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RECHT/673: Krankenkassen müssen Kosten für Badeprothesen tragen (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2010

KRANKENVERSICHERUNG
Krankenkassen müssen Kosten für Badeprothesen tragen...

Von Peter Brünsing


Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich im Juni 2009 in mehreren Urteilen mit der Übernahme der Kosten für Badeprothesen auseinander setzen müssen.

Im einen Fall ging es darum, dass ein Mann mit einer wasserfesten Unterschenkelprothese versorgt werden wollte, um damit zum einen schwimmen gehen zu können, zum anderen aber auch, um zu Hause duschen und baden zu können. Zudem sei sie für nächtliche Toilettengänge vorteilhaft, weil sie sich schneller anlegen lasse als die sonst im Alltag benutzte Prothese.

Nachdem das Sozialgericht (SG) der Klage zunächst stattgegeben hatte, wies das Landessozialgericht (LSG) hingegen die Klage ab mit der Begründung, dass die Funktion des Gehens und Stehens auch bis zum Rand eines Schwimmbeckens und eines Gewässers durch die vorhandene Laufprothese sichergestellt sei. Das Schwimmen selbst gehöre nicht zu den elementaren menschlichen Grundbedürfnissen. Zwar habe das BSG im Jahre 1979 entschieden, dass schwimmen auch Beinamputierten der Befriedigung des Grundbedürfnisses auf sportliche Betätigung zur allgemeinen gesundheitlichen Vorsorge diene, sodass eine Badeprothese von der Krankenkasse (KK) zur Verfügung gestellt werden müsse. Diese Rechtsprechung sei jedoch überholt. Für sportliche Freizeitaktivitäten sei die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nicht eintrittspflichtig. Aus diesem Grunde könne der Kläger mehr als die angebotenen Latex-Überzüge für die Standardprothese nicht verlangen. Sofern dieser Beinschutz nicht wasserdicht abschließe und die Alltagsprothese deshalb beschädigt werden sollte, gehe dies zu Lasten der beklagten KK, die dann eine neue Prothese zur Verfügung stellen müsse, sodass dem Kläger insoweit kein Nachteil drohe. Im häuslichen Bereich sei der Kläger auf kostengünstigere Hilfsmittel zu verweisen (Duschhocker, Badewannen-Lift, Unterarmgehstützen). Dieser Argumentation folgte das BSG allerdings nicht. Es führte in seiner Entscheidung vielmehr aus, dass die Leistungsablehnung rechtswidrig sei, weil die Badeprothese im vorliegenden Fall zum Behinderungsausgleich erforderlich sei.

Bei der Leistungserbringung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V stehe im Vordergrund zwar der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Daneben könnten Hilfsmittel aber auch den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). Sowohl für den unmittelbaren als auch für den mittelbaren Behinderungsausgleich bestehe im Einzelfall ein Anspruch auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel-Versorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb bestehe kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet sei.

Die Vorgerichte hätten fälschlicherweise die Grundsätze des mittelbaren Behinderungsausgleichs angewandt, obgleich hier allein die Grundsätze des unmittelbaren Behinderungsausgleichs heranzuziehen seien.

Beinamputierte Versicherte, die mit einer normalen Laufprothese versorgt seien, könnten von der KK die zusätzliche Versorgung mit einer wasserfesten Prothese (Badeprothese, Schwimmprothese) verlangen, um sich zu Hause in Bad und Dusche sowie außerhalb der Wohnung im Schwimmbad sicher und ohne Gefahr der Beschädigung der regelmäßig nicht wasserfesten Alltagsprothese bewegen zu können. Maßgeblich sei, dass eine Badeprothese - anders als die Beklagte und das LSG angenommen haben - dem unmittelbaren Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter diene und ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein sicheres Gehen und Stehen ermögliche. Dabei komme es nicht darauf an, dass der Besuch eines Schwimmbades einer sportlichen Betätigung beziehungsweise einer Freizeitbeschäftigung diene (Schwimmen, Wassergymnastik) und solche Aktivitäten nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehörten. Dem Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese könne auch nicht entgegengehalten werden, dass es am Markt Kunststoff-Überzüge gebe, die über die vorhandene Alltagsprothese zu ziehen seien und diese vor Wasserschäden schütze. Dabei handele es sich nicht um eine in vollem Umfang gleichwertige Versorgungsalternative.

Beinprothesen seien Körperersatzstücke gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie dienen dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallener Funktion. Sie sind auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet und dienen der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen sei, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Beinprothese gehe es um das Grundbedürfnis auf möglichst sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet sei. Diese Funktion müsse in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden.

Daran sei anzuknüpfen, wenn es um die Versorgung mit einer Badeprothese gehe. Die normale Beinprothese habe einen Gebrauchsnachteil, weil sie nicht dort zu verwenden sei, wo der Benutzer beim Gehen und Stehen mit Wasser in Kontakt komme. Durch den Kontakt mit Wasser bestehe die große Gefahr einer Beschädigung, sodass die Beklagte zur Reparatur beziehungsweise zum Ersatz verpflichtet wäre, was erhebliche Kosten verursachen würde. Außerdem sei der Fuß einer normalen Laufprothese so ausgelegt, dass er mit Schuhen getragen werde. Im Schwimmbad sei das Tragen von Straßenschuhen in aller Regel verboten, ohne Schuhe bestehe eine besondere Rutschgefahr. Unterarmgehstützen böten nicht den gleichen Halt wie eine Beinprothese und sind für die Gang- und Standsicherheit nur ergänzend heranzuziehen. Die normale Laufprothese ist beim Aufenthalt im und am Wasser (Schwimmbad, Fluss, See) ungeeignet. Dieser Gebrauchsnachteil wird durch die zusätzliche Ausstattung mit einer Badeprothese kompensiert. Die Badeprothese gleicht praktisch das Funktionsdefizit der Alltagsprothese im Nassbereich aus.

Dieses Urteil des BSG vom 25.06.2009 trägt das AZ: B 3 KR 2/08 R.


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In einer weiteren Entscheidung hatte sich das BSG mit einem vergleichbaren Fall auseinander zu setzen. In diesem zweiten Fall ging es um eine Frau, die oberschenkelamputiert war und ebenfalls die Versorgung mit einer Badeprothese beantragt hatte. Dieser Antrag war jedoch von der zuständigen KK ebenso abgelehnt worden, wie der geltend gemachte Anspruch durch das LSG.

Erschwerend kam bei dem Antragsteller hinzu, dass nach der Oberschenkelamputation lediglich ein kurzer Knochenstumpf mit sehr viel Weichteilüberhang verblieben war, der neben wenig Muskulatur und einem Neurom sowie einer tiefen Narbe die Stumpfverhältnisse verkomplizierte. Insgesamt lagen somit ungünstige Voraussetzungen für die Versorgung mit einer Beinprothese vor. Das LSG hatte die Ablehnung der Badeprothese daher u.a. auch damit begründet, dass die Klägerin bereits die vorhandene Laufprothese zu Hause wenig bis gar nicht nutze, sondern sich dort überwiegend mit einem Gehbock behelfe. Außerhalb der Wohnung könne die Klägerin mit der Alltagsprothese und unter ständiger Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstützen zwar Strecken bis maximal 300 m zurücklegen, werde aber meist im Rollstuhl geschoben, weil das Gehen mit der Prothese nur sehr langsam möglich und von Unsicherheit geprägt sei. Voraussetzung für das Tragen einer wasserfesten Prothese, die weniger komfortabel ausgestattet sei als eine normale Laufprothese, sei nach Ansicht des LSG aber der sichere Umgang mit der Alltagsprothese, weil in den Nassbereichen von Bad, Dusche und Schwimmbad die Sturzgefahr besonders groß sei. Da die Klägerin besonders große Schwierigkeiten im Umgang mit der Alltagsprothese habe, sei davon auszugehen, dass ihr ein sicheres Gehen und Stehen im Nassbereich mit einer Badeprothese ebenfalls nicht möglich sei. Da das LSG allerdings diese Feststellung getroffen hatte, ohne die weitere Aussage eines Sachverständigen in die Beweiswürdigung einzubeziehen und ohne eine praktische Überprüfung mit einer angepassten Badeprothese durchzuführen, verwies das BSG die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurück mit der Maßgabe, die bereits im ersten Urteil ausgeführten Rechtsgrundsätze zu beachten.

Das Urteil des BSG vom 25.06.2009 trägt das AZ B 3 KR 19/08 R.


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In seiner dritten Entscheidung zur Thematik Versorgung mit einer Badeprothese ging es um die spezielle Frage, ob ein Anspruch gegenüber der KK auf Versorgung mit einer speziellen salzwasserfesten anstelle einer normalen (süßwasserbeständigen) Badeprothese bestehe.

Hier vertrat das BSG die Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 33 SGB V im Hinblick auf die Versorgung mit einer salzwasserbeständigen Beinprothese nicht erfüllt seien. Die Leistungsablehnung sei vielmehr rechtmäßig, weil die Badeprothese in diesem Fall nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich sei.

Im Vordergrund stehe der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gelte das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei, entfalle, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis beziehe; die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion sei als solche ein Grundbedürfnis. Daher könne die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstand sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht sei.

Der grundsätzlich gegebene Anspruch eines beinamputierten Versicherten auf Versorgung mit einer Badeprothese werde durch die Bereitstellung einer normalen (süßwasserfesten) Prothese erfüllt. Das Funktionsdefizit einer Alltagsprothese sei dadurch im häuslichen Nassbereich vollständig und im außerhäuslichen Bereich im Wesentlichen erfüllt, weil es den Aufenthalt in herkömmlichen Schwimmbädern ermögliche. Nicht geeignet sei eine süßwasserfeste Prothese lediglich für den Aufenthalt im und am Salzwasser, also in Salzwasser-Schwimmbädern und am Meer. Einen Ausgleich dieses Gebrauchsnachteils der ihm zur Verfügung gestellten Badeprothese könne der Kläger jedoch nicht verlangen. Entscheidend sei insoweit, dass die salzwasserfeste Badeprothese dem Kläger nicht wie bei der normalen Badeprothese in erster Linie das gefahrlose Gehen und Stehen im Nassbereich innerhalb und außerhalb der Wohnung überhaupt erst ermöglichen soll, sondern dass der Aufenthalt in einer ganz speziellen Umgebung im Vordergrund stehe.

In solchen Konstellationen komme es maßgeblich darauf an, ob die jeweilige "Zusatzfunktion" eines - in der Grundausführung dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden - Hilfsmittels (hier: die Salzwasserfestigkeit) notwendig sei, den besonderen Bedürfnissen eines behinderten Menschen zur Bewältigung seines Alltags unter Berücksichtigung der speziellen Grundsätze und Gebote des Sozialgesetzbuchs IX Rechnung zu tragen. Dies ist hier zu verneinen. Es geht lediglich um eine marginale Einschränkung der Alltagsgestaltung, die dem Kläger zuzumuten ist, weil sie weder seine Selbstbestimmung noch seine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft fühlbar beeinträchtigt und der Gebrauchsnachteil durch einen vom Versicherten zu tragenden Mehrkostenanteil vermieden werden kann.

Ein längerer jährlichen Erholungsurlaub sei zwar als Grundbedürfnis eines Menschen anerkannt, die GKV habe aber nicht für bestimmte Arten einzustehen, den Urlaub zu verbringen. Einem Versicherten sei zuzumuten, sich bei der Urlaubsplanung auf die vorhandenen Hilfsmittel einzustellen, hier: den Urlaub nicht am Meer zu verbringen, sondern an einem anderen Ort, beispielsweise an einem Binnensee.

Das Urteils des BSG vom 25.06.2009 trägt das AZ: B 3 KR 10/08 R.


DER AUTOR

Peter Brünsing ist Leiter des Referats Recht und Justiziar der BAG SELBSTHILFE.


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2010, S. 40-42
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011