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KULTUR/129: Meisterschüler im Betheler Künstlerhaus Lydda (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Oktober 2009

"Hier kann man sich etwas trauen!"
Meisterschüler im Haus Lydda

Von Robert Burg


"Es war einfach klasse - ich weiß kein anderes Wort dafür." Ralf Stühmeier verbirgt seine Begeisterung nicht. Ein Jahr lang war er der Meisterschüler von Jürgen Heinrich, Leiter des Betheler Künstlerhauses Lydda. "Ich bin als Künstler gereift und viel selbstbewusster geworden", blickt der 38-Jährige zurück. Jetzt tritt Michael Möller seine Nachfolge an.


Ralf Stühmeier ist sichtlich zufrieden. "Ich konnte hier unheimlich viel lernen." Zum Beispiel, dass ein Künstler nicht zwangsläufig ein Einzelkämpfer ist: "Andere Ateliers teilen sich manchmal nur zwei oder drei Leute. Trotzdem gibt's da andauernd Streit und Konkurrenz. Hier ist das ganz anders, obwohl so viele ganz unterschiedliche Menschen zusammen arbeiten." Für ihn eine wichtige Erkenntnis: "Man muss die anderen auch mal machen lassen."


Schonungslose Sicht

Diesen Freiraum gestattete ihm auch Jürgen Heinrich: "Aufgaben, einfach etwas möglichst realistisch abzumalen, gab es hier nie", so Ralf Stühmeier. So entstand eine Vielzahl an Porträts oder kleinen Szenen, in denen grundlegende Fragen des menschlichen Seins aufgeworfen werden. Auf Gemälden und Zeichnungen bringt der Künstler eine schonungslose Sicht der Welt zum Ausdruck. Der Betrachter wird in den Werken Ralf Stühmeiers mit seinen eigenen Ängsten, leidvollen Erfahrungen und Gefühlen wie Trauer oder Wut konfrontiert. "Ich finde spannend, was Gesichter alles ausdrücken können." Die häufig großformatigen Ölbilder auf Nessel oder Leinwand entstehen oft in einem langwierigen Prozess, Überarbeitungen und Verwerfungen bleiben manchmal sichtbar.

Ralf Stühmeier ist alleinerziehender Vater und kommt aus Bünde bei Herford. Nach einer Erkrankung vor fünf Jahren kam er nach Bielefeld-Bethel und arbeitete in der Druckerei von proWerk. Zuvor hatte er bereits in mehreren Galerien und Ateliers Erfahrungen gesammelt. "Ich habe schon immer viel und gerne gezeichnet, mich aber nie getraut, meine Werke anderen zu zeigen. Hier habe ich den Mut bekommen, mich mit meiner Kunst in der Öffentlichkeit vorzustellen." Die Abschluss-Ausstellung seines Meisterschüler-Jahres in Bethel war ein voller Erfolg. "Ich habe unheimlich viele positive Rückmeldungen bekommen." In seiner ersten Einzelausstellung "Milch und Schatten" waren in der Lydda-Galerie 40 Arbeiten zu sehen, die hauptsächlich während des vergangenen Jahres entstanden. Jetzt hat Ralf Stühmeier das nächste Ziel ins Auge gefasst: "Ich möchte mich als Künstler selbstständig machen."


Intensive Förderung

"Wir wollen einen Menschen besonders intensiv fördern, damit er sich künstlerisch voll entfalten kann", umreißt Jürgen Heinrich seine Idee hinter dem Meisterschüler-Jahr. "Wir wollen junge Künstler unterstützen, 'ihre' Themen zu finden." Deshalb wird nicht nur mit Pinsel und Stift, sondern auch mit Lexikon und Bildband gearbeitet: "Wir schauen uns gemeinsam berühmte Beispiele aus der Kunstgeschichte an oder besprechen Mappen von anderen Künstlern." Die Schüler sollen ihre eigene Bild- und Formensprache entwickeln und lernen, hinter der eigenen Arbeit zu stehen. "Es sind keine fertigen Künstler, sondern Menschen, die auf der Suche nach ihrem künstlerischen Ausdruck sind." Aufgeschlossenheit und Neugier gehören dazu, ebenso wie die Bereitschaft, Aufgaben im Atelier und in der Galerie zu übernehmen: "Ich habe im Atelier aufgeräumt, Keilrahmen gebaut und bei Kurs- oder Ausstellungsvorbereitungen mitgeholfen", berichtet Ralf Stühmeier aus seinem Arbeitsalltag.

Seit Anfang September ist Michael Möller der neue Meisterschüler in Lydda. Der 27-Jährige ist nicht neu in Bielefeld-Bethel, sondern besuchte hier bereits den Kindergarten. Heute lebt er bei seinen Eltern in Hillegossen und arbeitet seit sechs Jahren in der Bernhard-Mosberg-Werkstatt. Von proWerk wurde er für das Meisterschüler-Jahr an drei Wochentagen ab zwei Uhr freigestellt. Der gebürtige Bielefelder malt gerne, doch noch lieber ist ihm die Bildhauerei. Beiden Neigungen kann er in den Lydda-Ateliers an der Handwerkerstraße nachgehen "Als ich gefragt wurde, ob ich der neue Meisterschüler werden will, war ich total überrascht. Aber dann habe ich mich sehr gefreut", erinnert sich Michael Möller, der seit zwei Jahren in Lydda aktiv ist. Zuvor hat er sein malerisches Geschick geschult, indem er Bilder abmalte. Für ihn ist das Meisterjahr in Lydda der Einstieg in die Welt der Kunst: "Ich weiß, es wird noch etwas kommen von mir."


Große Zuversicht

"Du wirst sehen, hier kann man sich was trauen", gibt Ralf Stühmeier seinem Nachfolger aufmunternd mit auf den Weg. Spätestens am Ende des Meisterjahres wird sich Michael Möller etwas trauen müssen. Dann zeigt auch er in einer Einzelausstellung, was er in seinem Jahr geschaffen hat. Nervös macht ihn das nicht, er ist zuversichtlich: "Wenn das gut läuft, muss ich vielleicht nicht mehr arbeiten."


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Quelle:
DER RING, Oktober 2009, S. 20-21
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2009