Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

PRESSEKONFERENZ/401: Regierungspressekonferenz vom 11. April 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch,11. April 2012
Regierungspressekonferenz vom 11. April 2012

Themen: Personalie, von Nordkorea geplanter Test einer Langstreckenrakete, Hafturlaub für Langzeithäftlinge, europäische Schuldenkrise, Klimaschutzziele, Entfernungspauschale, Einhaltung der Waffenruhe in Syrien, Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, Überführung der Rücklagen der Atomkonzerne in einen Staatsfonds, Stärkung des Wettbewerbs zwischen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen, Anschläge auf Kirchen in Nigeria, Tsunamiwarnung für den Indischen Ozean, Aufhebung des Kooperationsverbots im Wissenschaftsbereich

Sprecher: SRS Streiter, Girndt (BMELV), Aden (BMJ), Blankenheim (BMF), Maaß (BMU), Schlienkamp (BMWi), Schäfer (AA), Küchen (BMAS), Albrecht (BMG), Beyer (BMI), Knauß (BMBF)



Vorsitzende Wefers eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRS Streiter sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Vorsitzende Wefers: Ich gebe das Wort Frau Ariane Girndt, die sich als neue Sprecherin des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorstellen möchte.

Girndt: Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich kurz vorzustellen. Mein Name ist Ariane Girndt. Ich war in den vergangenen sieben Jahren in der Pressestelle des Bundesinstituts für Risikobewertung hier in Berlin und bin seit einigen Monaten als Sprecherin im Verbraucherschutzministerium. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen.

Vorsitzende Wefers: Dann darf ich Sie von unserer Seite auch herzlich begrüßen. Ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit und immer gutes Gelingen auf diesem Stuhl. - Damit hat Herr Streiter das Wort für eine Ankündigung der Bundesregierung zu Nordkorea.

SRS Streiter: Die Bundesregierung warnt Nordkorea explizit davor, eine Langstreckenrakete zu starten. Ein Start einer solchen Rakete wäre eine deutliche Provokation. Er würde gegen die Vorgaben des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und gegen eine Vereinbarung der USA mit Nordkorea vom Februar verstoßen. Auch die Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche und der IAEO-Inspektionen würden gefährdet. Wir rufen Nordkorea dazu auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Frage: Ich habe eine Frage an das Justizministerium zum Thema Langzeithäftlinge. Die Bundesländer planen ja Veränderungen: Das Bundesgesetz sieht Hafturlaub nach zehn Jahren vor, Bayern nach zwölf Jahren, und nun wollen einige Bundesländer das auf fünf Jahre verkürzen. Ist das aus Sicht des Bundesjustizministeriums zweckmäßig, das erstens zu verkürzen und zweitens so unterschiedliche Regelungen in den Ländern zuzulassen?

Aden: Wie Sie richtig gesagt haben, geht es da um Pläne der Bundesländer. Der Strafvollzug ist ja seit der Föderalismusreform in der Hand der Länder. Das können Sie auch schon daran sehen, dass die Bundesländer unterschiedliche Pläne haben. Insofern ist es auch nicht am Bundesjustizministerium, diese Pläne der Länder zu kommentieren. Das entscheidet jedes Land eigenverantwortlich.

Frage: Eine Frage zur Eurokrise an Herrn Streiter oder Herrn Blankenheim: Die Zinsen für zehnjährige spanische Anleihen sind gestern wieder über die Sechs-Prozent-Schwelle gestiegen und es gibt neue Ängste hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage in Spanien und auch hinsichtlich der Stabilität der Banken. In Italien gibt es ähnliche Sorgen. Sind die letzten Entwicklungen in den Märkten und in diesen beiden Ländern Grund für Sorge?

Blankenheim: Wie Sie sagen, sind die Zinsen auf manche Anleihen zuletzt deutlich angestiegen; sie liegen aber immer noch unter den Höchstständen vom vergangenen November. Spanien hat seit Ausbruch der Krise umfassende Reformen in einer Vielzahl von Politikbereichen durchgeführt: in der Finanzpolitik, auf dem Arbeitsmarkt und im Bankensektor. Insofern bedauern wir, dass die Märkte diese enormen Reformanstrengungen bisher noch nicht angemessen honorieren. Man muss aber auch sagen, dass diese Reformen erst einmal wirken müssen und insofern auch vielversprechend ist, was die spanische Regierung unternimmt. Man darf schließlich auch nicht vergessen, dass Spanien bei den Fundamentaldaten vor allem im Bereich der Finanzpolitik deutlich besser dasteht als viele andere Industriestaaten, die nicht Mitglied der Eurozone sind. Wir begrüßen, dass die spanische Regierung vor dem Hintergrund des jüngsten Zinsanstiegs erneut ihre Entschlossenheit bekräftigt hat, die vereinbarten Konsolidierungsziele zu erreichen. Spanien hat in diesem Zusammenhang zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro angekündigt.

Frage: Eine Frage an das BMU: Herr Ziesing von der AG Energiebilanzen, der die Energiewende begleitet, warnt die Bundesregierung davor, dass die Klimaschutzziele bei der derzeitigen Geschwindigkeit der Emissionsentwicklung nicht erreicht werden. Was sagt die Bundesregierung zu diesen Erkenntnissen und wie würden Sie gegensteuern?

Maaß: Es ist ein bisschen eine Frage der Betrachtungsweise, ob ein Glas fast voll ist oder ob in dem Glas noch ein bisschen fehlt. Ich empfehle Ihnen dazu eine Pressemeldung, die wir vor gut vier Monaten, Anfang Dezember letzten Jahres, herausgegeben haben, in der wir Ihnen einen wissenschaftlichen Zwischenbericht vorgestellt haben, der genau das untersucht hat, nämlich ob wir auf dem Pfad der Zielerreichung sind. Kurz gefasst war die Aussage: Ja, wir sind auf dem Pfad der Zielerreichung. Allein mit den Maßnahmen, die bis Juli 2011 beschlossen wurden, erreichen wir schon etwa 35 Prozent. Die restlichen fünf Prozentpunkte, die noch fehlen, sind damit in greifbare Nähe gerückt; denn die zusätzlich geplanten Maßnahmen in den Bereichen Emissionshandel, Gebäudesanierung, Stromeffizienz usw. sind da ja noch nicht dabei. Insofern sehen wir uns weiterhin auf einem sehr guten Weg.

Was noch an vielleicht neuer positiver Erkenntnis dazukommt, ist die Tatsache, dass wir, obwohl wir im letzten Jahr eine sehr drastisch gesunkene Stromerzeugung aus Kernkraftwerken zu verzeichnen haben, gleichwohl einen gesunkenen CO2-Ausstoß melden können. Das ist durchaus anders, als uns alle anderen vorhergesagt haben. Insofern können wir uns auch über dieses Detail freuen.

Frage: Herr Maaß, hat Herr Ziesing mit dem, was er sagt, unrecht?

Zweitens: Sie sagen, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist - -

Maaß: Nein, ich habe nicht gesagt, halbvoll oder halbleer, ich habe gesagt: fast voll oder noch nicht ganz voll. Wir sind da schon ein bisschen auf einem anderen Füllungsstand des Glases.

Frage: Aber dennoch vielleicht noch die zweite Frage: Herr Ziesing hat ja den Effekt des milden Winters nicht eingerechnet. Welchen Einfluss hat das bei Ihrer Berechnung?

Maaß: Wenn ich das, was Herr Ziesing sagt, richtig verstanden habe, dann ist das ja eine rückwirkende Betrachtung der vorhandenen Emissionsdaten. Das, was ich Ihnen vorgestellt habe, ist eine Projektion, also eine Vorhersage der Minderungsziele. Ich maße mir jetzt nicht an zu sagen, ob Herr Ziesing recht oder unrecht hat - Herr Ziesing ist Wissenschaftler und sieht das durch eine wissenschaftliche Brille.

Zusatzfrage: Und die Sache mit dem Klima, mit dem milden Winter?

Maaß: Wir haben immer Schwankungen zwischen milden, nicht ganz so milden und saukalten Wintern. Das ist bei den Vorhersagen, den wissenschaftlichen Projektionen, eingerechnet.

Frage: Eine Frage an das Bundeswirtschaftsministerium zum Thema Pendlerpauschale: Die "Süddeutsche Zeitung" hat uns gestern über den Steuerprofessor Hechtner vorgerechnet, dass eine Erhöhung der Pauschale nicht die breite Masse treffen würde, sondern allenfalls punktuell greifen würde. Jetzt hätte ich gerne gewusst: Was hat das in Ihrem Ministerium ausgelöst? Haben Sie das einmal nachgerechnet, stimmen diese Zahlen? Führt das eventuell zu einem Umdenken? Mein letzter Stand ist, dass das Ministerium immer noch für eine Erhöhung der Pauschale plädiert.

Schlienkamp: Vielen Dank für die Frage. - Es bleibt natürlich bei der Haltung des Ministers, dass er eine maßvolle Anhebung der Pendlerpauschale - eine maßvolle Anhebung - für geboten hält. Er hat ja auch am Wochenende öffentlich darauf hingewiesen, dass der Staat bei einem Anstieg der Benzinpreise über das Umsatzsteueraufkommen profitiert. Im Übrigen hat ja - ich glaube, heute ist es gewesen - der Bund der Steuerzahler zu Recht noch einmal darauf hingewiesen, dass nicht nur die Benzinpreise, sondern auch die Bahnpreise gestiegen sind.

Konkret zu Ihrer Frage zu dieser Studie, die gestern veröffentlicht worden ist: Für uns ist dieser Vorwurf, eine höhere Pendlerpauschale führe am Ziel vorbei, nicht nachvollziehbar; denn bei der Pendlerpauschale geht es ja darum - auch darauf hat der Bund der Steuerzahler heute zu Recht noch einmal hingewiesen -, den Verlust von Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen auszugleichen, wenn sie Wegkosten zur Arbeit haben. Deswegen wird natürlich derjenige, der viel Steuern zahlt, auch stärker entlastet; das ist eine Selbstverständlichkeit und liegt in der Logik.

Frage: Ich habe eine Frage an das Außenministerium: Herr Westerwelle ist ja jetzt in den USA. Bei dem G8-Außenministertreffen geht es mit Sicherheit auch um das Thema Syrien. Nach allem, was man hört, ist der Plan von Herrn Annan bezüglich der Einhaltung der Waffenruhe, was die syrische Seite angeht, vom Regime bisher nicht umgesetzt worden. Welche Hoffnung haben Sie? Wird in Washington noch einmal appelliert, den Plan einzuhalten? Was passiert, wenn der Plan scheitert? Gibt es da Überlegungen, einen Plan B?

Schäfer: Die Bundesregierung begrüßt sehr, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch gestern Abend geschlossen mit allen 15 Stimmen, einschließlich der Stimme Deutschlands, ein klares Signal an die Regierung in Damaskus geschickt hat, nunmehr mit den Versprechungen und Zusagen Ernst zu machen und den Sechspunkteplan von Kofi Annan umzusetzen. Das ist wichtig, gerade weil die internationale Geschlossenheit - einschließlich derjenigen Staaten, die bisher eher auf die Bremse getreten sind - für die weiteren Gespräche und die weiteren Entscheidungen, die dann anstehen mögen - und zwar morgen, dem Tag, an dem wirklich klar wird, ob die syrische Regierung ihre Vereinbarungen, ihre Zusagen einhält und darüber hinaus -, von ganz großer Bedeutung ist.

Sie haben völlig recht: Der Außenminister ist zurzeit beim Außenministertreffen der G8-Staaten. Dort wird sowohl auf der offiziellen Tagesordnung als auch am Rande das Thema Syrien natürlich absolut im Vordergrund stehen. Viele der entscheidenden, handelnden Personen der internationalen Staatengemeinschaft sind dort anwesend. Es wird darum gehen, die Lage zu besprechen und erste Überlegungen dahin gehend anzustellen, was der nächste Schritt der internationalen Gemeinschaft sein könnte, wenn wir - wie man wohl befürchten muss - morgen den gleichen Sachstand haben wie heute, nämlich dass das Regime in Damaskus nicht bereit ist, sich an die eigenen Zusagen zu halten, und die Gewalt gegen das eigene Volk fortsetzt.

Zusatzfrage: Was könnte es dann anderes sein als das, was durchaus schon diskutiert wird, nämlich dass man letzten Endes doch eine internationale Truppe in Gang setzen müsste, um dem Geschehen in Syrien ein Ende zu bereiten?

Schäfer: Ich kann natürlich den Gesprächen im Sicherheitsrat, der sich nach dem Wunsch der Bundesregierung morgen erneut der Thematik annehmen wird, wie auch den Gesprächen beim Außenministertreffen in Washington nicht vorgreifen. Die Haltung der Bundesregierung bei diesen Gesprächen ist aber klar: Wir setzen weiterhin mit großer Entschiedenheit auf eine politische und diplomatische Lösung. Nur so und mit weiterer Unterstützung von Kofi Annan, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, wird es gelingen, eine dauerhafte politische Lösung für Syrien und damit für die Region zu finden.

Frage: Ich habe eine Frage an das Arbeitsministerium: Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist aus, dass es im vergangenen Jahr so viele Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gegeben hat wie nie zuvor. Mich würde interessieren: Wie bewertet Ihr Haus diesen Befund? Und vor allen Dingen: Welche Erklärung haben Sie dafür? Das geht aus den Zahlen zunächst einmal nicht hervor. Gibt es mehr Schummelei? Gibt es mehr Kontrollen? Wird gewissenhafter geprüft? Denn es muss ja eine Erklärung dafür geben.

Küchen: Generell lässt sich zunächst einmal sagen, dass für Langzeitarbeitslose die Chancen auf Arbeit so gut sind wie nie zuvor in der jüngsten Zeit. Es gilt, diese Chancen zu nutzen. Es muss mitgemacht werden; das fordern wir ein. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die ganz große Mehrheit der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mitmacht, sich engagiert und in Arbeit kommen will. Die Sanktionen, von denen wir hier sprechen, treffen nur einen minimalen Ausschnitt, nämlich rund 3 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.

Ein Grund, der sich anführen lässt, wäre, dass wir im Zuge der Regelsatzneubemessung die Sanktionsmechanismen, also die Regeln für Sanktionen, klarer gefasst haben. Das heißt, die Mitarbeiter in den Jobcentern wissen genauer, was wann zu tun ist; das ist gut. Es gibt weniger Zweifelsfälle. So herrscht auf allen Seiten mehr Klarheit.

Wenn man sich einmal die Natur der Sanktionen anschaut, dann ist zu bemerken, dass rund zwei Drittel der Sanktionen wegen sogenannter Meldeversäumnisse verhängt werden, beispielsweise wenn man nicht zum Termin erscheint usw. Lediglich rund 15 Prozent sind klassische Verweigerungssanktionen. Das muss man dabei im Blick behalten.

Zusatzfrage: Ist das also aus Ihrer Sicht ein Erfolg? Denn Sie haben ja gesagt, Sie hätten die Regeln verschärft.

Küchen: Wir haben sie klarer und eindeutiger gefasst. Da zuvor lange Zeit eine Unsicherheit darüber herrschte, wann welche Sanktion zu verhängen ist und wie viel Ermessensspielraum es dabei gibt, ist positiv zu bewerten, dass es jetzt mehr Klarheit gibt. Wie gesagt: Vor dem Hintergrund der besseren Arbeitsmarktchancen wird natürlich genauer hingeschaut.

Frage: Frau Küchen, Sie haben eben gesagt, 15 Prozent müsse man sozusagen als klassische Verweigerer betrachten. Was sind denn die 100 Prozent, alle Arbeitsuchenden, die Masse der Arbeitnehmer oder potenzielle Arbeitnehmer?

Küchen: Das ist innerhalb der Sanktionierten.

Zusatzfrage: Aus der Statistik geht auch hervor, dass der durchschnittliche Betrag, den Arbeitslosengeld-II-Empfänger bekommen, gesunken ist. Aber die Regelsätze sind ja konstant. Meine Frage ist: Was ist Ihre Erklärung dafür? Liegt das daran, dass es möglicherweise mehr Aufstocker gibt? Denn Aufstocker beziehen logischerweise nicht den vollen Betrag, sodass die Summe prozentual sinken müsste, wenn man mehr Aufstocker hat. Oder liegt das vielleicht daran, dass mehr Empfänger in günstigere, kleinere Wohnungen umgezogen sind? Auch das würde den durchschnittlichen Betrag senken; denn der eigentliche Regelsatz ist ja konstant.

Küchen: Die genaue Erklärung dafür kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt schlicht und einfach noch nicht liefern. Das, was Sie angeführt haben, nämlich eine größere Zahl von Aufstockern, klingt plausibel. Ich glaube, das ist auch das, was die dpa bei diesem Thema heute früh ins Feld geführt hat. Ich würde das bei uns im Haus prüfen lassen.

Ich möchte noch auf Folgendes hinweisen: Es geht hier um den Zahlbetrag pro Bedarfsgemeinschaft; das ist wichtig. Das ist nicht pro Leistungsbezieher, sondern pro Bedarfsgemeinschaft.

Vorsitzende Wefers: Wenn Sie das geprüft haben, dann geben Sie es uns?

Küchen: Wie immer.

Frage: Greenpeace hat heute Vormittag die Bundesregierung aufgefordert, die Rücklagen oder wenigstens einen Teil der Rücklagen der Atomkonzerne für Abriss und Entsorgung der Kraftwerke in einen Staatsfonds zu überführen. Ist das notwendig? Hat die Bundesregierung eine Meinung dazu?

Schlienkamp: Die Einzelheiten dieses Konzepts sind uns bislang nicht bekannt, sodass wir jetzt zu Details noch keine Stellungnahme abgeben können. Im Übrigen ist die Forderung nach einem sogenannten externen staatlich verwalteten Fonds für die Kosten des Rückbaus von Kernkraftwerken und für die Entsorgung radioaktiver Abfälle überhaupt nicht neu. Über dieses Thema wird seit Jahren unter verschiedenen Aspekten diskutiert. Vielleicht nur der Hinweis: Bislang ist es immer so gewesen, dass die Bundesregierung - ich betone: über Legislaturperioden hinweg - aus guten Gründen keinen Anlass zu grundlegenden Änderungen gesehen hat. Dabei bleibt es, auch wenn wir die Entwicklung, wie immer, selbstverständlich aufmerksam beobachten werden.

Zusatzfrage: Sie glauben also, dass es nicht notwendig ist, einen Staatsfonds zu gründen?

Schlienkamp: Genau. Ich habe gerade betont, dass über Legislaturperioden hinweg aus guten Gründen kein Anlass zu grundlegenden Änderungen gesehen worden ist und dass es dabei bleibt.

Frage: Wer bezahlt denn dann die Rückbau- beziehungsweise die Entsorgungskosten: die Industrie, oder gibt es dafür andere Überlegungen?

Schlienkamp: Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Das sind Detailfragen. Die Antwort darauf werde ich Ihnen nachreichen.

Zusatzfrage: Aber es stellt sich doch die Frage, wer die Milliardenkosten für den Rückbau der Atomkraftwerke trägt.

Schlienkamp: Die Unternehmen zahlen das zu 100 Prozent.

Zusatzfrage: Ich habe eine Frage an das Finanzministerium: Wenn ich mich recht erinnere, gibt es für die Rückbauverpflichtungen der Unternehmen eine Art steuerliche Bevorzugung beziehungsweise Förderung. Es ist doch mit eingerechnet, dass sie auch Abschreibungen bilden können, oder?

Blankenheim: Das müsste ich Ihnen nachliefern.

Vorsitzende Wefers: Das nehmen wir gerne zeitnah an.

Frage: Meine Frage richtet sich an das Gesundheitsministerium: Die Techniker Krankenkasse hat heute ein Gutachten zu der Frage veröffentlicht, wie der Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den privaten Krankenversicherungen gestärkt werden könnte. Die Wissenschaftler schlagen eine privatrechtliche Organisationsform statt der öffentlich-rechtlichen Körperschaft für die Krankenkassen vor. Wie bewerten Sie dieses Gutachten? Wollen Sie das in irgendeiner Form für die Diskussion aufgreifen?

Albrecht: Vielen Dank für die Frage. - Dass die Techniker Krankenkasse dieses Gutachten veröffentlicht hat, wäre mir neu. Ich habe gesehen, dass es der "Financial Times Deutschland" in Auszügen vorliegt. Wir haben dieses Gutachten noch nicht und können es insofern nicht bewerten. Wenn wir dieses Gutachten haben, dann werden wir das selbstverständlich tun.

Sie haben richtig gesagt, dass das ein weiterer Beitrag in der Diskussion ist, die teilweise verdeckt, teilweise offen über die Zukunft der Krankenversicherung geführt wird. Das Gutachten ist ein Beitrag dazu, und wir werden es uns ganz genau anschauen.

Zusatzfrage: Denkt das Ministerium selbst darüber nach, dass man für die Stärkung des Wettbewerbs - für Versicherte ist der Wechsel zwischen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung fast unmöglich - etwas tun muss?

Albrecht: Wir haben uns immer für die Stärkung des Wettbewerbs stark gemacht und tun das auch weiterhin. Die Regeln bezüglich des Wechsels zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung sind so gefasst, wie sie gefasst sind, unter anderem um - ich sage einmal - Trittbrettfahrern zu untersagen, sich in jüngeren Jahren günstig zu versichern, um sich dann in späteren Jahren ebenfalls wieder günstig zu versichern. Der Gesetzgeber hat lange darüber nachgedacht und deswegen die Regeln so gefasst, wie sie sind.

Grundsätzlich stärken wir den Wettbewerb. Das tun wir mit fast jeder gesetzlichen Vorlage, die wir in Sachen gesetzliche beziehungsweise private Krankenversicherung auf den Weg bringen. Die Aufforderung des Ministers an die gesetzliche Krankenversicherung, Prämien auszuzahlen und damit ein Wettbewerbselement auch bei der gesetzlichen Krankenversicherung einzuführen, geht in diese Richtung. Uns ist dieses Wettbewerbselement wichtig.

Wie gesagt: Das Gutachten, das wir jetzt noch nicht kennen, ist ein weiterer Beitrag dazu, die Diskussion weiterzubefördern. Wir werden uns das Gutachten anschauen und dann bewerten. Es scheint ja ein umfangreicheres Gutachten zu sein. Hier wurde eine grundsätzliche Frage gestellt. Aber aufgrund einer Zeitungsveröffentlichung können wir das sicherlich noch nicht machen.

Zusatz: Das Gutachten ist in einer Zusammenfassung auf der Internetseite veröffentlicht.

Albrecht: Okay. Aber auch eine Zusammenfassung ist nur eine Zusammenfassung. Es werden Grundsatzfragen gestellt. Die Beantwortung nehmen wir nicht auf der Basis einer Zusammenfassung, einer Beurteilung vor. Das müssen Sie bitte verstehen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt: In Nigeria gab es am Wochenende erneut Anschläge auf Kirchen. Aus der Politik kam die Forderung, die Themen Christenverfolgung und Religionsfreiheit auch im UN-Sicherheitsrat anzusprechen. Macht das der Minister eventuell schon jetzt, oder gibt es darüber hinaus Pläne im Außenministerium, dieses Thema auf die internationale Agenda zu setzen?

Schäfer: Die Themen Religionsfreiheit sowie Schutz von religiösen Minderheiten und damit auch das Thema des Schutzes christlicher Minderheiten sind für Außenminister Westerwelle, für das Auswärtige Amt natürlich sehr wichtig, und zwar weit über Nigeria hinaus. Wir haben über die Osterfeiertage mit großer Aufmerksamkeit, aber auch mit großer Sorge die Informationslage in Nigeria verfolgt. Uns besorgt sehr, dass es in Nigeria offensichtlich nicht gelingt, dem Terrorismus gegen religiöse Minderheiten und damit auch gegen die christliche Minderheit im Norden des Landes Einhalt zu gebieten. Es ist völlig selbstverständlich, dass sich die Bundesregierung, dass sich das Auswärtige Amt für die Förderung der Religionsfreiheit in Nigeria, in Afrika und in der ganzen Welt einsetzen.

Ich kenne die Tagesordnung des Sicherheitsrates in den nächsten Tagen nicht. Die im April amtierende amerikanische Sicherheitsratspräsidentschaft bestimmt die Tagesordnung. Deshalb kann ich Ihnen nicht konkret auf Ihre Frage Auskunft geben, ob sich der Sicherheitsrat - auch mit der Beteiligung Deutschlands - zu diesem Thema einlassen wird. Aber eines ist klar: Das Thema steht für uns auf der internationalen Agenda, und wir werden es sehr aktiv weiterverfolgen. Dieses Thema hat eine große Priorität für die Außenpolitik von Außenminister Westerwelle.

Zusatzfrage: Herr Streiter, der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan kommt ja in der nächsten Woche nach Berlin. Wissen Sie schon, ob die Kanzlerin dabei auch das Thema Religionsfreiheit ansprechen wird?

SRS Streiter: Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen, aber sicherlich am Freitag.

Vorsitzende Wefers: Dann freuen wir uns, was das betrifft, auf Freitag.

Frage: Ich habe eine Frage an das Innenministerium, die die aktuelle Tsunamiwarnung für den Indischen Ozean betrifft: Könnten Sie mir kurz einen Einblick darüber geben, wie das mit Hilfskräften, Katastrophenhelfern, THW etc. läuft? Laufen die Vorbereitungen für den Fall, dass die Helfer tatsächlich losmüssen, während man auf das Eintreffen eines Tsunamis wartet, schon parallel, oder wartet man, bis der Schaden eingetreten ist, um erst dann die Kräfte zu mobilisieren? Könnten Sie mir einen Einblick geben, wie das im Moment läuft?

Beyer: Ich bin jetzt auf die Frage nach der Tsunamiwarnung im Indischen Ozean nicht vorbereitet; das wird Sie nicht überraschen. Aber vor dem Hintergrund der Frage, die Sie gestellt haben, ist es grundsätzlich so, dass es in den angrenzenden Staaten, in den Küstenstaaten entsprechende Warnsysteme gibt. Sie sind in den vergangenen Jahren aufgrund der dort gemachten dramatischen Erfahrungen verbessert worden, soviel ich weiß.

Natürlich kann Deutschland in solchen Fällen das Technische Hilfswerk oder auch andere Hilfsorganisationen anbieten. Der Ablauf ist in der Regel so, dass zunächst ein sogenanntes Hilfeersuchen eines betroffenen Staates erfolgen muss. In einem zweiten Schritt wird dann immer sehr schnell auf ein solches Hilfeersuchen reagiert. Der erste Schritt muss also von den betroffenen Regionen, von den betroffenen Staaten gemacht werden. In einem zweiten Schritt erfolgt von den deutschen Behörden oder den deutschen Hilfsorganisationen die Entscheidung über eine Entsendung. In einem möglichen Fall der Fälle stimmt sich die Bundesregierung immer sehr schnell ab.

Schäfer: Es gibt das Krisenreaktionszentrum der Bundesregierung, das bekanntlich im Auswärtigen Amt sitzt. Dort screenen Mitarbeiter das ganze Jahr über - 365 Tage, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag - die Informationslage in der Welt. Sie greifen solche Ereignisse wie die, die Sie angesprochen haben, heraus und leiten die Informationen an die zuständigen Stellen innerhalb der Bundesregierung weiter, um daraus dann die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Über die Osterfeiertage ist es - ich glaube, es war am Samstag - auf pakistanischer Seite in Kaschmir zu einem schweren Lawinenunglück gekommen, bei dem wahrscheinlich mehr als 100 pakistanische Soldaten und Zivilisten verschüttet worden sind. Als diese Information im Krisenreaktionszentrum auflief, wurde sie sofort an die Kollegen im Innenministerium und danach an das Technische Hilfswerk weitergeleitet.

Wir haben über die Osterfeiertage ein Hilfsersuchen der pakistanischen Regierung erhalten. Daraufhin wurde über die Osterfeiertage ein Rettungsteam des Technischen Hilfswerks auf den Weg gebracht, um gemeinsam mit den pakistanischen Kollegen das zu tun, was man in einer solchen Situation tut, nämlich zu versuchen, noch Überlebende aufzufinden, und gegebenenfalls dabei behilflich zu sein, verschüttete Verstorbene zu bergen, wenn keine Rettung mehr möglich ist.

Das alles hat wunderbar geklappt, im Übrigen nicht nur innerhalb der Bundesregierung - da klappt es herausragend gut -, sondern es klappt auch im internationalen Kontakt mit den Partnern, die gerne auf die Hilfe und die Dienstleistungen aus Deutschland zurückgreifen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Bildungsministerium zum Thema Bildungsföderalismus: Etwa vor vier Wochen hat der Koalitionsausschuss beschlossen, dass das Kooperationsverbot im Wissenschaftsbereich aufgehoben werden soll. Ich würde gerne wissen, ob im Bildungsministerium jetzt schon irgendwelche Vorbereitungen laufen, oder wo das geschehen muss, um das später auf den Gesetzesweg zu bringen; denn es muss ja eine Verfassungsänderung geben. Wie schnell kann das geschehen? Ich weiß, dass die Mehrheiten im Bundesrat nicht so günstig sind.

Knauss: Ich kann Ihnen jetzt keine aktuellen Details, keinen Zwischenstand dazu mitteilen. Sie können aber davon ausgehen, dass das bei uns im Haus erarbeitet wird. Das ist für uns im Moment ein großes und wichtiges Thema.

Zusatzfrage: Könnten Sie mir noch heute etwas dazu nachreichen?

Knauss: Ja, ich werde mich bemühen.

Zusatzfrage: Wie bewertet das Ministerium das Thema Schule in diesem Zusammenhang? Will man in einem zweiten Schritt weiter vorankommen und auch dort das Kooperationsverbot aufheben?

Knauss: Die Ministerin hat sich schon mehrfach zu diesem Thema geäußert. Aber wie Sie wissen, gibt es im Bereich der Schulbildung einfach keine Mehrheit der Bundesländer dafür.

Zusatzfrage: Will man das deshalb nicht mehr so offensiv vorantreiben? Ich habe aus der Union gehört: Die Länder fordern immer nur Geld, aber der Bund soll sich nicht einmischen. - Hängt das wirklich damit zusammen, dass man die Einmischung des Bundes fordert und dass der Bund natürlich nicht dazu bereit ist?

Knauss: Unsere Ministerin hat sich schon in Interviews dazu geäußert, es könne natürlich nicht sein, dass die Aufhebung des Kooperationsverbots im Bereich der Schulen bedeute, dass der Bund zwar mehr bezahle, aber nichts zu sagen habe. Die entsprechenden Aussagen der Ministerin hierzu finden Sie in den Interviews der letzten Monate. Dazu kann ich Ihnen jetzt nichts Neues sagen. Die Haltung ist bekannt.

Schäfer: Da Sie die Tsunamiwarnung für Indonesien angesprochen haben, möchte ich noch etwas ergänzen, was mir die netten Kollegen dank moderner Telekommunikation gerade zu lesen gegeben haben. Unsere Botschaft in Jakarta in Indonesien und auch das Krisenreaktionszentrum sind schon mit der Sache befasst und beobachten dies sehr aufmerksam. Es gibt Informationen über geordnete Evakuierungen an den Stellen, an denen der Tsunami Schäden auslösen könnte. Es heißt, dass sich dort ein Tsunami bis zu sechs Meter hoch auftürmen könnte. Das ist zum einen zwar sehr bedrohlich, zum anderen aber nicht so schlimm, wie wir das vor einigen Jahren schon einmal erlebt haben.

Auch in diesem konkreten Fall gilt das, was ich gerade schon gesagt habe: Falls erforderlich, könnte sofort ein Krisenstab eingerichtet werden. Falls es Anfragen gibt, wäre die Bundesregierung sicherlich bereit, der indonesischen Regierung zu Hilfe zu kommen, wenn dies gewünscht wird. Schließlich und endlich - auch das ist sehr wichtig -: Wenn konsularische Hilfe für deutsche Staatsangehörige erforderlich ist, würde diese im Krisenstab im Auswärtigen Amt gemeinsam mit der Botschaft in Jakarta organisiert.

Aber ich möchte es nicht falsch verstanden wissen: Wir haben keine Anzeichen dafür, dass es dazu kommen muss. Aber wir sind natürlich auf solche Eventualitäten eingestellt.

*

Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 11. April 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/04/2012-04-11-regpk.html?nn=391778
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-0
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2012