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FRAGEN/182: Sportwissenschaftler Prof. Manfred Wegner - "Inklusion ist ein Prozess" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 48 / 26. November 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Inklusion ist ein Prozess"

Der Sportwissenschaftler Prof. Manfred Wegner im Gespräch über das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung



Prof. Manfred Wegner vom Institut für Sportwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung entscheidend mitentwickelt. Im Interview erklärt er, wie Inklusion beim Deutschen Sportabzeichen umgesetzt werden kann und welche Änderungen er sich wünscht.

DOSB-PRESSE: Herr Prof. Wegner, Sie selber haben sich in der Vergangenheit für die Einführung des Deutschen Sportabzeichens für Menschen mit körperlicher und dann auch für geistige Behinderung stark gemacht. Wo steht das Sportabzeichen in diesem Bereich heute?

PROF. MANFRED WEGNER: Die Reform des Deutschen Sportabzeichens ist ein ambitionierter und begrüßenswerter Versuch, das Abzeichen aufzuwerten. Bei der Reform des Sportabzeichens für Menschen mit Behinderung, vor allem mit geistiger Behinderung, wäre jedoch mehr Augenmaß erforderlich gewesen. Denn durch die Reform und die Einführung der Leistungskategorien Bronze, Silber und Gold hat das Sportabzeichen eine stärkere Leistungsausrichtung bekommen. Entsprechend wurden auch die Leistungen der Menschen mit Behinderungen angepasst und differenziert. Ich bedauere, dass diese Änderungen vor ihrer Umsetzung nicht in der Praxis erprobt wurden; dort sind die neuen Richtlinien meist nicht stimmig.

DOSB-PRESSE: Mehrere Stopps der Sportabzeichen-Tour in den vergangenen Jahren hatten den Schwerpunkt "Das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit und ohne Behinderung". Wie wichtig ist die Präsenz dieses Themas im Rahmen der Tour?

PROF. WEGNER: Der DOSB diskutiert gerade mit seinen Mitgliedsorganisationen Deutscher Behindertensportverband, Special Olympics Deutschland und Deutscher Gehörlosen Sportverband über Inklusion und ihre Bedingungen. Das Papier wird noch im Dezember 2013 verabschiedet. Dort wird u.a. sehr detailliert aufgeführt, wie inklusive Begegnungen im Sport möglich sind. Entsprechend steht das Thema Präsenz von Menschen mit Behinderung bei den Stopps der Sportabzeichen-Tour an oberster Stelle. Wenn wir von Normalität sprechen, dürften wir eigentlich gar nicht über das Thema sprechen, sondern das Deutsche Sportabzeichen müsste einfach für alle Menschen angeboten werden. Soweit sind wir noch nicht. Deshalb ist es einfach wichtig, dieses Thema immer wieder mit aufzunehmen.

DOSB-PRESSE: Das Ziel der Inklusion auf dem Sportplatz ist also noch nicht erreicht?"

PROF. WEGNER: Das Ziel ist längst nicht erreicht, im Gegenteil, wir sind erst bei den ersten Schritten auf dem Weg, ein Verständnis herzustellen. Inklusion ist ein Prozess. Wir vergessen oft, dass wir auf Augenhöhe mit den Betroffenen arbeiten müssen, und dass wir sorgfältig die Schritte überlegen müssen, die Normalitäten zu entwickeln. Wir müssen sorgfältig arbeiten und darauf achten, alle mitzunehmen. Sonst hinterlassen wir verbrannte Erde.

DOSB-PRESSE: Wie sieht ein Event im Rahmen der Sportabzeichen-Tour aus, bei dem man von einer gelungenen Inklusion sprechen kann?

PROF. WEGNER: Das ist ein Tourstopp, bei dem man nicht mehr davon spricht, dass einige Menschen anders sind. Ein Tourstopp, der Menschen einfach machen lässt und sich über diejenigen freut, die das Sportabzeichen schaffen genauso wie über die, die anderen dabei helfen, es zu schaffen. Das entscheidende Stichwort dabei ist für mich die Begegnung auf Augenhöhe.

DOSB-PRESSE: Welche Möglichkeiten gibt es neben der Themensetzung auf der Tour, um Menschen mit Behinderung zum Ablegen des Deutschen Sportabzeichens zu motivieren?

PROF. WEGNER: Menschen mit Behinderungen sind oftmals nicht besonders sportaffin. Wir müssen noch mehr Menschen mit Behinderung dazu bewegen, körperlich aktiv zu werden und die positiven Möglichkeiten des Sports zu erkennen. Da ist das Sportabzeichen mit seinem regelmäßigen Trainingsplan ein guter Weg. Es gibt bereits beim DBS Trainingsgruppen, die für das Deutsche Sportabzeichen trainieren und die sich für Menschen anbieten, die in einer homogenen Gruppe Sport treiben möchten. Man müsste jetzt die Sportabzeichen-Prüferinnen und Prüfer für das normale Abzeichen dazu motivieren, sich für eine Abnahme für das Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung fortzubilden - dort sollte Neugierde ebenfalls Normalität sein. Wenn die Kompetenz der Prüfer ausgebildet ist, ist es möglich, das Deutsche Sportabzeichen gemeinsam von Menschen mit und ohne Behinderung zu absolvieren.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 48 / 26. November 2013, S. 22
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2013