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POLITIK/457: Systemwechsel notwendig (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2009

BUNDESTAGSWAHL 2009:
Parteien stehen Rede und Antwort

Dr. Erwin Lotter von der FDP im Deutschen Bundestag

Systemwechsel notwendig


GESUNDHEITSPOLITIK

Solidarisches Gesundheitssystem

Das Solidaritätsprinzip in der Gesundheitspolitik gerät zwangsläufig unter Druck, wenn immer weniger aktive Beitragszahler immer mehr Leistungsberechtigten gegenüberstehen. Genau dies ist infolge des demographischen Wandels in Deutschland der Fall: Immer weniger junge Menschen werden geboren und zahlen in die gesetzliche Krankenversicherung ein, immer mehr ältere Menschen leben länger und nehmen Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch. Deshalb spricht sich die FDP für einen Systemwechsel in der Gesundheitspolitik aus, bei dem Krankenkassen unter anderem aus den laufenden Einnahmen Rückstellungen für spätere Jahrzehnte bilden können. Nur so können die Auswirkungen des demographischen Wandels abgefangen werden.

Solidarität bedeutet auch Beitragssolidarität. Wer seine Krankenversicherungsprämie nicht selbst aufbringen kann, erhält im Rahmen des liberalen Bürgergeldes einen steuerfinanzierten Zuschuss in Höhe der Prämie für einen Tarif der medizinischen Grundversorgung sowie anfallender Selbstbehalte.

Solidarität setzt immer auch Wirtschaftlichkeit voraus. Deshalb spricht sich die FDP für mehr Wettbewerb sowohl zwischen Leistungserbringern als auch Kostenträgern aus. Von diesem Wettbewerb um Preis und Qualität profitieren alle.


Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich

Der sogenannte Morbi-RSA hat statt der versprochenen Gerechtigkeit neue Ungerechtigkeit geschaffen. Die Krankenkassen suchen jetzt gezielt nach Versicherten mit bestimmten im Morbi-RSA erfassten Krankheiten, die einen niedrigen Behandlungsaufwand mit sich bringen. Der Morbi-RSA ist deshalb manipulationsanfällig und schafft kontraproduktive Anreize: Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen profitieren davon, wenn mehr Versicherte mit schwerwiegenden Erkrankungen eingestuft werden. Dadurch wird Deutschland statistisch immer kränker, ein Zerrbild der Realität entsteht. Die FDP lehnt deshalb eine Ausweitung des Morbi-RSA strikt ab. Stattdessen müssen Honorar- und Ausgleichsregelungen geschaffen werden, die dem tatsächlichen Behandlungsaufwand Rechnung tragen.


Hiftsmittelversorgung

Wer individuelle Hilfsmittel benötigt, muss diese auch bekommen. Im Interesse der Solidargemeinschaft muss aber sichergestellt sein, dass wirtschaftliche Aspekte dabei streng beachtet werden. Ermessensspielräume für den Arzt statt starrer Richtlinien zur Verordnungsfähigkeit sind dringend geboten.


Arzneimittelversorgung

Es ist Aufgabe der Politik sicherzustellen, dass jeder Versicherte die für ihn medizinisch notwendigen Medikamente erhält. Um dies zu erreichen, muss auch die Therapiefreiheit von Arzt und Patient gestärkt werden. Im Interesse der Solidargemeinschaft ist eine wettbewerbliche Preisgestaltung im Arzneimittelmarkt dringend erforderlich. Regelungen zu Zuzahlungen und Selbstbehalte können Versicherte über Wahltarife individuell mit ihren Krankenkassen vereinbaren. Wer Zuzahlungen für medizinisch notwendige Medikamente nicht aufbringen kann, wird dabei im Rahmen des liberalen Bürgergeldes unterstützt.


"Sprechende Medizin"

Wenn ein Arzt nur wenige Euro pro Patient und Quartal von der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, bleibt allein aus wirtschaftlichen Gründen oftmals keine Zeit für zufriedenstellende Gespräche zwischen Arzt und Patient. Der beste Weg, dies zu ermöglichen, sind realistische Honorare für die behandelnden ärzte. Wenn der Arzt die in den Patienten investierte Zeit angemessen vergütet bekommt, steigt die Behandlungsqualität. Besonders im Umgang mit behinderten Patienten ist oftmals mehr Zeit für das Arzt-/Patientengespräch nötig. Dies muss auch bei der Honorierung des Arztes berücksichtigt werden. Mittel- und langfristig kann dies auch zu erheblichen Einsparungen im Gesundheitssystem führen, weil exaktere Diagnosen gestellt und passgenauere Therapien vereinbart werden können.


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TEILHABE BEHINDERTER MENSCHEN

Inklusive Bildung - Pflegeversicherung - Behindertenrechtskonvention

Die FDP spricht sich für Wahlfreiheit bei der Schulwahl behinderter Kinder aus. Schulpolitik ist in Deutschland Sache der Länder. Die Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktionen haben deshalb auf ihrer letzten Konferenz das Thema inklusive Bildung bereits behandelt und tragen es jetzt in ihre Landtagsfraktionen. In meinem eigenen Landesverband konnte ich bereits einen Parteitagsbeschluss zur Schaffung inklusiver Bildungsangebote herbeiführen.

Erst auf mein Nachfragen hin hat die Bundesregierung jüngst eingeräumt, dass behinderte Menschen aus der UN-Konvention keine unmittelbaren Rechtsansprüche ableiten können. Dies gilt auch für die inklusive Bildung behinderter Kinder. Nur im Dialog zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie den behinderten Menschen kann die Konvention umgesetzt werden. Um diesen Dialog bemüht sich die FDP deshalb auf allen Ebenen. Gleichzeitig sollten sich behinderte Menschen an die nationale Monitoringstelle sowie an das Committee on the Rights of Persons with Disabilities in Genf wenden, wenn sie in ihrem direkten Lebensumfeld einen Umgang erfahren, der im Widerspruch zur UN-Konvention steht.

Im Bereich der Eingliederungshilfe hat die Bundesregierung eine komplette Legislaturperiode ungenutzt verstreichen lassen. Dadurch konnte auch das Trägerübergreifende Persönliche Budget nicht optimiert und gestärkt werden. Für die FDP ist das TPB der beste Weg zu größtmöglicher Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Die Liberalen setzen sich deshalb für die Stärkung des Trägerübergreifenden Persönlichen Budgets ein.


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FREIWILLIGES SOZIALES ENGAGEMENT

Selbsthilfe - Jugendfreiwilligendienste

Die FDP setzt sich seit Jahren für ein allgemeines Freiwilligengesetz ein. Die bisherigen Aktivitäten der Bundesregierung reichen nicht aus, um die Strukturen des Ehrenamtes in Deutschland nachhaltig zu festigen. Schon heute reichen die finanziellen Mittel für die geförderten FSJ/FÖJ-Plätze nicht aus. Vor einer Ausweitung des förderberechtigten Trägerkreises müssen deshalb zunächst die Fördermittel aufgestockt werden.

Maßnahmen, wie die Ehrenamts-Card und die Dokumentation gewonnener Qualifikationen und Kompetenzen, werden von der FDP ausdrücklich begrüßt. Hilfe zur Selbsthilfe ist untrennbar mit dem liberalen Freiheits- und Verantwortungsbegriff verbunden und deshalb auch Bestandteil liberaler Gesundheitspolitik.


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Quelle:
Selbsthilfe 2/2009, S. 20-21
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2009