Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

BUNDESTAG/3437: Heute im Bundestag Nr. 442 - 15.10.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 442
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 15. Oktober 2012 Redaktionsschluss: 16:50 Uhr

1. Sachverständige befürworten Umsetzung der EU-Richtlinie über Industrieemissionen, fordern aber auch schärfere Grenzwerte
2. Zwischen Aufschwung und Prekarisierung: Experten bewerten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt völlig unterschiedlich
3. Experten uneinig über Nutzen einer Mietrechtsänderung zu Gunsten der Energiewende



1. Sachverständige befürworten Umsetzung der EU-Richtlinie über Industrieemissionen, fordern aber auch schärfere Grenzwerte

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Anhörung)

Berlin: (hib/AS) Der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (17/10486) und eine entsprechende Verordnung (17/10605) sind bei einer Anhörung des Umweltausschusses am Montag auf ein positives Echo gestoßen. Einige Sachverständige sprachen sich bei der Expertenbefragung jedoch dafür aus, bei der Umsetzung der EU-Industrieemissionsrichtlinie in nationales Recht Verschärfungen bei bestimmten Grenzwerten wie etwa Quecksilber und Stickstoffoxiden vorzunehmen. Grundlage des Gesetzentwurfs und der Verordnung ist die EU-Richtlinie über Industrieemissionen (Industry Emissions Directive IED). Sie regelt die Vermeidung und Verminderung von Emissionen des Industriesektors in Luft, Wasser und Boden und muss nun, zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten am 6. Januar 2011, in nationales Recht umgesetzt werden.

Bei der Richtlinie handele es sich nicht um grundlegend neues EU-Recht, sagte Rechtsanwalt Manfred Rebentisch von der Kanzlei Clifford Chance. Daher seien strukturelle Änderungen im deutschen Recht nicht erforderlich. "Für die Umsetzung wird am bewährten Konzept festgehalten", erklärte er. Für die Vattenfall Europe AG erklärte Ulrich Klinkert hinsichtlich der Frage von Industrieemissionen, dass es einen Neubau von Kraftwerken nur gebe, wenn es auch "realistische Rahmenbedingungen" gebe. "Wir wollen die Energiewende nicht nur akzeptieren, wir wollen sie mitgestalten", betonte er. Der Sachverständige von ThyssenKrupp Steel Europe AG, Andreas Theuer, machte deutlich, dass die gesetzlichen Regelungen für Industrieemissionen nicht nur ein wesentlicher Baustein des europäischen Umweltrechts seien, sondern auch eine starke industriepolitische Komponente besäßen. Die Industrie habe großes Interesse an Standards, die verbindlich und durchsetzbar seien. "Das hohe Umweltschutzniveau muss vom deutschen Gesetzgeber nicht vergoldet werden", sagte er.

Christian Tebert von der Ökopol Gmbh stellte ebenfalls fest, dass es sich bei Umsetzung der Richtlinie um "keine großen Neuerungen" handele. Bislang sei Deutschland im Umweltbereich jedoch immer Vorreiter gewesen. "Das ist für die wirtschaftliche Lokomotive Deutschland zu wenig", sagte er. Der internationale Experte für industriellen Umweltschutz, Harald Schönberger, warnte hinsichtlich der Grenzwerte zum Beispiel bei Emissionen von Zementwerken vor einer Bevorzugung der Mitverbrennung im Vergleich zur Abfallverbrennung. Auch Professor Uwe Lahl, von der BZL Kommunikation und Projektsteuerung GmbH sagte mit Blick auf die Diskussion um die Grenzwerte, dass die Emission von Quecksilber beispielsweise aus Kohlekraftwerken im Gegensatz zu den USA in Deutschland unterschätzt würde. Er sprach hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie von einer "vertanen Chance". Deutschland hätte die Chance gehabt, "Energieeffizienz als ordnungspolitisches Instrument einzuführen", sagte er. "Das ist ein Gestaltungsspielraum", erklärte Lahl, "der nicht genutzt wurde".

*

2. Zwischen Aufschwung und Prekarisierung: Experten bewerten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt völlig unterschiedlich

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" (Anhörung)

Berlin: (hib/KOS) Eine Kontroverse über die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt hat am Montagnachmittag den Auftakt einer Anhörung der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" bestimmt. Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), und der von der FDP benannte Sachverständige Karl-Heinz Paqué zeichneten angesichts steigender Beschäftigtenzahlen und eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels für die Zukunft ein insgesamt optimistisches Bild. Der von der SPD in das Bundestagsgremium berufene Experte Dietmar Hexel vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) verwies hingegen auf die sich hartnäckig haltende Langzeiterwerbslosigkeit sowie auf die erst anlaufende Digitalisierung der Verwaltung und des Wissenssektors, wodurch in einem neuen Schub vor allem einfache Jobs in hohem Maße wegzufallen drohten. Die emeritierte Bremer Wirtschaftsprofessorin Adelheid Biesecker forderte, die häufig aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzte oder schlecht bezahlte "Sorgearbeit", die vorwiegend von Frauen geleistet werde, stärker in den Blick zu nehmen und aufzuwerten: "Diese Tätigkeiten tragen viel zu Wohlstand und Lebensqualität bei."

Paqué warnte davor, die negativen Trends auf dem Arbeitsmarkt in den zurückliegenden Jahrzehnten einfach fortzuschreiben: "In der Zukunft stehen die Zeichen wieder auf Expansion", jedenfalls in Deutschland und anderen industriellen Kernländern Westeuropas. Der Sachverständige begründete diese positive Prognose vor allem mit dem Hinweis auf den demographischen Wandel, der von 2020 an zu einer spürbaren Verknappung des Arbeitskräfteangebots führen werde, was besonders auf Fachkräfte zutreffe. Paqué rechnet damit, dass es auch wieder zu einem spürbaren Lohnanstieg kommen werde.

Hüther sprach von einem "Höchststand bei der Beschäftigung". Die Erwerbstätigenquote erhöhe sich, was auch für Frauen gelte. Um die Berufstätigkeit von Frauen zu fördern, müsse die soziale Infrastruktur weiter ausgebaut werden. Bei sozialversicherungspflichtigen Stellen sei seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts eine Stabilisierung zu beobachten, so der IW-Direktor. Der Niedriglohnsektor habe sich zwar im Lauf der Zeit ausgedehnt, die Quote solcher Jobs am Arbeitsmarkt bleibe aber mittlerweile bei etwa 20 Prozent stabil. Auch gehe die Teilzeitarbeit, die in den meisten Fällen dem Wunsch dieser Beschäftigten entspreche, nicht zu Lasten der Vollzeitarbeit, sagte der Professor. Insgesamt hätten "Globalisierung und technischer Fortschritt nicht dazu geführt, dass uns die Arbeit ausgegangen ist", meinte Hüther, allerdings wachse der Druck zur Höherqualifizierung der Arbeit.

Hexel betonte negative Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. So müssten inzwischen acht Millionen Erwerbstätige im Niedriglohnsektor arbeiten. Zeitarbeit könne zwar als Flexibilisierungsinstrument zum Austarieren von Auftragsschwankungen sinnvoll sein, erklärte der Gewerkschafter, doch sei es nicht hinzunehmen, dass Leihkräfte 30 Prozent weniger verdienten als Stammbelegschaften. Hexel kritisierte Mängel bei der Umschulung und Fortbildung, die einem Abbau der Erwerbslosigkeit entgegenstünden.

Aus Sicht Bieseckers wird eine existenzsichernde Erwerbsarbeit im produzierenden Sektor immer knapper - eine Entwicklung, die durch die wachsende Dienstleistungsbranche nicht automatisch ausgeglichen werde. Auch als Folge der globalen Standortkonkurrenz nehme der Trend zur "Prekarisierung" zu, inzwischen könnten viele selbst von einer Vollzeit-Beschäftigung nicht mehr leben. Die Wissenschaftlerin verwies auf "transnationale Sorgeketten", wodurch die überwiegend von Frauen erbrachte Sorgearbeit von ärmeren in reichere Länder verlagert werde und um Ende der Kette unversorgte Kinder und Alte zurückblieben. Sie plädierte für den Ausbau einer qualitativ hochwertigen sozialen Infrastruktur, deren Schwerpunkte bei der Kinderbetreuung und beim Zugang zur Pflege im Alter liegen sollten.

Biesecker warb dafür, die "außermarktliche Arbeit" wie Sorge, Eigenarbeit oder bürgerschaftliches Engagement als "gesellschaftlich notwendige Arbeit" anzuerkennen. Unterstützt werden sollten die Gemeinwohlökonomie und die Genossenschaftsbewegung als Gegenbewegung zu den negativen Trends auf dem Arbeitsmarkt. Die Wirtschaftsprofessorin plädierte mit Nachdruck für Arbeitszeitverkürzungen, um die Erwerbsarbeit gerechter zu verteilen. Das hohe Maß an wirtschaftlicher Produktivität ermögliche auch mehr Muße. Biesecker: "Wir müssen über Zeit nachdenken."

*

3. Experten uneinig über Nutzen einer Mietrechtsänderung zu Gunsten der Energiewende

Rechtsausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/VER) Ob eine Mietrechtsänderung die Energiewende begünstigen würde, darüber gehen die Meinungen von Experten auseinander. Neun Fachleute diskutierten über den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes (17/10485) der Bundesregierung in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Montagmittag im Bundestag. Thema der Anhörung waren zudem der Antrag der SPD-Fraktion "Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern" (17/9559), der Antrag "Mietrechtsnovelle nutzen - Klimafreundlich und bezahlbar wohnen" (17/10120) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Antrag "Mietrecht sozial gerecht weiterentwickeln" (17/4837) der Fraktion Die Linke.

Bereits Ende September war der Gesetzentwurf der Bundesregierung in erster Lesung im Bundestagsplenum debattiert worden. Ein zentraler Punkt der Debatte - so auch in der Anhörung - ist die Umsetzung der energetischen Gebäudesanierung. Der Regierungsentwurf schließt eine Mietminderung für energetische Modernisierungsmaßnahmen in einem Zeitraum von drei Monaten aus. Das soll für die Vermieter Anreiz zur Durchführung derartiger Maßnahmen sein. Kai Warnecke, stellvertretender Generalsekretär von Haus & Grund Deutschland, Berlin stellte die Wirksamkeit einer solchen Regelung in Frage. Auch der Direktor des Deutschen Mieterbundes e.V., Lukas Siebenkotten, äußerte Bedenken: Das Mietrecht würde eingeschränkt, die Regelung für Vermieter keinerlei Vorteile bringen.

Werner Hinz, Vorsitzender Richter am Landgericht Itzehoe, gab zu bedenken, dass geregelt werden müsse, ob die Dreimonatsfrist mit den Vorbereitungen - etwa dem Gerüstaufbau - oder der Durchführung der Bauarbeiten beginnen solle. Er halte diese Frist deshalb für strittig. Hinz nannte den Gesetzentwurf insgesamt jedoch "praxistauglich". Die Rechtsanwältin Cornelia Ziehm warf die Frage auf, wer die Qualität der Sanierung überprüfe. Schließlich sei entscheidend, ob die Häuser und Wohnungen nach der Sanierung auch wirklich energieeffizienter seien. Die Kosten würden laut Gesetzentwurf schließlich mit bis zu elf Prozent auf die Miete umgelegt werden, sagte Ziehm.

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 442 - 15. Oktober 2012 - 16:50 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2012