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BERICHT/304: Auf dem Weg zu einem neuen Beruf (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2008

Einblick
Vom Pressetext zur Info-Kampagne
Auf dem Weg zu einen neuen Beruf

Yvonne Jäger


Seit vier Jahren zähle ich zu den Späterblindeten. Ein seltener Gen-Defekt macht es mir seitdem unmöglich, gedruckten Text zu lesen, Farben zu unterscheiden oder Gegenstände zu erkennen, die weiter als einen Meter von mir entfernt sind.


Über Nacht war nichts mehr so, wie es einmal war. Ich, 36 Jahre alt, eine selbständige, emanzipierte Frau, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von vier und zwölf Jahren, war plötzlich auf fremde Hilfe angewiesen. Mein Leben, so schien es mir, geriet außer Kontrolle. So war es mir nicht mehr möglich, mein eigenes Kind in einer Gruppe von Kindern zu erkennen. Selbstverständlichkeiten wie Arbeiten in meinem Beruf als Krankenschwester, Autofahren, ein gutes Buch lesen, waren plötzlich nicht mehr möglich. Es folgte eine harte Zeit der Krise und der Verzweiflung. Doch ich musste nach vorn blicken. Meine Kinder brauchten ihre Mutter, und ich wollte auch weiterhin auf eigenen Beinen stehen.

Ein knappes Jahr nach Diagnosestellung drückte ich wieder die Schulbank. Im Rahmen einer blindentechnischen Grundausbildung in Marburg erlernte ich die Punktschrift und erwarb erstes Computerwissen. Wie ein Erstklässler musste ich neu lesen und schreiben lernen. Mir wurde aufgezeigt, mit welchen Hilfsmitteln ich am Computer arbeiten kann - alles wichtige Voraussetzungen, um im Anschluss eine neue Ausbildung beginnen zu können. Denn in meinem alten Beruf konnte ich ja keinesfalls weiter arbeiten. Durch meinen Reha-Berater von der Deutschen Rentenversicherung erfuhr ich von der Möglichkeit, eine wohnortnahe Ausbildung zur PR-Juniorberaterin an der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte zu absolvieren. Ausbildungen für Blinde und Sehbehinderte sind meist mit mehrjährigen Internatsaufenthalten in Berufsförderwerken verbunden, und waren damit für mich als Mutter keinesfalls realisierbar. Außerdem sollte es eine Ausbildung für mich sein, bei der ich im Anschluss auch eine Anstellung finden würde und die es ebenfalls möglich macht, eine Familie zu ernähren. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile, aber auch der Alternativen, entschied ich mich darum für die "PR-Juniorberaterin".


Ernste Hürden

Der innere Weg dorthin, hat mich einige schlaflose Nächte gekostet. Viele Fragen beschäftigten mich. Würde ich das schaffen? Ich war fast 40 Jahre alt. War es in meinem Alter noch möglich, umzusatteln? Kinder, Haushalt, Praktikum - wann sollte ich für die Ausbildung lernen? Ich, in meinem alten Beruf ständig auf den Beinen, würde plötzlich den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen. War das für mich überhaupt vorstellbar? Hinzu kam, dass meine Angehörigen nicht immer greifbar sind, denn sie sind 200 Kilometer weit entfernt, in einem anderen Bundesland, zu Hause. Daher wären sie auch nicht präsent, wenn es einmal hieße. "Hole doch einmal bitte mein Kind von der Schule ab, es kränkelt."

Ein weiterer Punkt, der mich beunruhigte, waren meine Computerkenntnisse. Während meiner blindentechnischen Grundausbildung hatte ich erstmals am PC gearbeitet und die dafür nötigen Grundkenntnisse erworben. Ich war mir keinesfalls sicher, ob dies fürs Berufsleben ausreicht, und manches machte mir Angst - zum Beispiel E-Mails schreiben. Um ein Praktikum beziehungsweise einen Arbeitgeber in der "freien Wirtschaft" zu finden, ist oft viel Überzeugungskraft nötig. Die Vorbebalte bei Arbeitgebern und nicht behinderten Mitarbeitern sind leider oft groß. Umso erfreulicher war es für mich, dass ich beim DRK Rettungsdienst Mittelhessen relativ problemlos eine Praktikumsstelle fand. Für beide Seiten war diese Ausbildungsform Neuland, und es mussten einige Hürden genommen werden. Zu Beginn erwies sich die Netzwerktechnologie als nicht "blindengerecht", daher war eine zusätzliche EDV-Schulung erforderlich. Der Lehrer musste sich erst einmal selbst mit dem System vertraut machen. Letztendlich fanden wir gemeinsam Wege im System, die für mich praktikabel waren.

Nach und nach schwamm ich mich frei. E-Mails schreiben, mit Anhängen versehen und versenden ist für mich heute kein Thema mehr. Auch bin ich in der Lage, selbständig verschiedene Datenbanken zu nutzen und mir notwendige Informationen zu beschaffen.


Auf dem richtigen Weg

Aber es gab ja nicht nur die EDV. Eigentlich war das nur ein Begleitthema, denn ich wollte ja PR-Assistentin werden. Am Beispiel des Rettungsdienstes galt es zu verstehen, was denn Public Relations praktisch bedeutet. Zwar hatte ich mich bei der Entscheidung für den neuen Beruf auch mit den Inhalten beschäftigt. Aber was heißt es praktisch? Was bedeutet: "PR-Assistenten planen und steuern Kommunikationsprozesse zwischen Personen und Organisationen und ihren Bezugsgruppen in der Öffentlichkeit"?

Stück für Stück arbeitete ich mich ein. Die Anfangsmonate waren geprägt vom Texteschreiben. Aufsätze schreiben war eines meiner Steckenpferde in der Schule, da konnte es doch nicht so schwer sein, einen Pressetext zu verfassen. Aber schnell musste ich lernen, dass diese Form des Textens für mich harte Arbeit war. Ich brauchte genaue Details zum jeweiligen Thema und Grundwissen über das Unternehmen. Ich lernte, über Ereignisse zu berichten, bei denen ich nicht selbst vor Ort sein konnte, und ich lernte dabei zielgruppenorientiert zu schreiben und dabei feste Regeln zu berücksichtigen.

Nun bin ich schon fast ein Jahr als Praktikantin in der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens beschäftigt, alles hat sich sehr gut eingespielt. Ich bin bereit, jede Herausforderung anzunehmen, geht nicht, gibt es nicht. Mein praktisch und theoretisch erworbenes Wissen macht es mir nun möglich, die Zusammenhänge in der Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen. Täglich kann ich meine kommunikativen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mein Aufgabenspektrum ist sehr vielfältig. Das Verfassen von Pressetexten ist nicht das Einzige geblieben. Ich bin inzwischen auch in der Lage, kleinere Veranstaltungen zu planen und zu organisieren. Bei Informationskampagnen für unser Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und für unseren Bildungsträger bin ich beteiligt. Mittlerweile wirke ich auch bei der Erarbeitung von Kommunikations-Konzepten mit, die weit über das Tätigkeitsfeld einer PR-Assistentin hinausgehen. Dieses mir entgegen gebrachte Vertrauen zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. - In einem Jahr werde ich die Ausbildung abgeschlossen haben und glaube daran, dass mein neuer Beruf dauerhafte Perspektiven für mich bietet.

Begleitet wird mein Praktikum durch die schulische Ausbildung. Verteilt auf die gesamte Ausbildungszeit finden theoretische Seminare in der Frankfurter Stiftung für Blinde- und Sehbehinderte statt. Der Bereich Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) bildet einen Schwerpunkt. Kommunikativ-soziale Kompetenzen und EDV werden ebenfalls vermittelt. Die Stiftung macht es sich zur Aufgabe, gemeinsam mit dem Praktikumsgeber, das Tätigkeitsfeld für jede Stelle individuell zu erarbeiten. Das macht jeden Praktikumsplatz einmalig. Die Ausbildung für blinde und sehbehinderte Auszubildende dauert zwei Jahre und endet mit einem Zertifikat der Akademie für Kommunikationsmanagement (AKOMM).

Zugangsvoraussetzungen sind die allgemeine Hochschulreife, eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium. Für Blinde- und Sehbehinderte Ausbildungssuchende besteht 2009 wieder die Möglichkeit, an der Frankfurter Stiftung für Blinde- und Sehbehinderte eine Ausbildung zum/r PR-Assistent/in zu absolvieren.

Nähere Informationen erteilt:
Ursula Hollerbach
Tel.: (069)955124-61
hollerbach@sbs-frankfurt.de
www.sbs-frankfurt.de

Die Autorin Yvonne Jäger hat bei der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte die Ausbildung zur PR-Assistentin absolviert.


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2008. S. 30-31
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009