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POLITIK/487: Parlamentarierabend 2010 (Teil 1) - Umsetzung der UN-Konvention im Fokus (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2010

PARLAMENTARIERABEND 2010 (1. Teil)
Umsetzung der UN-Konvention im Fokus der Politik

Dr. Martin Danner


Die Erarbeitung des Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Konvention zur Wahrung der Rechte von Menschen mit Behinderungen stand im Zentrum der behindertenpolitischen Diskussionen des diesjährigen parlamentarischen Abends der BAG SELBSTHILFE.
Die künftige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenkassen, die Gesetzesvorhaben zur Stärkung der Patientenrechte und der unabhängigen Patientenberatung sowie die Hilfs- und Arzneimittelversorgung waren wichtige Themen im Bereich der Gesundheitspolitik.


"Die Umsetzung der UN-Konvention in Deutschland ist das zentrale Thema im Bereich der Politik für Menschen mit Behinderungen", eröffnete Bundesvorsitzender Friedel Rinn den diesjährigen Parlamentarierabend der BAG SELBSTHILFE. Auch in diesem Jahr konnte Friedel Rinn wieder eine Vielzahl von Politikerinnen und Politikern aus den Ausschüssen des Deutschen Bundestages für Gesundheit, für Arbeit und Soziales und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der Vertretung des Landes Thüringen beim Bund begrüßen.

In der Tat stand dann auch das Vorhaben der Bundesregierung, einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention erarbeiten zu wollen, im Zentrum der Diskussion mit den Parlamentarierinnen und Parlamentariern.

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, den bereits vollzogenen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik ein entscheidendes Stück voranzutreiben.

Die Behindertenrechtskonvention verlangt eine auf Inklusion ausgerichtete Teilhabepolitik, die über die bisherigen integrativen Ansätze in der Bundesrepublik deutlich hinausgeht. Die in weiten Teilen nur zögerlich, teilweise nicht erfolgte Umsetzung des SGB IX kann unter diesen Vorzeichen nicht länger hingenommen werden.

Artikel 53 der Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Bundesrepublik, innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Konvention einen umfassenden Bericht über veranlasste Maßnahmen vorzulegen. In dieser Zeit gilt es daher, die Umsetzung der Forderungen der Behindertenrechtskonvention konkret anzugehen.

Besondere Bedeutung haben dabei die Themen

Schaffung eines inklusiven Bildungs- und Ausbildungssystems sowie
Verwirklichung eines offenen und für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeitsmarkts mit einer personenzentrierten Förderung,
Schaffung einer barrierefreien Umwelt
Zugänglichkeit und Bedarfsgerechtheit des Gesundheitssystems.

Um dies zu bewerkstelligen, muss nun unmittelbar ein Aktionsplan erstellt werden, der die Bundesländer einbezieht und in dem die beabsichtigten Maßnahmen und Initiativen konkret beschrieben, transparent dargelegt und deren Umsetzung an klare Zuständigkeitsregelungen und Fristen gekoppelt wird.

Unabdingbar ist bei der Erstellung des Aktionsplans die intensive Beteiligung der Organisationen behinderter Menschen mit ihren besonderen Kompetenzen und Erfahrungen im Hinblick auf die genannten Themenbereiche. Dies verdeutlichte insbesondere Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.

Ein weiteres aktuelles Thema der Behindertenpolitik ist die Reform der Eingliederungshilfe.

Nach wie vor fehlt es in Deutschland an einem umfassenden Unterstützungssystem für Menschen mit Behinderungen, das eine umfassende Teilhabe ermöglicht. Viele Leistungen sind abhängig von Einkommen und Vermögen. Bedarfsdeckende Teilhabe und persönliche Assistenz sind vielfach nur dann möglich, wenn auf eigenes Einkommen und Vermögen verzichtet wird bzw. dies dafür bis auf einen geringen Teil eingesetzt wird. Forderungen aus dem Bereich der Kommunen, Leistungsausgaben im Bereich der Eingliederungshilfe zu kürzen, stellen eine große Gefahr für eine bedarfsorientierte und personenzentrierte Teilhabe behinderter Menschen dar. Bei den Leistungen der Eingliederungshilfe handelt es sich um notwendige Leistungen zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteilsausgleiche, die auf dem Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes gründen. Aus diesem Grund sollten diese Leistungen aus dem Fürsorgerecht herausgelöst und ordnungspolitisch richtiger als gesamtgesellschaftliche Aufgabe durch ein Bundesleistungsgesetz für behinderte Menschen finanziert werden.

Um zu einer den Grundgedanken der Behindertenrechtskonvention entsprechenden Reform der Eingliederungshilfe zu kommen, bedarf es einer Fülle von Überlegungen und Maßnahmen. Erste Schritte sollten die konsequente Umsetzung des SGB IX in allen Bereichen bzw. gesetzgeberische Klarstellungen sein, um die vollständige Umsetzung des SGB IX zu ermöglichen. Erinnert sei an dieser Stelle insbesondere an die desaströse Situation im Hinblick auf die Gemeinsamen Servicestellen.

Peter Brünsing, Justiziar der BAG SELBSTHILFE, zeigte daher auf, welche Maßgaben im Rahmen der aktuellen Diskussionen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz von Bund und Ländern zur Reform der Eingliederungshilfe auf dem Weg zu einem umfassenden Leistungsgesetz beachtet werden sollten. Die BAG SELBSTHILFE vertritt hier folgende Forderungen:

Das neue System der Eingliederungshilfe muss bedarfsorientierte, personenzentrierte Leistungen enthalten, die als Nachteilsausgleiche einkommens- und vermögensunabhängig ausgestaltet sind
die Personenzentrierung muss sich auf alle Lebensfelder, insbesondere die Felder Wohnung, Arbeit, Bildung und Freizeit beziehen und im Kontext der Sozialraumgestaltung gesehen werden
zur Infrastrukturplanung sind regionale Teilhabepläne erforderlich, deren Erarbeitung, fortlaufende Überprüfung und Anpassung gesetzlich vorgeschrieben werden müssen
um dem individuellen Bedarf jedes Menschen mit Behinderung gerecht zu werden, muss es nach wie vor einen offenen Maßnahmenkatalog im Bereich der Eingliederungshilfe geben
es muss definiert werden, welche Inhalte, welche Qualitätsmaßstäbe und welche Feststellungsverfahren zur Ermittlung der so genannten Fachleistungsstunde bzw. Vergütung im Allgemeinen gelten sollen
das Persönliche Budget und/oder die Zurverfügungstellung von Geldpauschalen müssen Auftragsleistungen bleiben, dürfen also nicht Regelleistungen werden
unabhängige Beratungs- und Unterstützungsstrukturen sind zu fördern, um trägerunabhängige, selbstbestimmte Auswahlentscheidungen aller Menschen mit Behinderungen im neuen personenzentrierten System der Eingliederungshilfe zu ermöglichen
unter dem Blickwinkel der UN-Behindertenrechtskonvention muss die Eingliederungshilfe den Ansatz von Teilhabe und Inklusion voll umsetzen
unabhängige Beratungs- und Unterstützungsstrukturen sind zu fördern, um trägerunabhängige selbstbestimmte Auswahlentscheidungen aller Menschen mit Behinderungen im neuen personenzentrierten System der Eingliederungshilfe zu ermöglichen.

Ein weiteres Thema, das im Rahmen der angeregten Diskussion erörtert wurde, war die Mobilität von Menschen mit Behinderungen. Da Artikel 9 der UN-Konvention die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, den Anspruch auf umfassende Mobilität behinderter und chronisch kranker Menschen umzusetzen, besteht Handlungsbedarf in vielen Feldern. Dies beginnt mit dem barrierefreien Bauen, über die barrierefreie Ausgestaltung von Bahnen und Bussen bis hin zur unentgeltlichen Beförderung von Menschen mit Behinderung.

Insgesamt ist festzuhalten, dass auch in diesem Jahr die Sozialpolitikerinnen und -politiker im Deutschen Bundestag wieder wichtige Hinweise und Positionen der BAG SELBSTHILFE für eine Teilhabeorientierung ihrer Arbeit mitnehmen konnten.


Die Themen

- UN-Konvention
- Reform der Eingliederungshilfe
- Mobilität und Behinderung
- Finanzierung der GKV
- Patientenrechtegesetz
- Unabhängige Patientenberatung
- Arzneimittelversorgung
- Hilfsmittelversorgung
- Pflegeversicherung
- Transparenz bei der Selbsthilfeförderung
- Freiwilliges Soziales Jahr - Benachteiligung der Selbsthilfe


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Quelle:
Selbsthilfe 2/2010, S. 12-13
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010