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INTERVIEW/027: Inklusionsportale - Linkspartei barrierefrei ...    Kerstin Huch im Gespräch (SB)


Vorbildwirkung solidarischer Inklusionspolitik

Interview am 19. Oktober 2014 in Münster



Kerstin Huch gehört dem SprecherInnenrat der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbstbestimmte Behindertenpolitik in der Partei Die Linke an. Auf der von der BAG angeregten und entwickelten Tagung "Inklusion in der Kommune", die am 19. Oktober in Münster stattfand, war sie auf dem Podium präsent und leitete einen Workshop zum Thema "Welche Möglichkeiten der Einflußnahme haben kommunale Behindertenbeiräte?". Unmittelbar vor der Abreise mit ihrer Fahrgemeinschaft beantwortete Kerstin Huch dem Schattenblick einige Fragen zu ihren Erfahrungen als Mensch mit einer Behinderung in der DDR, zur Solidarität in ihrer Partei sowie zu ihren Forderungen an eine linke Inklusionspolitik.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kerstin Huch
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Kerstin, du bist in der DDR aufgewachsen. War deine Erfahrung als Mensch mit einer Behinderung dort eine andere als später in der Bundesrepublik?

Kerstin Huch: Ich war 20 Jahre alt, als die Wende kam. Zu DDR-Zeiten bin ich ganz normal auf die Polytechnische Oberschule (POS), also in die Regelschule gegangen. Von staatlicher Seite ist damals deutlich mehr gemacht worden, so daß einem vieles abgenommen wurde. Die Familie mußte sich zwar um die Förderung kümmern, aber dies wurde von den staatlichen Behörden auch vorgegeben. Dadurch war man mehr eingebettet. So war ich regelmäßig in orthopädischer Behandlung, wobei ich dazu sagen muß, daß das Ausmaß an Unterstützung ganz abhängig von der Behinderung war. Meine Behinderung ist nicht so stark, andere wie Blinde, Gehörlose oder auch Lernbehinderte haben da vielleicht unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Ich denke, für sie war das dann schon schwieriger. Als positiv habe ich erlebt, daß ich als Kind gefördert wurde, aber die Behinderung als solche im täglichen Umgang nicht wirklich ein Thema war. Allerdings hatte ich durch meine Behinderung schon sehr viele Probleme in der Regelschule, weil ich oft gehänselt wurde.

SB: Wurde man in der DDR vor dem Hintergrund des sozialistischen Selbstverständnisses als behinderter Mensch, unabhängig davon, inwieweit man leistungsfähig war, in vollem Umfang anerkannt?

KH: Nein, ich mußte immer durch viel Leistung überzeugen. Auch in der Schule mußte ich stets das Doppelte oder Dreifache leisten, um anerkannt zu werden. Ansonsten bekam ich es mit der Mitleidsschiene zu tun, wodurch alles noch schwieriger wurde. Es ging wirklich nur um die Anerkennung meiner Leistung. Wenn die Leute gemerkt haben, ich bringe Leistung, dann war alles okay.

SB: Bist du nach der sogenannten Wende eine Linke geblieben oder erst geworden?

KH: Ich bin es schon vorher gewesen. Auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was unter links hofiert wird, sind für mich die Themen Inklusion, Behinderung und Gleichberechtigung in der Partei Die Linke am ehesten umgesetzt. Von daher bin ich auch nach der Wende Linke geblieben.

SB: Gilt dieser begrüßenswerte Umgang mit Behinderten deiner Meinung nach für die gesamte Partei?

KH: Nein, das muß ich ganz deutlich sagen. Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind, haben dafür oft kein Gespür. Deswegen muß man immer wieder mahnen: Leute, denkt an die Gebärdensprache, denkt an die Rampen und an die Hilfsmittel für Blinde. Manchmal ist es auch Ignoranz. Ungeachtet dessen setzt sich Die Linke für die Interessen und Bedürfnisse von Behinderten in besonderem Maße ein, und deswegen hat sie auch heute abend den größten Beifall bekommen. Auch das Wort Solidarität hat in der Partei eine ganz wichtige Bedeutung, aber wir dürfen Solidarität nicht nur einfordern, sondern müssen sie auch leben, vor allem innerhalb der Partei.

SB: Viele Forderungen gelten sicherlich für alle Behinderten, aber gibt es für dich als Linke ein darüber hinaus gehendes Spektrum an solidarischer Forderung?

KH: Als Linke geht es mir darum, daß wir von Anfang an gemeinsam leben können. In diesem Sinne ist es mir gar nicht so wichtig, daß es linke Behindertenpolitik ist. Linke Behindertenpolitik oder Inklusionspolitik heißt für mich gleichberechtigte Teilhabe, daß wirklich auf die Wünsche und Bedürfnisse des einzelnen eingegangen wird.

SB: Wie gehst du mit dem Widerspruch um, daß wir, selbst wenn alle Behinderten gleichgestellt wären, immer noch in einer kapitalistischen Gesellschaft leben würden?

KH: Ja, sicherlich. In der kapitalistischen Gesellschaft herrscht natürlich ein bestimmtes Menschenbild vor, das es so in einer anders organisierten Gesellschaft nicht gibt. In der kapitalistischen Gesellschaft steht nicht der Mensch, sondern der Profit, das Geld im Mittelpunkt. Von daher sind die meisten Forderungen aus meiner Sicht erst richtig umsetzbar, wenn sich das Menschenbild, also die Ideologie ändert. Wir können nur darauf aufmerksam machen und immer wieder fordern, daß der Mensch im Mittelpunkt stehen muß. Diese Vorbildwirkung ist für mich eine ganz wichtige Sache. Fordern ist das eine, Vorleben das andere.

SB: Du gehörst dem linken Flügel deiner Partei an. Was sind deine politischen Hauptziele?

KH: Für mich ist es wichtig, daß man Solidarität lebt und Menschen mit Behinderungen von Anfang an teilhaben läßt. Das erfordert vor allem viel Geduld. Ich ertappe mich selber dabei, daß ich manchmal nicht darauf achte. Mir geht es wirklich um die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen, egal, ob sie behindert sind oder nicht. So hat ein Lernbehinderter Möglichkeiten, die ich nicht habe und umgekehrt. Wichtig ist, daß niemand deswegen ausgegrenzt wird.

SB: Kerstin, vielen Dank für dieses Gespräch.


Bisherige Beiträge zur Tagung "Inklusion in der Kommune" in Münster im Schattenblick unter
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11. November 2014