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BUNDESTAG/3861: Heute im Bundestag Nr. 261 - 14.05.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 261
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 14. Mai 2013 Redaktionsschluss: 10:40 Uhr

1. "Beschämendes Versagen"
2. Software-Patente in der Kritik



1. "Beschämendes Versagen"

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) "Ein beispielloses und beschämendes Versagen": Mit diesen scharfen Worten hat Sebastian Edathy ein hartes Urteil über die Arbeit der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie gefällt. Anlässlich der letzten Zeugenvernehmungen des Untersuchungsausschusses, der Fehlgriffe und Pannen bei den erfolglosen Ermittlungen zu der Erschießung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer deutschen Polizistin durchleuchten soll, sagte der SPD-Politiker, dieses Scheitern sei "beschämend für die Republik". Das Vertrauen in den Rechtsstaat sei erschüttert worden. Das Bundestagsgremium bemühe sich, mit seiner Arbeit dieses Vertrauen wieder aufzubauen, so dessen Vorsitzender.

Edathy führte das Versagen von Polizei und Geheimdiensten auf einen "völlig unzureichenden" Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden zurück, auch sei das Gewaltpotential der rechtsextremen Szene "massiv unterschätzt" worden. Zudem seien die Ermittlungen nicht "ergebnisoffen" geführt worden. Man hatte die Hintergründe der zehn Hinrichtungen vor allem im Bereich der organisierten Kriminalität vermutet. FDP-Obmann Hartfried Wolff plädierte dafür, die Arbeit des Untersuchungsausschusses auch in der nächsten Legislaturperiode fortzusetzen, viele Fragen seien bislang offen geblieben.

Am Donnerstag beendet das Gremium mit einer Sachverständigenanhörung seine öffentlichen Treffen. Ende August soll der Abschlussbericht präsentiert werden, der Anfang September bei einer Sondersitzung des Bundestagsplenums diskutiert werden soll.

Bei den sich bis in den Montagabend hinziehenden Vernehmungen mehrerer Zeugen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) befassten sich die Abgeordneten zum wiederholten Male mit der Rolle von Spitzeln im rechtsextremen Milieu. Mehrere Fraktionssprecher wiesen darauf hin, dass die Geheimdienste auf Bundes- und Länderebene eine Reihe von V-Leuten im Umfeld des im Januar 1998 untergetauchten und später zum NSU mutierten Jenaer Trios platziert hatten, allein das BfV habe drei solche Informanten geführt. Offenbar habe man auf diesem Weg aber keine Hinweise auf den Aufenthaltsort und die Aktivitäten von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe erhalten, kritisierten die Abgeordneten. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland fragte, ob die V-Leute keine Anweisungen zur Suche nach der Jenaer Zelle bekommen oder ob die Informanten ihr Wissen für sich behalten hätten. SPD-Sprecherin Eva Högl äußerte die Vermutung, die V-Leute seien "nicht gezielt für die Suche nach dem abgetauchten Trio genutzt worden". Unions-Obmann Clemens Binninger monierte, die mit dem Einsatz solcher Informanten verbundenen Risiken stünden in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn.

Ein mit der Auswertung von Material über die rechtsextreme Szene befasster BfV-Mitarbeiter bezeichnete es bei seiner öffentlichen Anhörung als Fehler, dass die bei den verschiedenen Behörden vorliegenden Erkenntnisse über die Jenaer Gruppe seinerzeit nicht zentral gesammelt worden seien. Auch seien die Kapazitäten des BfV nur unzureichend genutzt worden, so der unter dem Pseudonym "Egerton" auftretende Zeuge. Er erläuterte, dass dieser Fall durchaus als etwas Besonderes eingeschätzt und im Amt häufig diskutiert worden sei, da das spurlose Verschwinden einer rechtsextremen Gruppe über Jahre hinweg neuartig gewesen sei.

Laut "Egerton" schätzte man Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als verbalradikale Leute mit der Neigung zu provokanten Aktionen ein. Zwar sei bei einer Garagendurchsuchung Anfang 1998 in Jena, die das Trio zum Anlass für sein Abtauchen nahm, Bombenmaterial gefunden worden. Doch hätten damals keine Hinweise auf konkrete Anschlagspläne der Zelle existiert. Dies heiße nicht, dass man die Gruppe für ungefährlich gehalten habe. Bis heute sei ihm "schleierhaft", wie es bei Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zum Sprung von Verbalradikalismus und provokanten Aktionen zum Terrorismus gekommen sei: "Das hätte ich denen nach dem damaligen Erkenntnisstand nicht zugetraut." Linken-Obfrau Petra Pau kritisierte indes, dass die Waffenfunde bei dem Trio und generell im rechtsextremen Milieu in ihrer Bedeutung von den Sicherheitsbehörden unterschätzt worden seien.

Ein Thema bei der Vernehmung "Egertons" war auch die Erwähnung des Kürzels "NSU" in der Zeitschrift "Weißer Wolf" im Jahr 2002. Deren Herausgeber bedankte sich damals beim "NSU", was sich nach heutigem Wissen auf eine Spende von 2500 Euro bezog. Auf Fragen mehrerer Abgeordneter, warum man seinerzeit nicht nach den Hintergründen dieses erstmals öffentlich erwähnten Namens geforscht habe, sagte der Zeuge, dem Herausgeber selbst sei diese Gruppe offenbar unbekannt gewesen, weshalb er sich für die Unterstützung in seinem Blatt auf allgemeine Art bedankt habe. Da außer der Erwähnung des Begriffs "NSU" keine weiteren "inhaltlichen Anfasser" existiert hätten, habe sich keine Möglichkeit zu weiteren Prüfungen ergeben. "Man hätte hellseherische Fähigkeiten haben müssen, um aus einem unbestimmten Dank an eine unbekannte Gruppe" Schlussfolgerungen zu ziehen, so "Egerton". Später habe man den Begriff NSU nie wieder gehört.

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2. Software-Patente in der Kritik

Rechtsausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/PST) Computerprogramme sind eine Abfolge von Algorithmen, Algorithmen aber sind Mathematik und Mathematik ist nicht patentierbar. So begründete Rechtsprofessor Jürgen Ensthaler von der Technischen Universität Berlin als Sachverständiger in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses zu dem Antrag "Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen" (17/13086), warum er diesen Antrag im Grundsatz befürwortet. Darin fordern die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, auf nationaler Ebene sicherzustellen und auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass der Schutz von Computerprogrammen in der Regel nur über das Urheberrecht erfolgt.

Mehrere der Sachverständigen berichteten von Fällen, in denen große Konzerne kleinen Softwarefirmen Patentverletzungen vorgeworfen und hohe finanzielle Forderungen gestellt hätten - "Ablassgebühren", wie es der Berliner Rechtsanwalt und Unternehmensberater Dr. Till Jaeger nannte. Die Fülle von Software-Patenten - Johannes Sommer vom Bundesverband der Informations- und Kommunikationstechnologie bezifferte sie auf mindestens 70 000 allein in Europa - sei für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu überblicken. Keine Versicherung, so Jaeger weiter, decke das Risiko der Patentverletzung ab. Die Angst vor möglichen Patentverletzungen könne daher den Fortschritt hemmen.

Software sei bereits durch das Urheberrecht wirksam geschützt, erklärte Dr. Oliver Grün vom Bundesverband IT-Mittelstand, dem 800 Unternehmen angehören. Es sei einfach zu handhaben und bedrohe keinen Software-Entwickler, der in eigener Anstrengung zu einer ähnlichen Problemlösung gefunden hat. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Rasmus Keller, der mittelständische Software-Unternehmer berät, wies darauf hin, dass bei Computerprogrammen zudem der Quellcode verborgen bleibt. Das unterscheide sie von technischen Geräten, die man aufschrauben und nachbauen könne, weshalb bei ihnen der Patentschutz auch sinnvoll sei. Rechtsanwalt Till Kreutzer vom Büro für informationsrechtliche Expertise in Berlin ergänzte, das Patentrecht habe den Sinn, Innovationen zu fördern, bewirke im Software-Bereich aber eher das Gegenteil.

Dem hielt Uwe Schriek, Patentanwalt bei der Siemens AG, entgegen, dass ein Patent nie für ein Programm selbst erteilt würde, sondern für ein neuartiges Konzept, das diesem Programm zugrunde liege. Bei komplexen technischen Systemen wie Kraftwerken oder auch Haushaltsgeräten entstünden Millionenkosten für die Entwicklung von Konzepten, schon bevor die erste Zeile eines Computerprogramms geschrieben sei. Das Patentrecht sei wichtig, um solche Investitionen zu schützen. In solchen Fällen, in denen Computerprogramme eine Funktion in der Steuer-, Mess- und Regeltechnik haben, wie sie früher von mechanischen oder elektrischen Komponenten wahrgenommen wurden, wollen freilich auch die Antragsteller im Bundestag weiterhin eine Patentierung erlauben.

Der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU) fasste die Statements der Sachverständigen mit einem Zitat des Hamburger Ingenieurs, Informatikers und Unternehmers Stefan Richter zusammen: "Die Idee ist der einfache Teil, die Umsetzung das Schwierige". Richter hatte damit ausgedrückt, dass beim Programmieren meist das Konzept für eine Problemlösung, das patentierbar ist, leichter zu erstellen ist, als ein fertiges Computerprogramm, für das es den Schutz des Urheberrechts gibt.

In der anschließenden Fragerunde bejahte Siemens-Patentanwalt Schriek die Frage der CDU-Abgeordneten Nadine Schön, ob ein Patent nicht ein Asset sei, das bei der Finanzierung helfe. Das Schutzrecht helfe auch kleineren Unternehmen, Wagniskapital zu bekommen, und sei dabei wesentlich effektiver als das Urheberrecht. Dagegen sagte Unternehmensberater Till Jaeger, der den Grünen-Abgeordneten Jerzy Montag und Konstantin von Notz antwortete, vielen IT-Unternehmen seien Patentverfahren zu langwierig. Denn in der Branche zähle vor allem Geschwindigkeit. Verbandsvertreter Johannes Sommer beantwortete eine Frage des FDP-Abgeordneten Jimmy Schulz dahingehend, dass die ganz überwiegende Zahl von Software-Patenten von Großkonzernen gehalten werde. Dagegen müssten kleinere Unternehmen, wie Mathias Kirschner von der "Free Software Foundation Europe" auf Fragen der Linken-Abgeordneten Halina Wawzyniak und Petra Sitte ausführte, viel Zeit und Geld in die Verteidigung gegen Patentansprüche der Großen stecken.

So wie auch andere Sachverständige forderte Rechtsanwalt Rasmus Keller, der eine Frage von Ingo Egloff (SPD) beantwortete, Software-Patente bald gesetzlich zu begrenzen. Dem Bundesgerichtshof sei es bisher nicht gelungen, klare Kriterien festzulegen, welche Patente zulässig sind und welche nicht. Deshalb könne man dies nicht weiter der Rechtssprechung überlassen. Unterschiedlich antworteten Verbandsvertreter Oliver Grün und Rechtsprofessor Jürgen Ensthaler auf die Frage von Ansgar Heveling (CDU), wie eine solche Abgrenzung zulässiger von unzulässiger Patentierung aussehen solle. Grün vertrat die Ansicht, dass es gar keiner Ausnahmen bedürfe. Wegen des verborgenen Quellcodes sei die Sofware-Steuerung einer Maschine ohnehin wesentlich schwieriger zu plagiieren als früher eine Platine, die Patentierung also auch hier unnötig. Ensthaler wandte sich zwar ebenfalls dagegen, wie im Antrag vorgesehen die Patentierung dort zu erlauben, wo Software in Geräten anstelle mechanischer oder elektrischer Regelungstechnik eingesetzt wird. Stattdessen solle die Patentierung nur zusammen mit einer konkreten Funktionsbeschreibung ermöglicht werden. Das Patent gelte dann nicht für die Anwendung derselben Softwareelemente für andere Funktionen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 261 - 14. Mai 2013 - 10:40 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2013