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MEDIZIN/183: Herausforderung Nutzenbewertung von Arzneimitteln (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2012

Herausforderung Nutzenbewertung von Arzneimitteln
AMNOG stellt Mitberatung von Patientenorganisationen in Deutschland vor große Aufgabe

Klartext von Dr. Martin Danner



Mit dem AMNOG hat der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe übertragen, alle neu in den Markt eingeführten Arzneimittel einer frühen Nutzenbewertung zu unterziehen. "Früh" ist die Nutzenbewertung deshalb, weil nach der Markteinführung eines neuen Medikaments knappe Fristen gelten, innerhalb derer die Nutzenbewertung erfolgen muss. Dies ist eine große Herausforderung für den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), vor allem aber für die Patientenorganisationen. Denn sie haben auch bei der frühen Nutzenbewertung ein Mitberatungsrecht nach § 140f. SGB V.


Die frühe Nutzenbewertung wird durch die Hersteller neuer Medikamente eingeleitet. Mit der Markteinführung hat der Hersteller nun ein umfangreiches Nutzendossier beim Gemeinsamen Bundesausschuss einzureichen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) prüft und bewertet dieses Dossier innerhalb von drei Monaten. Zu Beginn dieser Überprüfung werden von medizinischen ExpertInnen, aber auch von den betroffenen Patientenorganisationen Informationen zur Bedeutung bestimmter Nutzenaspekte und zu möglichen Vergleichstherapien zu dem neuen Arzneimittel eingeholt.

Da für die Gesamtbewertung auch dem IQWIG nur drei Monate zur Verfügung stehen, können für die Stellungnahmen der Patientenorganisationen nur wenige Arbeitstage eingeplant werden.


"Zack-Zack-Bereitschaftsdienst" statt persönlicher Austausch

Anders als bei der bislang üblichen Nutzenbewertung kann daher das IQWIG PatientenvertreterInnen nicht mehr zum persönlichen Gedankenaustausch in den Firmensitz nach Köln einladen. Sie erhalten vielmehr Fragebögen, die dann innerhalb weniger Tage auszufüllen und an das IQWIG zu schicken sind.

Da die BAG SELBSTHILFE die Patientenbeteiligung für die maßgeblichen Patientenorganisationen nach § 140f. SGB V koordiniert, fällt ihr die Aufgabe zu, quasi auf Zuruf den von der Nutzenbewertung betroffenen Mitgliedsverband ausfindig zu machen, über das Verfahren und die Zielrichtung des Fragebogens zu informieren und auch die Patientenvertretung beim GBA über das nun losgetretene Verfahren in Kenntnis zu setzen. Der angerufene Verband muss nun in Windeseile den Fragebogen ausfüllen, an das IQWIG schicken und kann sich darauf vorbereiten, beim GBA das weitere Bewertungsverfahren zu begleiten.

Diese Form des "Bereitschaftsdienstes" ist für die Patientenvertretung eine völlig neuartige Herausforderung. Zudem ist die schnelle Nutzenbewertung von Arzneimitteln weder ein seltener Vorgang, noch kann er sukzessive abgearbeitet werden. Woche für Woche werden künftig neue Verfahren zu bewältigen sein, und werden mehrere Arzneimittel von den Herstellern gleichzeitig auf den Markt gebracht, müssen diese Verfahren parallel begleitet werden. Aufgrund der knappen personellen und organisatorischen Ressourcen der Selbsthilfe ist dies eine besonders schwierige Aufgabe.


GBA - Beschluss nach Nutzenbewertung innerhalb von 3 Monaten

Hat das IQWIG den Nutzen des neuen Arzneimittels und der einschlägigen Vergleichstherapie bewertet, dann schaut sich der GBA die Nutzenverhältnisse genau an.

Auch hier wirken in den Gremien des GBA PatientenvertreterInnen mit. Innerhalb von drei weiteren Monaten muss der GBA beschließen. Kommt er zu der Feststellung, dass kein Zusatznutzen nachgewiesen ist, dann wird ein Festbetrag, d.h. ein "Preis" für das neue Arzneimittel bestimmt, sofern es eine Festbetragsgruppe für den jeweiligen Wirkstoff schon gibt. Gibt es keine Festbetragsgruppe, dann ist ein Erstattungsbetrag auf dem Preisniveau der Vergleichstherapie zu vereinbaren.

Wird ein Zusatznutzen anerkannt, dann bestimmt der GBA die jeweilige Nutzenkategorie "erheblich, beträchtlich etc.


Verhandlungen über Erstattungsbetrag dauern 6 Monate - oder scheitern!

Nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses hat die Patientenvertretung zunächst einmal "Pause". Dann müssen nämlich Hersteller und GKV-Spitzenverband innerhalb von sechs Monaten im Wege von Verhandlungen klären, welcher Erstattungsbetrag angesichts des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses maßgeblich ist. Wird aber im Verhandlungszeitraum keine Einigung erzielt, dann wird eine Schiedsstelle tätig, bei der PatientenvertreterInnen ein Mitberatungsrecht haben.

Mit dem Schiedsspruch wird dann endgültig der Erstattungsbetrag festgelegt, der sich insbesondere an europäischen Vergleichswerten orientieren kann.

Ist das Unternehmen unzufrieden, dann kann es auch eine erneute, zeitaufwendige Bewertung durch das IQWIG beauftragen.


Lohnt sich überhaupt die Beteiligung von Patienten-Organisationen?

Der aufwendige, mitunter auch auf hektische Verfahrensabläufe angelegte Prozess der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln kann von Patientenorganisationen nur mit Mühen begleitet werden. Er dient vorrangig als Rahmen für die Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern. Diese haben sicherlich nur einen mittelbaren Einfluss auf die Versorgung der PatientInnen. Denn geben die Kassen zu viel Geld an der einen Stelle aus, fehlt es ihnen für die Finanzierung der Versorgung an anderen.

Die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln macht zudem aber schon kurz nach Markteinführung transparent, welches Nutzen- und Risikopotential ein neues Mittel im Vergleich zu den bestehenden Therapieoptionen hat. Ob verheißungsvolle Innovation oder totaler Flop: Schon allein deswegen ist die frühe Nutzenbewertung ein hochinteressantes Verfahren.

Zudem sind ja gerade die Patientenorganisationen zur Beurteilung gefragt, welche Nutzenkategorien denn beim jeweiligen Vergleich besonders oder weniger wichtig sind. Die Stimme der PatientInnen hat somit durchaus Einfluss auf das spätere Bewertungsergebnis.

Dieses Ergebnis wiederum kann u.U. auch finanzielle Auswirkungen haben. Liegt nämlich die Schiedsstelle einen maximalen Erstattungsbetrag fest, weigert sich der Hersteller aber, das Arzneimittel zu diesem Preis auf dem deutschen Markt anzubieten, dann steht es nicht uneingeschränkt für die Versorgung zur Verfügung.

Es lohnt sich daher durchaus, an der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln mitzuwirken.

Dies gilt umso mehr, als die ersten Verfahren eine Reihe von Fragen aufwarfen, die indikationsübergreifende Bedeutung haben. Wie z.B. die weite Verbreitung der Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des Zulassungsbereichs (Off-Label-Use). Off-Label-Use ist bei der frühen Nutzenbewertung aber als Vergleichstherapie nicht berücksichtigungsfähig. Dies birgt die Gefahr in sich, dass die Nutzenbewertung sich nur auf eine virtuelle, nicht aber auf die tatsächliche Versorgungsrealität bezieht. Ein Problem, welches dringend aufgearbeitet werden muss.

Ich würde mich freuen, wenn sich auch Ihr Verband in die entsprechenden Fachdiskussionen in den Gremien der BAG SELBSTHILFE einbringen könnte.

DER AUTOR
Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.

*

Quelle:
Selbsthilfe 1/2012, S. 10-11
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2012