Schattenblick →INFOPOOL →PANNWITZBLICK → PRESSE

RECHT/640: Mittagessen in Werkstätten ist Teil der Eingliederungshilfe (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1 - März 2009

Mittagessen ist Teil der Eingliederungshilfe
Ein Urteil des Bundessozialgerichts nutzt behinderten Menschen in Werk- und Förderstätten

Von Ursula Schulz


Behinderte Menschen in Bayern bekamen vor längerer Zeit mitgeteilt, dass sie in der Werkstatt nicht mehr kostenlos essen können (die LHZ berichtete). Viele mussten sich deshalb von der Mittagsverpflegung abmelden, da ihr Geld dafür nicht reichte. Das ist jetzt vorbei.


Ende 2008 verurteilte das Bundessozialgericht in Kassel in vier Revisionsverfahren den Bezirk Mittelfranken (einen überörtlichen Sozialhilfeträger in Bayern) dazu, die Kosten des Mittagessens in Werk- beziehungsweise Förderstätten zu übernehmen. Die Bundesrichter entschieden, dass das tägliche Mittagessen in den Werkstätten Teil der gewährten Eingliederungshilfe sei.

Dies ist ein bemerkenswerter Erfolg mit einer langen Vorgeschichte: Im Rahmen der so genannten "Hartz IV"-Gesetze gab es zum ersten Januar 2005 auch im Sozialhilferecht Neuerungen. Das Sozialgesetzbuch XII löste das Bundessozialhilfegesetz ab. Die Besucher von Werk- und Förderstätten in Bayern erhielten daraufhin Bescheide, in denen die sieben bayerischen Bezirke als überörtliche Sozialhilfeträger und Kostenträger für die Eingliederungshilfe in Werk- und Förderstätten es ablehnten, in Zukunft das Mittagessen zu finanzieren. Sie verwiesen auf die örtlichen Träger der Grundsicherung, die ab 2005 für den Lebensunterhalt zuständig seien. Die Landkreise und Städte wollten die Kosten für das Mittagessen aber auch nicht übernehmen.

Für die behinderten Menschen bedeutete dies, dass sie zusätzlich zwischen 50 und 60 Euro monatlich (bei täglichen Kosten von 2,50 bis 3 Euro pro Mittagessen) ausgeben mussten. Viele Menschen mit Behinderung konnten sich dies nicht mehr leisten.

Der Lebenshilfe-Landesverband setzte sich von Anfang an politisch für die Belange der Betroffenen ein: Schreiben gingen an die bayerischen Bezirke, an die Sozialministerin, an den Landtag. Alle betonten, sie wollten doch den Menschen mit Behinderung nichts wegnehmen, ihnen seien aber aufgrund der neuen Rechtslage die Hände gebunden. Die Problematik trat jedoch nur in Bayern auf, während in den anderen Bundesländern das Mittagessen weiterhin von den Sozialhilfeträgern übernommen wurde.

Damit wollten sich einige Betroffene und ihre Angehörigen nicht abfinden. Sie machten sich deshalb mit Unterstützung des bayerischen Lebenshilfe-Landesverbandes auf den Weg durch die sozialgerichtlichen Instanzen. Nach fast vier Jahren und vielen Niederlagen in erster und zweiter Instanz blieb nur noch das Bundessozialgericht als letzte Hoffnung.

Erfreulicherweise folgte das Bundessozialgericht im Gegensatz zu den Vorinstanzen den Argumenten der Kläger und der Lebenshilfe: Im Dezember 2008 (u. a. Az: 8/9b SO 10/07 R) entschied es, dass das Mittagessen in Werk- und Förderstätten als integraler Bestandteil der Eingliederungshilfemaßnahmen in Werkstatt und Förderstätte zu sehen sei. Diese Maßnahmen seien ganzheitlich zu sehen und dienten auch der Persönlichkeitsentwicklung der behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die behinderungsspezifischen Bedürfnisse der behinderten Menschen seien dabei zu berücksichtigen.

Zur Tagesstruktur gehöre auch ein warmes Mittagessen, das somit Teil der Sachleistung sei. Auf eine landesrechtliche Trennung der Zuständigkeiten für Eingliederungshilfe und Grundsicherung (wie in Bayern) komme es deshalb nicht an, weil für die Eingliederungshilfe zweifelsfrei der überörtliche Sozialhilfeträger zuständig sei.

Das Durchhaltevermögen der Kläger hat sich also am Ende gelohnt: Auch in Bayern müssen die Bezirke nun wieder für das Mittagessen in Werk- und Förderstätten aufkommen. Es bleibt allerdings dabei, dass Grundsicherungsempfänger den Anteil selbst tragen müssen, der in ihrem Regelsatz fürs Mittagessen vorgesehen ist. Das sind durchschnittlich etwa 1,70 Euro täglich. Da aber in den meisten Fällen das Mittagessen in den Werk- und Förderstätten deutlich mehr als der in der Grundsicherung enthaltene Betrag kostet, sind die Betroffenen wenigstens teilweise entlastet.


Urteil ist auch für andere Bundesländer wichtig

Somit sind bayerische Werk- und Förderstättenbesucher nicht mehr schlechter gestellt als ihre Kollegen aus anderen Bundesländern. Aber auch für die anderen Bundesländer ist die Feststellung des Bundessozialgerichts wichtig, denn einige wollten sich bereits der bayerischen Lösung anschließen und das Mittagessen nicht mehr bezahlen.


Ursula Schulz ist Rechtsberaterin des Lebenshilfe-Landesverbands Bayern.


*


Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1/2009, 30. Jg., März 2009, S. 8
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
Bundesgeschäftsstelle, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Telefon: 06421/491-0, Fax: 06421/491-167
E-Mail: lhz-redaktion@lebenshilfe.de
Internet: www.lebenshilfe.de

Die Lebenshilfe-Zeitung mit Magazin erscheint
jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2009