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INTERVIEW/033: Sterben nach Plan - nach dem christlichen Ethos, was ...    Manuel Kreiner im Gespräch (SB)



Mag. Manuel Kreiner ist seit 15 Jahren als Kunstvermittler an verschiedenen Museen tätig und Vorsitzender des Verbandes österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker. Er bereicherte die Tagung "Zwischen Planungssicherheit und Sorgegesprächen - Nachdenken über Vorsorgeprogramme in der Alten- und Behindertenhilfe", die am 23. September 2017 in der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW in Münster stattfand, mit einem Ausflug in die künstlerische Bearbeitung des Themas Krankheit und Tod unter dem Titel "Sorgebeziehungen in der bildenden Kunst".

Anhand ausgewählter Bildbeispiele aus mehreren Epochen der Kunstgeschichte analysierte Kreiner den Wandel der Sozialbeziehungen am Krankenbett und Sterbelager durch die Zeitläufte. Welche Politiker und Angehörigen an der Seite des sterbenden US-Präsidenten Abraham Lincoln Platz nahmen, in welche Richtung die im Raum stehenden Personen blickten, wie unterschiedlich ihre Zahl in den verschiedenen Illustrationen dieses historischen Ereignisses war, all das gab Anlaß für eine Fülle durchaus überraschender Deutungsmöglichkeiten. Frauen etwa hatten in den liberalen Vereinigten Staaten des 19. Jahrhundert kaum einen Platz in der bildnerischen Dokumentation dieses bedeutsamen Ereignisses. Die so wichtige Frage, wer die Geschichte bezeugt, wurde von Männern für Männer beantwortet, so daß der patriarchale Blick und seine Auswirkung auf alle Formen inhaltlicher Deutung bei der Auswertung künstlerischer Zeitzeugnisse nicht vergessen werden sollte.

Christliche Symbole und Allegorien nahmen in der Darstellung des Sterbevorgangs durch die Jahrhunderte eine zentrale Stellung ein. So präsentierte Kreiner verschiedene Interpretationen der Caritas als Inbegriff christlicher Nächstenliebe und Wohltätigkeit, stellte zwei unterschiedliche Ansichten des Barmherzigen Samariters in Bildern von Eugène Delacroix und Ernst Ludwig Kirchner vor und schilderte den Wandel im Verhältnis von Helfer und Bedürftigen am Beispiel des Heiligen Martin, demgegenüber der Bettler mit der Zeit fordernder und nicht mehr nur als Bittsteller auftrat. Die hierarchischen Verhältnisse zwischen den abgebildeten Personen entschlüsselte Kreiner auch dort, wo man sie nicht sofort entdeckte. Der zwanghafte Eifer, mit dem sich Menschen selbst beim Sterben eines der Ihren voneinander abzugrenzen oder zu dominieren versuchen, läßt etwas vom sozialen Verhängnis ahnen, das im Streit der Überlebenden selbst den Tod überdauern kann.

Mit feinem Humor kommentierte Kreiner postkoloniale Nuancen im Auftreten von Papst Franziskus auf seiner ersten Afrikareise, rühmte die nüchterne, um so unvermittelter auf die Betrachter wirkende Darstellung mütterlicher Sorge in einer Zeichnung von Käthe Kollwitz und zeigte anhand eines Bildes von Pablo Picasso, wie die Ratio der medizinischen Wissenschaften neben das empathische Prinzip der Caritas trat. Das langsame Sterben der an Krebs erkrankten Valentine Godé-Darel durch ihren Partner, den Schweizer Maler Ferdinand Hodler, der die verschiedenen Stadien ihrer Krankheit in zahlreichen Abbildungen ihrer bettlägrigen Gestalt dokumentierte, an ihrem Todestag jedoch den Blick durch das Fenster auf den menschenleeren Himmel über dem Genfer See fallen ließ, war zweifellos ein Höhepunkt des Vortrages. Die unterschiedlichen Sichten auf das Sterben förderten vor allem eines zu Tage - die Deutungen liegen ganz und gar im Auge des Betrachters, der zugleich fasziniert ist und sich erschrocken abwendet, wenn er das ganze Ausmaß ihn erwartender Schmerzen erahnt. Im Anschluß an seine Präsentation beantwortete der Wiener Kunsthistoriker dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Manuel Kreiner
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Kreiner, inwiefern ist das Prinzip der Sorge, wie das präsentierte Bildmaterial vermuten lassen muß, christlich bestimmt bzw. Bestandteil kirchlicher Mission?

Manuel Kreiner (MK): Sorge ist ein Kernbestandteil der christlichen Botschaft und als Thema der Nächstenliebe nicht aus dem Neuen Testament wegzudenken. Insofern taucht es schon ganz früh in den christlichen Katakomben auf. Ich habe das im einzelnen nicht thematisiert, aber das Bild des Guten Hirten ist ein ganz frühes Beispiel. In der bildlichen Darstellung der Kirche, die dann immer mehr zunimmt, je mehr Kirche Staatskirche wird, ist das Thema des Barmherzigen Samariters, aber auch der Heilungswunder Jesu Christi ein zentraler Kern. Erstens erkennt man daran, daß Christus Gott ist, wofür alle Dinge wie Wunder und Heilungen wichtig sind, also die Zuwendung an den Menschen. Und zweitens, daß die Gleichnisse als eine ethische Aufgabe erkennen lassen, wie man Christliches einlösen und woran man letzten Endes Christen erkennen kann. Insofern taucht das in der Illustration immer wieder auf. Weil solche Szenen wie der Barmherzige Samariter auch Lesungen sind, um sie dem Volk zu verkünden, werden sie in Evangeliarien auch bebildert, manchmal nur in den Abkürzungen, manchmal ausführlicher. Es ist auf jeden Fall Kernbestand.

SB: Sie haben in Ihrer Präsentation auch Bilder von vermutlich weniger christlich orientierten Künstlern gezeigt. Haben sich aus der abnehmenden Bedeutung des Religiösen in der Darstellungsgeschichte Verschiebungen in der Bearbeitung des Themas ergeben?

MK: Es fällt auf, daß am Anfang die praktischen Beispiele viel stärker präsent waren wie der Barmherzige Samariter. Erst im Zuge der Renaissance des 15. Jahrhunderts werden im christlichen Bereich auch abstrakte Ideen interessanter. Wie kann man so etwas Abstraktes wie Caritas oder Gerechtigkeit darstellen? Beim Heiligen Martin habe ich versucht, den Wandel aufzuzeigen. Von einer herrschaftlichen Person, die etwas Gutes tut, aber letztlich immer der Soldat ist, der nicht zur sozialen Schicht der Bettler gehört, wird er plötzlich im 20. und 21. Jahrhundert zu einer Figur, der man eben wirklich auf Augenhöhe begegnet. Das ist ein fundamentaler Wandel, der da stattfindet.

SB: Hätte die bürgerliche Aufklärung in der Kunst nicht im Verzicht auf klerikale oder christliche Motive resultieren können?

MK: Ich glaube, es ist tatsächlich zurückgedrängt worden, aber es ändert nichts daran, daß die bekannte christliche Ikonographie eines Mannes, der sich einem Armen zuwendet, auch heute im weltlichen Bereich Verwendung findet. Dazu muß man sich nur anschauen, wie Politiker dargestellt werden. Es gibt Bilder, in denen man sich ganz klar der christlichen Ikonographie bedient, wenngleich in einer profanen Art und Weise. Das Bild mit Papst Franziskus in Afrika ist ganz bewußt so gewollt, um ihn als barmherzigen Franziskus zu zeigen. Er hat ja auch das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Um dies medial wirksam zu übertragen, bedient man sich des Bildes der Caritas, greift also zurück auf alte Ikonographien und Lösungen für Bildmotive, die dann entweder im kirchlichen oder gerade im politischen und weltlichen Bereich transponiert und weiterverwendet werden. Man bedient sich damit einer Form, wo der Mensch sich schon auskennt und weiß, wie man es lesen soll.

Wenn allerdings verlorengeht, wie man diese christliche Tradition liest, steht die politische Propaganda vor einer Herausforderung, weil dann andere Lösungen gefunden werden müssen und man nicht mehr auf christliche Ikonographien zurückgreifen kann. So kann man zum Beispiel das Thema der Pietà, also der Gottesmutter mit dem toten Christus in den Armen, auf eine Krankenschwester mit einem Soldaten im Ersten Weltkrieg anwenden. Das kann man heute zum Teil noch verständlich machen, aber wenn irgendwann die christliche Pietà unterm Kreuz kein Thema mehr ist, dann stellt sich die Frage, ob die Art, wie man es darstellt, noch aktuell ist oder ob man sich etwas Neues einfallen lassen muß.


Manuel Kreiner im Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ausflug in die Kunstgeschichte mit Elan und Esprit
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Sehen Sie auch einen Übertrag auf die Kunst in bezug auf aktuelle Ereignisse wie die Flüchtlingsdebatte?

MK: Das schlägt sich ganz massiv in der Kunst nieder. Ich war kürzlich auf der Biennale in Venedig, wo es eine ganze Fülle an Fluchtthematisierungen in der Gegenwartskunst gibt.

SB: Würde das für Sie auch unter den Begriff der Sorgebeziehungen fallen?

MK: Auf jeden Fall. Wenn man es umgekehrt betrachten will, ist der Barmherzige Samariter auch ein Fremder, einer, der nicht zum Stamm gehört. Nur bin ich nicht davon überzeugt, daß die Krankenschwestern von den Philippinen oder die Pflegerinnen aus Bukarest das machen, weil sie es gerne tun, sondern weil sie vielfach in einer finanziellen Notsituation stecken und in diesem Beruf im Westen Geld verdienen können. Ich sehe das jetzt nicht abgehoben von der realen Situation, aber Flüchtlinge sind ein massives Thema in der Kunst und waren es auch immer, gerade in Kriegssituationen. So hat Käthe Kollwitz, die ich heute angeführt habe, das Thema der Flucht immer wieder aufgegriffen.

SB: Die Professionalisierung der Sorge hat den Arztberuf in gewisser Weise erst hervorgebracht. Hat das auch in der Kunst seinen Ausdruck gefunden?

MK: In dem Moment, wo der Arztberuf ein richtiger Berufsstand wird, zeichnet sich eine höhere Wertschätzung ab. Aber er war eigentlich immer hochangesehen, ob nun in der Antike oder im Mittelalter, aber in liberaleren Gesellschaften, nämlich im Sinne von weniger durch eine kirchliche Hierarchie geprägten Gesellschaften wie in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, die puritanisch waren, konnten die einzelnen Berufe stärker hervortreten. Da werden Themen wie Anatomie ganz wichtig. Der Arztberuf wird bildlich massiv dargestellt als etwas absolut Erstrebenswertes und wissenschaftlich Hochstehendes. Interessant in dem Zusammenhang ist, daß es parallel dazu auch Bilder gibt, in denen Quacksalber gezeigt werden, die geringe Ausrüstung und Ausbildung haben und die Menschen mehr malträtieren, als daß sie sie heilen. Die große Veränderung tritt im 19. Jahrhundert ein, als das Ideal, daß Medizin nur fortschrittlich ist und nur Gutes bringt, ins Wanken kommt. In dem Moment wird das auch von der Kunstgeschichte reflektiert. Gustav Klimt hat für die Universität in Wien ein Bild gemalt, das leider verlorengegangen ist, aber wir haben es als Fotografie. Vor Klimt wäre die Medizin als eine Erfolgsgeschichte dargestellt worden mit einem Heilsgott wie Äskulap. In dem Bild von Gustav Klimt kommt dagegen auch der Tod vor. Das 19. Jahrhundert bringt plötzlich auch die Gefahr und den Wandel in der Wissenschaftsgläubigkeit mit herein.

SB: Sie haben zum Ende Ihres Vortrags ein Bild von Pablo Picasso angeführt. Hat er aus Ihrer Sicht Wissenschaft und Caritas gleichwertig gegenübergestellt, oder gab es bei ihm auch eine Form von Wissenschaftskritik?

MK: Das eine Bild mit dem Spital, ist in Spanien in der Generation vor Picasso entstanden. Es ist in Spanien viel besprochen worden und zeigt einen Haufen Ärzte, die um einen Patienten stehen. In dem Bild ist der Patient ein Objekt, und Picasso reagiert darauf. Sein Bild ist tatsächlich ein klares Bekenntnis dazu, daß es um einen Menschen geht, der behandelt wird. Ich glaube dennoch, daß der Arzt in seiner Zeit immer noch einen anderen Stellenwert hatte als die Krankenschwester. Interessant an dem Bild ist, daß der Arzt, der den Puls mißt, auf seine Uhr und nicht auf den Patienten schaut, aber Picasso bewertet das positiv. Der Arzt tut das Richtige, und immerhin zeigt Picasso beide. An dem Bild ist schon wichtig, daß eben beide präsent sind.

SB: Demzufolge hat sich das Geschlechterverhältnis quasi durch die Jahrhunderte hindurchgetragen bis heute.

MK: Auf jeden Fall. Der Arztberuf bricht erst mit der Möglichkeit des Studiums auf und ist damit gesellschaftlich bedingt. Es wäre interessant, einmal zu schauen, wie in der aktuellen Kunstproduktion Frauen im Arztberuf thematisiert werden. Ein Beispiel dazu würde mir jetzt akut nicht einfallen.

SB: Herr Kreiner, vielen Dank für das Gespräch.


Manuel Kreiner referiert, dazu Folie mit Vortragstitel - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick


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17. November 2017


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