Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - 16.11.2015
Weltweit erste löchrige Flüssigkeit entwickelt
Ein internationales Forschungsteam hat die weltweit erste permanent
poröse Flüssigkeit entwickelt. Dazu verbanden sie leere starre Molekülkäfige
an den Ecken mit Molekülen, die einerseits als Flüssigkeit wirkten,
andererseits aber nicht in die Käfige eindrangen. Das neue Material
kombiniert die Vorteile einer Flüssigkeit mit denen eines festen
Adsorbtionsmittels und könnte als flüssiger Filter in der Industrie
Anwendung finden.
Die Forschungsergebnisse, über die die Fachzeitschrift Nature
aktuell berichtet, entstanden unter Federführung von Forschenden der Queens
University Belfast in Nordirland. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der
argentinischen Universidad Nacional de Cuyo, der Universität Liverpool und
der französischen Université Blaise Pascal.
Eigentlich haben Flüssigkeiten keine stabilen größeren Löcher
beziehungsweise Poren. Da deren Moleküle alle beweglich sind, zerfallen
Poren sofort wieder. Poröse Festkörper andererseits wie Zeolithe und
Metall-organische Gerüste (metal organic frameworks, MOF) werden schon
länger in chemischen Prozessen, etwa der Katalyse und Gastrennung, in der
Industrie eingesetzt. Diese starren Strukturen haben dauerhaft bestehende
Poren gleicher Größe. Darin lassen sich Abfallprodukte wie Methan
speichern. Probleme tauchen aber immer wieder auf, wenn sie in bestehende
chemische Anlagen eingefügt werden sollen. Poröse Flüssigkeiten, die als
Filter funktionieren, würden solche Hürden überwinden: sie könnten zum
Beispiel einfach durch Leitungen gepumpt werden.
Sehr nah dran an dieser Anwendung sind nun die Forschenden mit ihrer neuen Materialklasse. Sie besteht aus Molekülkäfigen, die in einer Flüssigkeit aus Kronenether gelöst werden. Um die Käfige löslich zu machen, bauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeweils sechs Kronenether-Molekülgruppen an die Ecken der Käfige. Trotz einer hohen Konzentration an Käfigen erreichten sie auf diese Weise eine bei Raumtemperatur flüssige Substanz.
Herauszufinden, ob die Käfige in der Flüssigkeit auch wirklich leer waren, war Aufgabe der Experten von der Kieler Universität um den Professor für Materialverbunde Franz Faupel. Mit der sogenannten Positronenlebenszeitspektroskopie - einer Methode, die nur eine Handvoll Forschungsgruppen weltweit beherrschen - wiesen sie auch die Größe der Löcher experimentell nach. Dazu schoss Doktorand Tönjes Koschine mit Positronen, also Antimaterie, auf eine Probe der porösen Flüssigkeit. Positronen zerfallen sofort, wenn sie auf Elektronen treffen. "Wenn in der Flüssigkeit Löcher sind, gibt es an dieser Stelle auch keine Elektronen, die Positronen 'leben' dort also länger, und das haben wir gemessen", erklärt Koschine. Die Länge der Lebenszeit erlaube den Kieler Forschern auch Rückschlüsse auf die Größe der Poren. "Positronen leben in den Löchern etwa 10 Mal länger als wenn sie direkt auf Elektronen treffen, insgesamt also zwei Nanosekunden", sagt Doktorvater Professor Klaus Rätzke. Eine Nanosekunde entspricht einer milliardstel Sekunde. Damit sind die Hohlräume in den Käfigen circa einen halben Nanometer groß, so groß wie zwei bis drei Atome. Die Kieler Wissenschaftler haben auf diese Weise die Ergebnisse der Simulationen innerhalb dieser internationalen Forschungskooperation bestätigt und einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung und Charakterisierung von neuen Materialien geleistet.
Originalpublikation
Liquids with permanent porosity. Nicola Giri, Mario G. Del Pópolo, Gavin
Melaugh, Rebecca L. Greenaway, Klaus Rätzke, Tönjes Koschine, Laure Pison,
Margarida F. Costa Gomes, Andrew I. Cooper & Stuart L. James.
Nature 527, 216-220 (12 November 2015)
doi:10.1038/nature16072
Link: http://www.nature.com/nature/journal/v527/n7577/full/nature16072.html
Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich
der Forschungsschwerpunkt "Nanowissenschaften und Oberflächenforschung"
(Kiel Nano, Surface and Interface Science - KiNSIS) an der Christian-
Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Im Nanokosmos herrschen andere,
nämlich quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt.
Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen
Materialwissenschaft, Chemie, Physik, Biologie, Elektrotechnik,
Informatik, Lebensmitteltechnologie und verschiedenen medizinischen
Fächern zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension
zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen. Molekulare
Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer,
fortschrittliche Therapien und vieles mehr können daraus entstehen. Mehr
Informationen auf www.kinsis.uni-kiel.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution235
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Dr. Boris Pawlowski, 16.11.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2015
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