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SPORT/370: "Special Olympics - Leidenschaft, Begeisterung und Gemeinschaft" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 44 / 1. November 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Special Olympics - Leidenschaft, Begeisterung und Gemeinschaft"

Vortrag von DOSB-Vizepräsidentin Prof. Gudrun Doll-Tepper bei der 20-Jahr-Feier von SOD in Berlin


In der vorigen Woche hat Special Olympics Deutschland (SOD) in Berlin das 20-jährige Bestehen gefeiert. Beim Festakt vor rund 250 Gästen hielt Prof. Gudrun Doll-Tepper, DOSB-Vizepräsidentin für Bildung und Olympische Erziehung, die Festrede über Vergangenheit und Gegenwart der Sportorganisation für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Die DOSB-PRESSE dokumentiert den Vortrag in den wesentlichen Auszügen.

"(...) Special Olympics - das verbinde ich mit unvergesslichen Ereignissen und Erlebnissen. Ich möchte mit einer - vor allem für uns in Deutschland - wichtigen Station beginnen: die Special Olympics Games 1983 in Baton Rouge, Louisiana, USA. Im Vorfeld dieser Spiele hatte es in Deutschland sehr kontroverse Diskussionen um die Beteiligung einer deutschen Delegation gegeben - viele von Ihnen werden sich daran erinnern!

Ich habe meinen Ordner der Ereignisse von 1982 und 1983 hervorgeholt, die Positionspapiere und mein Protokoll der Sitzung am 17. März 1983, bei dem der damalige Generalsekretär des DSB, Herr Gieseler, eine Stellungnahme des Präsidiums des DSB vortrug. In meinem Protokoll steht: 'Er sorgte damit für starken Zündstoff, der die Gespräche für längere Zeit prägte.'

Kurz gefasst lassen sich die Schwierigkeiten so beschreiben: Das Special Olympics Konzept und eine amerikanische Sportorganisation traf in Deutschland auf ein lange bestehendes, komplexes und sehr strukturiertes Sportsystem: Dort eine eher unternehmerisch geführte Special Olympics Sportorganisation, die auf der Joseph Kennedy Jr. Foundation, gegründet 1946, basierte, zunächst von Edward Kennedy als Präsident geleitet, dann unter Führung von seiner Schwester Eunice Kennedy Shriver, hier ein differenziertes Sportsystem, unterteilt in Verbände und Vereine.


Everybody is a Winner

Dort ein sportliches Wettkampfsystem, in dem eine Einteilung nach jeweiliger Leistungsstärke des Einzelnen vorgenommen wurde, hier ein Wettkampfsystem auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene verbunden mit der Vergabe von Meistertiteln auf allen Ebenen, aber eben jeweils nur einem Sieger in einer Klasse, anders als bei Special Olympics, das auf dem Motto 'Everybody is a winner' basiert und bei dem Sportler im Wettkampf nur gegen Sportler gleicher Leistungsstärke antreten. Das miteinander zu vereinbaren, schien zumindest in den 1980er Jahren kaum möglich. Also wollte man von Seiten des organisierten Sports in Deutschland keine Teilnahme.

Es fuhren aber doch 1983 zu den Special Olympics Games deutsche Sportler und Sportlerinnen mit einer geistigen Behinderung mit ihren Begleitern, die Trainer Thommes, Siebert und Umbenhauer und die Delegierten Kapustin und Kräling, in die USA. Ich hatte von Eunice Kennedy Shriver auch eine Einladung nach Baton Rouge erhalten und saß zufällig in derselben Maschine (Pan Am!) mit der deutschen Gruppe auf dem Flug in die USA.

Was wir dort erlebten, war tief beeindruckend: Tausende von Volunteers, eine unbeschreibliche Begeisterung der Menschen für die Athleten in der Bevölkerung, eine Eröffnungsfeier mit 65.000 Zuschauern und ich lernte einen englischen Begriff kennen, 'Celebrities', also berühmte Personen. Die erste 'Celebrity' traf ich im Fahrstuhl im Hotel und dann im Stadion: Arnold Schwarzenegger; es waren viele andere da, Künstler, Musiker, Schauspieler, Politiker, Wirtschaftsvertreter - es war ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem jeder dabei sein wollte!


Begeisterung, aber auch Ängste

Die deutschen Sportler und ihre Betreuer waren begeistert von diesem Sportereignis. Aber es gab auch Ängste: Einer der deutschen Sportler, der noch nie vorher dunkelhäutige Menschen gesehen hatte, wollte doch lieber bald nach Hause fahren: die Hitze, die Sonne - er fürchtete auch ein 'Schwarzer' zu werden, und dann würden ihn seine Eltern nicht wiedererkennen.

Ich könnte noch viele solcher Episoden schildern und viele von Ihnen haben da auch so manches zu berichten. Das werden wir dann später tun! Den Special Olympics Games in Baton Rouge waren viele Treffen, Initiativen und Workshops in Deutschland vorausgegangen, an denen Lehrkräfte von Sonderschulen und Vertreter der Bundesvereinigung Lebenshilfe und - natürlich auch Sportverbänden - und von weiteren Verbänden und Institutionen, z. B. Hochschulen, beteiligt waren.

Bereits im Juni 1981 hatten deutsche Sportler mit einer geistigen Behinderung an den 1. Europäischen Spielen von Special Olympics in Nivelles bei Brüssel teilgenommen und dabei das spezielle Sportsystem kennengelernt. Den gesamten historischen Verlauf der Entwicklung hat Karl-Heinz Thommes beschrieben und ihm möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich dafür danken, ist er doch ein besonderer Wegbereiter für Special Olympics in Deutschland. Auf die Darstellung der Inhalte und Ergebnisse der vielen Sitzungen und Gespräche, die seit Beginn der 1980er Jahre in Deutschland stattfanden, will ich verzichten.


Außerordentlich interessantes Kapitel deutscher Sportgeschichte

Festzuhalten ist, dass die Gründung einer eigenständigen Organisation Special Olympics in Deutschland lange diskutiert wurde, ein außerordentlich interessantes Kapitel deutscher Sportgeschichte. Aus internationaler Perspektive sind die Special Olympics seit den 1. Spielen auf dem Soldier Field in Chicago 1968 sicher eine Erfolgsgeschichte, mit den im Vierjahresturnus stattfindenden Sommerspielen, die letzten fanden 2011 in Athen mit über 7.000 Sportlern und Sportlerinnen statt und ebenfalls im Vierjahresturnus stattfindenden Winterspielen, die 2013 in Pyeongchang in Südkorea stattfinden werden.

'Celebrities' unterstützten mit großem Engagement diese Sportbewegung, dazu gehören u. a. Bruce Willis, Eric Clapton, Michael Jordan, Muhammad Ali, Nadia Comaneci, Sheryl Crowe und Stevie Wonder, um nur einige zu nennen.

Doch zurück nach Deutschland: die Idee von Special Olympics wurde zwar von vielen positiv gesehen, eine eigenständige Organisation gab es aber in den 1980er Jahren nicht. Das wiederum verursachte Probleme bei der amerikanischen Leitung im Headquarter von Special Olympics in Washington und hatte Folgen für die Einstufung der deutschen Delegation.

Dann kam der 9. November 1989 und die Wiedervereinigung unseres Landes. Sehr schnell hatte Special Olympics International Kontakt mit Kollegen in Ost-Berlin aufgenommen und im Sommer 1990 fand in der Wuhlheide in Köpenick das 1. Sportfest für Sportler mit geistiger Behinderung statt. Bei einem Treffen im März 1991, an dem alle beteiligten Personen und Vertreter der Verbände sowie von Special Olympics International teilnahmen, verständigte man sich auf die Gründung des 'Vorläufigen Nationalen Komitees Special Olympics Deutschland', dem dann wenige Monate später die Gründung 'Special Olympics Deutschland' am 3. Oktober 1991 folgte - also an einem historischen Tag -, mit dem Präsidenten Prof. Kapustin und der Nationalen Direktorin Nives Ebert in der Geschäftsstelle in Würzburg.

Heute ist die Bundesgeschäftsstelle in Berlin, geleitet vom Bundesgeschäftsführer Sven Albrecht und seinem Team und mit dem Präsidenten Gernot Mittler und seinem Präsidium. Seit 2007 ist 'Special Olympics Deutschland' eine Mitgliedsorganisation im Deutschen Olympischen Sportbund in der Kategorie Verbände mit besonderen Aufgaben.


Mut mache, die Stimme erheben

Zu den Besonderheiten von Special Olympics gehört es, dass es neben dem sportlichen Programm eine Vielzahl von weiteren Angeboten gibt, so vor allem Gesundheitsprogramme unter dem Motto Healthy Athletes, wie Gesunde Zähne, Gesunde Füße, Gesunde Ohren, Gesunde Augen u. a. - das ist wirklich beispielhaft - und außerdem das Programm Unified Sport, bei dem Menschen mit und ohne geistige Behinderung ein sportliches Team bilden. Ein Familienprogramm, das Projekt FußballFREUNDE, und die SOD-Akademie sind weitere bemerkenswerte Initiativen. Das Projekt JETST von SOD und der dsj will helfen, dass sich junge Menschen mit und ohne geistige Behinderung ehrenamtlich engagieren und dabei ermutigt werden, Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen.

Im Mittelpunkt aller Aktivitäten steht dabei ein Begriff Empowerment, der sich nicht leicht ins Deutsche übersetzen lässt: er beinhaltet: Mut machen, Selbstbewusstsein stärken, seine Stimme erheben. Im Mittelpunkt steht also der Mensch, der Athlet! Deshalb ist auch das Athlete Leadership Programme sehr bemerkenswert. Es geht also nicht nur um Sport, sondern um die Vermittlung von Kompetenzen im Alltag!

Im März 2009 ist in Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit einer Behinderung in Kraft getreten. Special Olympics Deutschland hat sich sehr detailliert damit beschäftigt und viele Vorschläge für den Umgang gemacht. Mit der Umsetzung im Sinne einer Inklusion, einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen mit einer Behinderung in allen gesellschaftlichen Bereichen, also auch im Sport, sind wir alle gefordert. (...)


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 44 / 1. November 2011, S. 19
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011