Schattenblick →INFOPOOL →PANNWITZBLICK → PRESSE

MEDIZIN/170: Menschen mit Behinderung sind teure Patienten im Gesundheitssystem (Bethel)


Pressemitteilung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - 12.02.2010

Menschen mit Behinderung sind teure Patienten im Gesundheitssystem


Bielefeld-Bethel/Berlin. Ist es ein Skandal, wenn Menschen mit geistiger Behinderung in deutschen Krankenhäusern gar nicht oder schlecht behandelt werden? "Das kommt auf die Wertevorstellungen unserer Gesellschaft an. Ist sie empört? Dann haben wir einen Skandal. Wenn nicht, gibt es keine Grundlage dafür", gibt Prof. Dr. Michael Seidel zu bedenken. Prof. Seidel ist der leitende Arzt der Behindertenhilfe in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Seit Jahren setzt er sich für die Belange von Menschen mit Behinderung und für Nachbesserungen im Gesundheitssystem ein und vertrat diese Position jetzt bei einem Kongress in Berlin.

Das Problem, dass Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung bei einem Aufenthalt im Krankenhaus oft schlecht versorgt werden, ist nicht neu. Seit Einführung der Fallpauschalen 2004 hat sich die Situation jedoch zusätzlich verschärft. Das fallgruppenbezogene Vergütungssystem, die sogenannten DRGs, sehen nämlich keine Refinanzierung für den Mehraufwand bei der Behandlung vor. Das Krankenhaus bleibt auf den Kosten sitzen. "Unter dem Druck der finanziellen Engpässe empfinden die stationären Einrichtungen die zusätzliche Belastung als unzumutbar", so Prof. Seidel. Es hat schon Fälle gegeben, wo Notärzte den Krankenhäusern verschwiegen hätten, dass der Patient im Krankenwagen eine Behinderung hat. "Sonst lehnen sie die Aufnahme dieser Patienten ab."

Er habe viel Verständnis für jedes einzelne Krankenhaus, das so verfahre, um Kosten zu sparen, sagt Prof. Michael Seidel. "Aber ich verurteile das Gesundheitssystem. Es verstößt gegen die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung." Danach steht den Betroffenen nicht nur dieselbe Bandbreite in der Gesundheitsversorgung wie allen anderen Menschen zu, sondern zusätzlich alle Leistungen, die von ihnen wegen ihrer Behinderung benötigt werden.

"Für einen erhöhten Aufwand und Zeitbedarf bei Diagnostik und Therapie müssen Ärzte und Krankenhäuser eine ausreichende Bezahlung erhalten", so lautet eine der Forderungen der Bundesvereinigung Lebenshilfe und der Bundesarbeitsgemeinschaft Ärzte für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung. Weil sie oft nicht genau erklären können, welches Problem sie haben, ist eine apparative Diagnostik nötig. Manchmal müssen die Untersuchungen sogar unter Narkose durchgeführt werden. "Darüber hinaus haben meist weder die Ärzte noch die Pflegekräfte die fachliche Kompetenz, um mit behinderten Menschen angemessen umzugehen", so Prof. Michael Seidel.

"Die Situation von Patientinnen und Patienten mit geistiger Behinderung im Krankenhaus - Problemlagen und Lösungsperspektiven" - so der Titel der Veranstaltung in Berlin, bei der Professor Seidel die fachliche Leitung hatte. Zusammen mit Entscheidungsträgern aus Gesundheits- und Sozialpolitik wurde nach Wegen aus dem Dilemma gesucht. "Das Engagement hält sich in Grenzen", hat Prof. Seidel festgestellt. Das medizinische Problem wird zu einem moralischen. Lohnt es sich, sich für die 400 000 Menschen mit Behinderung in Deutschland einzusetzen, damit sie eine adäquate Versorgung in den Krankenhäusern erhalten? Oder sind sie ein teuerer Störfall?


*


Quelle:
Pressemitteilung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel vom 12.02.2010
Zentrale Öffentlichkeitsarbeit
Dankort, Quellenhofweg 25
33617 Bielefeld
Telefon: 0521/144-3599, Telefax 0521/144-5214
E-Mail: pr.information@bethel.de
Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2010