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TAGUNG/246: Erstes Fachforum für gelingende Kommunikation in Bethel (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Januar 2009

Fachforum für gelingende Kommunikation in Bethel
Möglichkeiten zum Dialog, ohne zu reden

Von Silja Harrsen


Herr W. spricht nicht. Stattdessen macht er Handzeichen. Herr W. hatte deswegen früher ein Problem. Niemand wusste, was seine Gesten bedeuteten. Und das machte ihn jedes Mal wütend. "Er hat seine eigene Kommunikation und begriff nicht, warum wir ihn nicht verstanden haben", berichtet René Meistrell, Mitarbeiter im Haus Siloah in Bielefeld-Bethel. Beim ersten Fachforum "Gelingende Kommunikation mit Menschen, die nicht reden" schilderte er Ende November in der Theaterwerkstatt, wie er die Sprache von Herrn W. kennen gelernt hat.


Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit Menschen auszutauschen. Die Sprache ist nur eine davon. Birgit Clausen vom Betheler Fachdienst Mototherapie sucht den Dialog mit Menschen, die komplexe Behinderungen haben, durch Berührungen. "Es gibt unterschiedliche Arten körperlicher Reize. Ich kann den Druck der Berührung erhöhen, den Rhythmus verändern, ich kann punktuell oder großflächig arbeiten. Je stärker die Behinderung, desto wichtiger die Berührung", erläuterte Birgit Clausen.

Andere suchen den Kontakt zu Menschen, die sich nicht öffnen können, durch Klänge, Melodien und Rhythmen. "Das Medium Musik gibt den Klienten einen Spielraum zum Erleben und zum Entfalten individueller Ressourcen und Potenziale. Unsere Angebote richten sich auch an Menschen, die sich nicht öffnen wollen. Auch für sie gibt es noch etwas Spannendes zu entdecken", hat Musiktherapeut Ingo Drebes festgestellt.


Kommunikationsbuch

Ob Musik, Berührung, Theater oder Gebärden: Bei dem ersten Fachforum zur gelingenden Kommunikation wurden die unterschiedlichen Ansätze und Methoden vorgestellt, mit denen die Dienste in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in den Kontakt zu Menschen mit komplexen Behinderungen treten. "Mit der Veranstaltung haben wir einen Nerv getroffen. Wir hatten mehr Anmeldungen als Plätze und mussten vielen Interessierten absagen", so Matthias Gräßlin, Leiter der Theaterwerkstatt. Über 70 Fachleute aus Bethel, Ostwestfalen-Lippe und dem Stiftungsbereich vorOrt nutzten die Möglichkeit zum Austausch.

Bei der Fachtagung erfuhren die Teilnehmenden auch mehr über die Kommunikation von Herrn W. und die Entschlüsselung seiner Gebärden. "Die Zeichen haben ausschließlich mit seiner Lebenswelt zu tun. Und die dreht sich fast nur um Bälle", hat René Meistrell nach monatelangen Beobachtungen herausgefunden. Herr W. spielt nicht mit Bällen, sondern trägt sie umher. "Wenn er die rechte Hand unter die linke Achsel schiebt, bedeutet das weder Deo noch Duschen, sondern Ball. Denn genau dort befindet sich der Ball, den er herumträgt." Zeichen für Zeichen hat René Meistrell in Sprache übersetzt und in einem Kommunikationsbuch festgehalten. "Es hat fast ein Jahr gedauert, um die Bedeutung der wichtigsten Zeichen herauszufinden", so René Meistrell. Die Arbeit hat sich gelohnt. Seitdem Herr W. besser verstanden wird, ist er nicht mehr so aggressiv.


Zeit für Bewohner

"Vielleicht hat Aggression bei Menschen mit komplexen Behinderungen auch etwas mit den Mitarbeitenden zu tun", stellte Heinz Pohlmeier vom Arbeits- und Förderangebot Smyrna in den Raum. Er beschäftigt sich mit Menschen, die aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten nicht in den Werkstätten arbeiten können. "Wir, die Mitarbeitenden, sind längst nicht immer präsent für die Menschen, die uns brauchen. Das Telefon klingelt, die Kollegen wollen etwas von einem, und wir bekommen nicht mit, dass da noch einer ist, der etwas von uns will." Kommunikation brauche immer ein Gegenüber, um gelingen zu können. Deshalb solle sich jeder, der mit Menschen mit komplexen Behinderungen arbeite, selbstkritisch hinterfragen, wie viel Zeit er am Arbeitsplatz mit anderen Dingen anstatt mit den Bewohnern verbringe.


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Quelle:
DER RING, Januar 2009, S. 18-19
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2009