Lebenshilfe Zeitung, Nr. 2 - Juni 2011
Lebenshilfe verabschiedet die letzten Zivis
DAS INTERVIEW
Lebenshilfe verabschiedet die letzten Zivis
Weil die Wehrpflicht in Deutschland abgeschafft wird, gibt es ab dem 1 Juli 2011 auch keinen Zivildienst mehr. Und damit auch keine "Zivis" mehr in der Lebenshilfe. Der Zivi, der über Jahrzehnte zur "Grundausstattung" vieler sozialer und gemeinnütziger Einrichtungen gehörte, ist Vergangenheit. Die letzten Vertreter ihrer Art bei der Lebenshilfe Haslach im Kinzig- und Eiztal sind Marcel Hein, Joschua Neumaier, Fabian Witt, Stefan Oswald und Rafael Leuke. Sie bedauern sehr, dass der Zivildienst verschwindet. Bernhard Keller von der "Lebenshilfe INTERN", einer Zeitschrift der Lebenshilfe Haslach, sprach mit ihnen zum Abschied.
FRAGE: Wie beurteilt ihr den Wegfall des Zivildienstes?
ANTWORT: Sehr schade, denn es macht richtig Spaß. Bei der Bundeswehr ist die freiwillige Basis gut, weil man niemanden zwingen sollte, so etwas zu tun. Aber der Zivildienst ist etwas ganz anderes. Hier sollte jeder mal tätig gewesen sein und sei es nur, um etwas Gutes für andere zu tun. Für die Einrichtungen wird es sicherlich schwer werden, die Arbeiten künftig ohne Zivis zu bewerkstelligen. Ohne den Zivildienst werden die jungen Leute ihre Zeit vermutlich anders nutzen, eher für ihre eigene Karriere.
FRAGE: Wie war eure Zeit in der Lebenshilfe?
ANTWORT: Die Zeit hier war wirklich schön. Das Arbeiten hat richtig Spaß gemacht. Man hat eigentlich jeden Tag was Neues erlebt und gelernt.
Durch meine Zeit hier in der Lebenshilfe sehe ich nun auch die Arbeit, die hier geleistet wird und bin jeden Tag aufs Neue erstaunt, wie gestellte Probleme doch schnell gelöst werden. Auch den Umgang mit Menschen mit einer Behinderung habe ich als Zivi erst richtig gelernt. Zum Beispiel, dass man sie vieles selber machen lassen soll, auch wenn es erst nach dem x-ten Mal klappt. Man lernt zu schätzen, dass man selbst gesundheitlich topfit ist.
FRAGE: Was meint ihr: Hinterlassen die Zivis eine Lücke in der Lebenshilfe?
ANTWORT: Vom reinen Arbeitsablauf her hinterlassen die Zivis auf jeden Fall eine große Lücke, besonders bei der Ganztagsbetreuung. Eine starke, helfende Hand wird hier doch immer gebraucht. Auch bei den behinderten Menschen werden die Zivis eine Lücke hinterlassen, denn durch uns Zivis hatten sie Kontakt zu jungen Menschen.
Zum Bundesfreiwilligendienst, der den Zivildienst ersetzt (siehe Kasten) melden sich ganz bestimmt nicht so viele Menschen wie nötig wären.
FRAGE: Glaubt ihr, dass der Bundesfreiwilligendienst angenommen wird?
ANTWORT: Das ist schwer einzuschätzen, aber ich sehe das eher negativ. Junge Leute, die vor oder nach einer Lehre stehen, möchten doch natürlich erst einmal arbeiten, um Geld zu verdienen.
Von jungen Menschen, die auf einen Studienplatz warten oder einfach noch nicht wissen, was sie genau machen möchten, wird der Bundesfreiwilligendienst bestimmt eher genutzt.
Alles in allem wird die Zahl der Freiwilligen wohl weit unter der Zahl der Zivis bleiben. Und somit ist zu befürchten, dass die Menschen mit Behinderungen, die auf diese Hilfe angewiesen sind, die Leidtragenden sind.
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Bundesfreiwilligendienst und BSJ der Lebenshilfe
Zum 1. Juli 2011 wird der Bundesfreiwilligendienst (BFD) als Ersatz für den Zivildienst eingeführt. Jährlich soll der BFD rund 35 000 Menschen, so das Bundesfamilienministerium, einen gemeinnützigen Einsatz ermöglichen. Er soll das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ ) und das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) ergänzen und gemeinsam mit diesen durchgeführt und verwaltet werden. Der BFD steht Frauen und Männern jeden Alters nach Erfüllung der Vollschulpflicht offen. Neben den sozialen Bereichen und dem Umweltschutz kann der Dienst auch in Bereichen wie Sport, Integration, Bildung und Kultur geleistet werden. Er dauert in der Regel ein Jahr. Mehr Informationen im Internet unter:
www.bundes-freiwilligendienst.de
Schon 2001 hat die Lebenshilfe bundesweit das "Berufsvorbereitende Soziale Jahr" (BSJ) ins Leben gerufen. Es entstand, weil die Plätze des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) nicht ausreichten, um alle Interessenten zu bedienen.
In zehn Jahren hat sich dieses Angebot für Frauen und Männer im jungen Erwachsenenalter zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. "Jährlich über 1000 zufriedene Absolventinnen und Absolventen des BSJ in der Lebenshilfe bestärken uns", so der Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Robert Antretter, "dass wir den Nerv der jungen Generation treffen." Im Zuge des Wegfalls des Zivildienstes wird das Soziale Lebenshilfe-Jahr für junge Menschen, die sich sozial engagieren möchten, und für die Lebenshilfe-Einrichtungen an Bedeutung gewinnen. Mehr dazu unter:
www.bsj-lebenshilfe.de
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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 2/2011, 32. Jg., Juni 2011, S. 15
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
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E-Mail: LHZ-Redaktion@Lebenshilfe.de
Internet: www.lebenshilfe.de
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jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).
veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2011