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BUNDESTAG/5840: Heute im Bundestag Nr. 354 - 10.06.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 354
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 10. Juni 2016, Redaktionsschluss: 11.35 Uhr

1. Kritik an Ermittlungen der Bundesanwaltschaft
2. Linke fordern teilhabeorientierte Pflege


1. Kritik an Ermittlungen der Bundesanwaltschaft

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/rik) Zum Teil heftige Kritik übten Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses (NSU II) in der jüngsten Sitzung des Gremiums an den Ermittlungen im Umfeld der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund". So bemängelte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU), dass sich die Bundesanwaltschaft bei der Vernehmung eines zur rechten Szene gehörenden Nachbarn des Trios sogleich mit dessen Aussage zufriedengegeben habe, er kenne die NSU-Mitglieder nicht und habe sie auch nie bewusst gesehen. Frank Tempel (Die Linke) sagte, er habe nicht den Eindruck, "dass alles getan wird, um das Umfeld des Trios wirklich auszuermitteln." Der NSU-Komplex wirke auf ihn wie "ein Nebel, in dem nur ermittelt wird, wenn ein goldener Henkel herausguckt". Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster regte an, die Vernehmung des früheren Rechtsextremisten und V-Manns Ralf Marschner noch einmal zu wiederholen, da es sich bei den beiden früheren Vernehmungen des in der Schweiz lebenden Mannes eher um "Vorstellungen" gehandelt habe.

Der als Zeuge geladene Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, wies die Kritik zurück. Er versicherte aber auch, dass er mit seinen Mitarbeitern darüber diskutieren werde, welche Konsequenzen aus den Anregungen des Ausschusses gezogen werden könnten. Sowohl aus rechtsstaatlichen wie auch aus personellen Gründen sei es aber nicht möglich, gegen die gesamte rechtsradikale Szene einer Stadt oder Region zu ermitteln, ohne konkrete Anhaltspunkte für die Verwicklung von einzelnen Personen in Straftaten zu haben. "Ich kann nicht nach einem Mittäter suchen, so lange ich keine Anhaltspunkte dafür habe, dass es einen Mittäter gibt", betonte Weingarten, der die Bundesanwaltschaft auch in dem Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München vertritt.

Zu der von Binninger kritisierten Vernehmung eines Neonazis, der jahrelang als Nachbar des NSU-Trios in der Zwickauer Polenzstraße gelebt hatte, sagte Weingarten, der damalige Aufenthaltsort von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sei zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits bekannt gewesen. Nachdem der Zeuge klargemacht habe, dass er nicht mit der Polizei kooperieren wolle, habe es ihm gegenüber kein weiteres Ermittlungsinteresse geben. Neben Binninger vertraten auch andere Ausschussmitglieder den Standpunkt, dass man zumindest den Versuch hätte unternehmen können, in den Aussagen des Mannes Widersprüche aufzudecken.

Als wahrscheinliche Zufälle wertete es Weingarten, dass in einem Szene-Laden des Neonazis Marschner ein T-Shirt mit dem Aufdruck der Comic-Figur "Paulchen Panther" und dem Schriftzug "Staatsfeind" zu kaufen war. Die Figur spielt auch in dem Bekennervideo des NSU eine zentrale Rolle. Weingarten sagte, "Paulchen Panther" sei aus bisher nicht geklärten Gründen in der rechtsradikalen Szene häufig anzutreffen gewesen.

Weingarten berichtete, dass Böhnhardt und Mundlos ihre späteren Opfer "sehr intensiv und kleinteilig" ausgekundschaftet hätten. Dabei hätten sie regelmäßig Kioske und Imbissbuden besucht, um geeignete Orte für ihre Morde zu finden. Nach welchen Kriterien die individuellen Tatorte und Opfer ausgesucht wurden, sei noch immer unbekannt. Es gebe aber keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, "dass die Zielauswahl nicht von Mundlos und Böhnhardt vorgenommen wurde". Ebenso wenig gebe es Hinweise darauf, dass der Zweck der Taten nach außen kommuniziert wurde. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten gewusst, dass es in der rechtsradikalen Szene sehr viele V-Leute gab. "Wegen des hohen Entdeckungsrisikos halten wir einen kommunikativen Akt in die Szene hinein für extrem unwahrscheinlich", sagte Weingarten.

Für eine Überraschung sorgte am Ende der öffentlichen Sitzung der Zwickauer Sozialarbeiter Jörg Banitz, der als Sachverständiger für das rechtsradikale Umfeld der Stadt vor den Ausschuss geladen war. Er berichtete, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Jahr 2004 ein öffentliches Fest in Zwickau besucht hätten, das Trepppenfest der dortigen Hochschule. In der rechtsradikalen Szene habe man vom NSU gewusst und es sei gemunkelt worden, das Trio habe "was Krasses vor". Diese brisanten Informationen habe er erst vor kurzem von Arbeitskollegen erfahren, sagte Banitz. Der Ausschussvorsitzende Binninger bat ihn, bis zur nächsten Sitzung Namen seiner Informanten zu nennen, da der Ausschuss diesen Angaben nachgehen wolle.

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2. Linke fordern teilhabeorientierte Pflege

Gesundheit/Antrag

Berlin: (hib/PK) Die Fraktion Die Linke fordert, Pflege teilhabeorientiert und wohnortnah zu gestalten. Altersarmut habe auch ein regionales Gesicht. Pflegemängel erwüchsen aus kommunalen Angebotsdefiziten, heißt es in einem Antrag (18/8725) der Fraktion. Die wenigsten Menschen erhielten die Unterstützung, die sich wünschten und benötigten und die sie so lange wie möglich am sozialen Leben teilhaben ließen.

Fast zwei Drittel der 12.700 ambulanten Pflegedienste seien 2013 in privater Trägerschaft gewesen. Nur knapp ein Drittel habe freigemeinnützige und weniger als zwei Prozent öffentliche Träger gehabt. Kommunen könnten auf die Planung und Ausgestaltung von qualifizierter Pflege kaum noch Einfluss nehmen.

Die soziale Ungleichheit wachse, viele Menschen mit Pflegebedarf und viele Kommunen würden zunehmend belastet. Das bestehende System der Pflegeversicherung bedürfe einer Neuausrichtung. Die sozialstaatliche Steuerung in der Pflege müsse zurückgewonnen werden.

In ihrem Antrag fordern die Abgeordneten gleichwertige Lebensbedingungen in der Pflege, unabhängig vom Lebensort oder der sozialen Situation. So müsse die Leistungsausgestaltung des Pflegestärkungsgesetzes II ohne Abstriche in den Leistungsbereich des SGB XII (Sozialhilfe) überführt werden.

Ferner müsse die öffentliche Steuerungshoheit für eine flächendeckende und bedarfsgerechte Pflegeversorgung zurückgewonnen werden. Es gelte, eine verbindliche Bedarfsplanung zu entwickeln.

Um die Pflege qualitativ zu verbessern und Menschen mit Pflegebedarf sowie die Kommunen nachhaltig zu stärken, müsse die finanzielle Ausstattung der Kommunen und der Pflegeversicherung solidarisch ausgestaltet werden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 354 - 10. Juni 2016 - 11.35 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2016

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