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BERICHT/340: Auf den Pfaden von Fitness und Gesundheitsvorsorge (Retina aktuell)


Retina aktuell 117 - 3/2010
Zeitschrift der PRO RETINA Deutschland e.V.
Selbsthilfevereinigung von Menschen mit Netzhautdegeneration

GESUNDHEIT UND SOZIALES
Auf den Pfaden von Fitness und Gesundheitsvorsorge

Von Prof. Dr. Kurt Jacobs


Als Gefangener des nicht enden wollenden harten und schneereichen Winters saß ich viele Tage in der Bibliothek meines Hauses im Taunus, hörte interessante und spannende Hörbücher und sehnte mich nach dem Tauen der sich auftürmenden Schneemassen und nach dem hoffentlich baldigen Frühling. Plötzlich öffnete sich die Tür zu meiner Bibliothek und meine Frau trat mit den Worten herein: "Kurt, Du sitzt nur noch hier herum wie ein unbeweglicher Klotz und bewegst Dich überhaupt nicht mehr. Du musst jetzt endlich mal etwas für mehr Bewegung sorgen, sonst rostet Du mir hier noch ein!". "Mir ist es zu kalt draußen und im Übrigen ist der Schnee der Feind des Blinden!", antwortete ich ihr etwas unwirsch, weil ihre mütterliche Ermahnung meinen Hörbuch-Genuss gestört hatte. Nachdem ich dann aber doch in mich gegangen war und mir Gedanken über die mahnenden Worte meiner Frau gemacht hatte, informierte ich mich auf der Homepage des Aura-Zentrums Bad Meinberg über entsprechende Veranstaltungsangebote.

Dabei wurde ich auf eine fünftägige Veranstaltung in der dritten Märzwoche 2010 aufmerksam, mit der von dem für Blinde und Sehbehinderte qualifizierten Sporttrainer Lars Ahrens ein Fitness-Training und sportliche Aktivitäten zur Gesundheitsvorsorge angeboten wurden. Dabei standen vor allem Wassergymnastik, Nordic Walking, Rükkenschulung und Klangmassage auf dem Programm. Nach zweitätiger Unentschlossenheit, ob ich an dieser Veranstaltung teilnehmen sollte, erhielt ich dann für meine Teilnahme den endgültigen Motivationsschub durch einen Anruf meiner langjährigen, ebenfalls blinden Freundin Karin, die mir ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung im Aura-Zentrum Bad Meinberg mitteilte und mich mit der Beharrlichkeit einer Propagandistin davon zu überzeugen versuchte, wie wichtig und sinnvoll eine solche Veranstaltung auch für meine Gesundheitsvorsorge sein würde. Also überwand ich meinen inneren Schweinehund und meldete mich an.

Bei herrlich mildem Frühlingswetter trat ich dann mit einem zeitlichen Eingewöhnungsvorspann von zwei Tagen meine Zugreise am 19. März 2010 nach Bad Meinberg an, wo ich nach nahezu fünfstündiger Zugfahrt schließlich am Nachmittag den historischen Boden des Teutoburger Waldes betrat, wo vor fast genau 2000 Jahren Hermann der Cherusker die Römer aus den dichten Wäldern erfolgreich vertrieben hat.

Nach zehnminütiger Fahrt im Kleinbus des Abholdienstes betrat ich ein mehrstöckiges, in den Hang gebautes, weitläufiges Gebäude, dessen Inneres für die selbstständige Orientierung mit Laufleisten und Orientierungsleitlinien ausgerüstet ist, das aber trotzdem wegen seiner Weitläufigkeit von mir als eingewöhnungsbedürftig empfunden wurde. Die Freundlichkeit und Einfühlsamkeit des Personals am Empfang, die gute Beschreibung des Zimmers zur schnellen selbstständigen Orientierung bei seiner Einnahme, das sehr aufmerksame und hilfsbereite Bedienungspersonal im Speisesaal und nicht zuletzt das hervorragende Essen empfand ich geradezu als Geschenk eines "Rundum-Sorglos-Paketes", das unmittelbar einen Wohlfühleffekt bei mir auslöste. Dies wurde dann schließlich noch harmonisch abgerundet durch die Hilfsbereitschaft und Geduld meiner blinden Freundin Karin, die mir als bereits häufiger Gast im Aura-Zentrum Bad Meinberg gemeinsam mit ihrem intelligenten Führhund dann auch noch die Wege zu den Einrichtungen in dem unteren Stockwerk wie Cafeteria, Schwimmbad und Sauna zeigte und diese mit mir trainierte. Auch die selbst blinde Teilnehmerin Ulrike, die sich ebenfalls im Hause schon gut auskannte und auf demselben Flur nur drei Zimmer weiter ihr Zimmer hatte, begleitete mich zu den Mahlzeiten durch das Haus zum Speisesaal und ließ mich meinen angestammten Platz sicher finden. So konnte ich mich, gut eingeführt in dieses Haus, ganz entspannt und mit Neugierde dem widmen, was uns ab Sonntag, dem 21. März 2010, programmmäßig erwarten sollte.

Lars Ahrens traf Sonntagmittag ein und stellte sich uns beim gemeinsamen Mittagessen vor. Bei ihm handelt es sich um einen stattlich gebauten Mann in den besten Jahren, der eine gute Portion Lebensfreude ausstrahlt, recht lustig ist und seine eigene Bewegungsfreude zu seinem Beruf gemacht hat. Wir verabredeten uns für den Sonntagabend, um nach dem gemeinsamen Abendessen das sportliche Aktivitätenprogramm der kommenden Woche zu besprechen. Unsere Gruppe bestand aus vier blinden und sehbehinderten Frauen unterschiedlichen Alters sowie aus mir als "Hahn im Korb".

Die kommenden fünf Tage teilten sich jeweils in eine vormittägliche und eine nachmittägliche Aktivität auf.


Wassergymnastik

Mit der Wassergymnastik erhielten wir ein Angebot, das blinde und sehbehinderte Menschen in üblichen Wellness- oder Kurhotels nicht in Anspruch nehmen können, da dort die einzelnen Übungen vom Trainer vorgemacht, also visuell wahrgenommen und dann im Wasser nachgemacht werden. Insofern freuten wir uns, hiermit ein Angebot der Wassergymnastik zu erhalten, bei der die einzelnen Übungen vom Trainer, den blinden- und sehbehindertenspezifischen Bedürfnissen gemäß, genau beschrieben oder vom Trainer im Wasser in direktem Körperkontakt gezeigt wurden. Im warmen Wasser des großräumigen Schwimmbades hatten wir genügend Platz, die einzelnen Körperzonen und Gliedmaßen mit den vom Trainer vorgeschlagenen Bewegungsmustern zu aktivieren und zu trainieren. Dabei zeigt sich die Wassergymnastik in ihren einzelnen Übungen an der Haltestange der Schwimmbadwand oder bei der Zuhilfenahme der ca. 1,80 Meter langen Schwimmnudel aus Schaumstoff als besonders angenehm, da man im Wasser das eigene, zuweilen auch etwas zu hohe Körpergewicht nicht empfindet.


Rückenschulung

Wenn wir fünf im Trainingsraum nebeneinander jeweils auf einer bequemen und gut gepolsterten Sportmatte lagen, bot uns Lars Ahrens verschiedene Dehn- und Streckübungen an, die zwar den wintermüden und etwas träge gewordenen Körper anstrengten, jedoch die zahlreichen, zum Teil erheblichen Verspannungen im Schulter-, Nacken-und Rückenbereich, oft zugezogen durch zuwenig Bewegung und das lange Sitzen vor dem PC, zu lindern vermochten. Aus heutiger Sicht hatte dies nachhaltige Wirkung und zusätzlich den Effekt, auf meine richtige Sitzhaltung und meine sonstigen körperlichen Bewegungen etwas genauer zu achten, um den Nachhaltigkeitseffekt möglichst zu verlängern.


Nordic Walking

Bei dieser Sportart, die sich inzwischen zu einem Volkssport entwickelt hat, handelt es sich um eine Aktivität, von der in der Regel zumindest blinde Menschen, die auf einen Langstock angewiesen sind, ausgeschlossen sind. Die bei dieser Sportart notwendige und gleichzeitige Benutzung zweier Stöcke macht die zusätzliche Benutzung eines Langstocks unmöglich, so dass diese Sportart nur mit sehender Begleitung durchgeführt werden kann. So war unser Trainer Lars Ahrens, nachdem er unsere Gruppe in die Griff- und rhythmische Schwenktechnik bei der Handhabung der Stöcke im Laufprozess im Laufprozess eingewiesen hatte, darauf angewiesen, nur jeweils ein Mitglied aus unserer Gruppe ca. für eine Stunde über die nicht sehr gepflegten Waldwege rund um das Aura-Zentrum zu führen. Um den dafür notwendigen Zeitaufwand zu reduzieren, hatte das Aura-Zentrum freundlicherweise zusätzlich einen Zivildienstleistenden zur Verfügung gestellt, so dass gleichzeitig immer zwei Mitglieder unserer Gruppe den Marsch mit den beiden Stöcken antreten konnten. Nach anfänglichen Holprigkeiten stellte sich bei mir allmählich ein immer stärker rhythmisch strukturiertes Gehen mit den beiden Stöcken ein, das innerhalb dieses Bewegungsprozesses fast alle Muskeln im Körper aktivierte. Auch wenn diese Aktivität für uns alle eine neue Erfahrung war und auch viel Freude bereitet hat, so muss doch schließlich festgehalten werden, dass diese sportliche Aktivität nur in eingeschränktem Maße tauglich für blinde und sehbehinderte Menschen ist, da ihre Durchführung stets von sehender Begleitung, also in sozialer Abhängigkeit und damit mit Verzicht auf die eigene Selbständigkeit verbunden ist.


Klangmassage

Da dieses Angebot den meisten von uns unbekannt war, legten wir uns gespannt auf unsere inzwischen vertrauten Sportmatten im Trainingsraum und warteten ab, was da jetzt wohl kommen würde. Über die Stereoanlage ertönte dann ein sehr entspannendes Meeresrauschen, das Erinnerungen an einen schönen Strandurlaub aufkommen ließ. Lars Ahrens verfügte über verschieden große Klangschalen, die aussahen wie verschieden große Obstschalen aus Metall, die nach unten hin konisch, also spitzer werdend, zuliefen. Diese Schalen deponierte er auf unseren Körpern in Brust- oder Bauchbereich oder zwischen den Oberschenkeln. Mit einem Klangstab schlug er dann gegen den Rand der Schalen, worauf sich, wie bei einem großen Gong, ein langgezogener, schwingender und harmonisch klingender Ton einstellte. Die dadurch ausgelösten Schwingungen der Schale übertrugen sich wie ein warmer Strom in unsere Körper und erzeugten ein wohliges Gefühl zunehmender Entspannung. Die gleichzeitige akustische Berieselung mit dem Meeresrauschen ließ schließlich in so manchem von uns den Wunsch aufkommen, gar nicht genug davon bekommen zu können. Als Entschädigung dafür, dass dies nicht möglich war, erhielt aber jeder von uns eine CD mit dem Rauschen der einzelnen Weltozeane aus der Hand unseres Trainers.

Das recht unterschiedliche Angebot dieser fünf Tage gab uns letztlich das Gefühl, uns für diese Zeit erfolgreich aus den Abläufen und Pflichten des grauen Alltags ausgeklinkt zu haben, seinen Körper bewusster als zuvor wahrzunehmen und auf einen Stand der Fitness gebracht worden zu sein, die das Bewusstsein der eigenen Lebendigkeit gestärkt hat. Diese Zeit der Muße und Entspannung, angereichert durch interessante und erbauliche Gespräche bei einem guten Drink in der abendlichen Cafeteria, ließen in uns den Wunsch entstehen: "Dies sollte auf jeden Fall bald einmal wiederholt werden!", wobei dieser gehegte Wunsch schon alsbald in Erfüllung gehen könnte, da, so hört man, dieses Angebot mit sportlichen Aktivitäten zur Gesundheitsvorsorge für den Herbst dieses Jahres in das Programm des Aura-Zentrums Bad Meinberg wieder aufgenommen werden soll. Jedenfalls bleibt uns diese Veranstaltung mit dem Prädikat "besonders wertvoll", verbunden mit einem nochmaligen herzlichen Dank an unseren Trainer Lars Ahrens, in guter Erinnerung.


Prof. Dr. Kurt Jacobs Vorsitzender des Kommunalen Beirats für die Belange von Menschen mit Behinderung der Kreisstadt Hofheim am Taunus


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Quelle:
Retina aktuell 117 - 3/2010, S. 18-20
Zeitschrift der PRO RETINA Deutschland e.V.
Selbsthilfevereinigung von Menschen mit Netzhautdegeneration
Herausgeberin:
PRO RETINA Deutschland e.V., Ute Palm
Vaalser Straße 108, 52074 Aachen
Telefon: 0241/87 00 18, Fax: 0241/87 39 61
E-Mail: pro-retina@t-online.de
Internet: www.pro-retina.de

Die Zeitschrift Retina aktuell erscheint vier Mal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2010