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TAGUNG/269: Als Opfer von Gewalt müssen Männer doppelt leiden (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Dezember 2010

Fachtagung des Bewegungs- und Sporttherapeutischen Dienstes Bethel
Als Opfer von Gewalt müssen Männer doppelt leiden

Von Petra Wilkening


Ein Mann, der weint, der Schwäche zeigt? Ganz schön peinlich, das ist doch kein "richtiger" Mann! Ein veraltetes, aber immer noch gängiges Rollenverständnis lässt Jungen und Männer, die Opfer von Gewalt werden, ein doppeltes Trauma erleben: Sie machen Schlimmes durch - und sind gezwungen, stumm zu bleiben. Der Bewegungs- und Sporttherapeutische Dienst Bethel (BSD), seit langem mit dem Thema "Selbstbehauptung" befasst, griff das Tabu im November mit seiner Fachtagung "MännerStärken" auf.


"Opfer zu sein ist in der männlichen Sozialisation ein Makel", stellte der Freiburger Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Lenz vor den 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Neuen Schmiede in Bielefeld-Bethel fest. Jungen werde ihre Schutzbedürftigkeit selten zugestanden, Misshandlungen an ihnen seien jahrzehntelang verschwiegen worden. Und gehe es gar um das schambesetzte Thema sexualisierter Gewalt, werde männlichen Opfern unterstellt, sie könnten doch gar nicht vergewaltigt werden, der Übergriff müsse doch mit ihrer Einwilligung geschehen sein. "Bei den Männern gibt es heute die gleiche Situation wie bei den Frauen, als in den 80er-Jahren das Thema 'Gewalt gegen Frauen' aufkam", so Hans-Joachim Lenz. "Wir befinden uns in einer Vorstufe - es fehlt an empirischer Forschung, und politisch wird das Thema verleugnet."

Auch Prof. Dr. Michael Seidel, Geschäftsführer im Betheler Stiftungsbereich Behindertenhilfe, wies darauf hin, dass das Thema noch längst nicht in der Öffentlichkeit angekommen sei. Da es noch an Wissen fehle, müssten Forschungsressourcen bereitgestellt werden. "Wir brauchen wie für die Frauen auch für die Männer Hilfesettings, damit sie mit psychischen Traumatisierungen fertig werden können."

Das Bundesfamilienministerium gab 2004 eine Pilotstudie in Auftrag, an der auch Hans-Joachim Lenz beteiligt war. Sie war die erste Studie "zur gesamten Bandbreite der personalen Gewalt gegen Männer". Die Literaturlage sei aber nach wie vor schlecht, so der Sozialwissenschaftler. Was die Gewalt gegen behinderte Menschen betreffe, so habe das Ministerium im vergangenen Jahr zwar eine Studie zur Gewalt gegen behinderte Frauen in Auftrag gegeben, eine entsprechende Studie für Jungen und Männer sei aber nicht in Aussicht.

Die Einschränkung der kommunikativen Fähigkeiten, eine besondere emotionale Bedürftigkeit, soziale Isolation oder auch fehlendes Selbstbewusstsein verstärkten das Gefährdungsrisiko für behinderte Menschen, zitierte Hans-Joachim Lenz aus der im Jahr 2000 veröffentlichten Dissertation von Anja Dietzel. Amerikanische Studien zeigten für die 1980-er/1990er-Jahre, dass 40 Prozent aller behinderten Jungen Opfer sexueller Gewalt seien. Je stärker jemand eingeschränkt sei, desto höher sei das Risiko und desto schwerer sei es auch, Zugang zu dem Betroffenen zu finden, um Geschehenes aufzudecken.

Während der Fachtagung hat sich ein Netzwerk mit Fachleuten aus Bethel, von Profamilia, dem Deutschen Behindertensportverband, dem Landessportbund Fritzlar, der Beratungsstelle "man-o-mann" und der Manfred Kaulen Stiftung gebildet. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, kann den Kontakt zu der Gruppe unter lutz.worms@bethel.de aufnehmen.


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Quelle:
DER RING, Dezember 2010, S. 15
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2010