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BUNDESTAG/3456: Heute im Bundestag Nr. 461 - 22.10.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 461
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 22. Oktober 2012 Redaktionsschluss: 17:00 Uhr

1. Experten für Mindeststandards beim Datenschutz bei der Strafverfolgung
2. Experten uneinig über Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge
3. Mehr Nachhaltigkeit durch Regulierung der Finanzmärkte
4. Anhörung zu UN-mandatierten Friedensmissionen



1. Experten für Mindeststandards beim Datenschutz bei der Strafverfolgung

Innenausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/SUK) Die von der Europäischen Kommission angestrebte Harmonisierung des Datenschutzes bei der Strafverfolgung wird von deutschen Experten begrüßt. Dies wurde am Montagnachmittag in einer zweiten Anhörung des Innenausschusses deutlich. Hatte die Datenschutz-Grundverordnung bei der Anhörung am Vormittag noch für Kritik der Sachverständigen gesorgt, beschränkten sich die Experten bei der Diskussion zum Richtlinienvorschlag der Kommission zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden für die Strafverfolgung und Strafvollstreckung auf Kritik an Details.

So sagte der Berliner Rechtswissenschaftler Hartmut Aden, angesichts des immensen Anwachsens des Datenaustauschs zwischen Polizeibehörden in Europa sei die Initiative einer Harmonisierung zu begrüßen. Dennoch weise der Entwurf "Schwachstellen auf" und mache "Nachbesserungen" nötig. Sinnvoller als eine Vollharmonisierung sei die Einführung von Mindeststandards, von denen die Mitgliedstaaten nach oben abweichen könnten. Dass die Kommission sich im Richtlinienentwurf neue Aufgaben zuweise, gehe zum Teil "weiter als das, was die Kommission allein machen soll". Bislang fehlten zudem Datenübermittlungsvorschriften für den Datenaustausch innerhalb der EU. Es gebe "gute Gründe", dafür spezielle Regelungen zu treffen.

Marion Albers, Professorin an der Universität Hamburg, sagte, mit dem Entwurf reduziere die Kommission die Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten. Eine umfassende Harmonisierung sei jedoch "nicht gerechtfertigt". Sinnvoller sei die Schaffung von Mindeststandards bei der polizeilichen Zusammenarbeit. Der Vorschlag bleibe "an vielen Stellen hinter den Schutzstandards" des nationalen Polizeirechts und der Strafprozessordnung zurück.

Matthias Bäcker von der Universität Mannheim betonte, bei der Regelungskompetenz für das Datenschutzrecht bestehe Gefahr, dass durch eine "unscheinbare Hintertür" ein "gigantischer Kompetenzstaubsauger" entstehe, der alles regele. Grundsätzlich handele es sich bei allen behördlichen Tätigkeiten um Datenverarbeitung. Die Kommission könne spezifische Fragen wie die Datenschutzaufsicht und die Datensicherheit regeln, nicht aber, welche Ermittlungsmethoden zulässig seien. Die Spielräume der Mitgliedstaaten müssten klar formuliert werden, sonst werde es zu "Auslegungsschwierigkeiten" kommen.

Auch Els de Busser vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg plädierte für klarere Festlegungen. So solle das Prinzip der Datenminimierung explizit in die Richtlinie aufgenommen werden. Zudem müsse der Zweck der Datenerhebung klarer definiert werden.

Gerrit Hornung, Jurist an der Universität Passau, betonte, die datenschutzrechtlichen Standards im Sicherheitsbereich seien in Deutschland höher als im Ausland. Nachgebessert werden müsse beim Punkt der Datenübermittlung an Drittstaaten. Hier gelte eigentlich der Grundsatz, dass dies unzulässig sei, wenn es in den betreffenden Staaten kein ausreichendes Datenschutzniveau gebe. Die zahlreichen Ausnahmen aber machten letztlich jede Form von Datenübermittlung möglich. Man dürfe aber nicht auf Anforderungen in den Empfängerländern und eine Festlegung auf eine bestimmte Schwere der Straftat als Voraussetzung für die Datenübermittlung verzichteten.

Dieter Kugelmann, Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, sagte, Mindeststandards würden die Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Justizbehörden erleichtern. Wichtig seien aber die "praktischen Aspekte" der "anspruchsvollen Konzepte", die letztlich "in den normalen Polizeibehörden vor Ort" umgesetzt werden müssten. Deshalb müsse die Richtlinie vor allem in den Bereichen Organisation und Verfahren nachgebessert werden.

Der Präsident des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke sagte, er befürchte, der bislang zu undifferenzierte Entwurf könne das deutsche Datenschutzniveau absenken und die Polizeiarbeit erschweren. So sei etwa das grundsätzliche Verbot von besonderen Kategorien von Daten - wie etwa religiöse und politische Überzeugungen, Krankheiten oder genetische Daten - schwierig, da genau diese Informationen für die polizeiliche Arbeit wichtig seien. Zudem kritisierte Ziercke die "kaum handhabbaren Informationsrechte der Betroffenen", die bereits beim Zeitpunkt der Datenerhebung informiert werden müssten. Für problematisch halte er auch die Kompetenzen einer Datenschutz-Aufsichtsbehörde, die noch während des laufenden Verfahrens die Datenverarbeitung von Polizei und Staatsanwaltschaft überwache. In Deutschland sei das gesamte Verfahren durch die Strafprozessordnung geregelt - eine Behörde, die noch während des Verfahrens anordnen könne, Daten zu löschen und so Beweismittel vernichten könne, scheine ihm nicht sinnvoll.

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2. Experten uneinig über Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge

Ausschuss für Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/JBB) Das Vorhaben der Bundesregierung, die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit 19,6 auf 19,0 Prozent zu senken, ist auf mehrheitlich positives Echo unter Experten gestoßen, wenngleich weiterhin umstritten. Das ging aus einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag, den 22. Oktober, hervor. Grundlage der Anhörung war der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (17/10743). Laut dem Entwurf soll der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung für das Jahr 2013 auf 19,0 Prozent gesenkt werden.

Dr. Volker Hansen von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sagte, die Senkung zeige "in die richtige Richtung". Die Senkung schaffe Konsum im privaten Bereich und gebe "ein Signal an die Arbeitgeber", dass die Lohnnebenkosten sinken würden. Das wiederum halte die Beschäftigung stabil. Dr. Johannes Geyer von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung stimmte dem bei. Die Senkung sorge für eine Entlastung der Arbeitgeber. Auf die Frage der mittelbaren Auswirkungen der Beitragssenkung im Hinblick auf die Haushaltskonsolidierung sagte der Einzelsachverständige Prof. Dr. Eckart Bomsdorf, dass es für den Bund positive Auswirkungen gebe, da der Bundeszuschuss verringert werde und die Bundesbeiträge bei den Kindererziehungszeiten ebenso verringert würden. Zudem hätte die öffentliche Hand als Arbeitgeber weniger Ausgaben und gleichzeitig mehr Einnahmen, da weniger von der Steuer angezogen werden könne. Den Antrag der SPD-Fraktion (17/10775), den Beitrag nicht zu senken, sondern auf 19,6 Prozent zu belassen und das so eingenommene Geld in einen "Demografie-Fonds" zu stecken, wurde vom Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund kritisiert. Weitere sechs Jahre erhöhte Einnahmen könne man "schwer als Demografie-Reserve umschreiben". Aktuelle Überlegungen, den Beitragssatz sogar auf 18,9 Prozent zu senken, sah er skeptisch. Diese Berechnungen würden auf "vorläufigen Schätzungen" basieren. Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup machte deutlich, dass die Beitragssätze von der Demografie abhängig sind, und nicht von der Konjunktur. Das Ansparen hätte "nichts mit Nachhaltigkeit" zu tun, sondern belaste die eine Generation der Beitragszahler, um eine spätere zu entlasten. Dadurch wäre es mehr eine Verschiebung zwischen den Generationen.

Annelie Buntenbach vom Deutsche Gewerkschaftsbund kritisierte den Plan der Beitragssenkung als "zu kurzfristig gedacht". Die Beitragszahler hätten heute eine Entlastung von "7,80 Euro monatlich" um dafür aber im Jahr 2030 "eine um 158 Euro niedrigere Rente" zu bekommen, die Reserve werde so "verpulvert". Stattdessen plädierte sie für eine langsame Anhebung der Beiträge und eine teilweise Besserung der Leistungen. Dr. Rudolf Zwiener von der Hans-Böckler-Stiftung sprach sich dafür aus, die Nachhaltigkeitsrücklage dauerhaft auf drei Monatsreserven zu erhöhen. Momentan seien es zwei. Die Erhöhung wirke "konjunkturstabilisierend", da bei einer Rezession sofortige Einnahmeausfälle zu erwarten seien und diese dadurch sofort ausgeglichen werden könnten.

Durch die Absenkung sollen laut Bundesregierung Bund, Länder und Kommunen entlastet werden. Beispielsweise verringere sich der Beitrag des Bundes als Beitragszahler für Kindererziehungszeiten um rund 370 Millionen Euro, die Arbeitnehmer würden durch die Senkung der Beitragssätze mit rund 2,7 Milliarden Euro entlastet, in gleicher Höhe auch die Arbeitskosten der Wirtschaft sinken. Dadurch steige das verfügbare Einkommen und dies stärke die Konsumnachfrage.

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3. Mehr Nachhaltigkeit durch Regulierung der Finanzmärkte

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Berlin: (hib/KOS) Über eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte für eine stabile und nachhaltige Finanzwirtschaft sorgen: Diese Botschaft vermittelten am Montagnachmittag vor der unter dem Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) tagenden Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" die Wirtschaftsprofessoren Clemens Fuest und Gustav A. Horn. Fuest, Professor an der Uni Oxford, plädierte besonders dafür, Banken vom Markt für Staatsanleihen fernzuhalten, und verlangte, in der Finanzpolitik den Einfluss des Parlaments gegenüber der Regierung zu erhöhen. Horn, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, setzte sich für eine langfristig angelegte und konjunkturpolitisch flexible Rückführung der Staatsverschuldung über eine entsprechende Gestaltung der Ausgaben im Etat ein und warnte vor einem "Crashkurs" mit negativen Folgen: "Griechenland ist ein warnendes Beispiel."

Hinter den von der Finanzkrise für die Stabilität der Finanzmärkte ausgehenden Bedrohungen machte Fuest als "Kern des Problems" aus, dass es bei den einst sicheren Staatsanleihen in der Eurozone nunmehr Ausfälle geben könne, weil die Europäische Zentralbank (EZB) anders als früher die nationalen Zentralbanken keine Staatsfinanzierung mehr betreiben dürfe. Eine Konsequenz aus diesem Dilemma könne sein, über eine Staatsfinanzierung durch die EZB Staatsanleihen wieder stabil zu machen. Um der damit verbundenen Gefahr einer unbegrenzten Verschuldung einzelner Euro-Länder zu Lasten anderer Staaten zu begegnen, müssten nationale Kompetenzen zur europäischen Ebene wandern, was jedoch politisch problematisch sei. Eine Alternative aus Sicht des Wissenschaftlers ist der Umbau des Finanzsektors, "damit er Schuldenschnitte und Staatsbankrotte aushält". Dazu gehöre auch, dass Banken keine Staatsanleihen mehr halten und dass sie über mehr Eigenkapital verfügen.

Fuest warb dafür, den Einfluss der Ratingagenturen durch mehr Transparenz bei den Staatsfinanzen einzudämmen. Zudem machte er sich für die Schaffung eines "parlamentarischen Budgetbüros" stark, das die bislang der Regierung obliegende Aufgabe übernimmt, finanzpolitische Prognosen zu erstellen und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen oder die Auswirkungen von Steuerreformen und Schuldenpolitik zu prüfen.

Im Sinne einer "strikten Finanzmarktregulierung" forderte Horn, dass die Rendite in der Finanzbranche nicht höher sein dürfe als in der Realwirtschaft, da sich andernfalls der Finanzsektor zu Lasten der übrigen Wirtschaft weiter aufblähen werde. Als nötig bezeichnete er die Anhebung der Eigenkapitalrücklage bei Banken und die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer. Überdies plädierte Horn für eine "Rezeptpflicht" bei neuen Anlageprodukten, um gefährliche Angebote dieser Art vom Finanzmarkt auszuschließen. Diese Aufgabe solle eine auf EU-Ebene angesiedelte Agentur übernehmen. Eine wesentliche Ursache der aktuellen Krise sieht der Forscher in der Steigerung der Staatsschulden als Folge der Bankenrettung durch die öffentliche Hand: "Dies muss in Zukunft verhindert werden."

Horn mahnte das Parlament, "sich wieder der Finanzpolitik zu bemächtigen". Er kritisierte die Tendenz, die Verantwortung unter Verweis auf die Schuldenbremse "abzuschieben". Der Wissenschaftler kritisierte, dass wegen dieser Regelung im Grundgesetz künftige Generationen von Parlamentariern in ihren Entscheidungen nicht mehr frei seien - sie müssten vielmehr die von den heutigen Politikern beschlossene Staatsschuldenquote akzeptieren.

Matthias Zimmer (CDU) verteidigte hingegen die Schuldenbremse als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung. Der Vizevorsitzende der Enquetekommission: "Die Schuldenbremse sorgt für Nachhaltigkeit." Edelgard Bulmahn indes betonte, der Kurs der Stabilisierungpolitik hänge auch von der Gewichtung von Werten ab. Wenn die Politik in der Bildung einen wichtigen öffentlichen Auftrage sehe, so die SPD-Obfrau, dann müsse dies auch finanzielle Konsequenzen haben. Möglicherweise sei dann auch eine gewisse Verschuldung in Kauf zu nehmen.

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4. Anhörung zu UN-mandatierten Friedensmissionen

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Berlin: (hib/AHE) Um UN-mandatierte Friedensmissionen und Menschenrechte geht es in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Mittwoch, den 24. Oktober 16 Uhr im Sitzungssaal JKH 1.302 im Jakob-Kaiser-Haus. Als Sachverständige sind geladen: Richard Bennett (UN-Mission Süd-Sudan), Ekkehard Griep (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen), Wibke Hansen (Zentrum für Internationale Friedenseinsätze), Wolfgang Heinz (Deutsches Institut für Menschenrechte), Prof. Claus Kreß (Universität Köln) sowie Prof. Norman Paech.

Interessierte Zuhörer werden gebeten, sich beim Ausschuss per Fax unter 030 227-36051 oder per E-Mail menschenrechtsausschuss@bundestag.de mit Namen, Vornamen und Geburtsdatum anzumelden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 461 - 22. Oktober 2012 - 17:00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012