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PROJEKT/636: Der Verein Kochgut e.V. bietet Kochkurse für geistig behinderte Menschen (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2012

Echt Lecker!
Hmmmmm!

Bei "Kochgut" zaubern geistig behinderte Jugendliche und Erwachsene an den Töpfen

von Burga Torges


Zwiebeln schneiden, Sahne schlagen, Fleisch braten: Das alles ist eigentlich kinderleicht. Nicht aber für Menschen mit Behinderungen. Die mobile, gemeinnützige Kochschule Kochgut e.V. gibt deshalb Kurse für geistig behinderte Jugendliche und Erwachsene, die Kochen als ihre Leidenschaft entdeckt haben. Die Kochschule versteht sich als integratives Freizeit- und Bildungsangebot auch für nicht behinderte Menschen. Mobil ist sie, weil der Verein keine eigene Küche hat und deshalb seit vier Jahren im Café des Sozialpsychiatrischen Zentrums in Wuppertal - Barmen kocht. Ein guter Grund, einmal in die duftenden Töpfe zu gucken.



Die Zutaten

Waren es bei Beginn des Angebotes drei Frauen, die den Verein Kochgut gründeten und 14-tägig samstags die Kochkurse leiteten, so sind es heute acht ehrenamtlich tätige Frauen, die abwechselnd und jeweils zu dritt die Kurse abhalten. Die meisten Kursleiterinnen sind zusätzlich hauptberuflich tätig, als Oekotrophologin, Lehrerin, Sozialarbeiterin oder Verwaltungsangestellte. Der Verein ist Mitglied der Fachgruppe Behinderung bei der Stadt Wuppertal und Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Der Familientherapeutin Doris Bender-Diebels wurde die Leidenschaft fürs Kochen bereits in die Wiege gelegt. "Mutter Köchin, Vater Bäcker, da war ich nie weit weg von Lebensmitteln," lacht die Initiatorin der Kochschule. Sie hat selbst eine geistig behinderte Tochter und weil sie für Julia vor ein paar Jahren vergeblich ein passendes Freizeitangebot im ambulanten Bereich suchte, gründete sie - gemeinsam mit der Fachlehrerin für Ernährung Alexandra Fuerst und Krankenschwester Carola Messer-Bergmann - den Verein Kochgut e.V. "Kochen ist eine schöne, kommunikative Beschäftigung. Man lernt zusammen, man lacht zusammen, man isst zusammen! Das alles in lockerer Atmosphäre. So etwas gab es nicht und es fehlte auch an qualifiziertem Betreuungspersonal sowie geeigneten Materialien", so Doris Bender-Diebels. "Wir wissen aber, dass gerade beim Kochen eine intensive Betreuung der einzelnen Menschen notwendig ist. Deshalb haben wir unser eigenes Konzept entwickelt."


Das Rezept

Rotkohl mit Kartoffeln, Nudeln mit Soße, Vanille-Quark-Creme oder Apfelkuchen am Nachmittag. Jeder Kochkurs beginnt mit der Besprechung, was gekocht werden soll. "Lesen müssen die Teilnehmer/innen nicht können, sie lernen anhand von Bildern, wie beispielsweise ein Kartoffelschäler aussieht." Planung und Einkauf übernehmen im Vorfeld die Veranstalterinnen, denn bereits die angemessene Vor- und Zubereitung, das Kochen selbst sowie das Abwaschen/Abräumen verlangen den geistig Behinderten eine erhebliche Intelligenzleistung ebenso wie auch motorisch-handwerkliche Fähigkeiten ab.

Ganz "nebenbei" lernen sie über das Kochen auch, sich in Teams mit ihnen zunächst fremden Menschen zu integrieren und in der Gemeinschaft erfolgreich zu sein. Auch das Thema gesunde Ernährung steht ganz oben auf dem Speiseplan. "Wir vermitteln Wissen darüber, was gesund ist und wovon man wenig essen sollte. Viele hören so etwas zum wiederholten Mal, konnten es aber nie umsetzen", betont Doris Bender-Diebels.


Die Köchinnen und Köche

Seit Beginn der Kochkurse im Jahr 2005 haben bereits mehr als 120 behinderte Kochbegeisterte teilgenommen. Daraus hat sich eine Stammgruppe entwickelt, die ein regelrechtes Hobby daraus entwickelt hat. "Wir haben einen autistischen Mann, der seit 2005 alle Kurse besucht hat und durch sein Wissen und seine hohe Wahrnehmungsfähigkeit die Gruppe jedes Mal wieder überrascht. Sein erster Gang ist immer zum Radio, um mit Musik von WDR 4 für musikalische Begleitung beim Kochen zu sorgen", erzählt Doris Bender-Diebels.

Die Teilnehmer sind zwischen 25 und 65 Jahren alt und wohnen zum Teil in Wohnheimen, manche zu Hause bei den Eltern, manche sind im "Betreuten Wohnen". Teilnehmen können Menschen mit unterschiedlichen Formen und Schweregrad der geistigen Beeinträchtigungen. Auch deshalb erfreuen sich die Kurse einer großen Beliebtheit und sind immer sehr schnell ausgebucht. "Wir würden gern mehr Kurse anbieten, doch dazu sind wir natürlich auf Sponsoren und weitere ehrenamtliche Kolleginnen oder Kollegen angewiesen", erklärt die Vereinsvorsitzende.


Auf der Speisekarte

Von "Hausmannskost" bis "Reisen um die Welt", auf dem Kursplan von Kochgut steht so ziemlich alles, was das Herz begehrt. Vor allem leckere, alltagstaugliche Gerichte sind begehrt, wie beispielsweise "Toast in verschiedenen Variationen", "Lasagne-klassisch und vegetarisch", "Kuchen und Muffins-süß und pikant" und "Leckeres von wilden Tieren aus dem Wald". Jeder Kurstag zu den unterschiedlichen kulinarischen Themen kann einzeln gebucht werden. Die Kurse finden jeweils an Samstagen von 10 bis 14 Uhr statt. Ausnahmen sind die Oster- und Sornmerferienzeit. Die jeweiligen Termine mit den Kochthemen werden regelmäßig auf der Homepage www.kochgut-bergischland.de veröffentlicht. Anmeldungen werden sowohl telefonisch als auch per E-Mail entgegengenommen. Die Kurse finden seit 2007 im Sozialpsychiatrischen Zentrum Parlamentstr. 20, in Wuppertal-Barmen statt.


Die Rechnung bitte!

Kochgut ist auf die Zuwendungen von Mitgliedern und Sponsoren angewiesen. Der Verein finanziert sein komplettes Angebot aus Spenden. Nur so ist es möglich, dass die behinderten Teilnehmer/innen einen geringen Eigenanteil von 5 Euro pro Kurstag zahlen. "Wir möchten nicht, dass es für den geistig Behinderten eine Frage der Finanzen ist, ob er an einem Kochkurs teilnehmen kann oder eben nicht", klärt Doris Bender-Diebels auf. Es gibt viele Möglichkeiten die Arbeit des Vereins zu unterstützen.

So haben bereits einige Rockbands Benefizkonzerte abgehalten, ein in Wuppertal bekannter Gastronom veranstaltete in seinen Räumen ein "Musikalisches Dinner" zu Gunsten von Kochgut, das nach wenigen Tagen ausgebucht war und das Sozialpsychiatrische Zentrum stellt seine Räume kostenlos zur Verfügung.


Für Stammgäste und Neugierige

Auch im nächsten Jahr wird es ein vielfältiges kulinarisches Angebot an Kochkursen geben. Darüber hinaus stellt der Verein Kochgut aber Überlegungen an, wie in Zusammenarbeit mit staatlichen Bildungsträgern der Zugang zu Angeboten auch im Bildungs- und im Freizeitbereich für geistig Behinderte gewährleistet werden kann. Denn Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe. Deshalb möchte der Verein ein Projekt ins Leben rufen, das die Begleitung von einzelnen behinderten Menschen in Kursangebote ihrer Wahl vorsieht. Mit einer durch Ehrenamtliche realisierten Assistenz könnten die Menschen dann auch noch mehr Angebote der Volkshochschulen oder der Familienbildung wahrnehmen. "Wir sind da offen für Kooperationen sowie Realisierungsvorschläge und geben die Ergebnisse und Erfahrungen auch gern an weitere Einrichtungen und Vereine weiter", bietet Doris Bender-Diebels an.


KONTAKT
Doris Bender-Diebels
Vorsitzende
Jägerhofstr. 98
42119 Wuppertal
Tel. 0173-524 91 34
info@kochgut-bergischland.de
www.kochgut-bergischland.de


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2011, S. 20-21
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2012