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WERKSTATT/257: Die Werkstätten und die Wirtschaftskrise (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - April 2009

Die Werkstätten und die Wirtschaftskrise
Gut aufgestellt in schlechten Zeiten

Von Robert Burg


Finanzkrise, Bankenpleite, Umsatzeinbruch - wenn etwas dieser Tage Konjunktur hat, dann sind es drastische Sprachbilder für ökonomische Schreckensszenarien. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise nimmt im öffentlichen Diskurs viel Raum ein. Auch die Werkstätten für behinderte Menschen sind als gewerbliche Unternehmen betroffen.


"Man spürt die Bewegung. Wir wissen von vielen Werkstätten, die enorme Einbußen haben", bestätigt Ottokar Baum, Geschäftsführer im Stiftungsbereich proWerk. "Uns hilft es, viele verschiedene Standbeine zu haben." Doch da proWerk mit Sitz in Bielefeld zahlreiche große Unternehmen beliefert, erreicht der Wirtschaftsdruck die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) "über Bande". Aktuell findet besonders die industrielle Produktion für den Export, in der beispielsweise Staubsaugerbauteile hergestellt werden, wenige Abnehmer. "Alles, was in Amerika abgesetzt wird, bricht massiv ein." Auch Kabelbäume und andere Maschinenteile sind vom Abschwung betroffen. Zudem setzen sich in vielen Unternehmen die Betriebsräte dafür ein, auch einfache Arbeiten nicht mehr von externen Zulieferern ausführen zu lassen, um Arbeitsplätze zu sichern. "Leider fallen so viele Arbeiten weg, die auch von den schwächsten Beschäftigten ausgeführt werden können", bedauert Ottokar Baum.

Dass sich die Schräglage der globalen Wirtschaft immer stärker auf die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auswirkt, schlägt sich auch in Zahlen nieder: Ende Januar waren 14.987 schwerbehinderte Menschen in Westfalen-Lippe ohne Arbeit - 580 mehr als im Dezember. Trotzdem liege die Zahl immer noch unter dem Vorjahresmonat von 15,109, so ein aktueller Bericht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

Professionelles Marketing, Messeauftritte und Werbung setzt man in proWerk der Krise entgegen. "Wir sind gut aufgestellt", ist Erhard Kunert, ebenfalls Geschäftsführer in proWerk, überzeugt. "2007 war die Auftragslage schon gut, und 2008 haben wir noch mal gewaltig zugelegt. Das war bislang unser bestes Jahr überhaupt." Auch 2009 seien Eigenproduktion und der Dienstleistungssektor stabil, die Aktenvernichtung, die Metallproduktion und der "grüne Bereich" ebenfalls noch gut ausgelastet. "In dieser Richtung wollen wir mehr machen, aber es muss natürlich zu unseren Beschäftigten passen." Dafür benötigen die Werkstätten Übergangszeiten. "Unsere Klienten können sich nicht von heute auf morgen auf neue Aufgaben einstellen. Denn auch wenn einige von ihnen hohe Fertigkeiten in abgesteckten Aufgabenbereichen beweisen - flexibel einsetzbar sind die wenigsten." Die WfbM sind verpflichtet, für ausreichende Beschäftigung zu sorgen. "Anders als in der Industrie können wir unseren Menschen nicht sagen: Bleibt zu Hause, bis es wieder Arbeit gibt", so Erhard Kunert. Deshalb seien eine professionelle Ausstattung, große Fertigungsvolumen und die Möglichkeit, mit Eigenkapital Einkäufe tätigen zu können, jetzt besonders wertvoll. Die Größe des Werkstattverbundes sei ein weiterer Vorteil: "Wir können umfangreiche Aufträge auseinanderdividieren. Einzelaufgaben leiten wir gezielt an die Werkstätten weiter, deren Auslastung gerade am geringsten ist." Da proWerk ein Lager hat, können auch Produkte für einige Zeit vorproduziert werden - allerdings nicht unbegrenzt und auch nur mit rasant steigendem kaufmännischen Risiko.

"Bislang hat es uns noch nicht so schwer erwischt wie viele andere Werkstätten in der Region", sagt Frank Solmecke von den Hornborner Werkstätten in Breckerfeld. Dennoch seien die Aufträge im Vergleich zum Vorjahresmonat um rund 20 Prozent zurückgegangen. "Aber andere, die etwa der Autoindustrie zuliefern, sind noch deutlich schlimmer dran." Gut läuft in der Werkstatt, in der 156 Beschäftigte arbeiten, die Aufbereitung und Herstellung von Brennholz und Anzündhölzern. In Zukunft soll die Eigenfertigung weiter ausgebaut werden, etwa die Herstellung von Kerzen. "Vielleicht aktivieren wir auch unseren Textilbereich wieder, der Ende 2006 eingestellt wurde. Allerdings brauchen wir für komplexe Eigenproduktionen zwei Jahre Entwicklungszeit", gibt Frank Solmecke zu bedenken. Langfristig soll die Abhängigkeit von Handwerk und Industrie gesenkt werden.


Freistatt-Tourismus

Die Freistätter Werkstätten müssen sich momentan mit einem ganz anderen Problem befassen. Seit Jahresbeginn empfangen viele Klienten, die in den Werkstätten beschäftigt waren, Arbeitslosengeld II. Die Krux: Nun dürfen sie nach gesetzlicher Vorgabe nur noch zusätzliche Arbeiten sowie Tätigkeiten, die einem öffentlichen Interesse entsprechen, verrichten. Gewerbliche Arbeiten in einer WfbM sind nun verboten. "Für uns ist das ein echtes Problem", sagt Frank Kruse von der FreiPro GmbH. "Damit wird rund die Hälfte unserer Beschäftigten von den Werkstattangeboten ausgeschlossen." Abgesehen davon, dass jetzt schnell andere Beschäftigungsangebote entwickelt werden müssen, bricht ein Erlös von rund 100.000 Euro ersatzlos weg. Als Alternative zur Werkstatt werden die Beschäftigten nun in Projekte eingebunden, die vor allem die Tourismusentwicklung in Freistatt vorantreiben sollen. Die Moorbahn wird reaktiviert, ein Sinnesgarten und ein Spielplatz werden errichtet, und entlang der Bahn-Trasse entsteht ein "Planetenweg". Hier können Besucher eine Miniaturausgabe unseres Sonnensystems erwandern. Außerdem ist FreiPro jetzt Bildungsträger: Gegen Bildungsgutscheine kann man verschiedene Zertifikate und Qualifizierungen erwerben.


Lobetaler Bio

"Uns macht die Witterung mehr zu schaffen als die Wirtschaftskrise", sagt Thomas Keller, Geschäftsführer der Hoffnungstaler Werkstätten in Lobetal. "Bei uns gibt es einen großen grünen Bereich mit eigener Baumschule und Pflanzencenter. Weil wir diesen Winter durchgehend Frost hatten, lässt die Gartensaison noch auf sich warten." Sein Rezept gegen wirtschaftliche Turbulenzen: "Mit regionalem Engagement gegen die globale Krise." Etwa durch eine eigene Bio-Molkerei, die gerade in Biesenthal entsteht. Hier werden zwölf Menschen mit Behinderung arbeiten. Bereits parallel zum Bau werden Rezepturen für Sauerrahm, Frischkäse und Joghurt aus eigener Produktion entwickelt. Ab Dezember 2009 soll die Marke "Lobetaler Bio" den Berliner und Brandenburger Naturkostfachhandel bereichern. "Unsere neue Molkerei wird ein weiterer Baustein im Gefüge der Werkstätten sein, die moderne Sozialarbeit mit solidem Handwerk verbindet."


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Quelle:
DER RING, April 2009, S. 14-15
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2009