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INTERNATIONAL/008: Menschen mit Behinderung fordern inklusive Nachhaltigkeitsziele (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015

Entwicklung: Menschen mit Behinderung fordern inklusive Nachhaltigkeitsziele

Von Nora Happel


NEW YORK (IPS) - Menschen mit Behinderung haben klare Vorstellungen davon, wie die künftigen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals (SDGs)) beschaffen sein müssen, damit sie selbst ihre Potenziale besser ausschöpfen können: Partizipation, politische und wirtschaftliche Mitsprache, Inklusion und der Zugang zu modernen Technologien und Infrastrukturen sind Forderungen, die sich ihrer Meinung nach in den SDGs niederschlagen müssen.

Im Licht der fortlaufenden Gespräche über die sogenannte Post-2015-Entwicklungsagenda, die auf der UN-Konferenz im September in New York beschlossen werden soll, verlangen Menschen mit Behinderung von ihren Regierungen ein Ende ihrer Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausgrenzung.

Bei der Post-2015-Agenda handelt es sich um einen Fahrplan mit qualifizierbaren Zielen der Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung, die die Staatengemeinschaft in den kommenden 15 Jahren abarbeiten soll. Insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und 69 Indikatoren sollen den Ländern helfen, die globalen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.

Dazu meinte Rachel Kachaje, Vizevorsitzende für Entwicklung und unterrepräsentierte Gruppen bei der internationalen Organisation 'Disabled People's International' (DPI), gegenüber IPS: "Ich hoffe auf SDGs, die uns Menschen mit Behinderung ermöglichen, als produktive Bürger in unseren jeweiligen Länder in Erscheinung zu treten."

Wie die ehemalige malawische Ministerin für die Angelegenheiten behinderter und älterer Menschen weiter erklärte, sind Behinderte den Großteil ihrer Zeit dazu verdammt, um gesellschaftliche Anerkennung zu kämpfen.


Mühselige Lebenswege

Kachaje weiß, wovon sie spricht. Im Alter von drei Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung und konnte nicht mehr gehen. Da der Familie die finanziellen Mittel fehlten, um ihr einen Rollstuhl zu kaufen, konnte sie nur unter großen Schwierigkeiten die Grund- und weiterbildende Schule besuchen und abschließen. Der Zugang zur Universität blieb ihr versperrt. Auch die Jobsuche gestaltete sich schwierig, weil viele Unternehmen nicht bereit waren, sie aufgrund ihres Handicaps einzustellen.

Doch dank ihrer Beharrlichkeit und der Unterstützung durch die Familie gelang es ihr schließlich, die vielen Hindernisse aus dem Weg zu räumen und sich bis zur Ministerin für Behinderte hoch zu arbeiten. Kachaje ist ein Beispiel dafür, wie technische, gesellschaftliche und berufsbedingte Hürden es Menschen mit Behinderung erschweren, ihre Potenziale zu entwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Menschen mit Behinderung müssten in die Lage versetzt werden, ihren Teil zu leisten, sagte Kachaje. Bildung öffne die Türen für ein erfülltes Leben und die Chance, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Auch müsse Behinderten der Zugang zu Gesundheitsdiensten, sozialen Aktivitäten und politischer Partizipation ermöglicht werden.

"Ich würde mir wünschen, dass Menschen mit Behinderung im Allgemeinen und Frauen mit Behinderung im Besonderen gleichberechtigt an politischen Entscheidungen mitwirken könnten", so Kachaje. "Lippenbekenntnisse reichen nicht. Ich will, dass Regierungen ihren Worten Taten folgen lassen."

Wie die Aktivistin betonte, konnten in ihrem Heimatland Malawi einige Erfolge im Bereich der inklusiven Bildung erreicht werden. Und auch was die politische und wirtschaftliche Beteiligung von Behinderten angehe, gebe es Fortschritte. "Unsere Schulen wurden geöffnet, Lehrer fortgebildet. Auch wenn es noch sehr viel zu tun gibt, ist in Malawi der politische Willen für eine inklusive Bildung vorhanden", versicherte sie. "Auch erhalten Behinderte im Rahmen eines Programms zur Integration ins Arbeitsleben finanzielle Hilfen. Und einigen ist es gelungen, sich Zutritt zu Entscheidungsgremien zu verschaffen."

Die Rechte von Menschen mit Behinderung im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) waren auf der Achten Sitzung der Konferenz der Vertragsstaaten (COP8) des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung vom 9. bis 11. Juni in New York diskutiert worden. Diesjährige Schwerpunkte waren Armutsbekämpfung, Gleichheit und Entwicklung. Etliche Konferenzteilnehmer betonten, dass es einen diskriminierungs-, bildungs- und beschäftigungsbedingten Zusammenhang zwischen Behinderung und Armut gebe.

Wenige Tage vor dem Treffen war der Entwurf des Abschlussdokuments für den bevorstehenden UN-Nachhaltigkeitsgipfel vorgelegt worden. In diesem Zusammenhang gab es von Seiten der COP8-Teilnehmer Klagen, dass die Interessen von Menschen mit Behinderung nicht explizit in die SDGs zur Armutsbekämpfung berücksichtigt seien.


"Geben Sie Millionen Menschen Hoffnung"

Dazu meinte Venkatesh Balakrishna, Ehrenpräsident des Globalen Netzwerks für Gemeinde-basierte Rehabilitation: "Dass wir in den Zielen nicht auftauchen, bedeutet, dass sie uns auch nicht nützen werden". Er appellierte an die Regierungen, Menschen mit Behinderung in den SDGs zu Wort kommen zu lassen und ihre besonderen Zielsetzungen mit Umsetzungsindikatoren abzusichern. "Geben Sie Millionen Menschen Hoffnung. Bitte verwenden Sie Ihren Stift für die Gerechtigkeit."

Anders als in den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs), die Ende des Jahres auslaufen, werden die Menschen mit Behinderung in den SDGs zumindest erwähnt. Dazu meinte Priscille Geiser von der Hilfsorganisation 'Handicap International', man begrüße zwar, dass der SDG-Entwurf die Bedeutung der Inklusion und Rechte von Menschen mit Behinderung betone. Gleichzeitig jedoch gelte es das Dokument mit Blick auf den Technologiezugang und auf die Umsetzungsindikatoren nachzubessern. Zudem müsse mehr Nachdruck auf eine aktive Partizipation und Beteiligung von Menschen mit Behinderung gelegt werden.

"Wir können uns die Kosten der Exklusion nicht länger leisten", sagte Catalina Devandas Aguilar, Sonderberichterstatterin über die Rechte von Menschen mit Behinderung, in Anspielung auf die wirtschaftlichen Verluste, die entstehen, wenn Behinderte nicht die Schule besuchen können und nicht in den Arbeitsmarkt ihrer jeweiligen Länder integriert werden.

Die künftige Herausforderung bestehe nun darin, die in der Behindertenkonvention enthaltenen Bestimmungen in nationales Recht zu überführen. Menschen mit Behinderung müsse der Zugang zu Basisdiensten, Infrastrukturen und sozialen Schutzvorrichtungen ermöglicht werden. Es gelte konkrete und qualifizierbare Ziele aufzustellen. Letztendliches Ziel sei es, die volle Partizipation von Menschen mit Behinderung am Gemeinleben zu erreichen. (Ende/IPS/kb/26.06.2015)


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www.ipsnews.net/2015/06/helping-people-with-disabilities-become-agents-of-change/

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IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2015

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