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PRESSEKONFERENZ/350: Regierungspressekonferenz vom 6. Januar 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 6. Januar 2012
Regierungspressekonferenz vom 6. Januar 2012

Themen: Gespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde, Termine der Bundeskanzlerin (Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten, Jahrestagung des dbb Beamtenbund und Tarifunion, Jahresempfang der IHK Düsseldorf, Kabinettssitzung, Empfang des italienischen Ministerpräsidenten, "WELT-Wirtschaftsgipfel", Neujahresempfang des Bundespräsidenten)
Weitere Themen: Reise des Bundesaußenministers nach Algerien, Libyen und Tunesien, gestrige Anschlagsserie im Irak, Kritik an Bundespräsident Wulff, Entwicklung in Ungarn, Äußerungen des Unionsfraktionschefs Kauder zur Lage verfolgter Christen

Sprecher: StS Seibert, Peschke (AA), Bruns (BMF)


Vorsitzender Leifert eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Da dies mein erster Auftritt in diesem Jahr 2012 ist, wünsche ich Ihnen erst einmal allen ein frohes neues Jahr, Glück und Gesundheit und uns eine gute Zusammenarbeit!

Bevor ich zu den Terminen der Bundeskanzlerin komme, würde ich gerne etwas zum Thema Nahost sagen:

Die Bundesregierung begrüßt es, dass es in dieser Woche in der jordanischen Hauptstadt Amman zum ersten Mal wieder zu direkten Gesprächen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde gekommen ist. Diese Gespräche wurden im Rahmen eines Treffens des Nahost-Quartetts und auf Initiative der jordanischen Regierung hin geführt. Wir hören, dass am kommenden Montag ebenfalls in Amman ein weiteres Zusammentreffen der beiden Parteien stattfinden wird.

Aus der Sicht der Bundesregierung bilden diese Gespräche einen guten Ausgangspunkt, um doch Fortschritte bei den Friedensverhandlungen zu machen, und zwar im Sinne des Statements des Quartettes vom 23. September 2011. Die Bundesregierung ruft beide Parteien Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde nun dazu auf, die Chance dieser Gespräche zu nutzen und alles zu unterlassen, was den von allen Seiten seit langem angestrebten Verhandlungsprozess gefährden könnte.

Wir möchten auch hervorheben, dass Jordanien eine entscheidende, positive Rolle beim Zustandekommen dieses direkten Gesprächs geführt hat. Der Nahost-Friedensprozess war auch ein wichtiges Thema, als der jordanische König Abdullah Ende November in Berlin bei der Bundeskanzlerin war und mit ihr über die Situation im Nahen Osten geredet hat.

Nun sind wir bei den öffentlichen Terminen der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche einige davon kennen Sie schon :

Am Montag um 11 Uhr wird der französische Staatspräsident Sarkozy im Kanzleramt erwartet. Es wird ein gemeinsames Arbeitsmittagessen und gegen 13.30 Uhr eine gemeinsame Pressekonferenz geben.

Immer noch am Montag am Nachmittag um 16.30 Uhr reist die Kanzlerin nach Köln. Sie hält dort eine Rede anlässlich der Jahrestagung des dbb Beamtenbundes und Tarifunion. Das Thema der Tagung des Beamtenbundes heißt "Demografischer Wandel - was ist zu tun? Staat, Wirtschaft, Gewerkschaften in der Verantwortung für die Zukunft."

Am Abend des Montags nimmt die Bundeskanzlerin in Düsseldorf am Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf teil. Sie spricht dort gegen 19 Uhr über die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland, in Europa, über die Finanzpolitik der Bundesregierung sowie die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion.

Am Mittwoch findet zur üblichen Zeit die erste Kabinettssitzung dieses Jahres 2012 statt.

Ebenfalls am Mittwoch empfängt die Bundeskanzlerin um 11.30 Uhr den italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti im Kanzleramt. Es ist sein Antrittsbesuch, und deswegen wird er von militärischen Ehren eingeleitet. Die zentralen Gesprächsthemen das kann man sich vorstellen sind die Lage in der Eurozone und die wirtschaftliche Entwicklung in Europa. Auch anlässlich dieses Treffens gibt es eine Pressebegegnung, und zwar gegen 13 Uhr.

Am Nachmittag des Mittwochs lädt die Zeitung "DIE WELT" zu einem sogenannten "WELT-Wirtschaftsgipfel" eine Diskussionsveranstaltung in das Axel-Springer-Haus in Berlin ein. Die Bundeskanzlerin hält auf dieser Veranstaltung gegen 16 Uhr eine kurze Rede und beteiligt sich dann an der anschließenden Diskussion. Diese Veranstaltung ist nicht presseöffentlich.

Am Donnerstag ist die Bundeskanzlerin um 12.15 Uhr beim Neujahresempfang des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue zu Gast.

Peschke: Ich wollte Ihnen mitteilen, dass der Bundesaußenminister morgen zu einem dreitägigen Besuch nach Nordafrika reisen wird. Stationen dieser Reise werden die Länder Algerien, Libyen und Tunesien sein. Der Bundesaußenminister will sich ein Jahr nach dem Beginn der Umbrüche in Nordafrika ein Bild über den Stand der politischen Wandelprozesse in drei Schlüsselländern der Region machen.

Er wird in Algerien mit dem Außenminister, dem Premierminister und dem Industrieminister zusammentreffen. Er wird auch mit dem Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2011, dem algerischen Schriftsteller Boualem Sansal, zusammentreffen.

Am Sonntag wird Bundesaußenminister Westerwelle in Tripolis sein und dort Gespräche mit der seit Kurzem im Amt befindlichen Übergangsregierung in Libyen führen. Er wird mit dem Außenminister und mit Ministerpräsident Al Kib zusammentreffen. In Libyen wird er sich auch über die Lage der libyschen Kriegsverletzten informieren. Viele von ihnen wurden und werden auch in deutschen Krankenhäusern behandelt. Er wird mit der libyschen Beauftragten für Kriegsverwundete, Gesundheitsministerin Fatima Hamroush, zusammentreffen. Er wird auch mit aus Deutschland zurückgekehrten Patienten zusammenkommen, um sich ein Bild der Lage zu machen.

Am Montag wird Außenminister Westerwelle Gespräche in Tunis führen. Er wird dort mit Staatspräsident Marzouki, dem Vorsitzenden der Verfassungsgebenden Versammlung, Jafaar, sowie mit dem Premierminister und Außenminister der Übergangsregierung in Tunesien zusammentreffen.

Die Unterstützung der Transformation in Nordafrika war ein Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik im vergangenen Jahr. Sie können davon ausgehen, dass das in diesem Jahr nicht anders sein wird. Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache, dass der Außenminister seine erste Reise in diesem Jahr in diese für uns politisch wichtige Region Nordafrikas macht, durchaus symbolisch zu verstehen. Wir glauben, dass wir die Wandelprozesse in Nordafrika weiter unterstützen müssen. Wir wollen sie unterstützen, und wir werden sie auch unterstützen.

Im Anschluss daran wollte ich noch kurz eine Stellungnahme zu der gestrigen Anschlagsserie im Irak abgeben, bei der über 60 Menschen das Leben verloren haben.

Bundesaußenminister Westerwelle verurteilt diese Anschläge im Irak auf das Schärfste. Das Land darf sich durch derartige Terrorakte nicht vom Kurs der gesellschaftlichen und politischen Versöhnung abbringen lassen. Wir appellieren an die politisch Verantwortlichen im Irak, konstruktiv, verantwortlich und gemeinsam für eine Stabilisierung und demokratische Entwicklung des Landes zu arbeiten und so dem Terror den Nährboden zu entziehen. Deutschland wird weiter ein Partner des Iraks beim wirtschaftlichen Wiederaufbau und der demokratischen Stabilisierung sein. Vielen Dank!

Frage: Herr Seibert, was sollen die beiden Seiten, also Israel und die Autonomiebehörde, unterlassen, damit die Verhandlungen zu einem Ergebnis kommen können? Können Sie das konkretisieren?

StS Seibert: Was ich gesagt habe, ist, dass sie alles unterlassen sollen, was einen jetzt vielleicht wieder möglich werdenden Verhandlungsprozess gefährdet. Sie sollen alles tun, was dazu führt, dass aus diesem ersten Gespräch weitere Gespräche und dann auch volle Friedensverhandlungen dieser beiden Seiten werden vorbedingungslos, wie es das Statement des Nahost-Quartetts im September gesagt hat.

Zusatzfrage: Meinen Sie vielleicht die Siedlungspolitik, die Israel unterlassen sollte? Oder meinen Sie etwas anderes?

StS Seibert: Zu der Siedlungspolitik ist an dieser Stelle schon sehr oft die Haltung der Bundesregierung dargelegt worden. Das muss ich an dieser Stelle nicht tun.

Die Aufforderung geht an beiden Seiten, alles zu unterlassen, was dem Prozess schaden kann oder was verhindern kann, dass es vielleicht doch wieder zu richtigen Friedensverhandlungen kommt. Wir sehen jetzt in dem, was in Amman geschehen ist, einen ersten hoffnungsvollen Schritt. Wir sind der jordanischen Regierung sehr dankbar, dass sie sich dafür erfolgreich eingesetzt hat. Wir haben Hoffnungen, dass das zweite Treffen in der kommenden Woche, das ebenfalls in Amman stattfindet, diesen Schritt fortsetzt und uns dem näher bringt, was notwendig ist, nämlich Friedensverhandlungen.

Zusatzfrage: Herr Peschke, können Sie die gleiche Frage beantworten? Können Sie dazu etwas ergänzen?

Peschke: Aus meiner Sicht hat der Regierungssprecher alles dazu Relevante und Notwendige gesagt. Vielleicht kann ich den einen Aspekt noch einmal betonen: Wenn wir sagen, dass wir wollen, dass beide Seiten tun, was dem Friedensprozess hilft, und unterlassen, was dem Friedensprozess schadet, gehen wir natürlich mit dem klaren Appell an beide Seiten, dass sie insbesondere nicht einseitige Schritte unternehmen, die den Friedensprozess behindern könnten. Es geht hier darum, in gemeinsamen Gesprächen eine Lösung zu finden und nicht über einseitige Schritte eine Lösung zu erschweren.

Frage (zum Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten): Frankreich hat sich heute bereit erklärt, auch ganz alleine eine Finanzmarkttransaktionssteuer einzuführen, wenn es dafür keine Unterstützung findet. Am liebsten würde die französische Regierung sie gemeinsam mit Deutschland einführen, aber im Notfall eben auch ohne Deutschland. Ich wollte wissen, ob Frau Merkel von diesem französischen Vorhaben informiert worden ist und ob Deutschland auch bereit wäre, so einen Schritt zu tun, also diese Steuer alleine einzuführen, ohne dass andere Länder der Eurozone das auch tun.

StS Seibert: Die deutsche Haltung ist in dieser Hinsicht seit langer Zeit unverändert. Wünschenswert wäre eine Einführung der Finanztransaktionssteuer weltweit. Dieses ist derzeit nicht möglich. Also ist es das ausdrückliche Ziel der Bundesregierung, die Einführung der Finanztransaktionssteuer innerhalb der EU zu erreichen. Zuletzt hat Minister Schäuble am 30. Dezember im "Handelsblatt" in einem Interview noch einmal betont, dass Frankreich und Deutschland in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 2012 auch Klarheit darüber herstellen wollen, ob die Finanztransaktionssteuer im Rahmen der EU-27, also der vollen Europäischen Union, durchgesetzt werden kann. Das ist unser Ziel. An dieser Stelle müssen wir jetzt erst einmal Klarheit herstellen.

Frage: Es wird also am Montag kein Signal an Herrn Sarkozy geben, dass Deutschland da mitzieht? Die französische Seite plant offensichtlich, schon bis Ende April so einen Beschluss durchzusetzen. Sie würden also aus jetziger Sicht für Deutschland ausschließen, dass das Kabinett bis dahin einen entsprechenden Beschluss fällt?

StS Seibert: Ganz grundsätzlich würde ich sagen, dass mögliche Signale zu welchem Thema auch immer, die am Montag gegeben werden, nicht am Freitag in einer Regierungspressekonferenz bekannt gegeben werden würden. Ich will dem Gespräch der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten auch in diesem Punkte nicht vorgreifen.

Die Haltung der Bundesregierung habe ich in diesem Punkte klargemacht: Mit Sicherheit ist dieses eines der Themen, die am Montag auf dem Tisch liegen werden. Im Wesentlichen geht es ja um die Vorbereitung des Europäischen Rates Ende Januar, und der hat sich zum Ziel gesetzt, über Maßnahmen auf europäischer Ebene zu beraten, die Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsförderung mit sich bringen können. Auf diesem Gebiet wird sich sicherlich auch das Gespräch weitgehend abspielen.

Zusatzfrage: Ich habe eine Nachfrage an Frau Bruns: Gibt es denn aktuell Signale aus den anderen EU-Ländern oder den Euroländern dazu, wie viele Länder das mittragen würden? Hat sich daran etwas geändert? Hat sich da etwas getan?

Bruns: Zur Haltung der anderen Staaten kann ich von hier aus im Moment nichts sagen.

Frage: Herr Seibert, die Bundeskanzlerin hat vor Weihnachten während einer Reise im Kosovo ihrer Erwartung Ausdruck verliehen, dass der Bundespräsident alle Vorwürfe im Zusammenhang mit der Kreditaffäre, die im Raume stehen, aufklären wird. Der Bundespräsident selbst hat volle Transparenz zugesagt. Wie ist nun die Haltung der Bundeskanzlerin zu dem Verlangen der "Bild"-Zeitung, das Gesprächsprotokoll abzudrucken?

StS Seibert: Die Entscheidung darüber, ob dieses Mailbox-Protokoll veröffentlicht wird oder nicht, fällt ausschließlich zwischen der "Bild"-Zeitung und dem Bundespräsidenten. Der Bundespräsident hat sich auf Anfrage der "Bild"-Zeitung gegen eine Veröffentlichung entschieden. Das ist zu respektieren und wird von der Bundeskanzlerin nicht kommentiert.

Die Nachricht auf dieser Mailbox hat der Bundespräsident in seinem Fernsehinterview ja schon selbst als einen schweren Fehler bezeichnet. Er hat sich dafür entschuldigt, hat um Entschuldigung gebeten. Die Entschuldigung ist angenommen worden, und auch das ist zu respektieren.

Frage: Es gibt offensichtlich mehrere Stellen, die das Transkript dieses Mailbox-Anrufs kennen. Gehört denn auch die Kanzlerin, die ja sehr viel kennt, zu den Auserwählten, die das kennen? Wenn ja, wie bewertet sie dieses Transkript?

StS Seibert: Die Antwort ist Nein.

Zusatzfrage: Dann darf ich gleich eine weitere Frage stellen. Es gibt vor allem aus den Reihen der Opposition den Vorwurf, dass sich Frau Merkel in die Diskussion einschalten solle; es könne ja nicht sein, dass der Bundespräsident dem Anspruch, den das Amt des Bundespräsidenten mit sich bringt, aus ihrer Sicht noch gerecht wird. Wie sieht die Bundeskanzlerin das?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat sich seit Dezember immer wieder auf Ihre Fragen hin zu diesem Thema geäußert. Da bedarf es keiner Aufforderung der Opposition oder anderer Politiker. Sie hat sich immer wieder geäußert und immer wieder klargemacht, dass Transparenz und Offenheit im Umgang mit relevanten Fragen gegeben sein muss. Der Bundespräsident hat diese auch tatsächlich hergestellt. Es war auch gut, dass der Bundespräsident dieses Interview gegeben hat. Auch das war ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Bürger wiederherzustellen.

Zusatzfrage: Heißt das, der Bundespräsident und die Arbeit des Bundespräsidenten genießen nach wie vor vollstes Vertrauen der Bundeskanzlerin?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat große Wertschätzung für Christian Wulff als Menschen und für Christian Wulff als Bundespräsidenten, und sie hat große Achtung vor dem Amt, das er innehat.

Zusatzfrage: Dann möchte ich noch eine Nachfrage stellen, wenn es erlaubt ist, die wiederum diese Mailbox-Debatte betreffen würde: Wie bewertet die Kanzlerin die Vertraulichkeit interner Kommunikation in der Politik? Wie würde sie es finden, wenn ihre SMS sie ist ja als große SMS-Schreiberin bekannt auf einmal öffentlich auf den Markt getragen werden würden? Was ist mit Mails und Hinterlassenschaften auf Mailboxen? Sieht sie ein Problem in der öffentlichen Kommunikation und in der Kommunikation überhaupt?

StS Seibert: Ich halte diese Frage jetzt für sehr hypothetisch; denn die Bundeskanzlerin hat keine Antworten oder Nachrichten auf Mailboxen hinterlassen, und sie wird von niemandem gefragt, ob er ihre SMS in der Zeitung abdrucken kann. Insofern ist das eine Frage, die sich jetzt nicht stellt.

Frage: Herr Seibert, Sie haben eben gesagt, dass aus Sicht der Kanzlerin Transparenz im Umgang mit relevanten Fragen gegeben sein muss. Gleichzeitig haben Sie gesagt, dass Sie die Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht nicht für notwendig oder angemessen halten. Kann man daraus folgern, dass Sie die Frage, ob der "Bild"-Chefredakteur oder ob der Bundespräsident in dieser Frage die Wahrheit sagt, nicht für relevant halten?

StS Seibert: Sie haben mich falsch zitiert. Ich habe nicht gesagt, dass ich das nicht für notwendig oder angemessen hielt. Ich habe gesagt: Die Entscheidung darüber, ob diese Mailbox-Nachricht veröffentlicht werden kann, fällt ausschließlich zwischen der "Bild"-Zeitung und demjenigen, der diese Mailbox-Nachricht hinterlassen hat, nämlich dem Bundespräsidenten. Deswegen hat sich die "Bild"-Zeitung an den Bundespräsidenten gewandt und um eine Entscheidung von ihm gebeten. Er hat diese Entscheidung getroffen. Er hat gesagt, er möchte das nicht veröffentlicht sehen. Er hat Gründe dafür genannt, und diese Gründe kann man respektieren. Das wird von der Bundeskanzlerin nicht weiter kommentiert.

Frage: Glaubt die Bundeskanzlerin denn eher den Aussagen von Herrn Wulff oder den Aussagen von Herrn Diekmann?

StS Seibert: Das ist in diesem Fall keine Frage des Glaubens. Herr Wulff, der Bundespräsident, hat in dem Interview von dem schweren Fehler gesprochen, den er nach eigener Einschätzung mit diesem Anruf begangen hat. Er hat für diesen Fehler um Entschuldigung gebeten. Diese Entschuldigung ist ihm gewährt worden. Das ist etwas, das man respektieren sollte.

Zusatz: Wobei ja aber die "Bild"-Zeitung eindeutig sagt, sie habe das ganz anders verstanden als das, was der Bundespräsident dann in dem Interview von sich gegeben habe.

StS Seibert: Aber das ist etwas, das zwischen der "Bild"-Zeitung und dem Bundespräsidenten, nicht zwischen der "Bild"-Zeitung und der Bundeskanzlerin zu klären ist.

Zusatzfrage: Nein, aber das betraf ja auch nur die Frage, in welche Richtung die Bundeskanzlerin in dieser Frage tendieren würde. Ist es für sie also wichtig, dass diese Frage beantwortet wird?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat zur Kenntnis genommen, dass der Bundespräsident selbst in dem Interview, das Millionen Menschen im Fernsehen gesehen haben, diesen Anruf als einen schweren Fehler bezeichnet hat, den er mit seinem eigenen Amtsverständnis nicht in Übereinstimmung bringen kann und für den er deswegen um Entschuldigung bittet.

Frage: Wenn Sie sagen, das sei ausschließlich eine Angelegenheit zwischen der "Bild"-Zeitung und dem Bundespräsidenten, macht sich das Staatsoberhaupt in dieser Angelegenheit nicht erpressbar? Ist das dann nicht doch eine Angelegenheit der Bundeskanzlerin, wenn ein anderes Verfassungsorgan erpressbar ist?

StS Seibert: Ich sehe im Moment keinen Erpresser und keine Erpressung.

Frage: Würden Sie dann sagen, dass so eine Mailbox-Nachricht, die irgendwo schlummert wo auch immer , grundsätzlich kein Erpressungspotenzial darstellen würde?

StS Seibert: Ehrlich gesagt überfordert mich die Frage nach dem Erpressungspotenzial von Mailbox-Nachrichten. Dazu kann ich jetzt keine allgemein gültige Definition oder Antwort abgeben. Die "Bild"-Zeitung hat erklärt, dass sie das nach der Antwort, die das Schloss Bellevue gegeben hat, nicht veröffentlichen will. Auch daran, an diese Erklärung, muss man sich doch halten.

Zusatzfrage: Dann hätte ich noch eine Nachfrage einer anderen Art. Es wird ja durchaus die Glaubwürdigkeit des Bundespräsidenten infrage gestellt. Wie sieht die Bundeskanzlerin die Möglichkeiten des Bundespräsidenten, in seiner Amtszeit, die er ja voll auszufüllen gedenkt, die Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen? Was könnte er tun, um die Glaubwürdigkeit, die auch in den Umfragen gelitten hat, wiederzugewinnen?

StS Seibert: Ich habe vorhin von der Achtung vor dem Amt des Bundespräsidenten gesprochen, die die Bundeskanzlerin hat. Zu dieser Achtung gehört auch, dass sie keine öffentlichen Ratschläge erteilt, wie dieses Amt auszufüllen ist. Der Bundespräsident selbst hat in dem Interview, wenn ich mich recht erinnere, doch auch ganz klargemacht, dass er mit allen Fragen, die ihm gestellt werden, offen und transparent umgehen will. Er tut dies auch mit Hilfe seiner Rechtsanwälte, die, glaube ich, heute schon wieder etwas ins Netz gestellt haben, sodass es für jedermann zugänglich ist. Er tut dies in einer Weise, die es in der Geschichte der Bundesrepublik so noch nicht häufig gegeben hat, glaube ich.

Ansonsten hat der Bundespräsident einen vollen Terminkalender und Arbeit, die er für uns alle macht. Er hat bereits in den ersten anderthalb Jahren seiner Amtszeit wichtige Impulse gesetzt. Er wird mit Sicherheit auf dieser Ebene weiterarbeiten. In der Mischung aus Transparenz und der täglichen Arbeit des Staatsoberhauptes kann Vertrauen wieder zurückgewonnen werden. So hat es der Bundespräsident selbst das habe ich jetzt paraphrasiert in dem Interview dargestellt, glaube ich, und das spricht für sich.

Frage: Herr Seibert, hat denn die Bundeskanzlerin nach dem Fernsehinterview des Bundespräsidenten den Eindruck, dass die Affäre Wulff ausgestanden ist? Ist die Sache für sie weitgehend erledigt?

StS Seibert: Es gibt keinen Moment, an dem man sagen kann "Jetzt ist es vorbei". Eine Debatte entwickelt sich so, wie sie sich entwickelt, und dazu tragen natürlich auch Sie bei. Es hat also keinen Zweck, etwas irgendwo für erledigt zu erklären. Ich glaube, es sind sehr viele Fragen der Bundespräsident sprach von mehr als 400 Einzelfragen rund um den Komplex Urlaub und Finanzierungsmodell beantwortet worden. Es wird so sein darauf hat die Bundeskanzlerin volles Vertrauen , dass der Bundespräsident auch weiterhin alle relevanten Fragen mit der gleichen Offenheit beantworten wird, sollten noch welche auftauchen. Natürlich gibt es gleichzeitig wir befinden uns jetzt am Anfang des Jahres 2012 auch eine Rückkehr zur Normalität im Amt.

Zusatzfrage: Es gab ja auch, aber nicht nur aus den Reihen der Opposition auch die Auffassung, dass nicht nur das Vertrauen der Person Wulff, sondern auch das Amt des Bundespräsidenten beschädigt sei. Teilt die Bundeskanzlerin diese Einschätzung?

StS Seibert: Ich will da jetzt keine Einschätzung vornehmen. Das Amt des Bundespräsidenten ist eines, das man mit großer Achtung behandeln muss, und zwar von außen wie von innen.

Frage: Herr Seibert, die Bundeskanzlerin hat nun zweimal Probleme mit Kandidaten für die Bundesversammlung bekommen. Haben Sie den Eindruck, dass sie ihre Entscheidung bereut?

StS Seibert: Ich verstehe Ihre Frage nicht. Die Bundeskanzlerin hat mit anderen zusammen Christian Wulff als den Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen. Er ist dann von der Mehrheit der Bundesversammlung gewählt worden. Damit ist er der Bundespräsident aller Deutschen.

Frage(zur Reise des Bundesaußenministers nach Nordafrika): Bundesaußenminister Westerwelle hat schon einmal bekanntgegeben, dass Gespräche mit den Muslimbrüdern in Ägypten stattfänden. Laufen diese Gespräche noch? Wenn ja, mit welchem Ziel? Gibt es inzwischen irgendeine Stellungnahme dazu, wie das weitergehen soll, zumal man jetzt feststellt, dass die Muslimbrüder im Prinzip die Mehrheit im neuen Parlament stellen werden? Wie ist die Beziehung Deutschlands zu den Muslimbrüdern in Ägypten?

Peschke: Dazu habe ich keine aktuelle Stellungnahme abzugeben. Da gibt es auch in den Gesprächen oder Kontakten keinen neuen Stand. Wir hatten ja verschiedentlich mitgeteilt das hat auch der Außenminister selbst getan , dass wir selbstverständlich auf Arbeitsebene Kontakte auch zu den Muslimbrüdern haben und hatten. Die politische Bewertung hat sich aber auch nicht geändert, dass wir von allen Kräften, die in Ägypten anstreben, politische Macht zu übernehmen, erwarten, dass sie sich einem demokratischen Wandelprozess verpflichtet fühlen, dass sie sich dem inneren Ausgleich, dem inneren Frieden in Ägypten verpflichtet fühlen und dass sie sich auch dem äußeren Frieden in der Region verpflichtet fühlen. Diese Erwartungen haben wir verschiedentlich geäußert, und daran halten wir fest.

Zusatzfrage: Ist das auch die Bewertung, was Tunesien betrifft? Auch dort sind ja schon die Islamisten an der Macht zwar mit anderen Parteien, aber sie stellen im Prinzip auch dort die Regierung. Ist die Bewertung bislang positiv beziehungsweise gibt es vielleicht irgendwelche Bemerkungen dazu?

Peschke: Wenn ich mir eine Vorbemerkung erlauben darf: Ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig mit der Terminologie, die Sie verwenden. Sie sprechen pauschal von Islamisten. Es ist so, dass die Partei Ennahda eine Mehrheit in der verfassungsgebenden Versammlung erlangt hat und dass diese Partei aufgrund dessen natürlich auch viele wichtige Regierungsämter der Übergangsregierung einnimmt. Wir müssen diese Partei wie auch alle anderen Parteien in Ägypten zum einen anhand ihres Programms und zum anderen anhand ihrer tatsächlichen Taten beurteilen. Da ist es so, dass Vertreter der jetzigen Übergangsregierungsparteien in Tunesien immer wieder versichert haben, dass sie sich einem demokratischen Umbruchprozess und Werten wie der Einhaltung der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und des Pluralismus verpflichtet fühlen. Wir werden diese Partei und die Vertreter dieser Partei sowie der Übergangsregierung natürlich an diesen Worten messen.

Ein Ziel der Reise von Außenminister Westerwelle in das Land Tunesien und ein Ziel der Gespräche ist ja gerade, ein Bild zu gewinnen, wie der Umbruchprozess in Tunesien derzeit verläuft und an welcher Stelle er steht. Wir werden natürlich deutlich machen, dass Tunesien aus unserer Sicht in einer vergleichsweise guten Lage ist, was den Umbruchprozess betrifft, dass Tunesien von den Ländern in Nordafrika und der arabischen Welt, in denen es politische Wandelprozesse gegeben hat, das Land ist, das den Weg dieses Umbruches bisher am weitesten beschritten hat und auf dem Weg der Wahlen, dem Weg der Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung und dem Weg der Reformen bisher am weitesten vorangekommen ist. Wir werden somit deutlich machen, dass Tunesien aus unserer Sicht im positiven Falle durchaus das Zeug hat, ein Musterland für einen positiven Wandelprozess zu werden. Das sind aber Dinge, die sich noch erweisen müssen; da ist es für eine endgültige Bewertung viel zu früh. Um einer solchen Bewertung näherzukommen, reist der Außenminister in die Region.

Zusatzfrage: Gibt es Besorgnis über die letzten Entwicklungen in Libyen? Dort gab es in den letzten Tagen ja Gefechte zwischen bewaffneten Gruppen man sagt, auch das seien islamistische Gruppen. Gibt es dazu eine Stellungnahme?

Peschke: Wer da mit wem oder wer da gegen wen (vorgeht), dazu kann ich Ihnen keine detaillierte Stellungnahme abgeben. Es wird ja berichtet und so wird auch intern berichtet , dass es in Libyen auch zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen libyschen Gruppen gekommen ist.

Über den Grad und die Signifikanz der Gewalt kann ich kein abschließendes Urteil abgeben. Wir verfolgen natürlich die Entwicklung in Libyen sehr aufmerksam. Wir wollen, dass sich dort ein demokratischer Aufbruch durchsetzt und es der Übergangsregierung gelingt, in Richtung einer tatsächlichen Demokratisierung zu arbeiten. Wir werden, so wie wir es in der Vergangenheit getan haben, auch in Zukunft alles tun, um diejenigen Kräfte und Entwicklungen zu unterstützen, die in diese Richtung weisen und verfolgen natürlich mit Sorge jede Entwicklung, die dem entgegensprechen könnte.

Aber es ist zurzeit abschließend nicht möglich, eine genaue Bewertung der inneren Dynamik abzugeben. Natürlich werden auch die Gespräche des Außenministers in der Region und in Libyen dazu dienen, einen Eindruck und ein Gefühl dafür zu bekommen: Wo steht das Land? Wie stabil ist das Land schon? Wie viel Arbeit muss noch geleistet werden und wo insbesondere das ist natürlich die operative Frage für uns können wir helfen?

Frage: Seit gestern Mittag kursiert die Meldung, dass die ägyptische Staatsanwaltschaft den ehemaligen Präsidenten Mubarak zum Tode verurteilen möchte. Schaut die Welt dabei zu? Schaut Deutschland zu oder wird da eingegriffen?

Peschke: Eingegriffen in den rechtlichen Prozess in Ägypten?

Zusatzfrage: Ist das auch Gespräch während der Besuchszeit, wenn Westerwelle vor Ort ist?

Peschke: Dazu gibt es vielleicht drei Sachen zu sagen: Erstens. Das wird natürlich nicht Hauptgegenstand der Gespräche in Algerien, Tunesien und Libyen sein. Zweitens. Das ist ein Thema, das wir sehr aufmerksam verfolgen und das wir immer wieder mit unseren Partnern und Ansprechpartnern in Ägypten besprechen. Drittens. Wir legen viel Wert darauf und haben das auch immer wieder deutlich gemacht, dass im Umgang mit dem ehemaligen Alleinherrscher in Ägypten Hosni Mubarak Rechtsstaatlichkeit waltet und es zu einem transparenten und möglichst fairen Prozess kommt, indem er sich für seine Handlungen verantwortet. Das ist unser Anspruch. Das ist die Messlatte, anhand der wir die Ereignisse messen. Wir hoffen sehr, dass man am Ende dieses Prozesses sagen kann: "Ja, das war ein fairer Prozess." Das ist auch ganz wichtig für den demokratischen Wandel in Ägypten.

Was das beantragte Strafmaß betrifft, sehen wir wie auch alle anderen Länder der Europäischen Union die Todesstrafe grundsätzlich sehr kritisch. Das ist eine Haltung, die wir in allen Ländern der Welt vertreten, und sie ist auch überall sehr gut bekannt.

Frage: Eine Frage an den Regierungssprecher: Wie beurteilt die Kanzlerin die finanzielle Lage Ungarns und die dortige Entwicklung im Moment?

StS Seibert: Ungarn ist, ich glaube, bereits seit vergangenem Herbst im Kontakt mit der EU-Kommission und dem IWF, um zu sondieren, ob es Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung gibt. Deswegen denke ich, dass der IWF und die Kommission auch die richtigen Ansprechpartner sind, um die Lage Ungarns beurteilen zu können.

Zusatzfrage: Könnte das auch am Montag Thema im Gespräch mit Herrn Sarkozy sein?

StS Seibert: Im Konjunktiv gesprochen: Ja.

Zusatzfrage: Was muss Ungarn tun, damit aus deutscher Sicht eine finanzielle Hilfe der EU rasch möglich wird?

StS Seibert: Wie ich gesagt habe: Ich glaube, der richtige Ansprechpartner ist der Ansprechpartner, den auch die Ungarn gewählt haben, die EU-Kommission und der IWF. Dann wird das auf europäischer Ebene zu beraten sein.

Frage: Herr Peschke, der Unionsfraktionsvorsitzende Kauder hat am Mittwoch war es, glaube ich die Außenpolitik aufgefordert, mehr für die Lage der verfolgten Christen weltweit zu tun. Herr Kauder hat vor einigen Wochen auch schon namentlich Herrn Westerwelle genannt. Wie geht der Minister mit dieser Kritik beziehungsweise Forderung um? Also ich interpretiere das als Kritik.

Peschke: Wir sehen darin keine Kritik. Wir sehen darin eine Unterstützung und Ermutigung unserer Politik, auch der Politik von Außenminister Westerwelle, der im Übrigen in dieser Frage schon sehr oft in sehr engem Kontakt mit Fraktionschef Kauder gestanden hat. Wir thematisieren die Lage und die Rechte von Christen im Rahmen des Themas "Rechte religiöser Gruppen" weltweit sehr aktiv. Das war ein prominentes Thema der Auslandsreisen von Minister Westerwelle, beispielsweise in den Irak und nach Ägypten. Wir haben das Thema auch in der Türkei sehr prominent angesprochen. Es gibt häufig davor und im Anschluss einen Austausch mit politischen Gruppierungen oder Kräften in Deutschland, vor allem auch Fraktionschef Kauder. Ich denke, das ist ein Thema, das wir immer wieder sehr aktiv ansprechen und zu dem wir auch in Zukunft nicht schweigen werden. Denn das Recht auf eine freie religiöse Meinungsausübung ist ein Menschenrecht, ist ein Grundrecht. Bei der Gewährung dieses Grundrechtes kann es keinerlei Abstriche geben. Das gilt weltweit.


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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 6. Januar 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/01/2012-01-06-regpk.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2012