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BUNDESTAG/8231: Heute im Bundestag Nr. 367 - 04.04.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 367
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 4. April 2019, Redaktionsschluss: 10.20 Uhr

1. Ersatzfreiheitsstrafe in der Diskussion
2. Europäischen Pfeiler in der Nato stärken
3. Linke fordert Ende der nuklearen Teilhabe
4. Refokussierung auf Bündnisverteidigung
5. Einhaltung von Nato-Verpflichtungen
6. Wirtschaftliche Integration in Afrika


1. Ersatzfreiheitsstrafe in der Diskussion

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/mwo) Gegen eine Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe sprach sich die Mehrheit der Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz aus. Anlass der vom Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) geleiteten Sitzung war ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke (19/1689). Danach sollen die entsprechenden Regelungen im Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen und die gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Pfändung durch eine neue bundesgesetzliche Regelung gestärkt werden. Die Ersatzfreiheitsstrafe sei in ihrer aktuellen Konzeption und ihrer praktischen Anwendung ein Instrument der Diskriminierung von einkommens- und vermögensschwachen Menschen, die häufig am Existenzminimum leben, heißt es im Gesetzentwurf. Eine freiheitsentziehende Bestrafung dürfe nur dann in Betracht kommen, wenn andere Mittel nicht hinreichend wirksam sind.

In Anbetracht einer aus ihrer Sicht fehlenden Alternative plädierten die meisten der von den Fraktionen eingeladenen acht Experten aus Rechtssprechung und Wissenschaft trotz einiger Kritikpunkte für die Beibehaltung der bisherigen Regelung der Ersatzfreiheitsstrafe. Davon abweichend meinte der Leiter der Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee, Uwe Meyer-Odewald, Ersatzfreiheitsstrafen seien zumindest für Bagatellstraftaten wie Schwarzfahren aus kriminalpolitischer nicht mehr vertretbar. Die vorrangige Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit sei grundsätzlich deren Vollstreckung vorzuziehen. Die gegenwärtige Lösung gehe am Bedarf der Betroffenen vorbei und zu Lasten des Justizvollzugs. Viele der aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe Einsitzenden benötigten eine intensive Betreuung, die eine Justizvollzugsanstalt aber nicht leisten könne, sagte Meyer-Odewald. Den Kosten von rund 150 Euro pro Tag stünden Tagessätze von 10 bis 15 Euro gegenüber. Für unsinnige Maßnahmen würde Millionen ausgegeben. Dieses Geld könne besser angelegt werden.

Ähnlich argumentierte der Strafrechtler Alexander Baur von der Universität Hamburg, der sich zwar gegen die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe aussprach, aber für eine sinnvolle Anwendung des Opportunitätsprinzips plädierte. So sollte Bagatellkriminalität nur dann verfolgt werden, wenn eine strafrechtliche Sanktionierung und damit gegebenenfalls auch die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe geboten seien. Baur zufolge ist die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Verhältnis zu der hohen Zahl von Verurteilungen zu Geldstrafen eher selten. Es lasse sich keine Fehlentwicklung und keine durchgreifenden Bedenken ausmachen, auf die der Gesetzgeber mit einem Verzicht auf die Ersatzfreiheitsstrafe reagieren müsste. Baur empfahl wie Meyer-Odewald und andere Sachverständige, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe noch konsequenter als bisher zu nutzen.

Zahlen zur Debatte steuerte die Soziologin Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln bei. Die empirische Forschung belege, dass die Ersatzfreiheitsstrafe als Ultima Ratio zu einem großen Teil die Folge von nicht gezahlten Geldstrafen wegen geringer Eigentumsdelikte und Schwarzfahrens sei. Sie sei daher ein soziales Problem, das auf Bundesebene gelöst werden müsse. Die Betroffenen seien oft sozial Benachteiligte und Obdachlose, die klassische Armutsdelikte begingen. Menschen dürften nicht aus Armutsgründen im Gefängnis landen.

Der Rechtsanwalt Ali Norouzi, Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, sagte, die Ausführungen Meyer-Odewalds belegten, dass die aktuelle Gesetzeslage praktische Probleme schaffe. Der Gesetzesentwurf sei daher auf den ersten Blick sympathisch. Seine Schwächen lägen jedoch auf der Hand. So bleibe er auf die Frage eine Antwort schuldig, wie verfahren werden soll, wenn ein zu einer Geldstrafe Verurteilter nicht fähig oder nicht willens ist, eine gemeinnützige Arbeit auszuführen. Straflosigkeit bei Mittellosigkeit sei jedoch keine Option. Norouzi sprach gleichwohl von einem "Etikettenschwindel". Statt Ersatzfreiheitsstrafe sollte es besser Notfreiheitsstrafe heißen - zum einen, weil der Staat keine andere Möglichkeit habe, und zum anderen, weil es überwiegend Menschen in Not treffe.

Auf Fragen der Abgeordneten nach Ideen für eine Lösung der mit der Ersatzfreiheitsstrafe verbundenen Problematik waren sich die Experten einig, dass es keinen Königsweg gebe. Gefragt seien differenzierte Ideen von persönlichen Lösungen bei Menschen mit persönlichen Problemen bis hin zu einer Härteefallregelung bei unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit.

Mehrere Sachverständige hielten den Entwurf für ungeeignet, da die vorgeschlagene Alternative keinen Strafcharakter mehr habe. Michael Kubiciel, Strafrechtler von der Universität Augsburg, erklärte, mit dem Entwurf solle die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft werden, ohne dass an ihre Stelle ein gleichwertiger Ersatz treten soll. Dem Verurteilten werde nur die Möglichkeit eingeräumt, freiwillig gemeinnützige Arbeit zu leisten, sagte Kubiciel. Er folge jedoch der im Entwurf formulierten Kritik an dem Umrechnungsquotienten, wonach ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht. Einige Experten unterstützten Kubiciels Vorschlag für eine Reduktion des Quotienten, andere schlosse jedoch nicht aus, dass dies auch zu einer Straferhöhung führen könne. Frank Rebmann von der Staatsanwaltschaft Heilbronn bezeichnete die Ersatzfreiheitsstrafe als ein unersetzliches und hochwirksames Instrument zur zeitnahen Realisierung der von einem unabhängigen Gericht rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe. Ohne Ersatzfreiheitsstrafe bliebe das Strafrecht letztlich ein "zahnloser Tiger", erklärte Rebmann. Eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe würde für eine beachtliche Gruppe von vermögens- und einkommenslosen sowie arbeitsunfähigen oder -unwilligen Verurteilten im Ergebnis zur Straffreiheit führen.

Der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Lars Burgard erklärte, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten wesentliches Kriterium für die Höhe des Tagessatzes bei der Verhängung einer Geldstrafe sei, die bei sozial integrierten Verurteilten, die über regelmäßige Einkünfte verfügen, auch wirke. Problematisch sei die große Anzahl von sozial desintegrierten Verurteilten, insbesondere Wiederholungstätern, die unterhalb der Pfändungsfreigrenzen leben. Die nach dem Gesetzentwurf vorgesehene Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe führe in diesen Fällen faktisch zu einer Preisgabe des staatlichen Strafanspruchs. Dem schloss sich der Richter am Bundesgerichtshof Markus Jäger an. Bei einer Abschaffung liefe die Geldstrafe bei nicht zahlungswilligen Verurteilten, bei denen die Strafe nicht beigetrieben werden kann, ins Leere. Dies käme einer Preisgabe des staatlichen Strafanspruchs gleich und würde wegen der faktischen Sanktionslosigkeit die Normgeltung vieler Straftatbestände gefährden. Jäger zufolge gewährleisten die geltenden Regelungen über Zahlungserleichterungen und Programme wie "Schwitzen statt Sitzen", dass auch wirtschaftlich schwache, aber leistungswillige Straftäter die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe vermeiden können.

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2. Europäischen Pfeiler in der Nato stärken

Auswärtiges/Antrag

Berlin: (hib/AHE) Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD wollen anlässlich des 70. Jahrestags der Nato-Gründung den europäischen Pfeiler innerhalb des Bündnisses stärken. In einem Antrag (19/8940) fordern die Abgeordneten die Bundesregierung auf, sich für "Zusammenhalt und Einigkeit im Bündnis als Beitrag zur Aufrechterhaltung und Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung einzusetzen und transatlantische Lastenteilung weiterhin auch glaubwürdig umzusetzen". Die Bundesrepublik müsse sich weiterhin zu den Vereinbarungen in der Nato bekennen, dem "Zielkorridor der Vereinbarungen" folgen und "damit auch weiterhin einen wichtigen Beitrag zur fairen Lastenteilung im Bündnis leisten". Weitere Forderungen zielen auf die Standardisierung von Bewaffnung, verbesserte Interoperabilität und die verlässliche Bereithaltung von Schlüsselfähigkeiten für die Nato-Partner. Außerdem soll sich die Bundesregierung für den Ausbau der Europäischen Verteidigungsunion einsetzen, "auch um den europäischen Pfeiler der Nato zu stärken". Dazu gehöre, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (PESCO) voranzutreiben und den Europäischen Verteidigungsfonds zu nutzen sowie den strategischen Dialog über alle Aspekte der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwischen der NATO und der EU fortzuentwickeln.

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3. Linke fordert Ende der nuklearen Teilhabe

Berlin: (hib/AHE) Die Fraktion Die Linke will die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik im Rahmen der Nato beenden und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einleiten. "Europa muss endlich atomwaffenfrei werden, und die Bundesrepublik dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten", heißt es in einem Antrag (19/8964), der heute auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht. "An die Stelle globaler militärischer Machtpolitik muss die Bekämpfung von strukturellen Ursachen für Kriege' für den Zusammenbruch von Staaten und Flucht treten: das Ende des Freihandels und die Etablierung von Strukturen einer globalen Wirtschaft, die faire und friedliche Entwicklung ermöglicht." Die Bundesregierung wird aufgefordert, den Austritt der Bundesrepublik aus den militärischen Strukturen der Nato zu erklären und die militärischen Nato-Infrastrukturen wie die US-Luftwaffenbasis Ramstein, das Nato-Hauptquartier in Ulm und den AWACS-Flughafen in Geilenkirchen zu schließen. Außerdem solle sich die Bundesregierung für die Auflösung der Nato und ihre "Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem in Europa unter Einbeziehung Russlands, das Abrüstung als zentrales Ziel hat" einsetzen.

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4. Refokussierung auf Bündnisverteidigung

Auswärtiges/Antrag

Berlin: (hib/AHE) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dringt anlässlich des 70. Jahrestages der Nato-Gründung auf eine "Refokussierung auf die Bündnisverteidigung". Aus europäischer Sicht bleibe die Nato bisher der neben der EU der zentrale Akteur, der die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren könne und der als Staatenbündnis einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirke, schreiben die Abgeordneten in einem Antrag (19/8979), der heute auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht. "Nach außen ist die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Sicherheitsraumes bisher nicht gelungen. Die europäischen Mitglieder können es sich aber nicht leisten, das Fernziel einer euroatlantischen und eurasischen Sicherheitsraumes aufzugeben." Die Abgeordneten wenden sich gegen die Erhöhung der Verteidigungshaushalte der Nato-Länder auf zwei Prozent des BIPs und wollen "die Lastenteilung nicht nur durch konkrete Beiträge, sondern durch eine besser aufeinander abgestimmte Planung und den Abbau von Dopplungen von Waffen und Material zu verbessern". Außerdem soll sich die Bundesregierung für konventionelle sowie nukleare Abrüstung einsetzen, indem sie unter anderem für den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa, eine klare Abkehr von den Modernisierungsplänen und für neue Abrüstungsinitiativen eintritt.

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5. Einhaltung von Nato-Verpflichtungen

Auswärtiges/Antrag

Berlin: (hib/AHE) Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung zu einem klaren und uneingeschränktem Bekenntnis zur Nato und ihren Werten und Zielen auf. Die Bundesrepublik müsse bereit sein, langfristig drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in Diplomatie, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit zu investieren und den Zusagen und Verpflichtungen gegenüber den Bündnispartnern nachkommen, schreiben die Abgeordneten in einem Antrag (19/8954), der heute auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht. "Wenn Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen will, muss es sich als verlässlicher Bündnispartner bewähren."

Die Bundesregierung wird unter anderem aufgefordert, die zugesagten Nato-Fähigkeitsziele zu erfüllen, erkannte Fähigkeitslücken zu schließen, sich an Einsätzen, Missionen und einsatzgleichen Verpflichtungen der Nato, auch in führender Rolle, zu beteiligen und zur Stärkung des europäischen Pfeilers den Aufbau einer zukünftigen europäischen Armee langfristig voranzutreiben. Weitere Forderungen zielen auf die Aufrechterhaltung des Dialogs mit Russland und die Entwicklung einer Strategie für den Umgang mit China.

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6. Wirtschaftliche Integration in Afrika

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/JOH) Nach Projekten und Maßnahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zur Vertiefung der wirtschaftlichen Integration in den regionalen Wirtschaftsgemeinschaften Afrikas erkundigt sich die FDP-Fraktion in einer Kleinen Anfrage (19/8782). Außerdem interessieren die Abgeordneten sich für konkrete Maßnahmen zur Migrationssteuerung in Afrika, insbesondere zur Grenzsicherung und zum Grenzschutz.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 367 - 4. April 2019 - 10.20 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2019

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