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INTERVIEW/032: Forschungstechnik neu - Annäherungsgenauigkeit ...     Dr. Adrian Mancuso im Gespräch (Teil 1) (SB)



Verschiedene Vorschläge, 6 Kohlenstoffatome und 6 Wasserstoffatome miteinander zu kombinieren. - Grafiken: alle 2010 by Jü (gemeinfrei) Verschiedene Vorschläge, 6 Kohlenstoffatome und 6 Wasserstoffatome miteinander zu kombinieren. - Grafiken: alle 2010 by Jü (gemeinfrei)

Entwürfe ...
Ehe sich die Chemie auf den Vorschlag des Chemikers August Kekulé einigte, gab es viele Vorschläge und Möglichkeiten für die Struktur von Benzol.
Grafiken: alle 2010 by Jü (gemeinfrei)



Verschiedene Strukturversionen für das derzeit gültige Molekülmodell. - Grafik: by Roland.chem als CC BY 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by/3.0>)], via Wikimedia Commons

... und Kompromiß
Das Original hat noch keiner gesehen.
Grafik: by Roland.chem als CC BY 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by/3.0>)], via Wikimedia Commons

Recherche-Reise "European XFEL und DESY" der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) am 7. und 8. August 2017 in Hamburg

Seit jeher ist es ein Traum vieler Wissenschaftler, mit einem Supermikroskop in die Materie zu schauen, um mit eigenen Augen zu sehen, ob die Vorstellung, die man sich bisher von den kleinsten Teilchen, Molekülen und Komplexen gemacht hat, auch der Wirklichkeit entspricht. Die Grenzen eines Mikroskops werden unmittelbar von der Wellenlänge der Lichtquelle bestimmt, die es zur Vergrößerung von Objekten nutzt. Mit optischen Instrumenten lassen sich deshalb auch nur Dinge betrachten, die größer sind als die Wellenlänge von sichtbarem Licht. Die logische Konsequenz für die Beobachtung nanoskaliger Strukturen, damit unterhalb des Durchmessers eines Haars, war die Konstruktion und Realisation von zunehmend gigantischen Instrumenten, in denen die Forschung Licht von immer kleinerer Wellenlänge bei gleichzeitig anwachsender Lichtintensität zu nutzen sucht. Extrem leuchtstarkes Röntgenlaserlicht gilt hierfür momentan als die Ultima Ratio.

Rund um die Welt konkurrieren milliardenschwere Forschungseinrichtungen in Kalifornien, USA (LCLS), Japan (SACLA), der Schweiz (SwissFEL) und Südkorea (PAL-XFEL) damit, wer mit entsprechend großen Teilchen- oder Elektronenbeschleunigern die härtesten Röntgenstrahlpulse anbieten kann. Ein direkter Einblick in den atomaren Aufbau einfachster sogenannter Primärstrukturen wie etwa den Benzolring [siehe Bild] hat bisher noch keine Anlage geschafft.

Die Strukturauflösung, die mit indirekten Möglichkeiten machbar ist, schien lange Zeit bei 10 Nanometern stecken zu bleiben, da Qualität und Auflösung des Datensatzes eines Proteinkristalls u.a. auch durch Strahlenschäden am Objekt limitiert wird, die mit einer härteren Röntgenlaserstrahlung (kleinere Wellenlänge) und zunehmender Intensität des Laserlichts vermehrt produziert werden. Genauer gesagt verändert sich dadurch der Gegenstand der Betrachtung, weil Bindungen gespalten oder ganze funktionelle Gruppen abgetrennt werden.

Inzwischen stellt aber das European XFEL das Überschreiten der molekularen Grenze in Aussicht. Der derzeit größte und leistungsfähigste Röntgenlaser, der am 7. und 8. August im Mittelpunkt der diesjährigen Recherche-Reise der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) stand, soll ab September für wissenschaftliche Fragen zur Verfügung stehen. Er verspricht zahlreiche technische Möglichkeiten der Superlative, die beispielsweise sämtliche Erfolge der Röntgenstrukturaufklärung, die mit Synchrotron-Strahlungsquellen erreicht wurden, in den Schatten stellen und zudem auch noch die Möglichkeiten der jüngsten Freien Elektronen Laser Generation (s.o.) zu toppen.


Elektromagnetisches Spektrum und Größenvergleich von Wellenlängen. Das Diagramm zeigt niedrig-energetischen Radiowellen bis zu hochenergetischen Röntgenstrahlen und was damit betrachtet werden kann. - Grafik: © 2014 by European XFEL

Das am European XFEL erzeugte Licht verspricht atomare Auflösung.
Grafik: © 2014 by European XFEL

Vor allem für die dreidimensionale Strukturaufklärung, beispielsweise von Biomolekülen wie Rezeptorproteinen, die für die Aufklärung des Zellstoffwechsels (Transportproteine) oder für die paßgenaue Entwicklung von inhibierenden oder aktivierenden Medikamenten essentiell sei, erhofft sich die Wissenschaft eine größere Schärfe und Genauigkeit von dem Instrument SPB/SFX, für dessen Aufbau und Betrieb Dr. Adrian Mancuso verantwortlich ist. Damit könnten auch Biomoleküle untersucht werden, die bislang durch ein weiteres technisches Hindernis von der Betrachtung ausgeschlossen wurden.


Bild eines regelmäßigen sechsflächigen Einproteinkristalls - Foto: 2005 by Matthias Clode, als CC BY-SA 2.0 de [http:creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed], via Wikimedia Commons

Unter bestimmten, künstlich herstellbaren Bedingungen bildet Lysozym Kristalle, mit denen sich Röntgenstrahlen beugen lassen. Bisher ließen sich "nur" 83.000 Biomoleküle zum Auskristallisieren überreden.
Foto: 2005 by Matthias Clode, als CC BY-SA 2.0 de [http:creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed], via Wikimedia Commons

70 Prozent der Biomoleküle waren bislang von der Strukturaufklärung ausgeschlossen, weil sie nicht in der Lage sind, Kristalle von ausreichender Qualität zu bilden. Dies galt bislang als essentielle Voraussetzung für die Strukturaufklärung, da nur die regelmäßige Anordnung eines möglichst großen Kristalls die charakteristischen Beugungsmuster erzeugt, aus der die Wissenschaftler auf die genaue Struktur der Moleküle zurückschließen können. Es handelt sich dabei im Grunde um eine Art Gruppenaufnahme, bei der sich die im Idealfall gleichen Einzelbilder starrer und geordneter Moleküle gegenseitig verstärken, bis sie überhaupt für ein Signal ausreichen.

Um diese Grenze zu umgehen, nutzt die Strukturaufklärung heute einen Trick, der auf Deutsch "Röntgenkleinwinkelstreuung" genannt wird (der englische weit häufiger zu findende Ausdruck dafür ist: SAXS - Small Angle X-Ray Scattering). Um die relativ schlechte Auflösung des Verfahrens zu verbessern, brauche man allerdings sehr viel intensiveres Röntgenlicht, das im Auftreffen normalerweise die Zellen oder Biomoleküle in Stücke reißt, ehe aus ihnen die notwendige Information herausgekitzelt hat.

'Zum Glück haben wir dafür jetzt ein Instrument am XFEL', resümierte der australische Physiker einem unverhohlen begeisterten Vortrag über sein Werkzeug, mit dem eine bestimmte Art der Röntgenbildgebung, das sogenannte Einzelpartikel-Imaging [SPB/SFX, Single Particle, Clusters, and Biomolecules & Serial Femtosecond Crystallography] auch bei sensiblem Probenmaterial durchgeführt werden können soll. Das XFEL liefert dazu Röntgenlaserblitze, die milliardenfach heller sind als jemals in einem der verfügbaren Freie Elektronen Lasern. Dazu braucht man die gewaltigen 3,4 Kilometer langen Röntgenlaseranlage [1], um derart kurze Pulse zu erzeugen, daß man mit 27.000 Röntgenblitzen pro Sekunde auf einen Strom von Nanoobjekten schießen kann und sie durchleuchtet hat, ehe sie explodieren.


Das Bild zeigt eine Simulation dieses Vorgangs. Um ein brauchbares Bild von dem Biomolekül zu bekommen, muss man es extrem schnell aufnehmen, bevor die Probe zerstört wird. Dies wird am European XFEL möglich sein. - Grafik: © DESY

Biomolekül fliegt auseinander. Die Pulse des Röntgenlasers blitzen derart intensiv, daß sie die Probe atomisieren. Physiker nennen das Coulomb-Explosion.
Grafik: © DESY

Diese Pulse wären so intensiv, daß die von dem einzelnen Puls beleuchteten Teilchen eine nennenswerte Menge an Licht ablenken und gleichzeitig so kurz, daß sich das einzelne Teilchen während der Belichtung nicht drehen kann. Dennoch reicht die Datenmenge, die die Beleuchtung eines einzelnen Teilchens ergibt, nicht aus, um dessen Struktur komplett zu bestimmen.

Da aber jedes Untersuchungsobjekt nach der Femtosekundenbestrahlung zerstört ist, muß die Messung mehrmals mit verschiedenen Teilchen wiederholt werden, die nicht nur jeweils ein wenig anders im Raum orientiert sein werden, sondern möglicherweise auch andere individuelle Unterschiede aufweisen können.

Die Gesamtheit der Streudaten wird schließlich zusammengerechnet und mittels eines entsprechenden Programms in ein Bild umgesetzt. Daß die Verarbeitung nach der Datenerfassung eine nicht unwesentliche mathematische Herausforderung [2] darstellt, die ohne schnelle Rechner gar nicht möglich wäre und damit auch die Darstellung nicht beeinflußt werden kann, wie man sie sich wünscht, war nur eine der vielen Fragen zu dem zukunftsträchtigen Verfahren, die Dr. Adrian Mancuso dem Schattenblick beantwortete. Das folgende Gespräch wurde im Anschluß an die Veranstaltung am 8. August in seinem Büro in Schenefeld in englischer Sprache geführt.


Der Forscher vor den Mikrophonen der Recherchereise-Teilnehmer. - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Fortunately we've built an instrument at the European XFEL to do just that." Dr. Adrian Mancuso
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Von dem neuen Röntgenlaser XFEL erhofft sich die Wissenschaft einen 3-D-Einblick in die Nanowelt: vom Aufbau von anorganischer Materie bis hin zu lebenden Zellen oder Biomolekülen. Können Sie uns sagen, warum noch ein weiteres Instrument wie das SPB/SFX nötig ist, wenn doch durch andere Supermikroskope, von Elektronen- oder Rasterelektronenmikroskopen bis zur Röntgenkristallographie, wie gestern gesagt wurde, bereits 94.000 Biomoleküle aufgeklärt werden konnten.

Dr. Adrian Mancuso (AM): Ich hatte Glück, daß ich bereits an vielen Instrumenten und Entwicklungsstufen der Röntgenlasertechnologie meine Erfahrungen sammeln konnte. Daher kenne ich fast alle Möglichkeiten, sich mikroskopische Strukturen genauer anzusehen, ganz gut und weiß auch, was es heißt, hauchdünne Scheibchen von Objekten mit dem Ionenstrahl zu schneiden und sie dabei zu betrachten.

Auch wenn das vielleicht ein bißchen abgedroschen klingen mag, bin ich überzeugt davon, daß es für jede Aufgabe das optimale Werkzeug gibt. Wenn man die dreidimensionale Struktur einer großen, runden Zelle als Ganzes verstehen will, dann muß man davon ausgehen, daß keine Zelle wirklich der anderen gleicht, auch wenn sie aus dem gleichen Gewebe stammt. Sie ähneln sich sehr. Aber sie sind nicht gleich.

Hätte ich die Aufgabe, mir einen Eindruck in 3-D von einer einzelnen Zelle zu verschaffen, würde ich zunächst mit einem Synchrotron arbeiten, um daran eine Tomographie vorzunehmen. Vermutlich würde ich dazu Technologien wie die Phasenkontrast Tomographie oder auch die Optische Kohärenz Tomographie nutzen, mit der kohärente Beugungsbilder erstellt werden können, wie man sie auch von der "Single-Particle"-Image Tomographie kennt. Wenn man die Zelle als Ganzes vornimmt, wären das genau die richtigen Werkzeuge dafür.

Wenn ich dagegen nur ein einziges reproduzierbares Teilchen ansehen möchte wie die sehr kleinen Kristalle mancher Biomoleküle oder auch größere biologische Strukturen wie einzelne Viren, dann sind nur die Bedingungen, die das XFEL liefert, das optimale Instrument. Denn hier kann ich unzählig viele Aufnahmen von einem reproduzierbaren Teilchen machen und das, so oft ich will. Anschließend kann ich aus dem weiteren Signal, das sich aus der möglichst quantitativen Datenerfassung und -bearbeitung ergibt, eine 3-D-Aufnahme erstellen. Das schafft kein anderes.

Das XFEL-Instrument SPB/SFX soll sich in erster Linie um die Analyse von solchen Teilchen kümmern, die im Idealfall gut reproduzierbar sind, so daß sich daraus mit vielen Aufnahmen und vielen Datensätzen eine optimale Auflösung erreichen läßt. Das ist ein Spezialgebiet, das eine ganz breite Palette an wissenschaftlichen Fragestellungen bedient.

SB: Sie erwähnten in Ihrem Vortrag gestern, daß es auch einige Materialien oder Moleküle gibt, die nicht mit den bisher üblichen Synchrotronstrahlen nutzenden Instrumenten wie beim DESY strukturell aufgeklärt werden können, weil sie sich nicht in Kristalle umwandeln lassen. Um welche Stoffe handelt es sich dabei im wesentlichen?

AM: Das ist eigentlich der wichtigste Grund, weshalb man sich bei vielen Biomolekülen für Einzelpartikel-Imaging entscheidet. Letztlich könnte man sie auch in einem Synchrotron ansehen, doch die Auflösung wird durch die Strahlungsschäden sehr eingeschränkt. Ich erinnere mich, daß wir uns auf diese Weise bereits vor 10 Jahren einen Virus in einem japanischen Synchrotron angesehen haben. Die Tomographie, nein, genauer gesagt die Projektion, die wir davon machen konnten, hatte nur eine Auflösung von etwa 22 Nanometern - also ganz furchtbar. Doch es war der erste Versuch dieser Art überhaupt. Inzwischen können wir allein mit einem gewöhnlichen FEL [Freier-Elektronen-Laser] schon 3-D Aufnahmen mit einer Auflösung von 5 Nanometern machen. Das könnten Sie mit einem Synchrotron nie schaffen.

SB: Es gibt durchaus beeindruckende 3-D Modelle von Biomolekülen, wie Enzyme oder Transportproteine in Zellmembranen, bei denen sogar Wechselwirkungen mit anderen funktionellen Einheiten dargestellt werden. Ich denke an eine Computersimulation, in der eine Aktinstruktur aus einem Kaninchenmuskel mit Myosin aus einer Schnecke interagiert. Aus irgendeinem Grund konnte man nicht beide Stoffe aus der gleichen Muskelspezies dazu bringen, Kristalle auszubilden. Diese Animation entspricht aber genau den lehrbuchgemäßen Vorstellungen, die man ohnehin von dieser Wechselwirkung hatte, sie hat genau genommen nichts mit den natürlichen Bedingungen gemein. Was halten Sie persönlich von der wissenschaftlichen Relevanz solcher Projektionen?

AM: Die Frage ist hier eigentlich nur, wie ähnlich diese beiden Biomoleküle zum Original sind. Sehen Sie, solche Strukturen werden separat durchgemessen und dann wird das zusammengepuzzelt. Man sagt dann, diese Stelle muß hier und diese dort andocken, weil die und die Form nur mit einer bestimmten strukurellen Voraussetzung zusammenpaßt oder weil eine spezielle chemische oder elektronegative Affinität an dieser Stelle zur Wirkung kommt und ähnliches. Ich weiß zwar nicht, wie weit wir noch kommen werden, aber theoretisch wäre es durchaus denkbar, solche einzelnen Komponenten in Proben zu vermischen und sie im XFEL-Instrument gemeinsam zu analysieren - sowohl kleine Kristalle als auch nichtkristalline Substanzen. Entscheidend ist allerdings die Teilchengröße. Kleine Kristalle, die für ein FEL geeignet sind, vermischen sich am besten mit anderen Partikeln ähnlicher Größenordnung, etwa Enzyme und dergleichen. Anschließend beobachtet man einfach, was im kristallinen Bereich oder in der flüssigen Phase geschieht. Es ist dann zwar immer noch eine Frage, wie sich der wässrige Zustand einer natürlichen Umgebung auswirkt, aber man kann damit schon mal anfangen.

Es ist zwar noch nicht so populär, aber mit dem sogenannten SAXS läßt sich sogar die Mischung eines gelösten Teilchen-Ensembles betrachten. Mit dieser Methode kann man dann auch viele Teilchen pro Tag analysieren und nicht nur ein einziges und auch andere Teilchen außer Kristalle. Das sind Methoden der Zukunft, die nur davon abhängen, daß man unter den gegebenen Bedingungen ein brauchbares Signal erreicht. Das XFEL hat eine enorme Power, mit der sich auch aus schwächeren Beugungsbildern Informationen gewinnen lassen.

SB: Sie stellen Ihr spezielles Instrument auch anderen Anwendern für ihre Forschungsprojekte zur Verfügung. Wie sieht es kurz vor dem Start der Anlage aus? Stehen die Wissenschaft oder die Industrie mit ihren Forschungsprojekten schon Schlange?

AM: Das Interesse der Industrie wird vermutlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wenn unsere Möglichkeiten erst publik werden, wird die Industrie diese Vorteile nutzen wollen. Augenblicklich betreiben wir hier vor allem freie und nicht proprietäre Forschung. Die ersten Experimentatoren haben schon vor längerer Zeit die nötigen Anträge zur Nutzung des Röntgenlasers gestellt. Die werden dann gesichtet und von einem Komitee nach wissenschaftlicher Relevanz, Exzellenz, aber auch nach ihrer technischen Realisierbarkeit beurteilt und in eine Reihenfolge gebracht. Erst dann werden Zeitpläne erstellt und die direkten Forschungszeiten am Instrument vergeben. Am SPB/SFX-Instrument, das zu meinem Verantwortungsbereich gehört, sind bereits für sieben verschiedene Projekte Forschungszeiten verbucht. Die Messungen beginnen im September und sollen noch im Dezember dieses Jahres abgeschlossen werden. Die Forschungszeiten für unser Instrument waren sehr gefragt. Ehrlich gesagt, gab es viermal mehr Projekte und Bewerber als wir dafür an Zeit erübrigen konnten. Man kann also mit Recht behaupten, daß die Schlange der künftigen Nutzer ganz schön lang ist. Ja ehrlich - sie rütteln geradezu an unserer Tür.

SB: Wer wird das "Rat-Race", wie man im Englischen sagt, den erbitterten Konkurrenzkampf zwischen freier und anwendungsorientierter Industrieforschung letztlich gewinnen und hat die Wissenschaft überhaupt noch eine Chance, wenn sich das XFEL auch für diese Nutzergruppe öffnet?

AM: Wer das Rennen macht, ist schwer zu sagen. Alle Projekte hören sich ausgesprochen attraktiv an und stehen für absolute Spitzenwissenschaft. Meines Erachtens kommt keiner zu kurz, denn es gibt genug Ruhm und Ehre für alle, die sich daran beteiligen. Wenn nur die Hälfte der vorgeschlagenen Konzepte durchführbar sind, wird das ein ganz großartiger Beitrag für die Forschung sein.

Einige der Projekte der Grundlagenforschung befassen sich zudem mit der Verbesserung beziehungsweise Erweiterung der Methodik. Andere beschäftigen sich mit den spezifischen Funktionen ganz spezieller Biomoleküle oder auch mit ganz spezifischen strukturellen Veränderungen in biomolekularen Prozessen. All das konnte bislang noch nie in dieser Genauigkeit untersucht werden und ist einfach superspannend. Also ich bin überzeugt davon, daß wir hier zusammen eine ganz tolle Zeit haben werden.

SB: Es gibt ja einige Themen von drängendem gesellschaftlichen Interesse wie die Entwicklung von neuen Antibiotika angesichts der Zunahme von multiresistenten Keimen in den Kliniken oder andere Problemstellungen wie Klimawandel, Energieeffizienz oder die Sorge um die Welternährung, die im Zuge des globalen Wandels entstehen, für die man sich von der Forschung Lösungen verspricht. Gibt es Kriterien bei der Auswahl, die solche Fragen berücksichtigen?

AM: Das erste und einzige Schlüsselkriterium für die Reihenfolge der angefragten Projekte ist tatsächlich wie gestern schon gesagt wurde "wissenschaftliche Exzellenz". Das ist aber ein sehr weiter Begriff. Damit können ebenso neue und interessante, aufregende Entdeckungen gemeint sein, wie potentielle Durchbrüche für bereits bestehende Technologien, die in der Welt um uns herum längst genutzt werden. Wir haben für die Bewertung der Projekte ein Komitee aus vollkommen unabhängigen Experten zusammengestellt, welche die Möglichkeiten unserer Instrumente genau kennen. Sie schätzen den potentiellen Wert der Anfragen in jedem Fall neu ein. Und danach entscheiden wir, wie unsere "Beam-Zeit" über die einzelnen Projekte verteilt werden kann.

Nun wurde noch kein Projektantrag gestellt, der den thematischen Hintergrund Ernährungssouveränität oder Lebensmittelsicherheit hatte, auf den ich mich beziehen könnte. Allerdings spiegeln Anfragen, die beispielsweise über ein besseres Verständnis der Photosynthese eine höhere Effizienz bei Photovoltaik-Technologien in Aussicht stellen, durchaus einen hohen wissenschaftlichen Wert wider. Das wäre ein Beispiel dafür, in welcher Richtung die künftige Nutzung unseres SPB/SFX Instruments gehen könnte.

SB: Wäre in diesem Sinne auch die Aufklärung von Strukturen oder Funktionen der DNA, das heißt das Gewinnen von Kenntnissen, mit denen anschließend Gentechnologien verbessert werden könnten oder mit denen sogar Einfluß auf menschliches Erbgut genommen werden könnte, um vielleicht die notwendige evolutionäre Anpassung an die Umwelt zu beschleunigen, ein "exzellentes Forschungsthema" für Ihr Instrument?

AM: Ja genau CRIPR/CAS9-Crops und dergleichen sind natürlich auch ein Thema. Inwieweit unsere Forschung dafür genutzt werden könnte, solche Technologien voranzutreiben, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte. Ich bin Physiker, kein Mikrobiologe. Ich glaube aber nicht, daß dies zu den direkten Nutzungsmöglichkeiten gehört, die mit unserem Instrument angeboten werden.

Dazu muß ich sagen, daß wir im Wesentlichen vor allem Tertiärstrukturen von Einzelteilchen betrachten. Bei den DNA-Sequenzen, die Sie erwähnt haben, handelt es sich jedoch um Primärstrukturen. Ob nun kleine Veränderungen in der DNA-Sequenz einen großen Effekt auf die Tertiärstruktur haben können, ist durchaus eine Frage. Einen Effekt hat es sicherlich, denn wenn sich durch die DNA-Veränderung eine Funktion ändert, dann drückt sich das natürlich auch irgendwie in der weiteren Struktur aus. Aber inwieweit so etwas tatsächlich schon bei einer Untersuchung mit dem SPB/SFX deutlich wird, kann ich leider nicht vorhersagen. Dafür fehlt mir das Fachwissen.

SB: Verstehe ich das richtig, daß molekulare oder atomare Strukturen bisher noch nicht untersucht werden?

AM: Genau.

SB: Sie sprachen die Photosynthese an. Auch da gibt es bereits im Hinblick auf klimaangepaßte Pflanzenzüchtung Überlegungen, neue Biotechnologien zu verwenden.

AM: Ja, eines der ganz großen Projekte, das uns ein besseres Verständnis der natürlichen Prozesse in unserer unmittelbaren Umwelt vermitteln soll, ist die Erforschung der molekularen Vorgänge bei der Photosynthese, die man auch als effektive Methode zum Einfangen und Verfügbarmachen von Lichtenergie verstehen kann. Daraus ergibt sich natürlich unmittelbar die Frage, kann man sich diese Konzepte zu Nutze machen, indem man daraus synthetische Kopien für die Ernte von Licht entwickelt. Das ist dieser Tage eines der bedeutendsten Forschungsprojekte, an dem sehr viele Wissenschaftler interessiert sind. Und natürlich gibt es verschiedene vielversprechende Biomoleküle, die man dafür genauer unter die Lupe nehmen will, die spektakuläre Ergebnisse versprechen. Nun, wie weit man mit dieser Frage im Endeffekt kommen wird, ist noch offen, doch sie beginnt damit, daß man zunächst einmal die natürlichen Molekülvorgänge versteht. Dazu werden die Instrumente des XFEL auf jeden Fall beitragen.


Der Wissenschaftler vor dem Herzstück des SPB/SFX-Instruments, die Probenkammer. - Foto: © by Schattenblick

Lichterntekonzepte von Biomolekülen könnten nachgeahmt werden, wenn man sie versteht.
Adrian Mancuso verspricht sich viel, von seinem Instrument.
Foto: © by Schattenblick

SB: Ionisierende Strahlung wirkt bekanntlich durch Kollisionen im Molekularbereich zerstörerisch. Beim Elektronenmikroskop oder Rasterelektronenmikroskop ist die Vorbereitung des Objekts daher elementar wichtig. Sie sprachen vorhin die Strahlenschäden durch Freie Elektronen Laser an. Müssen die Proben auch für die XFEL-Instrumente, die unter anderem mit hartem Röntgenlicht arbeiten, besonders vor- oder aufbereitet werden?

AM: Die Vorbereitung der Proben ist immer elementar wichtig, ganz gleich, welches Instrument oder welche Art von bildgebender oder strukturaufklärender Methodik Sie wählen. Bei der Elektronenmikroskopie brauchen Sie feste, typischerweise zumeist gefrorene Objekte, die dann auch noch in feine Scheiben geschnitten werden. Das ist natürlich eine äußerst invasive Methode. Dadurch kann sich die Struktur verändern oder sogar vollständig verloren gehen. Darüber hinaus verhindert diese Probenaufbereitung auch, sich die funktionelle Dynamik, das heißt die Struktur in Bewegung, anzusehen. Für das XFEL müssen Sie entweder Kristalle vorbereiten oder eine entsprechende Lösung, die dann aber die richtige Dichte von Einzelteilchen aufweisen muß.

Abgesehen davon, daß sich bei unserem Instrument die zumeist komplizierte Aufgabe, Kristalle zu züchten, erübrigt, ist jede weitere Probenvorbereitung, die noch nötig ist, zwar nicht gerade ein Kinderspiel, doch vergleichsweise sehr viel leichter. Leichter in dem Sinne, daß wir mit einer Kristallsuspension arbeiten können oder auch mit einer Suspension von einzelnen Viren, die wir dann in eine Art virtuelle Spezialdüse geben, um sie dann in das Vakuum zu sprühen. Dafür gibt es verschiedene Technologien, die wir inzwischen gut beherrschen.


Hier justiert eine Wissenschaftlerin den mikroskopischen Flüssigkeitsstrahl, der Viren, Zellen oder Biomoleküle liefert, im Vakuum. - Foto: © 2016 by European XFEL

Die Vorbereitung der Proben ist immer elementar wichtig, eine Probenlösung braucht eine bestimmte Dichte an Einzelteilchen.
Foto: © 2016 by European XFEL



Eine Art Pipette vor dem Laser sorgt für die Zufuhr von Probenmaterial - Foto: © 2016 by European XFEL

Ein Liquid-Jet-System wird getestet.
Foto: © 2016 by European XFEL

Der sogenannte "Gas focused liquid jet" [gasfokussierter flüssiger Strahlinjektor], den wir dafür nutzen, ist eine ganz großartige Entwicklung. Aber wir haben alternativ auch einen Aerosolinjektor zur Verfügung, mit dem wir die Probe "aerosolisieren" und anschließend die feinen Aerosolpartikel in den XFEL-Beam schießen können. Der Vorteil dieser Methode ist, daß wir bei Raumtemperatur arbeiten, so daß sich die Moleküle in einem normalen Zustand befinden, in dem sie gewissermaßen "zu Hause" sind und sich frei bewegen können. Dadurch schafft man Voraussetzungen, um auch dynamisches Verhalten über einen gewissen Zeitraum zu beobachten. Das kann durch weitere Substanzen provoziert werden, mit denen man die Probe mischt. Davon sprachen wir schon. Das geht aber auch, indem man die Probe mit einem optischen Puls beleuchtet, der ebenfalls Veränderungen bewirkt, die dann sichtbar werden. Das alles wäre bei der alten Elektronenmikroskopie niemals denkbar gewesen. Kurz gesagt: wir haben Teams von Wissenschaftlern, die sich ausschließlich mit der Probenvorbereitung und -bereitstellung und ihrer bestmöglichsten Applikation im Experiment befassen, aber nichts von all dem ist so invasiv und zerstörerisch wie das, was man von der Elektronenmikroskopie kennt.

(Wird fortgesetzt - Im zweiten Teil des Interviews spricht Dr. Adrian Mancuso über das, was mit der Probe im Experiment geschieht, was genau dabei herauskommt und warum man für die Struktursimulation eines einzelnen Teilchens mindestens 27.000 Einzelaufnahmen und sehr viel Rechenleistung braucht.)


Anmerkungen:

[1] Mehr dazu im Eingangsbericht zur DPG-Recherchereise:
BERICHT/008: Forschungstechnik neu - Rechnung ohne den Wirt? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/report/nrbe0008.html
sowie im Gespräch mit dem Koordinator des Projekts:
INTERVIEW/030: Forschungstechnik neu - sicher, präzise und verständlich ...     Beschleunigerexperte Dr. Winfried Decking im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0030.html

[2] Siehe auch: Strukturaufklärung von Nanopartikeln)
http://www.organische-chemie.ch/chemie/2013/apr/nanoteilchen.shtm

[3] Siehe auch: Interview mit dem Agrarwissenschaftler Dr. Hubert Heilmann im Schattenblick unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
INTERVIEW/258: Folgen regional - Stellwerk Landwirtschaft ...     Dr. Hubert Heilmann im Gespräch (SB))
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0258.html


Bisher zur DPG-Recherchereise 2017 im Schattenblick unter
INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/008: Forschungstechnik neu - Rechnung ohne den Wirt? (SB)
BERICHT/009: Forschungstechnik neu - weit in die Zukunft planen ... (SB)

INTERVIEW/029: Forschungstechnik neu - Vakuum und mehr ...     Prof. Ralf Röhlsberger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/030: Forschungstechnik neu - sicher, präzise und verständlich ...     Beschleunigerexperte Dr. Winfried Decking im Gespräch (SB)
INTERVIEW/031: Forschungstechnik neu - mit den besten Absichten ...     Prof. Ulf Zastrau im Gespräch (SB)

29. August 2017


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