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BUNDESTAG/6350: Heute im Bundestag Nr. 102 - 16.02.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 102
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 16. Februar 2017, Redaktionsschluss: 18.00 Uhr

1. Heinz Fromm: Keine Informationen
2. Schäuble: Sehr komplexes Cum/Ex-Problem


1. Heinz Fromm: Keine Informationen

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/FZA) Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, und ein früherer V-Mann des BfV sind am Donnerstag vom 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU) befragt worden. Dabei ging es erneut auch um die Vernichtung mehrerer V-Mann-Akten im BfV, kurz nachdem die rechte Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 aufgeflogen war. Der brisante Vorgang, der in den Medien als "Aktion Konfetti" bekannt wurde, wirft bis heute Fragen auf und zwang Fromm im Juli 2012 nach zwölf Jahren Amtszeit zurückzutreten.

Fromm war kurz nach seinem Rücktritt vom ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt worden. Er räumte damals Fehler seiner Behörde ein und sprach von "einer schweren Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden". Seinen damaligen Aussagen hatte er nun vor dem NSU-II-Ausschuss wenig hinzuzufügen. Trotz einiger neuer Erkenntnisse hätte sich an seinen damaligen Einschätzungen nichts geändert, sagte Fromm.

Binninger wollte unter anderem von Fromm wissen, ob er heute eine Erklärung dafür habe, warum trotz der vielen V-Personen, die die deutschen Verfassungsschutzbehörden ab Mitte der 1990er in der rechtsextremen Szene und auch im näheren Umfeld des NSU beschäftigt hatten, nicht einmal der Aufenthaltsort des Trios ermittelt werden konnten. Fromm blieb auch hier bei seinen früheren Aussagen: "Ich habe in der Zwischenzeit keine Informationen bekommen, die mich in die Lage versetzen, die Frage zu Ihrer Zufriedenheit zu beantworten", antwortete er dem Vorsitzenden. Aufgrund fehlender Informationen hätten die Sicherheitsbehörden damals die Gefahr eines aktiven Rechtsterrorismus unterschätzt, was ein Fehler gewesen sei.

Die damaligen Fehleinschätzungen hätten nach der Enthüllung der NSU-Verbrechen zu strukturellen Veränderungen im BfV geführt, sagte Fromm. Neben personellen Konsequenzen sei unter anderem das sogenannte "Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus" (GAR) eingerichtet worden, das später im sogenannten "Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) aufgegangen sei. Die auch weiterhin gängige Praxis der Sicherheitsbehörden, Personen aus extremistischen Milieus als Informanten zu werben, verteidigte Fromm. So seien in seiner Amtszeit eine Vielzahl "wertvoller Informationen für das tägliche Geschäft" durch V-Personen gewonnen worden. Damit meinte Fromm unter anderem die meist konspirativ geplanten rechtsextremen Demonstrationen, Konzerte und den Vertrieb von Propagandamaterial.

Die Abgeordneten wollten von Fromm auch eine Einschätzung zu den erst kürzlich aufgetauchten Aussagen des unter dem Decknamen "Lothar Lingen" firmierenden Referatsleiters, der als Hauptverantwortlicher für die Schredderaktion im BfV gilt. Entgegen früherer Aussagen hat Lingen im Oktober 2014 in einer Befragung gegenüber dem Bundeskriminalamt (BKA) und einem Bundesanwalt (GBA) eingeräumt, zum Zeitpunkt der Schredderaktion über die Brisanz der Akten im Bilde gewesen zu sein und diese vernichtet zu haben, um möglichen Schaden vom BfV abzuwenden. Die erst durch Recherchen des Untersuchungsausschusses aufgetauchte Aussage ließ auch erneuten Zweifel daran aufkommen, dass Lingen, wie bisher angenommen, eigenmächtig ohne die ausdrückliche Weisung oder Billigung seiner Vorgesetzten gehandelt hat.

Auf die Frage Binningers, ob es womöglich gängige Praxis im BfV gewesen sei, Akten zu schreddern, um später keine unangenehmen Fragen beantworten zu müssen, antwortete Fromm: "Das will ich doch nicht hoffen." Entsprechende Vorwürfe wies er entschieden zurück. Obfrau Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) hakte nach, ob womöglich andere Vorgesetzte Lingens wie der damalige Abteilungsleiter Rechtsextremismus in die Entscheidung der Aktenvernichtung eingebunden waren. Daraufhin entgegnete Fromm: "Ich kann gar nichts ausschließen." Allerdings betonte er auch, der Sachverhalt sei seiner Kenntnis nach gründlich geprüft worden. Nach bisherigen Erkenntnissen hat Lingen seine Vorgesetzten über seine Beweggründe und den genauen Zeitpunkt der Schredderaktion zunächst in Unkenntnis gelassen.

Zuvor hatte der Ausschuss in nicht-öffentlicher Sitzung mit dem Zeugen M.S. einen ehemaligen V-Mann des BfV befragt. Bei S. handelt es sich um einen im NSU-Komplex bereits hinreichend bekannten, aus Thüringen stammenden Neonazi, der zumindest nachweislich Kontakt zu Personen im direkten Umfeld des NSU hatte und der ab Mitte der Neunziger mehrere Jahre lang für das BfV als V-Mann "Tarif" arbeitete. Seine V-Mann-Akte gehörte zu jenen, die 2011 im BfV geschreddert wurde. Wie die Abgeordneten in anschließenden Pressestatements betonten, habe sich der Zeuge während der Befragung kooperativ gezeigt und die Fragen des Ausschusses konstruktiv beantwortet. Allerdings, so konstatierte SPD-Obmann Uli Grötsch, sei es nicht gelungen, den NSU-Komplex durch die Befragung des V-Mannes weiter zu erhellen. Ein direkter Kontakt zwischen dem V-Mann und den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ist bisher nicht belegt.

S. hat gegenüber dem Magazin "Der Spiegel" behauptet, im Jahre 1998 kurz nach dem Untertauchen des NSU-Trios von dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer André Kapke angerufen und gefragt worden zu sein, ob er die drei Flüchtigen verstecken könne. Ob es diese Anfrage tatsächlich gab und ob S. die Information dann auch, wie er behauptet, an das BfV weitergab, darüber herrscht auch nach seiner Aussage vor dem NSU-Ausschuss weiterhin Unsicherheit. Der Zeuge sei während der Befragung bei seiner Version geblieben, sodass nun Aussage gegen Aussage stünde, sagte Binninger. Das BfV bestreitet, über den Anruf Kapkes informiert worden zu sein. Petra Pau (Die Linke) wies zugleich darauf hin: Ausgerechnet die Akten, die den Sachverhalt womöglich aufklären könnten, seien im Rahmen der Aktion "Konfetti" im November 2011 im Reißwolf gelandet.

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2. Schäuble: Sehr komplexes Cum/Ex-Problem

4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex)/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Zum Abschluss der Zeugenvernehmung des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex) sagte am Donnerstag Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aus. Der CDU-Politiker gab in der rund dreistündigen öffentlichen Sitzung zum Thema des steuerschädlichen Dividendenstrippings zu Protokoll, er sei wenige Monate nach seinem Amtsantritt mit dem Thema Cum/Ex - die bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag jahrelang angewendete Praxis, sich eine einmal abgeführter Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten zu lassen - befasst worden.

Nach seinem Kenntnisstand habe die Regelung aus dem Jahr 2007 nicht ausgereicht, diese illegale Praxis zu beenden. Er habe sich in den ersten Monaten des Jahres 2010 intensiv damit beschäftigt und im Juli 2010 dann entschieden, das Verfahren der Kapitalertragsteuererstattung grundsätzlich neu regeln zu lassen. Es seien dann die Einzelheiten für eine Systemumstellung erarbeitet und ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht worden. Mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz seien dann mit Wirkung zum 1.1.2012 Cum/Ex-Transaktionen endgültig unterbunden worden.

Schäuble ist seit Herbst 2009 im Amt. Das Bundesfinanzministerium erhielt nach eigenen Angaben im Frühjahr 2009 Kenntnis von der Existenz eines Cum/Ex-Geschäftsmodells, durch das dem Fiskus Schätzungen von Experten zufolge Steuern in Milliardenhöhe entgangen sein sollen.

Schäuble sagte, das Problem sei sehr komplex und daher nicht einfach zu lösen gewesen. Die Erarbeitung des neuen Gesetzes habe daher seine Zeit gebraucht, und zudem hätten die Betroffenen für die Systemumstellung auch eine Vorlaufzeit benötigt. Gegen Ende 2012 habe er sich vergewissert, ob mit der Neuregelung das Problem für die Zukunft gelöst sei, und es habe keine gegenteiligen Informationen gegeben. Der missbräuchlichen Gestaltung sei damit ein Ende gesetzt worden. Gegen eine Anhörung der Branchenverbände im Rahmen der Gesetzgebung sei nichts einzuwenden.

Wie der Minister betonte, sei die Finanzverwaltung immer davon ausgegangen, dass die Cum/Ex-Transaktionen rechtswidrig waren. Es sei immer wieder versucht worden, im Gespräch mit den Bundesländern den nicht bezifferbaren Steuerausfall einzugrenzen. Verzögert worden sei die Aufarbeitung unter anderem durch einen Rechtsstreit mit der Finanzgerichtsbarkeit. Sein Ministerium habe alles unternommen, solche Geschäfte für die Zukunft zu unterbinden. Eine Schätzung des möglichen Schadens wäre spekulativ und könne nicht seriös vorgenommen werden. Im Nachhinein sei er zudem der Meinung, dass der Cum/Ex-Gesetzgebungsprozess angesichts der schwierigen Materie und des üblichen Prozederes "ungewöhnlich schnell" verlaufen sei.

Thema der Befragung war erneut die Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Auch Schäuble sagte aus, das diese dem Ministerium unterstehende Behörde nicht für den Vollzug der Steuergesetze zuständig sei. Dies falle in die Zuständigkeit der Steuerbehörden der Länder. Diese hätten bei Verdacht auf strafrechtliche Vorfälle die Staatsanwaltschaft zu informieren. Die Aufgabe der BaFin sei es hingegen, die Stabilität des Finanzsektors zu garantieren. Er halte sich daher mit Aussagen zu einer möglichen Strafbarkeit zurück. Einer Frage nach der politischen Verantwortung für möglicherweise eingetretene Schäden wich Schäuble aus. Er sei kein Sachverständiger und habe keine Absicht, diese Frage zu beantworten.

Zum Thema Cum/Cum sagte Schäuble, hierbei sei die Rechtslage eine völlig andere, so gebe es unter anderem klare Entscheidungen zum wirtschaftlichen Eigentum. Zudem habe man es mit einer Vielzahl von Gestaltungen zu tun, die eine generelle Regelung erschwerten. Letztendlich habe man eine Regelung gefunden, mit der diese Geschäfte im vergangenen Jahr durch das Investmentsteuerreformgesetz unterbunden wurden. Seither gebe es keine Hinweise mehr auf solche missbräuchlichen Gestaltungen.

Der Ausschuss befasst sich auch mit der Cum/Cum-Praxis, da der Untersuchungsauftrag auch solche Gestaltungen abdeckt. Durch diese Geschäfte rund um den Dividendenstichtag, bei denen sich ein nicht anspruchsberechtigter Inhaber einer Aktie durch Dividendenstripping künstlich einen Steuererstattungsanspruch verschaffte, sollen dem Fiskus ebenfalls Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren gegangen sein.

Schäubles Vorgänger Peer Steinbrück (SPD) hatte am Montag dieser Woche vor dem Ausschuss ausgesagt, im Mai 2009 von den Cum/Ex-Geschäften erfahren haben. Er habe anschließend auch eine grundlegende Lösung prüfen lassen, die eine radikale Umstellung der bisherigen Praxis beinhaltet habe.

Der im Februar vergangenen Jahres auf Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke eingesetzte Ausschuss soll unter anderem klären, ob und wenn ja, wann - rechtzeitig - geeignete Gegenmaßnahmen von Stellen des Bundes ergriffen wurden, ob diese ausreichten und wer gegebenenfalls jeweils die Verantwortung in diesem Zusammenhang trug.

Seit seiner Einsetzung im Februar 2016 traf sich der Ausschuss zu 42 Sitzungen, von denen die Hälfte öffentlich war. Das Gremium fasste 109 Beweisbeschlüsse, lud 79 Zeugen und hörte mehrere Sachverständige. Nach der letzten Zeugenbefragung wird der Untersuchungsbericht verfasst, der auf einer der letzten Plenarsitzungen dieser Sitzungsperiode des Deutschen Bundestages diskutiert werden soll.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 102 - 16. Februar 2017 - 18.00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2017

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