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VERBAND/647: Integrationshilfen - 10 Jahre "Kava" in Bielefeld (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Oktober 2009

"Wir sind wie eine große Familie!"
Integrationshilfen: 10 Jahre "Kava" in Bielefeld

Von Miriam Pankatz


Drei Männer sitzen am Tisch und konzentrieren sich auf ein Kartenspiel. Andere beugen sich über die Tageszeitung. Manche sind dabei, mit Genuss ein belegtes Brötchen zu essen. Eine Frau und ein Mann sitzen bei einem Kaffee zusammen und unterhalten sich.


Wir befinden uns in der Kava in der Bielefelder Innenstadt. Die Betheler Einrichtung feierte im September ihren zehnten Geburtstag. Hier treffen sich täglich bis zu einhundert Menschen in besonderen Lebenslagen. Die meisten von ihnen haben einmal auf der Straße gelebt, manche tun es immer noch.

In der Einrichtung gibt es Frühstück und Mittagessen zum Selbstkostenpreis. Darüber hinaus kann hier auch geduscht und Wäsche gewaschen werden - ein Angebot, das besonders für Menschen wichtig ist, die keine eigene Wohnung haben.

Viele nutzen den Treffpunkt aber auch nur zu Gesprächen und dem gemeinsamen Aufenthalt. "Ich kann mich hier mit meinen Freunden treffen, wir sind wie eine große Familie", berichtet Alex. Die junge Frau kam mit achtzehn Jahren erstmals in die Kava. Damals lebte sie auf der Straße. Freunde nannten ihr die Adresse der Einrichtung, die zum Sozialdienst des Stiftungsbereichs Integrationshilfen gehört. Heute hat sie eine eigene Wohnung und ist Mutter zweier Kinder. Trotzdem zieht es sie regelmäßig in die Räumlichkeiten zu ihren Freunden. "Wir setzen uns zusammen und reden über alles Mögliche, zum Beispiel über unsere Projekte." Zu diesen gehört auch eine Theaterszene, die sie gemeinsam entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeier aufgeführt haben.


Hilfe zur Selbsthilfe

Den Betreuerinnen und Betreuern der Einrichtung ist es wichtig, dass die Besucherinnen und Besucher Hilfe zur Selbsthilfe bekommen und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. "Wir fördern die Kompetenzen der Menschen", so Karin Kammerer, Leiterin des Sozialdienstes. Zusammen mit dem Sporttherapeutischen Dienst des Betheler Stiftungsbereichs Behindertenhilfe wird die Teilnahme der Menschen an Kultur, Bildung und Sport gefördert. In diesem Zusammenhang werden die Räumlichkeiten der Kava auch einmal zum Schauplatz einer Kulturveranstaltung, wenn die selbstverfassten Gedichte vorgelesen werden, wenn eine Band spielt oder wenn eine Theateraufführung stattfindet. Dabei sind auch immer Menschen willkommen, die selbst noch nie auf der Straße gelebt haben: Das fördert den Austausch.


Kein Wohnungsersatz

Aber auch jenseits von kulturellen Angeboten gibt es immer etwas zu tun: Winko und Cheech, zwei regelmäßige Besucher der Kava, haben tatkräftig mit angepackt, als der Keller der Einrichtung renoviert werden musste. Die ausgebildeten Maurer und Maler übernahmen freiwillig einen großen Teil der Arbeit und sind stolz darauf, was sie geschafft haben.

Die Kava soll nicht als Wohnungsersatz dienen. Am Wochenende und nachts sind die Türen verschlossen. Aber für einige Stunden am Tag können hier Menschen Kontakte pflegen, die sie sonst nicht hätten. Ebenso haben Wohnungslose hier für einige Stunden ein Dach über dem Kopf und so die Möglichkeit, sich zu erholen. Die Anwesenheit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ist eine Hilfe, sie geben Rat bei Fragen und Behördengängen. In manchen Fällen übernehmen sie auch eine Lotsenfunktion, zum Beispiel zu Beratungsstellen für Wohnungslose. Wichtig zu betonen ist es der Sozialarbeiterin Sabine Kolbe aber, dass die Gäste der Kava weitgehend selbstständig sind: "Vieles wird von den Menschen hier selbst geregelt." Die Besucherinnen und Besucher der Einrichtung loben den guten Kontakt zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. "Wenn wir Probleme haben, sind sie für uns da", erklärt Alex.

Die meisten Menschen, die in die Kava kommen, haben durch Mund-zu-Mund-Propaganda von dem Treffpunkt erfahren. Immer wieder begeben sich aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst auf die Straße, um gezielt Menschen anzusprechen und auf das Angebot aufmerksam zu machen. Über Streetwork entstehen jedes Jahr rund fünfzig neue Kontakte. Mit der Bahnhofsmission besteht darüber hinaus auch eine gute Zusammenarbeit. Immer wieder werden von dort Menschen an die Kava vermittelt.


Alkohol geduldet

Bewusst ist die Entscheidung dafür gefallen, Alkohol in den Räumlichkeiten zu dulden. "Manche können nicht auf den Alkohol verzichten. Verbieten wir ihn, ist unser Angebot für diese Menschen verschlossen, und sie haben keinen Ort mehr, wo sie hingehen können", so Sabine Kolbe. "Aber es gibt immer wieder Fälle, wo Personen hier sitzen und über Wochen weder Alkohol noch Zigaretten konsumieren, obwohl sie abhängig sind. Das ist toll."


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Quelle:
DER RING, Oktober 2009, S. 14-15
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2009