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UMWELT/1529: Aktionsprogramm für den Klimaschutz - Es gibt keinen Planet B


Pressedienst von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 2. September 2015

BESCHLUSS DES BUNDESVORSTANDS

Aktionsprogramm für den Klimaschutz - Es gibt keinen Planet B


Drei Monate vor der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris muss sich die deutsche Klimapolitik ehrlich machen und neu ausrichten. Auf ihrem jetzigen Kurs wird die Bundesregierung das nationale Klimaschutzziel von 40 Prozent Emissionsminderung bis 2020 krachend verfehlen. Die deutschen Pro-Kopf-Emissionen gehören immer noch zu den höchsten der Welt. In den letzten fünf Jahren sind sie häufiger gestiegen als gefallen. Während Länder wie die USA oder China ihre Klimaziele anheben, fällt das einstige Vorreiterland Deutschland zurück.

Wir sind überzeugt, dass unser Land mehr kann. Wir wollen die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes ergreifen, die Abhängigkeit von Energieimporten verringern und mehr globale Verantwortung übernehmen. Wir wollen, dass Deutschland sich wieder an die Spitze des internationalen Klimaschutzes setzt. Dafür werden wir in diesem Herbst gemeinsam mit Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und der Europäischen Grünen Partei mobilisieren - zu den internationalen Klimaaktionstagen am 28. und 29. November ebenso wie zur Großdemonstration in Paris am 12. Dezember. Und dafür legen wir heute ein Aktionsprogramm vor, mit dem sich das 40-Prozent-Klimaschutzziel immer noch schaffen lässt. Dabei ermutigt uns das Beispiel der vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich in unserem Land für den Klimaschutz engagieren - sei es als Aktive in lokalen Klima-Initiativen, als klimabewusste VerbraucherInnen, als innovative UnternehmerInnen. Gemeinsam mit ihnen wollen wir den Stillstand in der Klimapolitik überwinden.

Das Versagen von Merkels Klimapolitik ist mit Händen greifbar: Dreckige Kohleschlote qualmen weiter, selbst wenn ihr Strom gar nicht gebraucht wird. Solarunternehmen müssen tausende von Stellen abbauen. Der Kauf von Elektroautos lahmt mangels effektiver Fördermaßnahmen, während der Absatz von Geländewagen boomt. Mieterinnen und Mieter zahlen überhöhte Heizkosten für schlecht gedämmte Wohnungen. Und Unternehmen fehlt der Innovationsrahmen für ökologische Produkte. Der Emissionshandel leidet unter einem massiven Überhang an Zertifikaten, der ihn auf Jahrzehnte hinaus der Wirksamkeit beraubt. Als wäre das nicht genug, wird vieles, was dem Klima schadet, auch noch mit Milliardenbeträgen subventioniert.

Ob im Verkehrssektor, in der Landwirtschaft oder bei der Energieeffizienz, unter Kanzlerin Merkel kommt der Klimaschutz kaum voran. Die energetische Gebäudesanierung erreicht nicht einmal ein Prozent der Gebäude pro Jahr, die klimaschonende Ökolandwirtschaft stagniert und der Anteil des klimafreundlichen Verkehrs mit Bahn, Bus und Schiff liegt heute sogar niedriger als vor zehn Jahren. Der "Nationale Aktionsplan Energieeffizienz" ist praktisch wirkungslos. Selbst die rot-grüne Erfolgsgeschichte der Energiewende wird von der Großen Koalition zurückgedreht durch Ausbau-Bremsen für die Erneuerbaren Energien, Blockaden des Netzausbaus, ein Fracking-Ermöglichungsgesetz und das fatale Festhalten an der Kohle.

Während Obama eine Energierevolution mit Erneuerbaren Energien ausruft, hält Merkel ihre schützende Hand über den Klimakiller Kohle. Und obwohl der G7-Gipfel in Elmau mit der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft den weltweiten Kohleausstieg zum Ziel erklärt hat, kassierte die Kanzlerin auf Druck der Kohlelobby im eigenen Land die geplante Klimaabgabe für Kohlekraftwerke als ersten zögerlichen Schritt in diese Richtung wieder ein. Das war der Offenbarungseid von Merkels Klimapolitik. Der politische Starrsinn der strukturkonservativen Parteien SPD, CDU und CSU, gepaart mit dem Lobbyismus von RWE bis IGBCE, behindert eine konsequente Energiewende, die dem Klimaschutz dient, regionale Wertschöpfung generiert und neue Jobs und Industrien entstehen lässt.

Wer aber in Paris glaubwürdig verhandeln will, muss im eigenen Land ernstmachen mit dem Klimaschutz. Um der Energiewende und dem Klimaschutz endlich wieder Schwung zu verleihen und die ökologische Modernisierung voranzubringen, braucht Deutschland einen radikalen Richtungswechsel in der Klimapolitik.


Das grüne Klima-Aktionsprogramm für Paris

Hier setzt unser Aktionsprogramm für den Klimaschutz an. Wir wollen:

  • Ein nationales Klimaschutzgesetz, das jährliche Reduktionsziele bis 2050 verbindlich festschreibt: 40 Prozent Emissionsminderung bis 2020, 60 Prozent bis 2030 und 95 Prozent bis 2050.
  • Einleitung des Kohleausstiegs durch strenge CO2-Grenzwerte: Bis 2020 wollen wir so mindestens sechs GW an alten, ineffizienten Braunkohle-Kraftwerken vom Netz nehmen - das entspricht etwa zehn bis 15 mittelgroßen Kohleblöcken.
  • Abbau klimaschädlicher Subventionen: In einem ersten Schritt wollen wir zehn Milliarden Euro streichen, u.a. bei den Ökosteuerrabatten der Industrie, den Steuerprivilegien für große Dienstwagen und der steuerlichen Begünstigung von Flugbenzin und Agrardiesel.
  • Die Stützung des Emissionshandels durch Einführung eines CO2-Mindestpreises von zunächst 15 Euro pro Tonne CO2
  • Mehr Erneuerbare Energien durch eine Verdopplung der Ausbaukorridore für Sonnenstrom und nachhaltig erzeugte Biomasse und durch verbesserte Ausschreibungsbedingungen für Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften
  • Einstieg in eine ökologische Verkehrsreform durch mehr Investitionen in die Schiene und den ÖPNV, Kaufprämien von 5.000 für Elektroautos und 2.000 Euro für Hybridfahrzeuge
  • Eine neue Agrarpolitik, die klimafreundlich wirtschaftende Betriebe und Ökolandbau stärker fördert und die industrielle Massentierhaltung einschränkt
  • Einen Energiesparfonds, der drei Milliarden Euro pro Jahr in Gebäudesanierung und Effizienz-Projekte investiert, um VerbraucherInnen und Unternehmen beim Einsparen zu unterstützen und das regionale Handwerk fördert.
  • Ein gesetzliches Fracking-Verbot, weil das wasser- und umweltgefährdende Fracking auch Klimaschutz und Energiewende konterkariert
  • Mehr Transparenz für klimabewusste Anlegerinnen und Anleger, die raus wollen aus den fossilen Energien (Divestment), durch eine verpflichtende Unternehmensberichterstattung über ökologische und soziale Ziele und ein glaubwürdiges Siegel für nachhaltige Geldanlagen.

Mit diesem Programm gehen wir vier zentrale Handlungsfelder an:

Ein Klimaschutzgesetz für Deutschland

Wir wollen ein nationales Klimaschutzgesetz, das die deutschen Klimaziele bis 2050 verbindlich festlegt und konkrete Ziele und Maßnahmen für Stromversorgung, Industrie und Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr enthält. So weist das Klimaschutzgesetz den Weg für eine Verkehrspolitik, die Bahn- und Radfahren attraktiver macht, Spritspartechnik vorantreibt und den Kauf von Elektromobilität gezielt fördert. Und es gibt einen Rahmen vor für eine umwelt- und klimaschonende Landwirtschaft, die zum Schutz des Klimas auf industrielle Massentierhaltung, Pestizide und Chemiedünger weitgehend verzichtet. Durch langfristige Ziele gibt das Klimaschutzgesetz Unternehmen Planungssicherheit für Interventionen in die ökologische Modernisierung. Zugleich ist es ein Baustein einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung, in der Wohlstand und Wachstum neu bemessen und nicht auf Kosten von Klima und Natur erwirtschaftet werden.


Den Kohleausstieg einleiten

Ohne Kohleausstieg gibt es keinen Klimaschutz. Denn Kohle ist hierzulande Klimakiller Nummer Eins. Deshalb wollen wir CO2-Grenzwerte für Kraftwerke einführen, um aus der klimaschädigenden Kohleverbrennung nach und nach auszusteigen, beginnend mit den dreckigsten und ältesten Kraftwerken. Zugleich wollen wir das Abbaggern ganzer Dörfer durch neue Braunkohle-Tagebaue stoppen. Denn wir wissen: Wenn wir katastrophale Klimaschäden vermeiden wollen, müssen mehr als zwei Drittel der weltweiten Kohlereserven im Boden bleiben. Ein geordneter Kohleausstieg nützt dem Klima, reduziert die immensen Überkapazitäten im europäischen Stromnetz und gibt dadurch effizienten Gaskraftwerken, die heute weitgehend von Kohlemeilern verdrängt werden, wieder eine Chance am Markt. Die von der Bundesregierung mit den Kraftwerksbetreibern ausgedealte Kapazitätsreserve bringt dagegen nur Milliardenkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber wenig Nutzen für das Klima. Jetzt muss es darum gehen, den Strukturwandel mit allen Akteuren vor Ort aktiv zu gestalten. Konzepte zum Strukturwandel in den Kohleregionen existieren vielfach auf Landesebene, aber bisher gibt es keinen vom Bund, Energieakteuren und den Regionen ausgearbeiteten Kohle-Ausstiegsfahrplan, der verlässliche und nachhaltige Rahmenbedingungen für Klimaschutz und Wertschöpfung beschreibt.


Erneuerbare Energien in den Mittelpunkt

Wir wollen einen Energiemarkt gestalten, der zur Energiewende passt und die Erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt für die Strom-, Wärme und Kraftstoffversorgung stellt. Die restriktiven Ausbaukorridore für Wind, Sonne und Co. im Stromsektor wollen wir anheben und das Ausbautempo beschleunigen. Denn unser Ziel heißt 100 Prozent Erneuerbare Energien. Die Akteursvielfalt, die die deutsche Energiewende bisher ausmachte, darf nicht zugunsten großer Player eingeschränkt werden. Besonders Bürgerenergie-Projekte, die nach der schwarz-roten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vollständig unter die Räder kamen, brauchen wieder eine faire Chance. Für Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst, setzen wir auf einen ökologischen Flexibilitätsmarkt, in dem erforderliche Kapazitäten nach Effizienz, Flexibilität und Klimaschutz ausgewählt werden, sowie auf Speicher und intelligente Netze. Viele der kommunalen Versorger zeigen, wie es geht: Ihre Investitionen flossen im Jahr 2013 zu 84 Prozent in Erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung. Außerdem muss der Strommarkt enger mit dem Wärme- und Kraftstoffmarkt verkoppelt werden, um die Erneuerbaren-Energien-Potenziale auch im Wärme- und Verkehrssektor besser zu nutzen. Weltweit stiegen die Investitionen in Erneuerbare Energien und Treibstoffe letztes Jahr um 17 Prozent auf rund 270 Milliarden Dollar. Die globalen Neuinvestitionen in erneuerbare Kraftwerkskapazitäten waren mehr als doppelt so hoch wie die in fossile. In diesem globalen Wettbewerb um die Technologien der Zukunft darf sich Deutschland nicht abhängen lassen.


Kein Sponsoring für die Klimakrise

Preise müssen zunehmend die ökologische Wahrheit sagen. Ökologisch ehrliche Preise belohnen Unternehmen, die mit Ressourcen pfleglich umgehen und den Ausstoß von Klimagasen reduzieren. Damit sind sie ein wichtiger Antrieb für Innovationen, die die ökologische Modernisierung ermöglichen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die jährlich rund 50 Milliarden Euro an klima- und umweltschädlichen Subventionen in Deutschland schrittweise abzubauen. Das gilt für das Dienstwagenprivileg für große Spritfresser ebenso wie für die steuerliche Bevorzugung des Flugbenzins und die überzogenen EEG- und Ökosteuerrabatte der Industrie. Eine ökologische Finanzreform richtet Steuern und Abgaben stärker an der CO2-Belastung aus, z.B. bei energieintensiven Betrieben, im Luftverkehr oder in der Landwirtschaft. Landwirtschaftlichen Betrieben wollen wir gezielte Umbauhilfen zukommen lassen, damit sie umwelt- und klimaschonender wirtschaften können. Den absurd niedrigen CO2-Preisen im europäischen Emissionshandel helfen wir durch Einführung eines CO2-Mindestpreises ab. Die Erlöse wollen wir wieder in den Klimaschutz investieren, z.B. durch eine Effizienzoffensive, die Einsparverpflichtungen und Anschubfinanzierung für Bürger-Effizienzprojekte miteinander verknüpft. So erzeugen wir eine doppelte ökologische Dividende.


Für ein faires und ambitioniertes Klimaabkommen

Mit dem grünen Klimaaktionsprogramm könnte Deutschland bei den Klimaverhandlungen glaubwürdig auftreten und sich für ein faires globales Klimaabkommen einsetzen. Darin muss das Ziel, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen, völkerrechtlich bindend verankert werden. Außerdem braucht es einen verlässlichen Stufenplan für die schon zugesagten Klimaschutzhilfen der Industriestaaten an Schwellen- und Entwicklungsländer und an den Green Climate Fund. Denn internationaler Klimaschutz erfordert globale Gerechtigkeit.

Dabei ist klar: Klimakonferenzen allein werden die Klimakrise nicht lösen. Auch das gehört zu einer ehrlichen Analyse. Aber Paris kann und muss ein Auftakt werden für verstärkte globale Anstrengungen für Energiewende und Klimaschutz.

Die Folgen der Klimakrise sind durch Extremwetterlagen wie Dürren, Unwetter, Orkane schon heute und hier bei uns zu spüren. In vielen Regionen der Welt sind sie zum lebensbedrohlichen Alltag geworden. Ändern wir die Politik, nicht das Klima! Es gibt keinen Planet B.

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Quelle:
Pressedienst vom 2. September 2015
Bündnis 90/Die Grünen Bundesvorstand
Sigrid Wolff, Pressesprecherin
Platz vor dem Neuen Tor 1, 10115 Berlin
E-Mail: presse@gruene.de
Tel: 030/28 442-131, -134, Fax: 030/28 442-234
Internet: www.gruene.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2015

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