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INTERVIEW/034: Plattentektonik und Vulkane - Ausbruchs- und Gefahrenvorhersage ...    Priv.-Doz. Dr. Steffen Kutterolf im Gespräch (SB)



70 Prozent der Erdoberfläche sind Meeresgrund. Noch vor wenigen Jahren wußte man davon weniger als vom Mars, zumal 60 Prozent des Ozeanbodens unter einer kilometerdicken Decke aus Meereswasser verborgen liegen und nur mit speziellen Tiefseeausrüstungen für Forscher zu erreichen sind. Das vor 50 Jahren ins Leben gerufene Internationale Tiefseebohrprogramm (Ocean Drilling Program ODP) sowie sein Nachfolgeprojekt, das integrierte Tiefseebohrprogramm (International Ocean Discovery Program, IODP) [1] brachten erstes Licht in diese Tiefen, allerdings sehr punktuell. Indem sie Tausende von tiefen Löchern in den Meeresgrund bohren, um daraus Sedimentbohrkerne hervorzuziehen, entdecken Wissenschaftler Rohstoff- und Energievorräte, exotische Bakterien in 850 Meter Meeresbodentiefe oder Zeugnisse des prähistorischen Klimas, die zehnmal weiter in die Vergangenheit zurückreichen sollen als andere Klimaarchive wie Eisbohrkerne.


Luftaufnahme zeigt die gewaltige Fläche der Verwüstung - Foto: 2005 by U.S.Navy photo by Photographer's Mate 1st Class John D. Yoder,gemeinfrei

Aus der Ferne ...
Foto: 2005 by U.S.Navy photo by Photographer's Mate 1st Class John D.Yoder, gemeinfrei


Ein großes Schiff inmitten der durch den Tsunami zerstörten Straßen von Banda Aceh, Sumatra - Foto: 2005 by U.S. Navy photo by Photographer's Mate 3rd Class Katrina V. Walter, gemeinfrei

Lassen sich die Folgen solcher Ereignisse durch größeres Wissen über Erdvorgänge im Meeresboden minimieren?
Sumatra im Januar 2005 drei Wochen, nachdem ein Tsunami die Küste zerstörte.
Foto: 2005 by U.S. Navy photo by Photographer's Mate 3rd Class Katrina V. Walter, gemeinfrei

Für Priv.-Doz. Dr. Steffen Kutterolf, der sich seit 2001 in Kiel im Sonderforschungsbereich 574 auf die Bedeutung der Subduktionszonen spezialisiert hat - Bereiche, an denen eine ozeanische Platte der Erdhülle unter eine Kontinentalplatte abtaucht -, sind vor allem die Ablagerungen in den Bohrkernen interessant, die auf vulkanische Aktivitäten zurückgehen oder aus diesen kritischen Bereichen des Meeresbodens stammen. Entlang der konvergenten Plattengrenzen treten die stärksten und zerstörerischsten Erdbeben auf. Verheerende Tsunamis, denen abertausende Menschen zum Opfer fallen, wie im Jahr 2004 an den Gebieten um den indischen Ozean (offiziell gezählt: 230.000 Todesopfer, 1,7 Millionen Obdachlose) oder 2011 entlang der Ostküste Japans, bei dem auch das Atomkraftwerk Fukushima zerstört wurde (offiziell gezählt: 18.500 Todesopfer, 450.000 Obdachlose), sind nur zwei bekannte Beispiele für die Folgen solcher Erschütterungen, die ihren Ursprung unter dem Meeresboden haben.

Mit neuen Erkenntnissen über den erdgeschichtlichen Vulkanismus will Steffen Kutterolf dazu beitragen, ein besseres Verständnis über die aktuellen Vorgänge im Erdinneren zu erlangen, damit man aus den Katastrophen der Vergangenheit für die Zukunft lernt. Bis dahin ist jedoch noch ein langer, kostspieliger Weg, der noch viele tiefe Löcher im Meeresboden erfordern wird. Derzeit werden Bohrkerne aus der Hikurangi Subduktionszone (Neuseeland) untersucht, die Aufschlüsse über Zusammenhänge zwischen Slow Slip Events und ihre Rolle bei Erdbeben und Hangrutschen liefern sollen. Diese "stillen Erdbeben", durch die sich ein kleiner Teil der tektonischen Spannung entlädt, die durch eine "feststeckende Platte" aufgebaut wird, wurden erst vor wenigen Jahren durch ein Netz von GPS-Instrumenten auf Neuseeland entdeckt.

Nachdem er selbst vor kurzem erst von der Expedition 375 mit dem Bohrschiff JOIDES Resolution von Neuseeland zurückgekehrt war, stellte Dr. Kutterolf am 15. Mai 2018 in einem öffentlichen Vortrag der Reihe WissenSchaffen im Hörsaal des GEOMAR in Kiel die Arbeit des IODP vor und gab dabei einen kurzen Einblick in seine eigene Forschung. [2] Im Anschluß daran war der Vulkanologe bereit, dem Schattenblick einige Fragen näher zu erläutern.


Der Vulkanologe während eines öffentlichen Vortrags im GEOMAR-Hörsaal - Foto: © 2018 by Schattenblick

Priv.-Doz. Dr. Steffen Kutterolf
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ein Laie kann sich kaum vorstellen, daß man Sedimentablagerungen, die man teilweise aus kilometertiefen Schichten aus dem Meeresgrund herausbohrt, unterscheiden oder bestimmten Ereignissen zuordnen kann. Proben auf dem Kontinent lassen sich da schon direkter mit Erosionen von Gebirgsformationen und dergleichen in Bezug setzen. Bei Asche weiß man vielleicht noch, daß sie aus einer Vulkaneruption stammen muß. Doch wie löst man das Problem der Zuordnung von anderen Sedimenten aus den Tiefseeproben?

PD Dr. Steffen Kutterolf (StK): Bei anderen Sedimentablagerungen wird die Zuordnung tatsächlich schwieriger. Es gibt das normale Hintergrundsediment, das sich aus plötzlich abgestorbenen Organismen zusammensetzt und in das Staub eingetragen worden ist, der dann heruntersinkt. Da kann man nur ganz grob vermuten, woher der Staub stammt, in dem man von der Probe geochemische Analysen und sogenannte Herkunftsanalysen macht. Vor Japan findet man beispielsweise Staub, der aus China stammen muß und weiß dann: Okay, das ist "Chinese Loess". Daß wäre eine typische Schlußfolgerung, denn in China gibt es große weite Flächen, von denen Staub durch die Bodenbearbeitung aufgewirbelt, in die Atmosphäre eingetragen und über die Luft weitertransportiert wird.


Wüstenähnliche Löss-Landschaft bei Hunyuan in der chinesischen Provinz Shanxi. - Foto: by Till Niermann, CC-BY-SA-3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/], via Wikimedia Commons

Staub aus China findet man in Sedimentbohrkernen des Meeresbodens vor Japan wieder.
Foto: by Till Niermann, CC-BY-SA-3.0
[http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/], via Wikimedia Commons

SB: Sie erwähnten in diesem Zusammenhang auch den chemischen Fingerabdruck, den Sie von den mikroskopisch kleinen Glasscherben [3] Ihrer Sedimentproben erstellen, um sie einer bestimmten Eruption zuzuordnen. Wie muß man sich das vorstellen? Ist das Verfahren mit den analytischen Charakteristika vergleichbar, mit dem beispielsweise kritische Rohstoffe daraufhin untersucht werden, ob sie aus Konfliktzonen stammen?

StK: Im Prinzip werden alle zur Verfügung stehenden Analysetechniken voll ausgeschöpft, um die genaue, charakteristische Zusammensetzung der Materialien herauszufinden und anschließend zuzuordnen oder zu unterscheiden. Das sind in beiden Fällen sehr ähnliche Verfahren.


Powerpoint Dokumente aus dem Vortrag zeigen elektronenmikroskopische Aufnahmen und den chemischen Fingerprint-Abgleich der Proben, die in Korrelation gesetzt werden sollen. - Foto: © 2018 by Schattenblick Powerpoint Dokumente aus dem Vortrag zeigen elektronenmikroskopische Aufnahmen und den chemischen Fingerprint-Abgleich der Proben, die in Korrelation gesetzt werden sollen. - Foto: © 2018 by Schattenblick

Mit chemischem Fingerprinting werden Sedimentproben von Festland- und Meeresboden-Bohrungen miteinander vergleichbar.
Fotos: © 2018 by Schattenblick

SB: Bei der jüngsten IODP-Expedition soll erstmals ein aktiver Unterwasservulkan angebohrt werden. Welche Kriterien sollen bei der Auswahl einer solchen Bohrstelle erfüllt sein? Die möglichst geringe Wassertiefe vor Neuseeland hatten Sie bereits erwähnt.

StK: Die Wassertiefe ist nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist, daß das ganze Gebiet seismisch vorher gut untersucht wurde, ganz gleich an welcher Stelle man bohrt. Bei seismischen Meßverfahren werden akustische Signale in den Meeresboden geschickt, die dann die einzelnen Schichten abbilden, die dort vorkommen. Das spielt für die Gefährdungsabschätzung eine entscheidende Rolle. Sicherheit sollte immer an erster Stelle stehen, wenn man irgendwo rein bohrt und nicht weiß, was einen erwartet. Wenn dort beispielsweise gruselige graue Zonen zu sehen sind, besteht die Gefahr, daß es sich um Gase handelt und wenn man mit dem Bohrgestänge Gas erwischt, dann kann es einen Blowout geben, bei dem einem das Bohrgestänge um die Ohren fliegt.

SB: Soll bei dieser aktuellen Expedition tatsächlich auch heißes Magma angestochen werden? Die Presseerklärung könnte man dahingehend interpretieren und als Laie fragt man sich durchaus: Steht das nicht alles unter Druck, spritzt da nicht die ganze Lava raus?

StK: Unter aktiven und passiven Vulkane verstehen Geologen etwas ganz anderes als die Normalbevölkerung. Aktiv heißt, daß der Vulkan innerhalb der letzten tausend Jahre aktiv gewesen ist. Und wenn er nicht mehr aktiv ist, dann heißt das, daß er über mehrere zehn- bis hunderttausende von Jahren oder sogar noch länger nichts mehr gemacht hat.

SB: Gibt es noch andere Risiken? Kann anhand der seismischen Profile auch die Gefahr ausgeschlossen werden, daß man zufällig doch noch in eine Lavaschicht reingerät?

StK: Das kann eigentlich schon deshalb nicht geschehen, weil man dafür bei der Bohrung noch zu weit von der Magmakammer entfernt ist.


Ein submariner Vulkan bricht gerade aus - Foto: by NOAA/National Science Foundation und NSF, via Wikimedia Commons, gemeinfrei

Für den Geologen noch zu aktiv.
So stellt sich der Laie einen aktiven Unterwasservulkan vor.
Foto: by NOAA/National Science Foundation und NSF, via Wikimedia Commons, gemeinfrei

SB: Was ist an dem ehrgeizigsten Ziel des International Ocean Discovery Program (IODP) dran, den Erdmantel mit einer Tiefenbohrung zu erreichen? Das müßte doch mit einer Bohrtechnik geschehen, die sehr hohen Temperaturen und Drücken standhält?

StK: An dem Programm MOMO (Mantle Overturn, Major Orogeny) wird tatsächlich schon sehr lange geplant. Der Vorstoß ins Erdinnere soll deshalb am Ozeanboden gemacht werden, weil die kontinentale Kruste, auf der sich unser Lebensraum befindet, an Land bereits 30 bis 50 Kilometer dick ist und somit bohrtechnisch fast unüberwindbar. Deshalb hat man nach besseren Stellen gesucht, an der man zumindest keine Ewigkeiten brauchen würde, um bis zum Mantel zu stoßen. Dafür bietet sich die Ozeankruste an, weil sie nur eine Schichtdicke von sechs bis sieben Kilometer hat. Man müßte also nur noch sieben Kilometer überwinden. Es gibt aber auch Stellen, wo die Erd- bzw. Ozeankruste besonders dünn ist und so eine Stelle wurde gerade im Indischen Ozean in die nähere Auswahl gezogen. Dort will man versuchen, mit einer Bohrung bis zum Erdmantel vorzudringen. Das ist immer noch ein ganz großes Ziel. Aber es ist sehr schwer zu erreichen. Bereits nach einem oder zwei Kilometern wird das Weiterbohren sehr schwer.

SB: Was ist in dieser Tiefe das größte Problem, der hohe Druck?

StK: Der hohe Druck ist es nicht. Aber das Bohrloch muß stabil bleiben. Schichten aus Sandstein sind zum Beispiel ganz schlecht. Wenn man die durchbohrt, dann rieselt der Sandstein in das Loch und es wird sehr schwer, das Bohrloch davon wieder zu befreien. Das Bohren findet mithilfe einer Bohrflüssigkeit statt. Genauer gesagt handelt es sich um Meerwasser, das herunter gepumpt wird, damit das, was erbohrt wird, auch wieder nach oben herausgedrückt wird. Sonst würde es alles verstopfen. Man kann das durchaus mit einer normalen Hausbohrmaschine vergleichen. Je mehr also nachrieselt, um so mehr muß man spülen und wenn das aus irgend einem Grund nicht mehr funktioniert, muß man aufhören.

SB: Würde man in einem solchen Fall eine neue Bohrstelle suchen, in der nicht so viel Sandstein vorkommt? Was macht man dann?

StK: Nein, da gibt es schon noch einige technische Möglichkeiten, um vor Ort weiterzumachen. Eine, das Casing, habe ich im Vortrag erwähnt. Wenn man also auf Intervalle stößt, die mit sehr lockerem Material gefüllt sind, wie Sande, dann baut man ein Casing ein. Das bedeutet, man bohrt und hat darüber ein Stahlrohr und dieses Stahlrohr wird dann in dieses Intervall gesetzt, damit nichts mehr reinrieseln kann. Das Stahlrohr ist immer gerade groß genug, daß man einen normalen Bohrer darin wieder hoch und runter bewegen kann.

SB: Lassen sich die Proben aus Meeresbodensediment denn noch mit Sedimentproben vom Kontinent vergleichen, wenn man verschiedene Bohrverfahren und Techniken verwenden muß, um den Bohrkern herauszuholen? Ich habe gehört in noch tieferen Schichten würde man Schlamm statt Meerwasser zum Spülen verwendet?

StK: Wir vergleichen nur die Tephren, also die Aschenlagen [3], um dann Korrelationen herzustellen, ob das Material aus der gleichen vulkanischen Eruption stammt. Die Signatur der Asche wird durch das Spülen nicht verändert. Deshalb hatte ich auch den Vergleich von DNA- und Fingerabdruck erwähnt. Denn jede Eruption hat ganz eigene Charakteristika, die man durchaus mit der DNA-Sequenz beim Menschen vergleichen kann. Man kann auf diese Weise eine Eruption recht gut von anderen unterscheiden. Schwieriger wird es vielleicht, wenn sie aus dem gleichen Vulkan kommen. Aber auch das ist wie bei der DNA, wenn sie aus der gleichen Familie stammt.

SB: Liegt der neue Forschungsstandort des Bohrschiffs JOIDES Resolution vor Neuseeland noch innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone, also innerhalb der 370 Kilometer oder 200 Seemeilen?

StK: Bei der neuen Expedition 376 kann ich das nicht sagen. Wir waren bei unserer Expedition allerdings immer innerhalb von neuseeländischen Gewässern. Die AWZ kann durchaus von Land zu Land unterschiedlich sein. So waren wir vor einiger Zeit in der Ägäis unterwegs, wo man wegen der Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland nur innerhalb der sechs- nautische-Meilen-Zone arbeiten kann.


Eine Seekarte zeigt die letzten Einsatzgebiete der JOIDES Resolution - Grafik: by IODP / JRSO (JOIDES Resolution Science Operator)

Die Expedition 375, an der Dr. Steffen Kutterolf teilnahm, war ausschließlich innerhalb von neuseeländischen Gewässern unterwegs.
Grafik: by IODP / JRSO (JOIDES Resolution Science Operator)

SB: Deutschland ist unter anderem auch in der internationalen Meeresbodenbehörde (ISA - International Seabed Authority) involviert, was die Suche nach neuen Rohstoffquellen betrifft. Die Möglichkeit mineralische Rohstoffe aus den Lagerstätten in der Tiefsee zu fördern, wird wegen der starken Nachfrage und des Anstiegs der Metallpreise zunehmend diskutiert. Inwiefern steht Ihre Grundlagenforschung auch in einem solchen Kontext zur potentiellen Lagerstättenerkundung und möglichen künftigen Ausbeutung?

StK: Das ist eine schwierige Frage. Was wir auf unseren Expeditionen bisher gemacht haben, hat überhaupt nichts damit zu tun. Bei uns geht es vor allem um die bessere Abschätzung von Erdbeben-Gefahren und ähnlichem. Bei der neuen Expedition, die augenblicklich stattfindet, wurden drei verschiedene Forschungsschwerpunkte festgelegt. Und bei einem davon geht es darum, zu ergründen, wie diese Black Smokers, das heißt die untermeerischen Ressourcen, gebildet werden. Oftmals findet man in der Nähe dieser schwarzen Raucher unheimlich hohe Konzentrationen von Metallen. Aber das betrifft nur ein einziges solches Gebilde. Es gibt noch erhebliche Unsicherheiten, wie sich die Menge auf die abbauwürdigen Flächen in den Weltozeanen verteilt. Dafür muß man zunächst verstehen, wie diese Ablagerungen aufgebaut werden. Das sind die Fragen, die man noch lösen will.

SB: Was erwarten Sie aus Ihrer Sicht von dieser Entwicklung. Lassen sich Meeresbodenbergbau und der Schutz der marinen Umwelt überhaupt vereinbaren?

StK: Man muß zunächst fragen, was notwendig ist. Dann wird man das eine oder das andere entsprechend anpassen und Abstriche machen müssen. Im Augenblick sind wir meiner Meinung nach noch sehr weit entfernt von einem Bergbau am Meeresboden. Die ersten Projekte sind nicht sehr weit gekommen und die umwelttechnischen Fragen sind nach wie vor noch ein großes, ungelöstes Problem. Firmen, wie Nautilus vor Papua Neuguinea müssen zunächst einmal ein großes Paket an Umweltauflagen erfüllen. Das ist heute schon ein bißchen anders als vor 50 Jahren. Damals hätten Firmen mit dem gleichen technischen Stand längst in irgendeiner Form mit dem Abbau begonnen. Aber abgesehen von den ganzen technischen Problemen, die noch zu bewältigen sind, erschweren heutzutage die Umweltauflagen solche Vorhaben enorm.

SB: Gibt es im Zusammenhang mit den hochtechnologischen Geräten und Maschinen, mit denen Sie unter Wasser in das Sediment vorstoßen und direkte Eingriffe am Meeresboden vornehmen, auch eine begleitende Forschung, mit der die Auswirkungen auf die Umwelt thematisiert werden? Ich denke da an Fragen wie: Was passiert mit Sedimentfahnen? Mit welchen Partikeln wird die Bohrlösung oder die Meerwasserspülung belastet und was verändert sich dadurch für die Fauna und Flora der Meeresumgebung?

StK: Das ist ganz sicherlich so. An Bord der JOIDES Resolution ist eine Crew aus Wissenschaftlern, die von Geologen, Lagerstättenkundlern bis hin zu Biologen und Geochemikern die unterschiedlichsten Expertenbereiche abdeckt. Die gehen natürlich alle von unterschiedlichen Seiten an die erbohrten Sedimentkerne ran. Die Biologen wollen vor allem wissen, wie wirken sich die Hydrothermalquellen auf das Leben aus. Das ist ein ganz großer Aspekt des IODP, daß man das tiefe Leben ergründen will und was für dieses förderlich oder auch nicht förderlich ist.

SB: Ihr eigenes Forschungsinteresse ist vor allem die Grundlagenforschung, mit dem Schwerpunkt einmal Erdbeben und andere seismische Gefahren besser voraussagen oder abschätzen können. Spielen da unbekannte Faktoren wie Mikroorganismen gar keine Rolle?

StK: Kaum! Es gab mal vor längerer Zeit mal die Idee, daß Organismen Glaspartikel als Substrat benutzen. Das wurde häufiger erwähnt, aber nicht weiter verfolgt und ist so ziemlich der einzige Berührungspunkt von Mikrobiologie und unserer Forschung.

SB: Müssen für solche Untersuchungen andere oder zusätzliche Bohrungen gemacht werden?

StK: Nein, es werden keine weiteren Bohrungen gemacht. Es handelt sich nur um andere Fragestellungen. Die Mikrobiologen an Bord der JOIDES Resolution haben an den gleichen Sedimentkernen gearbeitet wie wir. Aber während ich mich auf meine vulkanischen Aschenlagen stürze, interessieren sie sich für die Schichten aus chaotischen Störungsformen, die ich im Vortrag gezeigt habe. Denn sie hatten die Theorie, daß an diesen Störungszonen möglicherweise Organismen leben können, weil dort Fluide durchgehen und dann auch Temperatur entsteht. Wenn sich etwas aneinander vorbei bewegt, entsteht Reibung und somit auch Wärme.


Die Karte zeigt alte und künftige Forschungsprojekte der JOIDES Resolution, die von 2013 bis 2020 für das Internationale Tiefseebohrprogramm IODP im Einsatz sein wird. - Grafik: 2013 by Katerina Petronotis, IODP, gemeinfrei via Wikimedia

Forschungsbedarf.
Grafik: 2013 by Katerina Petronotis, IODP, gemeinfrei via Wikimedia

SB: Um noch einmal auf die Umweltveränderungen zurückzukommen. Vor kurzem gab es eine Pressemeldung darüber, daß Forscher im Marianengraben in 11.000 Meter Tiefe noch Mikroplastik gefunden haben. Wie tief muß man eigentlich gehen oder vielmehr bohren, um keine Einflüsse oder Hinterlassenschaften unserer Zivilisation mehr zu finden?

StK: Das ist von Region zu Region ganz unterschiedlich. Normalerweise geht man aber bei einem freien Meeresboden von einem halben bis fünf Zentimeter Ablagerungen pro tausend Jahre aus. Und dann kann man das ausrechnen. Menschliche Hinterlassenschaften sind vielleicht zwei bis dreitausend Jahre alt. Also handelt es sich bestenfalls um 10 Zentimeter Zivilisation im Bohrkern. Wir haben auch schon Ablagerungen gefunden, in denen das Holozän eine recht breite Schicht von 20 bis 30 Zentimeter einnahm, aber das ist dann auch schon die Obergrenze.

SB: Sie sagten, der Meeresboden sei deshalb für Ihre Forschung ideal, weil die Schichten dort weniger von äußeren Einflüssen gestört sind. Um welche Störungen handelt es sich dabei?

StK: Vor allem Einträge durch Erosion, Vegetation und ähnliches. Ein weiteres Thema, worauf ich im Vortrag nicht eingegangen bin, weil das einfach noch einmal ein neues Kapitel für sich gewesen wäre: wir bohren zwar, um vollständige Lagen zu erhalten, aber auch um die Größe von Vulkaneruptionen besser bestimmen zu können. In einem großen Umkreis des Vulkans lassen sich immer noch Ablagerungsprodukte von der Eruption finden, die in die Rechnung mit einbezogen werden müssen, wie viel Volumen er bei einem bestimmten Ereignis ausgestoßen hat. Im Prinzip ganz simpel gesagt: Nahe am Vulkan hat man zwar dicke Ablagerungen und je weiter man sich von seiner Ausstoßstelle entfernt, werden sie immer dünner. Aber mit der Entfernung wächst auch die Fläche, die von dieser Ablagerungsschicht quasi bedeckt worden ist. Das ist wie bei einem Stück Kuchen, der zum Rand hin dünner wird. Und bei der simpelsten Methode zählt man einfach die Schichten der ganz großen äußeren Flächen, bei denen die Ascheschicht nur ein Zentimeter beträgt, mit den inneren Flächen zusammen, die schon mal 10 Zentimeter haben können.

Wenn man natürlich nur an Land forscht, dann fehlt einem auch dieser Rest. Wir haben mal herausgefunden, daß 50 bis 70 Prozent des gesamten Volumens einer Vulkaneruption in diesen weit außerhalb liegenden Flächen verborgen liegt. Bei der letzten großen Eruption hat der Pinatubo 10 Kubikkilometer Magma ausgestoßen, was sehr viel ist. Wenn man aber noch die distalen Bereiche dazurechnet, könnte man plötzlich auf 20 oder 25 Kubikkilometer kommen.

SB: Tragen die Gas- und Lavaaustritte der untermeerischen Vulkane in nennenswerter Weise auch zur Meeresversauerung bei, die momentan im Zuge des Klimawandels ein akutes Thema ist? Oder spielen die fraglichen Mengen auf das Gesamtvolumen der Ozeane verteilt, keine Rolle?


Die JOIDES Resolution von ihrer besten Seite gezeigt, mitten im Ozean - Foto: 2012 by Arito Sakaguchi (IODP/TAMU), gemeinfrei

Dringt in Bereiche der Erdkruste ein, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, die JOIDES Resolution.
Foto: 2012 by Arito Sakaguchi (IODP/TAMU), gemeinfrei

StK: Es gab im Verlauf der Erdzeit immer wieder Anstiege und Abstiege von Meeresversauerung. Das waren natürliche Prozesse und die Erde hat das ohne Probleme irgendwie gemanagt und abgepuffert. Mit dem anthropogenen Eintrag ist es schon deshalb etwas anderes, weil die Mengen und auch die Raten, in denen diese Stoffe ins Meer eingebracht werden, ganz andere als bei den langsamen, natürlichen Prozessen sind. Große Vulkaneruptionen tragen natürlich auch Stoffe in die Meere ein, aber nur auf eine sehr kurze Zeit begrenzt. Danach dauert es wieder hunderte von Jahren, bis das nächste entsprechende Ereignis stattfindet. Das ist eine ganz andere Dimension als beim anthropogenen Eintrag.

SB: Herr Dr. Kutterolf, recht herzlichen Dank für diesen ausführlichen Einblick in Ihr Arbeitsgebiet.


Anmerkungen:


[1] Mehr zum IODP erfahren Sie hier:

http://www.iodp.org/

[2] Siehe auch:
https://www.geomar.de/index.php?id=4&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=5890&tx_ttnews[backPid]=185

[3] Der Begriff vulkanische Asche bezeichnet in der Vulkanologie millimeterkleine Teilchen (Pyroklasten), die bei einem explosiven Ausbruch eines Vulkans entstehen. Die pyroklastischen Sedimente werden auch Tephra genannt. Darin enthalten feine Lavafetzen, Glasfragmente oder -scherben, klein zerriebenes vulkanisches Gestein sowie Einzelkristalle.

Den Bericht zum öffentlichen Vortrag der Reihe WissenSchaffen im Hörsaal des GEOMAR, am 15. Mai 2018 in Kiel,"Gesteine aus der Tiefsee - Mit Bohrschiffen die Zeugen von Erdbeben, Hangrutschungen und Vulkanismus untersuchen" finden Sie im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT :

BERICHT/010: Plattentektonik und Vulkane - zur Forschung angebohrt ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/report/nrbe0010.html



22. Mai 2018


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