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BUNDESTAG/6432: Heute im Bundestag Nr. 184 - 22.03.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 184
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 22. März 2017, Redaktionsschluss: 17.08 Uhr

1. Entlastung für Selbstständige gefordert
2. Sexualisierte Gewalt im Sport
3. Linke: Atomenergie nicht mehr fördern
4. Grüne schlagen neues Förderprogramm vor
5. Linke fordert weniger Befristungen


1. Entlastung für Selbstständige gefordert

Gesundheit/Anhörung

Berlin: (hib/PK) Die Beitragsbemessung für die Krankenversicherung von Selbstständigen sollte nach Ansicht von Gesundheitsexperten verändert werden, um eine finanzielle Überforderung der Versicherten zu verhindern und mehr Gerechtigkeit in das System zu bringen. Anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über Anträge der Fraktion Die Linke zu dem Thema (18/9711; 18/9712) am Mittwoch im Bundestag erklärten Sachverständige, die jetzigen Regelungen führten insbesondere bei Solo-Selbstständigen mit geringem Einkommen zu unverhältnismäßigen Härten.

Dies stelle den Grundsatz, wonach sich der Krankenversicherungsbeitrag nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen richten solle, infrage, erklärten die Experten auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen.

Selbstständige können sich entweder privat versichern oder freiwillig in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wobei die Private Krankenversicherung (PKV) einen Antrag wegen bestimmter Vorerkrankungen ablehnen kann. Die Krankenkassenbeiträge in der GKV werden, wie bei Arbeitnehmern, nach dem Einkommen berechnet. Oberhalb einer Höchstgrenze wirkt sich das Einkommen nicht mehr auf den Beitrag aus. Seit 2009 gilt in Deutschland zudem eine allgemeine Krankenversicherungspflicht, ein Verzicht auf die Absicherung gegen Krankheit ist also nicht möglich.

Für hauptberuflich Selbstständige gilt eine Mindestbemessungsgrundlage von monatlich rund 2.231 Euro, ab der sich der Beitragssatz nicht weiter verringert. Für Existenzgründer und Härtefälle kann die Mindestbemessungsgrundlage auf rund 1.487 Euro reduziert werden. Für sonstige freiwillige Mitglieder in der GKV liegt die Einkommensuntergrenze bei rund 991 Euro. Auf Einkommen unterhalb der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro im Monat müssen keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden.

Nach Ansicht der Linksfraktion sollte die Mindestbeitragsbemessung für freiwillig Versicherte und freiwillig versicherte Selbstständige auf die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro abgesenkt werden.

Der GKV-Spitzenverband räumte angesichts der veränderten Lebens- und Einkommenslage vieler Selbstständiger einen "Diskussionsbedarf" ein. Es müsse kritisch hinterfragt werden, ob die Rahmenbedingungen noch zeitgemäß und sachgerecht seien. Der Verband schlug vor, die Mindestbemessungsgrenze von 2.231 Euro abzuschaffen und für hauptberuflich Selbstständige eine einheitliche Grundlage bei 1.487 Euro festzulegen.

Der Ersatzkassenverband (vdek) befürwortete angesichts der rapide wachsenden Beitragsschulden von derzeit rund sechs Milliarden Euro ebenfalls eine nachhaltige Entlastung der Versicherten und plädierte dafür, die Mindestbemessungsgrenze bei 991 Euro festzuschreiben und künftig nicht mehr zwischen Selbstständigen und anderen freiwillig Versicherten zu unterscheiden. Die damit einhergehenden Beitragsausfälle sollten aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Eine noch radikalere Absenkung auf 450 Euro würde nach Ansicht des Verbandes in der GKV aber zu Finanzierungsproblemen führen.

Der AOK-Bundesverband bestätigte, dass eine wachsende Zahl von Selbstständigen mit ihren Einnahmen unter der Mindestbemessungsgrundlage bleibe. Vor allem die Einkommensverhältnisse der Solo-Selbstständigen seien nicht zu vergleichen mit jenen der klassischen Selbstständigen. Aufgrund der komplexen Problematik sei jedoch die alleinige Absenkung der Bemessungsgrundlage unzureichend. Nötig sei ein größeres Reformpaket mit nachhaltigen Lösungen.

Der Einzelsachverständige Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld sieht gleichfalls Reformbedarf und erklärte, die Selbstständigen seien wegen ihrer schwankenden Einkommen nur schwer in das Beitragssystem der GKV einzupassen. Möglich wäre, "eine einkommensbezogene Bemessung der Beiträge möglichst zu vermeiden" und die Beiträge risikobezogen außerhalb der GKV zu erheben. Für solche Versicherte, die mit der PKV-Prämie überfordert sind, wäre ein steuerfinanzierter Zuschuss eine Option. Alternativ könnte mit einer ausreichend hohen Versicherungspflichtgrenze für Selbstständige diese Gruppe in der GKV gestärkt werden. Eine Absenkung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze greife jedoch zu kurz.

Auch der Einzelsachverständige Stefan Etgeton plädierte für eine Kombinationslösung. Denkbar wäre neben einer Absenkung des Mindestbeitrags eine Ausweitung der Krankenversicherungspflicht für Selbstständige in der GKV. Derzeit seien 43 Prozent der Selbstständigen privat und 57 Prozent gesetzlich versichert. Die Zahl der gesetzlich Versicherten könnte bei einer erweiterten Versicherungspflicht für Selbstständige auf 88 Prozent steigen, was die Einnahmen der GKV in diesem Segment deutlich vergrößern würde. Etgeton betonte in der Anhörung, wenn hauptberuflich Selbstständige nicht mehr in der Lage seien, ihre Beiträge zu zahlen, sei dies auch ein "Sozialstaatsversagen".

Nach Ansicht des Sozialverbandes VdK zeigen die Regelungen zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten in der GKV, dass die Finanzierung zu komplex ist. Die vielen Ausnahmen verhinderten Beitragsgerechtigkeit. Sinnvoll wäre es deswegen, alle Bürger in die GKV einzubeziehen.

Der DGB merkte an, Solo-Selbstständige seien "unter den bestehenden Rahmenbedingungen mit freiwilligen Sozialversicherungen im gesetzlichen System überfordert". Viele ehemals Arbeitslose seien "geflüchtet in eine prekäre Selbstständigkeit", sagte ein DGB-Vertreter in der Anhörung und forderte niedrigere Bemessungsgrenzen.

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2. Sexualisierte Gewalt im Sport

Sport/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Jeder dritte deutsche Spitzenathlet hat als Kind oder Jugendlicher schon eine Form der sexualisierten Gewalt selbst erfahren. Das ist das Ergebnis der Studie "Safe Sport", die die Projektleiterin Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln am Mittwoch vor dem Sportausschuss präsentiert hat. Jeder neunte der 1.799 Kaderathleten, die an einer Online-Befragung teilgenommen haben, sei von schwerer oder länger andauernder sexualisierter Gewalt betroffen gewesen, sagte Rulofs. Sexualisierte Gewalt sei damit im Bereich des Leistungssports ähnlich präsent wie in anderen Lebensbereichen. "Der Sport scheint weder ein Raum besonderer Gefährdung noch ein Schutzraum zu sein", urteilte die Soziologin.

Was die Prävention angeht, so habe die Studie positive wie auch negative Ergebnisse gebracht, sagte sie. Positiv sei, dass alle Landessportbünde, 80 Prozent der Spitzensportverbände und 54 Prozent der Verbände mit besonderen Aufgaben Ansprechpersonen für die Prävention sexualisierter Gewalt benannt hätten. Ein großer Teil der Arbeit werde jedoch ehrenamtlich und ohne spezifische Finanzierung durch die Verbände durchgeführt. Besorgniserregend ist nach Aussage der Projektleiterin mit Blick auf die Basis, dass nur knapp die Hälfte der Vereine das Thema sexualisierte Gewalt relevant fände. Ein großer Teil der Vereine habe Präventionsmaßnahmen weder eingeführt noch geplant, dies zu tun, sagte Rulofs.

Die Soziologin forderte, der Sport müsse an einer "Kultur des Hinsehens" arbeiten. Außerdem sollten staatliche Förderungen der Verbände an die Einhaltung von Präventionsstandards gebunden werden.

Mehr finanzielle Mittel für die Präventionsarbeit verlangte auch Elena Lamby von der Deutschen Sportjugend (DSJ). "Präventionsarbeit macht man nicht nur so nebenbei", machte sie deutlich. Damit die Präventionsverantwortlichen in den Verbänden mit Experten kooperieren können, müssten die Fachberatungsstellen bundesweit ausgebaut werden, regte Lamby an.

Auch aus Sicht des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) müssen Vereine besonders sensibilisiert und zur Präventionsarbeit befähigt werden, sagte Petra Tzschoppe, für Frauen und Gleichstellung zuständige DOSB-Vizepräsidentin. Nachholbedarf gebe es aber auch im Bereich der Spitzenverbände. Der DOSB sei mit dem Bundesinnenministerium (BMI) darüber im Gespräch, im Rahmen der Neustrukturierung der Leistungssportförderung den Anspruch auf Präventionsarbeit in die Förderkriterien mit aufzunehmen, sagte sie. Außerdem müsse die Prävention gegen sexualisierte Gewalt auch im Rahmen der Universitätsausbildung von Sportlehrern und anderen Tätigen im Bereich des organisierten Sports verankert werden, forderte Tzschoppe.

Die Studie liefere alarmierende Zahlen, befand Johannes-Wilhelm Rörig, durch die Bundesregierung berufener Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. "Das Thema hat in den Verbänden und Vereinen nicht die Priorität, die es benötigt", sagte er. In vielen Vereinen habe man die Problematik noch gar nicht erkannt. Röhrig lobte zugleich die gute Zusammenarbeit des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch mit DOSB und DSJ. Der Funke auf die Vereine sei trotz deren Engagement aber nicht übergesprungen. "Wir brauchen dringend Idole aus dem Sport, die sich hinter das Anliegen ,Schutz vor sexueller Gewalt' stellen", sagte Rörig. Er sei in intensiven Gesprächen mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) darüber, wie es gelingen könne, dafür Nationalspieler und andere Prominente zu gewinnen.

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3. Linke: Atomenergie nicht mehr fördern

Europa/Antrag

Berlin: (hib/JOH) Die Linksfraktion will die Förderung von Atomenergie auf EU-Ebene stoppen und die Europäische Atomenergiegemeinschaft (Euratom) auflösen. Durch die institutionelle und finanzielle Verflechtung zwischen Euratom und Europäischer Union sei jeder Mitgliedstaat noch immer verpflichtet, sich über den EU-Haushalt finanziell an Atomenergieprojekten zu beteiligen, schreiben die Abgeordneten in einem Antrag (18/11595), über den der Bundestag am Donnerstag, dem 23. März 2017, in erster Lesung berät. Trotz ihres Ausstiegsbeschlusses im Jahr 2011 finanziere die Bundesrepublik damit weiterhin die "ungehinderte Förderung der Atomenergie".

Anders als von den Euratom-Befürwortern argumentiert, fließe der Großteil der Gelder nicht in den Strahlenschutz oder in die erforderlichen Sicherheitsstandards, sondern in die Kernfusionsforschung, kritisiert die Fraktion. Zudem widerspreche die Finanzierung und Förderung von Euratom-Projekten demokratischen Grundprinzipien. So habe das Europäische Parlament keine Möglichkeit, auf die Regelungen des Euratom-Vertrages und die Vergabe von Geldern Einfluss zu nehmen.

Die Bundesregierung soll sich daher nach Ansicht der Linken dafür einsetzen, dass Euratom durch eine alternative Europäische Gemeinschaft zur Förderung von Erneuerbaren Energien und Energieeinsparung in den Mitgliedstaaten ersetzt wird. Sie solle "als Bestandteil einer umweltverträglichen, arbeitsmarktorientierten und verantwortungsvollen Energieversorgung zu einer friedlichen und ökologischen EU beitragen". Bis dahin solle sie eine Initiative für die Entflechtung der vertraglichen Grundlagen der EU und Euratom ergreifen und den Vertrag einseitig kündigen.

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4. Grüne schlagen neues Förderprogramm vor

Ernährung und Landwirtschaft/Antrag

Berlin: (hib/EIS) Den Landwirten soll mithilfe eines neuen Förderprogramms unter die Arme gegriffen werden, das mit fünf Millionen Euro ausgestattet werden soll. Das fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (18/11601) von der Bundesregierung. Das Bundesprogramm mit dem Titel "Zugang zu Land? Chancen für neue Betriebe ermöglichen" soll dazu dienen, die Beratung und das Coaching für Betriebsneugründer und Betriebsabgebende auszubauen, die außerfamiliäre Hofnachnachfolge zu unterstützen sowie alternative Ansätze für den Zugang zu Bewirtschaftungsflächen zu fördern.

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5. Linke fordert weniger Befristungen

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Antrag

Berlin: (hib/ROL) Der jüngst erschienene Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 hat erneut die überbordende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb offengelegt. Im Jahr 2014 waren demnach 93 Prozent aller wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter unter 45 Jahren an Hochschulen befristet beschäftigt. Das schreibt Die Linke in ihrem Antrag (18/11597). In der Folge würde jungen Wissenschaftlern häufig die Planungssicherheit fehlen, die eine Voraussetzung für Familiengründung darstelle. Das sei ein Grund, weswegen übermäßig viele von ihnen kinderlos blieben. Eine Hauptursache für die ausufernde Befristungspraxis liege in der wachsenden Abhängigkeit der Hochschulen von kurzfristigen Drittmitteln, deren Volumen von 2000 bis 2014 um über 150 Prozent gewachsen sei, während die zur Verfügung stehenden laufenden Grundmittel im selben Zeitraum nicht einmal um 50 Prozent gestiegen seien. Die Befristungspraxis dauere nach Einschätzung der Linken trotz der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) weiter an.

Die Fraktion fordert, dass die Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern die Politik der durch temporäre Pakte befristeten Finanzierung des Wissenschaftssystems zu beenden und stattdessen eine dauerhafte, umfängliche Finanzierung sicherzustellen. Diese müsse die wachsenden Aufgaben der Hochschulen, die aktuelle Unterfinanzierung und die Preis- und Einkommensentwicklung berücksichtigen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 184 - 22. März 2017 - 17.08 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2017

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