Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

BUNDESTAG/3859: Heute im Bundestag Nr. 259 - 13.05.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 259
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 13. Mai 2013 Redaktionsschluss: 16:15 Uhr

1. Experten fordern rückwirkende Lösung für Beitragsschuldner
2. Stress am Arbeitsplatz als ernstes Problem
3. Möglichkeit zur vertraulichen Geburt einhellig begrüßt
4. Lebensqualität und Nachhaltigkeit
5. Gegen unseriöse Geschäftspraktiken
6. Kinderrechte sollen ins Grundgesetz



1. Experten fordern rückwirkende Lösung für Beitragsschuldner

Ausschuss für Gesundheit (Anhörung)

Berlin: (hib/SUK) Der von der schwarz-gelben Koalition geplante Notlagentarif in der Privaten Krankenversicherung wird von Experten begrüßt. Sie halten jedoch zusätzlich eine rückwirkende Regelung für nötig. Dies wurde in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses am Montag, 13. Mai 2013, zu einem Gesetzentwurf der Koalition zur "Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung" (17/13079), einem SPD-Antrag zur Senkung der Säumniszuschläge (17/12069) und zwei Anträgen der Linken zur Privaten Krankenversicherung (17/10119, 17/5524) deutlich.

So sprach sich der Bund der Versicherten für eine solche rückwirkende Regelung aus, die es Betroffenen ermögliche, in den normalen Tarif zurückzukehren. Besonders für Selbständige bestehe die Gefahr, durch die Private Krankenversicherung "in die Schuldenfalle" und damit in "Verelendungsprobleme" zu geraten. Auch der Verbandsdirektor vom Verband der privaten Krankenversicherung, Volker Leienbach, sagte, es wäre "sozialpolitisch zu begrüßen", wenn auch jetzige Versicherte mit Beitragsschulden "in den Genuss der neuen Regelung" kommen würden. Es müsse möglich sein, rückwirkend in den Notlagentarif umgestellt zu werden. Dies sei grundsätzlich machbar, es brauche dafür aber sei eine gesetzliche Regelung. Damit würden die Beitragsschulden "dramatisch reduziert" werden.

Verbesserungen forderten die Sachverständigen vor allem für den Bereich der Behandlung von Kindern und Jugendlichen. So sagte Volker Leienbach, die Leistungen bei Kindern auf eine Akutversorgung zu reduzieren, wäre "eher fragwürdig" und nicht sozial gerecht. Dem schloss sich die Vertreterin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege an: Kinder und Jugendlichen sollten aus dem Notlagentarif ausgenommen sein; man müsse eine analoge Regelung zur Gesetzlichen Krankenversicherung finden. Eine Vertreterin des Sozialverbands VdK wies darauf hin, dass auch bei Senioren eine reine Akutversorgung nicht ausreiche. Viele der Menschen, die sich bei ihrem Verband beraten ließen, würden eine Krankenversicherung benötigen und dann erst feststellen, dass sie bereits "wahnsinnige Schulden" angehäuft hätten. Dies führe dann häufig direkt in die Privatinsolvenz.

Ebenfalls thematisiert wurde in der Anhörung die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser in Deutschland. Sie ist nach Ansicht von Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft in vielen Häusern "problematisch-defizitär". Nach Ansicht von Johann-Magnus von Stackelberg, Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbands, dagegen geht es "den meisten Krankenhäusern gut".

*

2. Stress am Arbeitsplatz als ernstes Problem

Ausschuss für Arbeit und Soziales (Anhörung)

Berlin: (hib/CHE) Belastungen am Arbeitsplatz führen immer öfter zu psychischen Erkrankungen bei Arbeitnehmern und sind somit zu einem Problem geworden, auf das auch der Gesetzgeber Antworten finden sollte. Diese Meinung vertrat eine Mehrheit von Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag.

Gegenstand der Anhörung waren vier Anträge zu psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. Die drei Anträge der Oppositionsfraktionen konzentrieren sich vor allem darauf, eine "Anti-Stress-Verordnung" zu fordern, mit der Regelungslücken im Arbeits- und Gesundheitsschutz geschlossen werden können. Sie begründen ihre Initiativen mit der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen bei den Beschäftigten. Die Verordnung müsse, so heißt es im SPD-Antrag (17/12818), einen verbindlichen Bezugsrahmen für Betriebe und Aufsichtsbehörden schaffen. Faktoren wie Arbeitsorganisation, Gestaltung der Arbeitsaufgabe und Arbeitszeit sollten darin berücksichtigt werden, schreiben die Sozialdemokraten. Sie werfen der Bundesregierung vor, den Handlungsbedarf angesichts der Zunahme arbeitsbedingter psychischer Belastungen zu ignorieren. Bündnis 90/Die Grünen stellen in ihrem Antrag (17/10867) fest, dass in Deutschland zwar Arbeitsschutzgesetze existierten, es aber ein "Umsetzungsdefizit" auf betrieblicher und gesetzgeberischer Ebene gebe. So fehlten vielen Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, die aufzeigen, welche gesundheitlichen Belastungen auftreten und wie sie vermieden werden können. Die Fraktion Die Linke betont, dass es entscheidend sei, dass Beschäftigte ihre Arbeitsbedingungen stärker mitgestalten können. Stress entstehe hauptsächlich dann, wenn ein hoher Verantwortungsumfang mit nur einem geringen Handlungsspielraum bei der Gestaltung des Arbeitsprozesses einhergeht, schreibt die Fraktion in ihrem Antrag (17/11042). Die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP verlangen in ihrem Antrag (17/13088) von der Bundesregierung, durch mehr Öffentlichkeitsarbeit bei Unternehmen, Verwaltungen und Belegschaften für mehr betriebliche Gesundheitsförderung zu werben. Außerdem müssten der Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und psychischen Erkrankungen besser erforscht werden, heißt es in dem Antrag. Grundsätzlich betonen beide Fraktionen jedoch das Prinzip der freiwilligen Lösungen für die Betriebe.

Wolfgang Panter vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e. V. betonte die besondere Rolle von Führungskräften in diesem Zusammenhang. Sie seien eine wichtige Schnittstelle, wenn es darum geht, Angestellten mit psychischen Erkrankungen zu helfen. Ihre Schulung müsse deshalb dringend verbessert werden, sagte Panter. Alfred Lenz von BMW in Regensburg argumentierte in eine ähnliche Richtung: "Jede Führungskraft sollte sich als Vorbild und Ansprechpartner sehen." Die Kommunikation mit den Mitarbeitern spiele dabei eine entscheidende Rolle und sollte idealerweise 30 Prozent der Führungsaufgaben ausmachen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte die Initiativen der Opposition, die seiner Meinung nach in vielen Punkten mit den Positionen des DGB übereinstimmten. Sein Vertreter Ingo Nürnberger sagte in der Anhörung, es sei richtig, den gesetzlichen Druck auch durch entsprechende Sanktionen zu erhöhen. Er teilte nicht die Ansicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dass zunächst mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entstehung und Auswirkungen von Stress in den Betrieben nötig sei. "Wir wissen schon sehr viel über Stress am Arbeitsplatz und über die Auswirkungen von Schichtarbeit", entgegnete er seinem BDA-Kollegen Norbert Breutmann. Dieser hatte zuvor angemerkt, dass sich die Arbeitswelt sehr wohl verändert habe, aber man noch nicht das wissenschaftliche Feedback für die nötigen Bedarfsanalysen verfüge. Deshalb lehne die BDA auch die von der Opposition geforderte Anti-Stress-Verordnung ab. Diese gefährde die erfolgreich bestehenden Strukturen des betrieblichen Gesundheitsschutzes. Das geltende Arbeitsschutzrecht sehe ausreichende Regelungen vor, um arbeitsbedingten psychischen Gefährdungen entgegenzuwirken. Dem widersprach Andrea Fergen von der IG Metall. Es fehle sehr wohl an konkretisierenden Verordnungen, sagte sie. Dies führe zu Rechtsunsicherheit und sorge für eine Reihe von Problemen bei den betrieblichen Akteuren. Eine Anti-Stress-Verordnung wäre eine adäquate Rechtsgrundlage, resümierte Fergen.

*

3. Möglichkeit zur vertraulichen Geburt einhellig begrüßt

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Anhörung)

Berlin: (hib/PST) Jahr für Jahr werden in Deutschland zwischen 20 und 40 Kinder ausgesetzt oder direkt nach der Geburt getötet. Dazu kommt wahrscheinlich eine erhebliche Dunkelziffer. Die Einrichtung von Babyklappen ab 1999 sollte helfen, diese Zahl zu senken. Doch eine Studie des Deutschen Jugendinstituts hat ergeben, dass dieses Ziel verfehlt wurde. Zudem gab es stets Bedenken gegen Babyklappen, weil die meisten dort anonym abgegebenen Kindern nie erfahren, wer ihre Eltern sind. Der Deutsche Ethikrat hat deshalb 2009 empfohlen, eine Möglichkeit der vertraulichen Geburt gesetzlich zu regeln. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/13062), der diese Empfehlung umsetzt, war nun Gegenstand einer Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Eine Schwangere hat nach diesem Gesetzentwurf die Möglichkeit, ein Kind im Krankenhaus oder mithilfe einer Hebamme zur Welt zu bringen und in Obhut zugeben, ohne dass ihre Identität unmittelbar bekannt wird. Vielmehr werden die Angaben zu ihrer Person in einem verschlossenen Umschlag verwahrt, bis das Kind 16 Jahre alt ist. Auch nach geltendem Adoptionsrecht hat ein Kind erst in diesem Alter einen Anspruch zu erfahren, wer seine leiblichen Eltern sind.

Alle elf geladenen Sachverständigen bezeichneten den Gesetzentwurf auf eine Frage der FDP-Abgeordneten Miriam Gruß hin als deutliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation. Ein Teil der Experten kritisierte allerdings, dass es neben der vertraulichen Geburt auch weiterhin Babyklappen sowie die Möglichkeit der völlig anonymen Geburt geben soll. Dies würde, wie Dr. Bernd Wacker von "terre des hommes Deutschland" und der Frauenarzt Dr. Joachim Neuerburg vom St. Anna Hospital in Herne einhellig formulierten, den Gesetzentwurf entwerten. Einigkeit herrschte gleichwohl, dass es zumindest für eine Übergangszeit weiter Babyklappen und die anonyme Geburt geben müsse, bis das neue Angebot bei den Frauen, an die es sich richtet, hinreichend bekannt ist. Es wird nun in den weiteren Ausschussberatungen zu klären sein, ob es hier eine Befristung geben soll oder man die ohnehin im Gesetz vorgesehene Evaluation nach drei Jahren abwarten will. Dr. Heinz Kindler von Deutschen Jugendinstitut, das mit einer Studie eine wichtige Grundlage für den Gesetzentwurf gelegt hatte, bezeichnete es als eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Erfolg, dass die Hilfen für Schwangere in Not besser bekannt gemacht werden.

Von Ingrid Fischbach (CDU) nach Verbesserungsvorschlägen gefragt, wünschte sich Birgit Mock vom Katholischen Deutschen Frauenbund eine "Beratung über Wege zum Kind" für Frauen, die sich zur vertraulichen Geburt melden. Einrichtungen, die eine vertrauliche Geburt anbieten, sollten gesetzlich verpflichtet werden, mit den Schwangeren über Möglichkeiten zu sprechen, ihr Kind doch noch anzunehmen. Der Passauer Jura-Professor Werner Beulke, den Fischbach um eine verfassungsrechtliche Beurteilung des Gesetzentwurfes gebeten hatte, sah die Rechte des Vaters "sehr kurz gehalten". Aber er "glaube, es geht nicht anders", da die Frage nach dem Vater viele Schwangere davon abhalten könnte, das Angebot anzunehmen. Beulke nannte den Gesetzentwurf einen "guten Kompromiss" zwischen den Rechten von Mutter und Kind, der wohl auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde.

Dr. Gudrun Lies-Benachib vom Deutschen Juristinnenbund wies in der Antwort auf eine Frage der SPD-Abgeordneten Caren Marks darauf hin, dass das Grundgesetz (Art.6 Abs.4) Mütter unter den besonderen Schutz des Staates stelle. Dem werde der Gesetzentwurf gerecht. Lies-Benachib regte aber an, die Regelungen des Gesetzentwurfes über die Nachbetreuung von vertraulich geborenen Kindern auch auf Kinder auszuweiten, die in Babyklappen abgelegt wurden.

Yvonne Ploetz (Die Linke) fragte Katharina Jeschke vom deutschen Hebammenverband nach den Erfahrungen ihrer Berufsgruppe mit der anonymen Hausgeburt. Jeschke begrüßte daraufhin ausdrücklich, dass diese weiter möglich sein soll. Sie sei beispielsweise wichtig für Zwangsprostituierte ohne Aufenthaltserlaubnis. Diese wollten oft ihr Kind behalten, aber auf keinen Fall ihre Identität preisgeben.

Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) bezweifelte, ob die Regelung im Gesetzentwurf sinnvoll ist, dass sofort nach einer vertraulichen Geburt das Sorgerecht der Mutter ausgesetzt werden soll. Dies nannte der Jurist Werner Beulke einen "Webfehler des Gesetzes". Es müsse zumindest in den ersten Wochen leicht für die Mutter sein, sich umzuentscheiden und einen Weg zum Kind zu finden.

*

4. Lebensqualität und Nachhaltigkeit

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Berlin: (hib/KOS) Die Politik soll sich nicht mehr allein an der Steigerung der Wirtschaftsleistung, sondern verstärkt auch an ökologischen Erfordernissen und der sozialen Balance ausrichten. Stützen soll sich ein solches Umdenken auf das von der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" entworfene "W3 Indikatoren"-Modell, das Lebensqualität nicht nur über das am Wachstum orientierte Bruttoinlandsprodukts (BIP) definiert und misst, sondern auch anhand der Kriterien "Ökologie" sowie "Soziales und Teilhabe". Das Gremium pocht darauf, dass sich Parlament und Regierung künftig regelmäßig mit der Entwicklung der auf diese Weise ermittelten Lebensqualität befassen. So lautet eine zentrale Botschaft des Abschlussberichts der 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftler, den jetzt der Deutsche Bundestag als Drucksache 17/13300 veröffentlicht hat.

Angesichts von Umweltzerstörungen, Finanzkrisen und Verteilungsungerechtigkeiten wollte die Kommission Wege hin zum nachhaltigen Wirtschaften weisen und deshalb das BIP als traditionelle Rechengröße für Wohlfahrt durch ökologische wie soziale Aspekte ergänzen. Das Gremium unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) zeigte sich zwar in der Problemanalyse weithin einig, etwa über Grenzen bei der ökologischen Belastbarkeit des Planeten oder über die vom Finanzsystem ausgehenden Gefahren. Umstritten waren hingegen öfters die Konsequenzen aus diesen Betrachtungen, etwa Strategien zur Senkung des Ressourcenverbrauchs. Gleichwohl wurde der Bericht einstimmig verabschiedet. Der Grund: Die rund 1.000 Seiten enthalten nicht nur die von der Koalitionsmehrheit geprägten Passagen, sondern auch zahlreiche Sondervoten von Oppositionsfraktionen und einzelnen Parlamentariern, so dass sich alle Seiten in der Expertise wiederfinden können.

Wichtigstes Ergebnis der über zweijährigen Arbeit ist das "W3"-Konzept, dessen Größen "Materieller Wohlstand", "Soziales und Teilhabe" sowie "Ökologie" Auskunft geben sollen, wie es um die Wohlfahrt im Land steht. Aufgeschlüsselt werden diese drei Kriterien durch zehn "Leitindikatoren" wie etwa BIP, Einkommensverteilung, Beschäftigungsquote, Artenvielfalt oder Emissionen von Treibhausgasen sowie durch neun "Warnlampen" und eine "Hinweislampe" - wobei es sich bei Letzteren unter anderem um Arbeitsqualität oder Weiterbildung dreht. Die Politik soll eingreifen, sobald "W3" Alarm schlägt - wenn beispielsweise das Beschäftigungsniveau sinkt, der materielle Wohlstand abnimmt oder sich der Zustand der Umwelt wegen der Treibhausgase verschlechtert.

Der Bericht offenbart, dass auch fürderhin umstritten bleiben wird, welchen Stellenwert Wachstum konkret haben soll. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP bestehen auf einem positiven Verständnis von Wachstum: Dieses schaffe finanzielle und technisch-innovative Mittel, um Nachhaltigkeit zu fördern, Umwelt- und Finanzkrisen zu meistern oder Schuldenabbau, Sozialleistungen und Beschäftigung zu ermöglichen. Für die Opposition ist indes die Wachstumspolitik mitverantwortlich für ökologische und wirtschaftliche Krisen, weswegen eine "Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft" mit einer aktiven Rolle des Staats nötig sei. Mit der Idee einer "sozialökologischen Transformation" scheiterten Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen freilich an der Koalition.

Von diesem Gegensatz ist auch das Kapitel über "Nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik" geprägt. Union und FDP befürworten eine pragmatische Anpassung der sozialen Marktwirtschaft, die ihre "Anpassungsfähigkeit" schon häufig bewiesen habe, an die Erfordernisse der Nachhaltigkeit. Die Opposition hingegen hält weitreichende Änderungen für nötig. Der Staat solle nicht alles dekretieren, aber entsprechende Regulierungsrahmen setzen. Bei den dramatischen Krisen handele es sich "nicht nur um einen Betriebsunfall", weshalb "kleinere pragmatische Anpassungen" nicht genügten.

Trotz solcher Unterschiede verständigte man sich auf Vorschläge zur Stabilisierung des Bankensystems. Dazu zählt eine Stärkung des Haftungsprinzips über eine größere Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute und über "Vergütungssysteme, die das Risikobewusstsein schärfen". Schattenbanken müssten effizienter kontrolliert werden, auch eine wirkungsvolle europäische Finanzaufsicht sei geboten.

Konsens herrscht, dass die Politik die ökologischen Grenzen des Planeten akzeptieren müsse. In manchen Bereichen wie dem Ausstoß von Klimagasen, dem Rückgang der Artenvielfalt oder der Überlastung des Stickstoffkreislaufs seien diese Grenzen schon heute überschritten. Deshalb müsse der Umwelt- und Ressourcenverbrauch gesenkt werden. Über konkrete Forderungen zur Reduzierung des Rohstoffkonsums konnte man sich jedoch nicht einigen. Die Koalition sieht dies als Aufgabe der künftigen Regierung an. Ein Sondervotum der Opposition macht zahlreiche Vorschläge, etwa ein Wertstoffgesetz, eine effizientere Kreislaufwirtschaft mit höheren Recyclingquoten oder eine Abgabe auf Stickstoff.

Auch zu einer zukunftsfähigen Arbeitswelt war "ein fraktionsübergreifender Konsens nicht herzustellen". Der Bericht präsentiert lediglich als Basis künftiger Debatten drei unterschiedliche Modelle. Ein Konzept, das Union und FDP zuzuordnen ist, macht sich für eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit und für mehr Flexibilisierung stark. Ein von der SPD favorisierter Entwurf zielt auf "qualitativ wertvolle Arbeit", lehnt eine Ausdehnung des gesamten Arbeitsvolumens ab und will die Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern ausgeglichener verteilen. Linke und Grüne verlangen, soziale Sorgearbeit und bürgerschaftliches Engagement stärker mit Erwerbsarbeit zu verknüpfen.

Einhellig plädiert die Kommission für eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen und deshalb für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zum umstrittenen Mindestlohn nimmt der Bericht nicht Stellung. Lediglich ein Sondervotum dreier Sachverständiger aus dem Oppositionslager setzt sich für den Mindestlohn ein.

*

5. Gegen unseriöse Geschäftspraktiken

Recht/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/KOS) Auf die Eindämmung unseriöser Geschäftspraktiken zielt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/13057). Die Pläne richten sich gegen negative Aspekte des Abmahnwesens, der Telephonwerbung und des Inkassos. Die Vorlage kritisiert, dass wegen solcher Praktiken viele Bürger von hohen finanziellen Belastungen betroffen oder zumindest einer solchen Gefahr ausgesetzt seien, obwohl sie selbst keine oder nur vergleichsweise geringfügige Rechtsverstöße begehen würden. Dadurch werde das Rechtsempfinden mancher Bürger erheblich gestört. Die Regierung will deshalb unseriöse Geschäftspraktiken, die immer wieder Gegenstand von Beschwerden seien, durch eine Reihe von Maßnahmen zurückdrängen, "ohne die berechtigten Belange seriöser Gewerbetreibender zu beeinträchtigen".

Konkret sollen nach dem Gesetzentwurf Verträge, die per Telephon zu Gewinnspieldiensten getätigt werden, nur dann Rechtskraft erlangen, wenn sie zusätzlich schriftlich bestätigt werden. Untersagen will die Vorlage Werbeanrufe, die von automatischen Anrufmaschinen stammen. Ein Dorn im Auge sind der Regierung auch überteuerte Abmahngebühren. Deshalb soll künftig bei einer ersten Abmahnung der Streitwert im Prinzip auf 1000 Euro begrenzt werden. Diese Regelung würde beispielsweise im Falle eines ersten, nicht legalen Downloads im Internet die Abmahnkosten im Rahmen halten. Allerdings soll es im begründeten Einzelfall Ausnahmen von der Begrenzung des Regelstreitwerts auf 1000 Euro geben können.

Die Regierung gibt sich überzeugt, dass diese und andere Vorschläge zu einem "deutlich verbesserten Schutz" der Bürger von unseriösen Geschäftspraktiken führen.

*

6. Kinderrechte sollen ins Grundgesetz

Recht/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/KOS) Die SPD will die Rechtsstellung von Kindern in der Verfassung ausdrücklich verankern. Ein Gesetzentwurf (17/13223) plädiert für eine entsprechende Ergänzung des Artikels 6 im Grundgesetz durch die Einfügung eines neuen Absatzes 2 und die Änderung des bisherigen Absatzes 5. Nach den Vorstellungen der Fraktion soll künftig in der Verfassung u.a. festgeschrieben werden, dass jedes Kind ein "Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit" hat. Die staatliche Gemeinschaft müsse die Rechte des Kindes achten, schützen und fördern und für "kindgerechte Lebensbedingungen" sorgen. Jedes Kind habe gemäß seiner Entwicklung das Recht auf Beteiligung in den Angelegenheiten, die es betreffen. Eine weitere Formulierung soll im Grundgesetz die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern verankern.

Zur Begründung schreibt die SPD, dass Kinder zwar schon nach geltendem Recht Träger von Grundrechten seien. Das Verhältnis von Kindergrundrechten und Elternrecht bestimme sich in der Verfassung jedoch einseitig vom Elternrecht her. Das Grundgesetz erwähne Kinder "nur als Objekte der Pflege und Erziehung der Eltern". Der Gesetzentwurf verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1968, wonach Kinder selbst Träger subjektiver Rechte, Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit seien. Das Grundgesetz, so die SPD, trage in seiner jetzigen Fassung diesem Urteil nicht Rechnung.

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 259 - 13. Mai 2013 - 16:15 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2013