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TAGUNG/256: Trauma-Tagung in Bethel - Die Psychologie auf neuen Wegen (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Juni 2009

Trauma-Tagung in Bethel
Die Psychologie auf neuen Wegen

Von Silja Harrsen


Das Video zeigt einen kleinen Jungen, der mit verschiedenen Gegenständen hantiert. Die Mutter sitzt daneben. Als beim Basteln etwas schief läuft, wendet er sich hilfesuchend an seine Mutter. Keine Reaktion. Er fängt an zu weinen, er schreit, er schlägt den Kopf auf den Tisch. Keine Reaktion. "Wenn eine Bindungsperson ein ungelöstes Trauma hat und nicht helfen kann, wirkt das auch auf das Kind traumatisierend", informierte der Kinder- und Jugendpsychiater Priv.-Doz. Dr. Karl Heinz Brisch von der Ludwig-Maximilian-Universität in München.


"Bei einer traumatisierten Hauptbindungsperson - das ist in der Regel die Mutter - stellen wir Auffälligkeiten in der Interaktion mit ihrem Kind fest", erläuterte der Facharzt. Sie sei ängstlich, hilflos, und schlimmstenfalls mache sie dem Kind selbst Angst, wenn sie ihr ungelöstes Trauma wiederhole und dabei zu Mitteln der Gewalt greife." Wenn Kinder keine Sicherheit erfahren, entsteht kein Urvertrauen. Diese Störung geben sie dann an ihre Kinder weiter und die wieder an die nächste Generation", sagte Dr. Brisch. Sein Forschungsschwerpunkt umfasst den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Entstehung von Bindungsstörungen.

Im Tierversuch konnte nachgewiesen werden, dass die traumatisierte Mutter das Trauma nicht nur durch ihr Verhalten weitergibt, sondern auch genetisch vererbt. Tierversuche, so der Experte, ließen sich in punkto Psychotrauma leicht auf Menschen übertragen, denn Tiere reagierten genauso wie Menschen mit Kampf oder Flucht." Bei Mäusebabys gestresster Mäusemütter haben wir ein verändertes Gen festgestellt. Die Babys waren viel schreckhafter als die ungestresste Kontrollgruppe", berichtete Dr. Karl Heinz Brisch. Bei der Frühadoption der gestressten Mäusekinder durch eine ruhige Kontrollmutter bildete sich die Gen-Modifikation wieder zurück. "Veränderungen sind also möglich, auch bei traumatisierten Kindern, wenn sie in eine sichere Umgebung kommen", bekräftigte der Jugendpsychiater.

Ein Psychotrauma hinterlässt nicht nur Veränderungen in den Genen, im Denken und Fühlen, sondern auch in den Gehirnstrukturen. "Dauerhafte Übererregungszustände und Stresshormone wirken sich ungünstig auf bestimmte Hirnregionen aus, zum Beispiel auf den Hippocampus, die Amygdala und den Precuneus", betonte Prof. Dr. Ulrich Sachsse von der Asklepios Fachklinik in Göttingen. Der Precuneus ist unter anderem zuständig für die Selbstbewertung und Reflexion der eigenen Persönlichkeit und Handlungen. Zu den vielfältigen Symptomen von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) gehört auch, dass sie sich vom Körper abgetrennt und unwirklich fühlen. In der Magnetresonanzdarstellung konnte nachgewiesen werden, dass Frauen, die aufgrund von schlimmsten Kindheits- und Missbrauchserfahrungen unter BPS leiden, einen verkleinerten Precuneus aufweisen.

Mit den Ergebnissen aus der Hirnforschung können die Kritiker widerlegt werden, die psychiatrische Erkrankungen, wie Traumata und die Borderline-Persönlichkeitsstörung, als Verlegenheitsdiagnose und Modeerscheinung abgetan haben. Die Psychologie kann mittlerweile bestimmte Krankheitsbilder anhand von Magnetresonanzdarstellungen des Gehirns beweisen. "Aber von hirnphysiologischen Störungen auf Krankheitsbilder zu schließen, das können wir noch nicht, sind aber auf dem besten Weg dahin", bestätigte Prof. Dr. Sachsse.


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Quelle:
DER RING, Juni 2009, S. 7
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2009