allerdings soll man bei Äpfeln die Schale ohnehin auf keinen Fall essen, weil darin auch die ganzen Pestizide und Pflanzengifte gespeichert werden. Wenn die Vitamine jedoch tiefer in den Zellen des Gemüses sind, dann ist das wieder eine andere Sache.

SB: Dafür liegen dann bildschöne, makellose, unverwesbare Möhren und Äpfel im Supermarktregal, nur frisch sind sie nicht mehr ...

Wären Plasmen auch gegen multiresistente Problemkeime eine Option?

JK: Ja, aber die spielen bei der Dekontamination von Lebensmitteln keine Rolle. Die Sterilisation von multiresitenten Keimen ist in Krankenhäusern zunehmend ein Problem. Doch es ist sehr schwierig, mit diesen Keimen zu experimentieren. Es gibt bisher nur wenige Arbeiten darüber. Der Vorteil von den Plasmen ist auch hier, daß es sich um ein physikalisches Verfahren handelt und nicht, wie bei den Antibiotika oder anderen Verfahren, um etwas, das in die biochemischen Prozesse der Zellen eingreift, die daraufhin ihren Stoffwechsel anpassen und so verändern können, daß sie mit dieser Störung zurechtkommen. So hat man dann plötzlich einen multiresistenten Keim. Das Plasma greift die Mikroorganismen ausgesprochen brutal und an vielen Stellen gleichzeitig an, indem es die Membran zerreißt, die Moleküle oxidiert und durch das elektrische Feld auch Spannungen aufbaut. Und irgendwann sagt sich das Bakterium dann, "uff, das wird mir jetzt alles zuviel". Das entspricht in etwa auch der Apoptose von körpereigenen Zellen, von der wir eben gesprochen haben. [4] Eigentlich sind sie sehr raffiniert geschützt, da sie gut in das gesamte Zellsystem eingebettet sind. Sie sind auf alle möglichen Umwelteinflüsse so prima vorbereitet, daß sie Schäden, die durch Sonnenlicht, Wasser oder andere tägliche Einflüsse entstehen, denen die Körperoberfläche ausgesetzt ist, reparieren können oder zumindest damit zurechtkommen.

Bakterien stehen im Unterschied dazu jedes für sich alleine da. Damit sie sich vermehren können, müssen sie zunächst mal in eine Zelle hineingelangen. Das heißt, wenn wir sie uns schnappen, bevor sie das tun, ist alles gut. Es ist aber schwierig, sie ganz auf Null zu reduzieren. Das Problem haben andere Dekontaminationsverfahren aber auch. Ziel der Dekontamination ist somit das Eindämmen, die Reduktion der Zahl. Und dafür eignen sich Plasmen sehr gut.

In der Medizin geht das Ziel noch einen Schritt weiter in die Sterilisation. Je nachdem, was man erreichen will, macht es dann eben die Dosis.

SB: Sie sagten, Plasma greift von allen Seiten an, läßt sich das überhaupt steuern? Denn wenn ich Sie richtig verstehe, machen praktisch die sechs aktivierten bzw. ionisierten Komponenten des Plasma-Cocktails, also die Radikalen, Ionenstrahlen, Elektronen, sichtbares Licht, UV-Licht, elektromagnetische Wellen, Hitze usw. quasi auf allen Ebenen zugleich eine konzertierte Aktion?

JK: Die einzelnen Plasma-Komponenten greifen unterschiedliche Stellen im Bakterium an, sie können sich aber auch noch gegenseitig verstärken, und jetzt kommt es darauf an, welches Plasma man verwendet. Man kann je nachdem den einen oder den anderen Aspekt betonen. Vor allem läßt sich der Anteil der UV-Strahlung gegenüber dem Anteil des elektrischen Feldes verstärken. Das hängt von der Methode ab, mit der das Plasma erzeugt wird. Radikale wird man natürlich immer dabei haben, die lassen sich nicht ausschließen. Aber auch hier kann man steuernd eingreifen, indem man das Plasma dann eben so einstellt, daß es hauptsächlich Stickstoffradikale gibt. Vor allem das Stickstoffmonoxid, dieses NO-Radikal, funktioniert hier sowohl bei der Wundheilung wie auch in der Dekontamination sehr gut. Ebenfalls gut wirkt auch Ozon, also eine völlig andere Chemie.

Das ist eigentlich die älteste Plasmadesinfektionsmethode, die es gibt. 1857 wurde sie bereits von Werner von Siemens beschrieben. Das Interessante daran ist, er hat sich sehr viel patentieren lassen, nur diese eine Methode, sein Ozon-Generator wurde nie patentiert. Dabei hat er damals schon vorgeschlagen, man könne ihn auch zur Desinfektion von Wasser einsetzen, weil er bereits wußte, daß Ozon Bakterien angreift. Natürlich war das in die Umgebung freigesetzte Ozon durchaus ein Problem, aber es gibt dafür wieder relativ einfache Verfahren, um es zum Beispiel auf einer Metalloberfläche dann auch wieder abzubauen. Ein entscheidender Faktor ist dabei auch die Temperatur. Bei Raumtemperatur hält sich Ozon mit einer Halbwertszeit von ungefähr drei Tagen in der Luft. Im Wasser sind es nur zwölf Minuten. Das versuchen wir auszunutzen, indem wir die Einstellung der Chemie, die des UV-Anteils oder die des elektrischen Feldes hauptsächlich variieren.

SB: Sprechen Sie eigentlich bei den Radikalen von der gleichen Spezies, von der man sonst oft in Zusammenhang mit den Prozessen der Zellalterung hört oder gegen die manche Vitaminhersteller werbewirksam ihre berüchtigten Radikalenfänger empfehlen?

Mit dem Verdacht, daß dabei mehr versprochen wird als gehalten werden kann, bin ich dem schon mal nachgegangen und darauf gestoßen, daß Radikale nur hypothetische Begriffe sind, die mal erfunden wurden, um bei der Fettoxidation den Reaktionsmechanismus zu komplettieren, also die Aufspaltung der Fette in kurzkettige, ranzigriechende Fettsäuren, Buttersäure usw. zu erklären, letztendlich das "Altwerden" oder Ranzigwerden von Butter oder Fett.

Statt eines Existenznachweises dafür zog man sich andererseits mit dem Kunstgriff aus der Affäre, daß man Radikale als ein so kurzlebiges Zwischenprodukt definierte, daß es sich, noch ehe man es nachweisen kann, schon in ein stabileres Produkt umgewandelt hat! Das heißt, sie tauchen kurz auf und sind schon wieder weg.

Trotzdem wird mit dem aussagestarken Begriff Radikal so umgegangen, als seien Radikale medizinisch nun auch an allen organischen Alterungsprozessen schuld, auch an denen der Haut. "Radikalenfänger", Vitamine nämlich, sollen dem entgegenwirken und nun sagen Sie auch noch, man könne ihr Entstehen sogar gezielt aussteuern, also eine bestimmte Menge oder Qualität von diesen "hypothetischen Teilchen" erzeugen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte?

JK: Sie sprechen hier verschiedene Radikale an, nämlich die, welche in den Zellen selbst oder im menschlichen Körper gebildet werden und die dafür verantwortlich sind, daß wir älter werden. Dazu kann ich wenig sagen. Ich weiß aber, daß es eine ganz ausführliche Literatur zur Radikalen-Biochemie gibt, in der Sie das wahrscheinlich auch nachlesen können.

Bei den Stickoxiden, die in Plasmen entstehen, weiß ich es wieder. Da kann es zwar sein, daß es einen Zwischenschritt gibt, aber auch die gesamten Reaktionsketten, die dann beschrieben werden. Da postuliert man vielleicht ein Radikal, das hat sich mit Wasser verbunden. Aber danach war der pH-Wert des Wassers auch gesenkt und dadurch ein weiteres Radikal entstanden, das durch die Membran in das Bakterium dringen und dann in dessen Innenleben böse Sachen veranstalten konnte. Die biochemische Expression des Geschehens ist ja nachweisbar und daher arbeiten wir hier am INP auch mit Pharmazeuten, Biologen und Biochemikern zusammen, weil das ein Gebiet ist, von dem wir als Physiker sehr wenig verstehen.

Nachdem wir aber auf der anderen Seite wissen, daß es freie Radikale im Plasma geben muß, die wir erzeugen und die wir steuern können, wissen wir bei der Diagnostik auch, wonach wir suchen müssen. Es gibt optische Diagnostiken, mit denen wir das Spektrum aufnehmen, ähnlich wie beim Spektrum der Sonne, und dann eben nachsehen und zuordnen, was leuchtet denn da und wie. Es gibt bestimmte Emissionen, die sich eindeutig den jeweiligen Radikalen, wie den "OH-Radikalen", zuschreiben lassen oder - wenn man ihn als Radikal bezeichnen müßte - dem atomaren Sauerstoff.

Daraus können wir folgern, daß bestimmte Radikale mal im Plasma vorgekommen sind, beziehungsweise in jedem Plasma erzeugt werden. An der Höhe der einzelnen Peaks kann man sogar relativ gut erkennen, wie viele es waren. Es ist ein schlecht quantifizierbares Verfahren, aber wir können nachweisen, daß Radikale da sind.

Die Frage ist nur, was diese hochreaktiven Spezies dann sofort anstellen, wenn sie beispielsweise mit Wasser in Berührung kommen und wohin sie verschwinden. Die physikalisch berechneten Halbwertzeiten sind wirklich extrem gering und liegen gerade für OH-Radikale im Bereich von Mikrosekunden, für atomaren Sauerstoff sogar im Nanosekunden-Bereich. Das heißt, sobald sich für diese Spezies eine Gelegenheit bietet, mit etwas zu reagieren, werden sie es tun und sich dann in etwas anderes umwandeln. Das heißt, wir müssen auf jeden Fall ausreichend hohe Konzentrationen davon erzeugen und darüber hinaus können wir mit allem, was an Chemie in der Luft oder im Wasser vorhanden ist, diese Elektronenstoß-Chemie betreiben, um extrem kurzlebige Radikale zu erzeugen. Die etwas langlebigeren Spezies, die dabei ebenfalls entstehen, sind dann auch Ozon, Stickoxid oder Wasserstoffperoxid, die aber aus einer chemischen Reaktion mit Radikalen gebildet wurden.

SB: Sie sehen darin einen indirekten Nachweis?

JK: Genau. Die Erzeugung von Wasserstoffperoxid, das vorher nicht da gewesen ist, zeigt, daß vorher zwei OH-Radikale da gewesen sein müssen, die sich dann irgendwie zu H2O2 verbunden haben.

Über die Physik und die Chemie kommen wir aber auch zur Biologie. Denn die aggressiven freien Radikale stimulieren die Zellen von Organismen und regen dadurch die Zellteilung an. An dieser Frage, wie die Zelle auf diese Plasmareize reagiert und wie sich das auf sie auswirkt, arbeitet hier im Haus zur Zeit Frau Dr. Sybille Hasse gemeinsam mit Kollegen aus Neuseeland, die sich ganz intensiv damit beschäftigen. Die würden, nach allem was ich weiß, Ihrer Behauptung, daß es keine Radikale in der Medizin gibt, massiv widersprechen. Für uns sind gerade diese biologischen Auswirkungen eine sehr interessante Frage, der unter anderem in einem Zentrum für Innovationskompetenz nachgegangen werden soll, für das wir eine Förderung bekommen. Darüber hinaus - ebenfalls als Förderung - gibt es ein sogenanntes ZIP2, in dem eine Arbeitsgruppe die Radikalenchemie des Stickstoffs untersucht. Denn da sind tatsächlich noch sehr viele Fragen offen. Es gibt sowohl positive als negative Einflüsse auf das Zellgewebe.

SB: Werden denn Radikale, oder was auch immer seine indirekten superreaktiven Spuren hinterläßt, denn bereits an Körperzellen angewendet?

JK: In den USA werden Frühgeburten, bei denen sich das Atemsystem noch nicht voll entwickelt hat, mit Stickoxid (NO) behandelt, das teilweise aus NO-Radikalen besteht. Die desinfizierende und stimulierende Wirkung der Radikale sorgt offenbar dafür, daß sich das Atemsystem der Frühgeburten sehr viel schneller ausbildet. Wir dürfen das hier allerdings noch nicht machen.


Dr.
Sybille Hasse demonstriert, daß die Plasmaflamme nicht heiß ist. - Foto: © 2015 by Schattenblick

Kaltes Plasma hinterläßt keine Schäden auf der Haut, läßt sie aber schneller heilen. Im Labor von Dr. Sybille Hasse wird untersucht, wie sich biologische Plasmaeffekte an Zellen und im Gewebe an Veränderungen der flüssigen Zellumgebung feststellen lassen können, oder auch nicht.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Frau Dr. Sybille Hasse (SH) [die von Frau Cathleen Möbius (INP- Stabsstelle Kommunikation) aus dem Labor geholt wird, um zu der biologischen Auswirkung der Radikale und den vielen noch offenen Fragen (etwa den noch zu erbringenden Nachweis ihrer Existenz, an der sie jedoch nicht zweifelt) Stellung zu nehmen]: Aufgrund der nur kurzen Lebenszeit, ist es in der Tat schwierig, Radikale einfach zu detektieren. Es gibt aber Methoden, die wiederum auf chemischen Reaktionen beruhen, die sehr empfänglich für diese Radikal-Reaktionen sind. Diese Meßmethoden sind nicht so einfach durchzuführen, aber sie gibt es durchaus.

Und natürlich läßt sich im Gewebe oder in der Zelle erkennen, daß genau diese Radikale aus dem Plasma mit Membranstrukturen oder Verbindungen aus der Zelle reagieren, beispielsweise an den veränderten Fettsäuren. Es kommt dabei zu einer Lipidoxidation in der Membran, die eine Art Kettenreaktion nach sich zieht [5], die von Molekülen innerhalb der Zelle immer weitergetragen wird. Irgendwann steuert die Zelle dem Prozeß entgegen und baut zum Beispiel die oxidierten Lipide wieder ab. Also die Radikale, die im Plasma gebildet werden, lassen sich nicht direkt und in gleicher Form im Gewebe nachweisen, da sie sich ständig umwandeln.

SB: Sie sehen also in Prozessen und den einzelnen Reaktionsprodukten, die Sie im Gewebe nachweisen können, einen indirekten Hinweis darauf, daß diese von Radikalen angestoßen wurden? Man sieht also die Wirkung, nie das Radikal?

SH: Ja, genau... Es gibt natürlich Farbreaktionen, mit denen sich bestimmte Radikale nachweisen lassen, wobei man die damit aber auch gleichzeitig wegfängt, weil es chemische Reaktionen sind. Die Radikale sind sehr reaktiv und greifen jede Struktur an. Und über diese Veränderungen, diese Reaktionen lassen sie sich dann indirekt nachweisen.

Darüber hinaus gibt es EPR-Messungen - also Elektronen-Protonen-Resonanz oder Elektronenspin-Resonanz-Messungen -, die allerdings nur in wässriger Lösung oder im Wasser möglich sind und nicht im lebenden Gewebe oder in Zellen.

JK: Dadurch können wir nachweisen, daß Plasma-Radikale eine gewisse Lebenszeit im Wasser haben. Aber auch die müssen wir schnell wegfangen, um sie nachzuweisen.

Cathleen Möbius (CM): Vielleicht sollte man sich hierbei nicht so sehr auf die Wirkweise von Radikalen oder den Nachweis ihrer Existenz versteifen. Praktischer wäre es doch zu fragen, was macht das Plasma, wenn es auf der Wunde auftrifft, mit den Körperzellen, wie stößt es die Wundheilung an und wie kann man das nachweisen? Und diesen positiven Effekt können wir ja bereits mit verschiedenen Invitro-Tests an lebenden Zellen nachweisen.

Uns ist momentan auch wichtiger zu zeigen, wie die Wundheilung funktioniert, als jetzt im Einzelnen konkret jedes Radikal und was damit konkret passiert, zu dokumentieren. Denn im Prinzip ist es auch der gesamte Cocktail aus sechs Komponenten, der wirkt, und nicht nur die Komponente der Radikale.

JK: Wir können auch sagen, ob zumindest diese auf Radikalen beruhenden Theorien, die es zur Wundheilung gibt, bestätigt werden durch das, was wir sehen, oder ob wir von völlig anderen Effekten ausgehen müssen. [6] Das ist für mich aber auch das Interessante an der Sache, daß wir hier Physiker und Biologen zusammenbringen und sich dieses Gebiet nicht mehr allein mit einer Disziplin beschreiben läßt.

SH: Wie gesagt, das wirklich nachzuweisen, ist äußerst schwierig, zum einen aufgrund der kurzen Lebenszeit und weil sich Radikale auch ständig in andere oder auch in Wasserstoffperoxid umwandeln. Das ist dann natürlich länger nachweisbar, weil es eine längere Halbwertzeit hat. Aber weil alle aktivierten Spezies so reaktiv sind, ist das ein ständiges Hin und Her. Wir haben das mit verschiedenen Farbstoffen getestet, die angeblich spezifisch sind für ein Radikal oder eine reaktive Spezies. Das funktioniert natürlich nicht, weil man damit die Reaktion in eine bestimmte Richtung lenkt. Denn durch die Farbreaktion verschiebt sich gewissermaßen das chemische Gleichgewicht in diese Richtung, weil man diese Spezies damit wegfängt. Deshalb betrachten wir vor allem die sekundären Reaktionen, also die Veränderung der flüssigen Zellumgebung, zum Beispiel die Lipidoxidationen. [7]


Foto: © 2015 by Schattenblick

Frau Dr. Sybille Hasse und Prof. Kolb im Expertengespräch.
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Nun, man könnte auch einfach sagen, "wer heilt, hat recht" und nicht weiter nach Einzelheiten fragen

JK: Und wir heilen auch sehr gerne, aber wir stellen uns als Institut der Leibniz-Gemeinschaft auch der Herausforderung, diese neuen Technologien zu verstehen. Wir verbinden mit der Übergabe der Technologien an die Mediziner auch den Anspruch, ihnen vermitteln zu können, wie sie funktionieren. Doch wie so oft finden wir in der Wissenschaft mit einer Antwort auch gleich wieder zehn neue Fragen. Aber das ist es ja, was die Sache für mich so spannend macht.

SB: Werden die hochaktiven Spezies im Plasma auch in Umwelttechnologien eingesetzt? Eine Frage, die derzeit vor allem im Zusammenhang mit dem hochbrisanten Thema Climateengineering diskutiert wird, ist ja, wie man Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre bekommen kann. Sind dabei auch Lösungen denkbar, an denen kalte oder heiße Plasmen beteiligt sind?

Klaus-Dieter Weltmann (KDW): Ja, wir haben bei uns schon einige Ideen dazu diskutiert, vor allem, was die sogenannte CO2- Konversion betrifft. Das betrifft Versuche, die man schon vor zehn oder zwanzig Jahren gemacht und wieder verworfen hat, weil die Ausbeute nicht groß genug war. Inzwischen hat sich die Welt verändert, der Bedarf ist größer und die Technik weiter fortgeschritten. Inwieweit das einmal schwerpunktmäßig hier am INP angegangen werden kann, ist noch nicht raus. Dazu müssen wir erst eine Vorstudie machen und auch abklären, was die Anforderungen und Problemstellungen sind, die vom Markt kommen. Und dann ist auch die Frage, findet man einen Partner, idealerweise schon jemand aus der Industrie, um hinterher auch solche Geräte bauen zu können, denn das ist nicht unsere Hauptaufgabe.

Tatsächlich gibt es hier auch bereits Interesse von einem Partner, und wenn das beides schon mal stimmt, kann man darüber nachdenken, wie groß so ein Projekt wird, wo kriegt man eine Finanzierung her und dann kann man sich darauf konzentrieren. Kurz gesagt, das Thema ist bei uns durchaus mit auf dem Schirm, aber es ist im Moment nicht eines der Schwerpunkte.

JK: Ich stimme dem zu. Die Technologie hat sich entwickelt, es gibt zahlreiche neue Ansätze und bereits kleinere Projekte, bei denen wir schon mal schauen, ob die Methode soweit verbessert werden konnte, daß man sie auch im größeren Maße mit Gewinn betreiben kann. Derzeit untersuchen wir auch beim CO2 und anderen Anwendungen, ob sich der Stand der Technik so weit entwickelt hat, doch wir sind mit Prognosen auch vorsichtig, weil es ein sehr brisantes Thema ist, und ob sich das erfolgreich vorantreiben läßt, müssen wir noch herausfinden. Aber wir sind daran interessiert.

SB: Dürfen Sie uns schon verraten in welche Richtung hier gedacht wird? Soll das CO2, was ja bereits in einer sehr hohen Oxidationsstufe vorliegt, in seine Grundbausteine Kohlenstoff und Sauerstoff reduziert oder anders chemisch umgewandelt werden? In welcher Weise könnte hier Plasma wirken?

JK: Die Idealvorstellung ist eigentlich, daß man es in wertvollere Substanzen umwandelt, die sich dann speichern lassen und nicht umweltschädlich sind. Das ist ein weites Feld, und Plasma kann vieles machen. Es ließe sich unter Umständen auch mit weiteren Methoden kombinieren.

KDW: Genau, der Schlüssel ist in der Regel, daß man dabei gewisse Hybrid-Effekte nutzt. Aber, wie gesagt, dazu wurden nur erste, kleine Schritte gemacht.

JK: Da sind wir noch ganz am Anfang, ja.

SB: Von Dekontamination wird häufig auch in anderen Zusammenhängen gesprochen. Läßt sich auch ein Einsatz von Plasmen bei der Dekontamination von radioaktiven Isotopen vorstellen? Könnte man diese durch Plasma unschädlich machen?

JK: Unschädlich werden sie durch Plasmen auf keinen Fall. Die Frage wird allerdings häufiger in Verbindung mit Wasser an uns herangetragen. Dann geht es aber hauptsächlich darum, ob man die radioaktiven Isotope in Verbindungen zum Beispiel mit Plasma aufoxidieren kann, damit sie sich leichter auswaschen lassen. Dann hätte das Plasmaverfahren eine weitere unterstützende Funktion. Aber ebenso wie bei der Aufwertung von CO2, bei der erst noch viele Untersuchungen ausstehen, muß man auch hier erst genauer schauen, was eigentlich geht. Plasma kann sicher vieles, aber von den tausend Ideen wird man dann vielleicht am Ende hundert verfolgen und davon läßt sich dann vielleicht von zehn sagen, sie haben einen Vorteil, den sonst keine andere Technologie bieten kann.

Ein Problem sind beispielsweise die radioaktiven Teilchen im Grundwasser, die aus mineralischen Phosphordünger herausgelöst werden, die - wie ich gehört habe - aus Afrika, dem Abbaugebiet des Minerals, stammen. Ob da jetzt Plasma die durchschlagende Lösung ist, kann ich nicht sagen. Ich würde es nicht pauschal abtun wollen, aber mein persönlicher Eindruck ist, es gibt bessere Ziele, wie die organischen Schadstoffe oder Medikamentenreste im Wasser, die sich mit dem Plasma leichter behandeln und abbauen lassen. Für die radioaktiven Stoffe könnte es vielleicht doch auch noch ein anderes, erfolgreicheres Verfahren geben als gerade Plasma.

Offenbar gibt es derzeit noch keine optimale Lösung, obwohl das Problem immer größer wird. Mit Plasma läßt sich bei radioaktiven Elementen schlecht etwas machen, weil sie sich physikalisch gesehen nur dadurch von anderen unterscheiden, daß sie im Atomkern noch eine andere Protonen- und Neutronenzahl haben, was sie instabil werden läßt. Plasma kann hier also nur als zusätzliche Maßnahme auf irgendeine Weise andere Abtrennverfahren unterstützen.

SB: Herzlichen Dank, Herr Prof. Kolb, und vielen Dank auch Frau Möbius, Frau Dr. Hasse und Herr Prof. Weltmann, daß Sie dieses Gespräch möglich gemacht haben.


Anmerkungen:

[1] siehe auch:
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chera321.html

[2] Einen Einblick liefert der folgende Artikel: Wasserstoffbrücken werden unter hoher Spannung aufgebrochen und ein Wasser hergestellt, das eine hohe Konzentration an Sauerstoff, Ozon, Hydrogenoxid u.a. Radikalen aufweist, je nach weiteren Zusätzen.
http://www.huntenburg.de/Envirolyte/Wirkung.pdf

[3] Zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X und der Pressereise nach Greifswald sind bisher, mit dem kategorischen Titel "Kernfusion und Plasmaforschung" versehen, im Pool NATURWISSENSCHAFTEN ? REPORT erschienen:

BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0001.html

BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0002.html

BERICHT/003: Kernfusion und Plasmaforschung - Stromschaltungen nachhaltig ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0003.html

INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ...    Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (1) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0001.html

INTERVIEW/002: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ...    Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (2) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0002.html

INTERVIEW/003: Kernfusion und Plasmaforschung - Heiße Luft und ihre Ströme ...    Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0003.html

INTERVIEW/004: Kernfusion und Plasmaforschung - alte Gefahren im neuen Gewand ...    Prof. Dr. Robert Wolf im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0004.html

INTERVIEW/005: Kernfusion und Plasmaforschung - dem Fortschritt vertrauen ...    Jean Pütz im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0005.html

INTERVIEW/006: Kernfusion und Plasmaforschung - Plasma fischen, Stäube wischen ...    Prof. Dr. André Melzer im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0006.html

[4] siehe Schattenblick:
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0003.html

[5] Die Leiterin der Abteilung Plasma-Lifescience, Frau Dr. Hasse, deren Forschungsschwerpunkte der Einfluß von physikalischem Plasma auf humane Zellen und Gewebe, Untersuchungen zur Anwendbarkeit von Plasma im medizinischen Bereich / Plasmamedizin sowie Experimentelle Dermatologie sind, spricht hier von einer Kettenreaktion mit Radikalen, d.h. ein Radikal stößt eine Reaktion an, bildet eine neue Verbindung, bei der dann ein neues Radikal entsteht bzw. ein Molekül frei wird, das wieder ein freies Elektron besitzt und ebenfalls hoch reaktiv ist. Erst wenn zwei "Radikale" miteinander reagieren stoppt die Kettenreaktion.

[6] Mehr dazu siehe:

http://www.plasma-medizin.de/nzpm/home/

[7] http://www.zwp-online.info/archiv/pub/sim/pk/2014/pk0114/epaper/ausgabe.pdf
und http://www.plasma-medizin.de/downloads/plasma_positionspapier.pdf

Auszug aus dem vom Nationalen Zentrum für Plasmamedizin herausgegebenen "Positionspapier zum Risikopotenzial und zu Anwendungsperspektiven von kaltem Atmosphärendruckplasma in der Medizin":
"Zwei wichtige Erkenntnisse der plasmamedizinischen Grundlagenforschung der vergangenen Jahre sind:
1. Biologische Plasmaeffekte an Zellen und im Gewebe werden über Veränderungen der flüssigen Zellumgebung vermittelt.
2. Für durch Plasmaeinwirkung induzierte biologische Effekte spielen in die Flüssigkeit eingetragene bzw. in der Flüssigkeit gebildete oxidierende Spezies, sog. reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies (ROS, RNS), eine dominierende Rolle.

Dieselben reaktiven Spezies (ROS, RNS) werden auch im menschlichen Körper im Rahmen des normalen Stoffwechsels produziert und haben teilweise wichtige Funktionen zur Steuerung und Vermittlung physiologischer und pathologischer Prozesse. Die wichtigsten ROS und RNS sind das Hydroxylradikal (OH·), Wasserstoffperoxid (H2O2), Superoxid bzw. Hyperoxid (O2-·), Stickstoffmonoxid (NO·), Stickstoffdioxid (NO2·) und Peroxynitrit (ONOO-). Sie spielen beispielsweise eine wichtige Rolle im Rahmen von Wundheilungsprozessen."

8. September 2015


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