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SORTIERT/001: Burnout - neue Regeln der Erträglichkeit (1. Teil) (SB)




Ausgebrannt - Systemschrauber und Psychologen wittern Morgenluft

1. Teil: Einleitung

Eine scheininnovative Begriffsklärung weist den Aufruhr in die Schranken, in das Gefängnis nämlich des systemisch dem Menschen Zumutbaren und Erträglichen.

Feuer! Es brennt!! Wenn dieser Ruf erschallt, besteht größte Gefahr und, unter Umständen sogar schneller, als es jedem Lebewesen lieb sein kann, Lebensgefahr. "Ausgebrannt" bedeutet zunächst einmal nicht mehr, als daß ein vernichtender Brand stattgefunden und bestenfalls verkohlte Ruinen von unbrennbarer Substanz hinterlassen hat. Ausgebrannte Häuser oder Städte sind in der Kriegsberichterstattung vertraute Begriffe. Was aber ist gemeint, wenn dieses Wort im übertragenen Sinne verwendet und ein Mensch als "ausgebrannt" bezeichnet wird?

"Burnout" ist heute, wie es scheint, in aller Munde. Burnout ist ein Etikett, das, so als ob es irgendetwas erklären könnte, Menschen umgehängt wird, die einfach nicht mehr weitermachen können und mit ihren Kräften völlig am Ende sind. Aus gesellschaftlicher Perspektive ließe sich auch sagen, daß sie, zumindest in ihrer gegenwärtigen Verfassung, nicht fähig sind, die an sie gerichteten Anforderungen zu erfüllen. Sie sind, zugespitzt formuliert, nicht mehr verwertbar. Aus Sicht anderer sieht es häufig sogar so aus, als hätten sich Burnout- Betroffene von einem Tag auf den anderen von voll im Berufsleben stehenden und somit nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft in unproduktive Kostenverursacher verwandelt, sind sie doch nicht mehr in der Lage zu arbeiten oder in sonstiger Weise gesellschaftlich zu "funktionieren". Sie sind, um dieses Bild noch einmal zu bemühen, "ausgebrannt". Doch da ihre Physis dem äußeren Erscheinungsbild nach zu urteilen intakt geblieben zu sein scheint, stellt sich aus Sicht der herrschenden Ordnung bzw. ihrer Repräsentanten sehr wohl die Frage, inwieweit eine Regeneration möglich ist, ob also diese Objekte allgemeiner wie spezifischer Verwertungsinteressen in den zugrundeliegenden Verbrennungsvorgang, sprich das gesellschaftliche Leben und Arbeiten, nutzbringend zurückgeführt werden können.

Sollte diese Frage von den Wissenschaften, die sich wie Medizin, Psychologie und Soziologie bereits für zuständig erklärt haben, nicht uneingeschränkt bejaht werden können oder die für erforderlich gehaltenen Aufwendungen in einer ungünstigen Relation zu dem nach Ansicht der Experten möglicherweise noch zu erwirtschaftenden Nutzen stehen, wäre "Prävention" das Gebot der Stunde. Damit ist die Frage gemeint, wie das Feuer, das ausgebrannte Menschen produziert und hinterläßt, so modifiziert und in seiner Zerstörungswirkung reduziert werden kann, daß die diesen Vorgang nährenden Objekte inklusive der vom Burnout noch nicht unmittelbar betroffenen, aber bedrohten Menschen ihm möglichst lange standzuhalten vermögen.

Spätestens an dieser Stelle muß die Frage nach den Interessen, die hier unmittelbar aufeinanderprallen, gestellt werden. Wer betreibt das Feuer zu wessen Nutzen und wer liefert mit seiner eigenen Physis und allem, was ihm noch als Mensch eigen zu sein scheint, den Brennstoff? Wenn vom sogenannten Burnout die Rede ist, in wessen Interesse wird dann gesprochen, argumentiert und gehandelt? Schließlich können die Interessen ausgebrannter oder noch brennender Menschen schwerlich dieselben sein, um bei diesem Bild zu bleiben, wie die all jener gesellschaftlichen Kräfte und Institutionen, die den Verbrennungsvorgang in Gang halten, weiterhin von ihm leben wollen und deshalb nichts tun würden, was dem Feuer die Nahrung entziehen oder es in sonstiger Weise in seinem Fortbestand beeinträchtigen oder gefährden könnte.

Wenn auf dieser Basis Maßnahmen, die der Regeneration unmittelbar Betroffener oder auch der allgemeinen Prävention dienen sollen, diskutiert, entwickelt, erprobt und schließlich zur praktischen Anwendung gebracht werden, wäre das Feuer, mithin der Kern des Problems, selbstverständlich nicht ohne triftigen Grund, völlig außen vor und außer acht gelassen worden. Es scheint zum Geschäft der Feuermacher und ihrer Nutznießer nebst der an ihm beteiligten gesellschaftlichen Gruppierungen, Institutionen und Wissenschaftsdisziplinen zu gehören, um sich herum ein Höchstmaß an Unkenntnis und Täuschung über diese im Grunde nicht schwer zu verstehenden Verhältnisse zu erzeugen.

Aus ihrer Sicht wäre es fraglos zweckdienlich, den "ausgebrannten" Menschen die Verantwortung für ihren unbezweifelbar desaströsen Zustand zuzulasten, noch bevor sie zur Besinnung kommen und Fragen stellen können danach, wie es eigentlich angehen konnte, daß ihnen im Verlauf ihres (Arbeits-) Lebens jegliche Lebenskraft verlorengegangen ist. Allem Anschein nach haben die Burnout-Opfer, so die mehr oder minder unterschwellige oder auch durchaus deutliche Bezichtigungsbehauptung, irgendetwas falsch gemacht, wobei im Einzelfall die Frage, wieso und weshalb die persönliche Lebensgeschichte eines Menschen ihn an einen solchen, mit einer weitgehenden Handlungsunfähigkeit verbundenen Tiefpunkt geführt hat, als nachrangig, wenn nicht gar völlig unerheblich behandelt wird.

Hätten die Betroffenen rein gar nichts falsch gemacht, so die verquere Logik, wären sie nicht "ausgebrannt". Verquer ist diese Argumentation schon deshalb, weil die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsverhältnisse systematisch ausgeklammert werden. Diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, die von diesem Raubbau profitieren und an ihm partizipieren, tun alles ihnen Mögliche, um zu verhindern, daß ein solcher Diskussionsprozeß in Gang kommt und öffentlich geführt wird. Sie sind bestrebt, das breite Feld veröffentlichter Meinungen und Überzeugungen sowie den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu dominieren. Für diese Seite ist es von enormem Vorteil, die Betroffenen - nicht nur die bereits "Ausgebrannten", sondern eigentlich alle in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis stehenden Menschen, auch wenn sie das an sie gerichtete Anforderungsprofil noch zu erfüllen imstande sind - davon zu überzeugen, daß die Misere letzten Endes auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sei.

Allerdings erfordert die Angelegenheit einiges Fingerspitzengefühl, um nicht einen unerwünschten und gegenteiligen Effekt zu erzielen. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat und nun vor den Ruinen seines Bestrebens steht, ein gesellschaftlich vollwertiger Mensch sein zu wollen, würde womöglich, wenn ihm allzu harsch das Urteil "schuldig" verkündet wird, stutzig werden, opponieren und begreifen, in welch perfider Weise hier die gesellschaftlichen Instanzen Hand in Hand arbeiten. Ergo sind subtilere Methoden gefragt. Mit der Psychologie hat sich hier eine Wissenschaft zu Wort gemeldet, die von Beginn an ein Schattendasein im Wissenschaftsbetrieb geführt hat und der von anderen Fachdisziplinen niemals die ihr ihrer Meinung nach zustehende Anerkennung zugebilligt wurde. Das Phänomen "Burnout" wurde von dieser Wissenschaft als hochwillkommene Gelegenheit erkannt und genutzt, sich als Retterin in der Not anzubieten und das eigene Profil zu schärfen.

So lud beispielsweise vor wenigen Wochen der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) zu einer Pressekonferenz unter dem Titel "Alle sprechen von Burnout, wir von Prävention" [1] ein, um seine Positionen, nämlich zum einen die Behauptung, daß psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz frühzeitig abgewendet werden können und zum anderen die Erklärung, daß das Handwerk der Psychologen zu einem erfolgreichen Gesundheitsmanagement dazugehört [2], interessierten Pressevertretern und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch hier sollte dringend geklärt werden, da diesem vermeintlichen Phänomen unvereinbare Interessengegensätze zugrundeliegen, wer genau die Adressaten dieser medialen Bemühungen sind und welcher Seite der Zuschlag gegeben wird - derjenigen, die über die Produktionsmittel im weitesten Sinne inklusive des "Humankapitals" verfügen kann oder der all der Menschen, die nicht nur ihre Haut, sondern ihre gesamte Substanz zu Markte zu tragen sich gezwungen sehen, wollen sie nicht das Los derjenigen teilen, an denen kein gesellschaftliches Verwertungsinteresse besteht und die deshalb unter kärglichsten und demütigenden Bedingungen ihr Dasein fristen müssen (Stichwort: Armutsverwaltung durch Hartz-IV).

Auch aus Sicht der Arbeitgeber stellt sich das Problem "Burnout" in spezifischer Weise als signifikant dar, wie einer Publikation der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) unter dem Titel "Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit" zu entnehmen ist [3]:

Das Wohlbefinden ihrer Beschäftigten ist ein wichtiges Anliegen der Unternehmen. Eine zunehmende Rolle spielt dabei die psychische Gesundheit der Arbeitnehmer. Auch wenn die Ursachen psychischer Erkrankungen meist außerhalb des beruflichen Umfelds liegen, stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, wie sie psychisch bedingte Fehlzeiten und Leistungseinschränkungen ihrer Mitarbeiter vermeiden oder begrenzen können.
Produktivitätsrisiko Psyche
Eine Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit kann die Leistungsfähigkeit deutlich verschlechtern und letztlich zu krankheitsbedingten Fehlzeiten führen. Beschäftigte mit psychischen Problemen können auch ihr Arbeitsumfeld belasten. Innerbetriebliche Abläufe funktionieren schlechter, es besteht die Gefahr von Fehlhandlungen und Unfällen und es kann hieraus ein Nährboden für schlechtes Betriebsklima bis hin zum Mobbing entstehen. Für Unternehmen bedeutet dies eine verringerte Produktivität und geringere Wettbewerbsfähigkeit.

Es liegt auf der Hand, warum und weshalb die eigentlich naheliegende Schlußfolgerung, daß Arbeit in ihrem Kern als ein Zwangsverhältnis zu bewerten ist, das "krank" macht und keineswegs dem Wohlbefinden der ihm unterworfenen Menschen zuträglich ist, nicht im Interesse der Arbeitgeber und der ihnen nahestehenden staatlichen Organe liegen kann. Zur Verschleierung des eigentlich unversöhnlichen Interessengegensatzes zwischen "Kapital" und "Arbeit" trägt im übrigen auch schon das Begriffspaar "Arbeitgeber/Arbeitnehmer" bei, da es auf einer Umkehrung der Verhältnisse beruht, sind es doch die Werktätigen, die Arbeit(sleitung) "geben", während die Unternehmen die Arbeit(sleistung) "nehmen". Das "Wohlbefinden" der Beschäftigten ist für die Seite des Kapitals selbstverständlich ein "wichtiges Anliegen", wie die BDA anführt, da darin längst ein keineswegs unerheblicher Produktions- bzw. Kostenfaktor erkannt wurde.

Angesichts des Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit bliebe zu unterstreichen, daß dieser keineswegs aufgehoben ist, wenn es um "Burnout" geht, weil die jeweiligen Interessen an einer Behebung, Linderung oder auch Vorbeugung sogenannter psychischer Erkrankungen im Arbeitsbereich auf der Unternehmerseite immer noch gänzlich andere sein müssen als bei den betroffenen Beschäftigten. Wie aber positioniert sich der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen in diesem Konflikt? Welcher Seite neigt er eher zu und wie sind unter Berücksichtigung dieser Frage die von ihm propagierten Lösungsangebote und -versprechen zu bewerten? Erste Anhaltspunkte zu diesen Fragen lieferte der BDP in seiner Presseeinladung, hieß es doch dort im ersten Satz: "Es scheint, als sei es in den vergangenen Jahren attraktiv geworden, Burnout zu haben" [1], was so klingt, als würden sich Beschäftigte ohne ernstzunehmende Probleme, quasi einer Modererscheinung folgend, via Burnout ihre Auszeiten nehmen.

"Nach den Zahlen der Krankenkassen und Reaktionen der Medien", so der BDP weiter, "scheint eine regelrechte Epidemie ausgebrochen zu sein". Der Begriff Epidemie, besser bekannt im Zusammenhang mit der sprunghaften Ausbreitung von Infektionskrankheiten, zeichnet an dieser Stelle ebenfalls das Bild abhängig Beschäftigter, die sich reihenweise auf diesem Wege krankschreiben lassen. Der Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen scheint die Problematik keineswegs aus der Sphäre der Betroffenen zu behandeln, sondern eine große Nähe zur Gegenseite eingenommen zu haben, wie seine weiteren Fragen vermuten lassen [1]:

Nimmt neben der psychischen Belastung am Arbeitsplatz auch die Zahl der psychischen Erkrankungen zu? Droht eine Kostenlawine für die Krankenkassen? Und wenn Arbeit wirklich psychisch krank macht, wie kann das verhindert werden? Wie können (lange) Fehlzeiten frühzeitig abgewendet werden? Wie sieht ein gutes Belastungs- und Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz aus?

Drei Gesprächspartner haben am 5. Juli 2012 im Haus der Psychologie in Berlin an der BDP-Pressekonferenz zum Thema "Alle sprechen von Burnout, wir von Prävention - Psychisch gesund am Arbeitsplatz" teilgenommen. Bei ihnen handelte es sich um Sabine Siegl, die Präsidentin des BDP, die zum Thema "Was können Psychologen zum Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz beitragen?" Stellung nahm; um Ulrich Schübel, Vorstandsmitglied des Sektion Wirtschaftspsychologie des BDP, der zum Thema "Neue alte Herausforderungen für Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement" sprach, sowie um Prof. Dr. Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin, der über "Psychische Erkrankungen - Psychische Belastungen: Zahlen, Trends, Konsequenzen" referierte.

"Alle sprechen von Burnout, wir von Prävention" - Mit diesem Slogan nimmt der BDP sprachliche Anleihen an einen früheren Werbespruch der Bundesbahn ("Alle reden vom Wetter. Wir nicht"), der 1969 von der Studentenbewegung ironisierend aufgegriffen worden war, nachdem ihn der damalige Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) auf einem seiner Plakate in Verbindung mit den Konterfeis von Marx, Engels und Lenins auf seine Weise verewigt hatte. In jener Zeit galt die Idee revolutionärer Aufbrüche noch keineswegs als entsorgt, ebensowenig die Infragestellung des Grundverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit und damit auch der gesellschaftlichen Voraussetzungen, die mehr als alles andere mit einer Entwicklung in eine kausale Beziehung zu setzen sind, die Jahre und Jahrzehnte später unter dem Begriff "Burnout" als ein Phänomen oder vielmehr Syndrom definiert wurde, dem sich vornehmlich Wissenschaften wie die Psychologie angenommen haben.

Der Schattenblick wird der Thematik an dieser Stelle [4] weiter nachgehen.

Fußnoten:
[1] "Alle sprechen von Burnout, wir von Prävention"
Einladung zur Pressekonferenz des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) vom 27.06.2012
idw-online.de/de/attachmentdata17761.pdf

[2] "So lässt sich Burnout verhindern - Psychisch gesund am Arbeitsplatz"
Pressemitteilung Nr. 10/12 des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) vom 5. Juli 2012
http://www.bdp-verband.de/bdp/presse/2012/10_burnout.html

[3] "Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit", kompakt - Mai 2012,
BDA - Die Arbeitgeber, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände,
www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/E805BBF329F59BA4C12575C3004657F6?open&ccm=400020

[4] Schattenblick → INFOPOOL → PANNWITZBLICK → REDAKTION unter dem Index SORTIERT

24. Juli 2012