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PRESSEKONFERENZ/1135: Regierungspressekonferenz vom 11. Januar 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 11. Januar 2016
Regierungspressekonferenz vom 11. Januar 2016

Themen: Ausstieg aus der Stromerzeugung mit Kohle, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof, nicht vollstreckte Haftbefehle gegen Rechtsextremisten, deutsch-polnisches Verhältnis, Medienberichte über geplante Reise des Bundesaußenministers nach Saudi-Arabien, finanzielle Hilfen für die Türkei bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen

Sprecher: StS Seibert, Stamer (BMUB), Alemany (BMWi), Scholz (BMJV), Dimroth (BMI), Chebli (AA)


Vorsitzender Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage: Ich habe ein, zwei Fragen zum Thema Kohlekonsens oder Kohleausstieg. Es gab heute den Vorschlag der Organisation Agora Energiewende, einen planmäßigen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu organisieren, ähnlich dem Atomkonsens. Ich würde gerne vom Umweltministerium und vom Wirtschaftsministerium wissen, was Sie von diesem Vorschlag halten.

Stamer: Vielen Dank für die Frage - ich beginne einmal.

Die Agora Energiewende hat eine Studie vorgelegt, in der der systematische Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040 in einem Stufenplan strukturiert wird. Bundesumweltministerin Hendricks begrüßt diesen Vorschlag, auch vor dem Hintergrund der Beschlüsse der Klimakonferenz in Paris im Dezember vergangenen Jahres. Der Vorschlag stellt aus unserer Sicht eine durchdachte Diskussionsgrundlage für eine interessenübergreifende und konsensorientierte Lösung dar.

Um hier ein paar Aspekte anzusprechen: Der Vorschlag nimmt insbesondere Rücksicht auf die Energieversorgungssicherheit, die in einem Industrieland nicht gefährdet werden darf. Zum anderen enthält er wirksame Elemente, mit denen der erforderliche Strukturwandel langfristig planbar wird und somit Strukturbrüche mit allen negativen Konsequenzen für die Beschäftigten und für die regionale Wirtschaft vermieden werden. Bundesumweltministerin Hendricks hatte immer betont, dass beides notwendige Voraussetzungen für die Umsetzung jedes Ausstiegsszenarios sein müssten.

Gestatten Sie mir noch zwei kurze Hinweise: Instrumentell verfolgt das Konzept der Agora den bereits eingeschlagenen Weg und setzt auf die Stärkung des europäischen Emissionshandels. Sie wissen, dass sich insbesondere auch die Umweltministerin in Brüssel mit Nachdruck dafür eingesetzt hat, dass die Reform des Emissionshandels vorgezogen wird beziehungsweise früher stattfindet, als von der EU-Kommission vorgeschlagen.

Insgesamt unterstreicht die Agora die langfristig angelegte Linie, für die die Ministerin bereits seit Monaten eintritt. Die Studie ist schließlich auch hilfreich für die Erarbeitung des Klimaschutzplans 2050. Sie wissen, dass das Bundesumweltministerium an diesen Plan arbeitet. Er soll im Sommer dieses Jahres dem Kabinett vorgelegt werden.

Alemany: Herzlich Dank. Ich kann gerne ergänzen. - Den Debattenbeitrag, der, glaube ich, am Mittwoch offiziell von Agora vorgestellt werden soll, nehmen wir zur Kenntnis.

Vielleicht zum Klimaschutz im Allgemeinen: Der Minister hat sich ja schon dazu geäußert, dass er die Ergebnisse des Klimaschutzabkommens von Paris begrüßt. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, eine klare und ambitionierte langfristige Strategie, die Klimaziele, die wir in Deutschland haben, zu erreichen. Diese ist sogar bis zum Jahr 2050 festgelegt. Deutschland hat dazu international schon einen großen Beitrag geleistet, und wie Sie wissen, ist Klimaschutz ja eine globale Aufgabe und keine rein nationale. Deutschland ist seit Langem Vorreiter; kein anderer EU-Mitgliedstaat und auch sonst kein großer Industriestaat weltweit hat eine vergleichbare Minderungsleistung erbracht wie Deutschland. Zudem gehört Deutschland auch zu den wenigen Ländern in der EU und weltweit, denen sogar eine Abkopplung des Wirtschaftswachstums und Energieverbrauchs gelungen ist.

Deutschland hat zudem - Frau Stamer hat es ja schon angesprochen - mit der Energiewende und dem schrittweisen Umbau der Energieversorgung hin zu mehr erneuerbaren Energien und auch zu mehr Energieeffizienz eine klare strategische Ausrichtung formuliert und bereits eingeleitet, und es hat hier schon viel geleistet. Wir hatten dieses Thema ja schon einmal hier in der Regierungspressekonferenz; da hatte ich auch schon erwähnt, dass sich der Anteil fossiler Energieträger schon allein aus den jetzt bestehenden Energiezielen reduzieren wird; denn je mehr erneuerbare Energien es geben wird, desto weniger fossile Energie werden wir haben. Wir haben derzeit das Ziel eines Ausbaus der erneuerbaren Energien auf einen Anteil von mindestens 80 Prozent im Jahre 2050. Wir haben klar definierte Ausbauziele für die erneuerbaren Energien; das schafft Planungs- und Investitionssicherheit für unsere Firmen und ist auch verträglich mit unserem Industriestandort Deutschland.

Vielleicht noch ein kleiner Hinweis: Wie Sie wissen, haben wir eben erst mit unserem Gesetzentwurf zur sogenannten Sicherheitsbereitschaft einen klaren Beitrag zum Klimaschutz erarbeitet und geleistet. Hierdurch werden Braunkohlekraftwerksblöcke in der Höhe von 13 Prozent der gesamten installierten Leistung vom Markt genommen.

Wie Sie vielleicht auch wissen, hat sich der Minister schon vor langer Zeit dazu geäußert, dass ein gleichzeitiger Ausstieg von Atom und Kohle für den Industriestandort Deutschland nicht sinnvoll ist.

Zusatzfrage: An die planmäßige Abschaltung - regelmäßig pro Jahr - von Kohlekraftwerken wollen Sie also erstmal nicht heran?

Alemany: Wie gesagt, wir haben den Debattenbeitrag zur Kenntnis genommen.

Frage: Ich habe eine Frage an den Sprecher des Justizministeriums: Inwiefern sind Vorschläge zur Verschärfung der Ausweisungspraxis, die jetzt von der CDU eingebracht werden, vereinbar mit Verpflichtungen völkerrechtlicher Art? Ist zum Beispiel insbesondere eine Ausweisung von Serientätern, die zu Haftstrafen auf Bewährung von unter einem Jahr verurteilt werden, mit der Rechtsprechung nach Genfer Konvention oder des EuGH vereinbar?

Scholz: Vielen Dank. - Ich darf dazu vielleicht zunächst einmal auf ein Interview des Justizministers vom Wochenende verweisen. Ich zitiere, was er zu diesem Themenkomplex gesagt hat:

"Wir können schon jetzt mit dem neuen Ausweisungsrecht einfacher ausweisen als vorher."

Und:

"Ich werde jetzt gemeinsam mit dem Innenminister noch einmal prüfen, ob unsere Möglichkeiten ausreichen, um Kriminelle zurückzuschicken."

Wir befinden uns also in einer Prüfung. Diese Prüfung läuft noch. Ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keine Ergebnisse mitteilen. Das werden wir vielmehr dann machen, wenn solche vorliegen.

Frage : Sowohl an Herrn Dimroth als auch an Herrn Scholz - es geht ja nicht nur um das Ausweisungsrecht -: Was ist in Ihren Häusern jetzt in diesem Zusammenhang - also im weitesten Sinne als Folge der Ereignisse von Köln - im Bereich Sexualstrafrecht und Aufenthaltsbeendigung geplant?

Dimroth: Vielen Dank für die Frage, Herr Siebert - auch wenn Ihr eigenes Erwartungsmanagement Sie vermutlich schon spüren oder wissen lässt, dass ich sehr viel weiter nicht gehen werde; denn auch der Bundesinnenminister hat sich zu diesem Komplex mehrfach geäußert und darauf hingewiesen, dass er in sehr konstruktiven, aber auch vertrauensvollen Gesprächen mit seinem Kollegen Justizminister zu all diesen Fragen ist. Insofern ist jedenfalls heute nicht der richtige Zeitpunkt, um ins Detail zu gehen. Diese Diskussionen, diese Gespräche laufen, und - noch einmal - sie laufen vertrauensvoll. Jedenfalls aus meiner Sicht ist Letzteres durchaus eines der relevanten einzuhaltenden Kriterien, wenn man diesen Prozess möglichst erfolgreich gestalten will.

Vielleicht noch eine Bemerkung zu der Frage von eben: Selbstverständlich dürfen Sie davon ausgehen, dass sich jedwede Änderung des bestehenden nationalen Rechts, welches die Bundesregierung vorschlagen wird, an den geltenden europäischen und auch internationalen Vorschriften ausrichten und dementsprechend mit diesen vereinbar sein wird.

Zusatzfrage : Herr Scholz vielleicht noch zum Sexualstrafrecht?

Scholz: Ich habe dem, was Herr Dimroth gesagt hat, nichts hinzuzufügen.

Was das Sexualstrafrecht angeht, sprechen Sie möglicherweise den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung an, zu dem sich der Minister am Wochenende auch geäußert hat. Es ist richtig, einen solchen Entwurf haben wir vorgelegt; es ist allerdings schon im Juli 2015 passiert, dass wir eine Ressortabstimmung eingeleitet haben. Dieser Gesetzentwurf ist dann am 23. Dezember 2015 an Länder und Verbände versandt worden, damit diese die Möglichkeit zur Stellungnahme haben. Diese Stellungnahmefrist läuft noch bis zum 19. Februar, und auch die Ressortabstimmung läuft noch. Von daher ist es jetzt auch üblich und geboten, hier zu weiteren Details keine Ausführungen über das hinaus, was der Minister schon dazu gesagt hat, zu machen.

Frage: Herr Dimroth, zum erweiterten Komplex Kriminalität durch Asylbewerber in Deutschland: Gibt es denn eine Vernetzung der Datenbanken über Deutschland hinaus, damit Deutschland weiß, ob jemand in anderen Ländern schon einmal Asyl beantragt hat? Wie erklärt es sich beispielsweise, dass der Mann, der in Paris erschossen wurde, mehrfach in verschiedenen Ländern Asyl beantragt hat?

Dimroth: Doch, also vielen Dank für Ihre Frage; auch wenn das jetzt tatsächlich zwei Themenkomplexe vermengt, will ich darauf gerne antworten.

Es gibt die sogenannte Eurodac-Verordnung. Diese verpflichtet alle Mitgliedstaaten, Registrierungen von in dem jeweiligen Mitgliedstaat nach Schutz nachsuchenden Flüchtlingen vorzunehmen. Dazu gehört es auch, entsprechend zu vermerken, dass ein Asylantrag gestellt wurde. Das ist ja auch das gängige Instrument, um in Fällen, die nach der Dublin-3-Verordnung die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates vorsehen, diese Zuständigkeit dann auch nachweisen zu können. Insofern wird die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates dadurch begründet, dass in der Eurodac-Datei der entsprechende Mitgliedstaat als derjenige Staat aufgeführt ist, in dem jemand erstmalig oder auch zum wiederholten Male einen Asylantrag gestellt hat. Nur auf der Grundlage der Erkenntnis, die in dieser Datei enthalten ist, kann ein Rückübernahmeersuchen überhaupt sinnvollerweise gestellt werden.

Diese Erkenntnisse gibt es also grundsätzlich, und sie sind in den entsprechenden Datenbanken zu speichern, wenn eine Registrierung ordnungsgemäß nach europäischem Recht vorgenommen wurde und wenn beispielsweise ein Asylantrag gestellt wurde.

Zusatzfrage : Kurze Nachfrage, nur damit ich das ganz klar verstehe: Wenn also jemand in Deutschland Asyl beantragt, dann kann in einer Datenbank nachgesehen werden, ob sich diese Person - wenn sie denselben Namen, dasselbe Geburtsdatum usw. schon einmal benutzt hat - in Frankreich, Italien usw. schon um Asyl bemüht hätte, ist das richtig?

Dimroth: So ist das, das ist der im Gesetz und im europäischen Recht beschriebene Istzustand. Wie gesagt, das ist eigentlich auch der klassische Fall, in dem dann geprüft wird, ob nach der Dublin-3-Verordnung die Zuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat gegeben ist. Dann könnte gegebenenfalls - unter all den Voraussetzungen, die Sie kennen - auch ein Rückübernahmeersuchen stattfinden.

Zu dem allgemeinen Komplex - wenn Sie schon auch nach Paris fragen -: Wie Sie wissen, hat der Bundesinnenminister ein sogenanntes Datenaustauschverbesserungsgesetz vorgeschlagen. Auch wenn der Name hinreichend schwergängig ist, ist dies dennoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dem Vorschlag ist vom Kabinett zugestimmt worden, er befindet sich jetzt also in der finalen Phase der parlamentarischen Beratung. Genau hier soll das ja ansetzen: Dass wir Informationslücken möglichst effektiv schließen, indem in einem zentral für alle am Verfahren beteiligten Behörden Kerndatennetz die relevanten Informationen gespeichert werden - mit Fingerabdrücken hinterlegt, sodass beispielsweise eine Mehrfachantragstellung zukünftig doch deutlich erschwert bis ausgeschlossen sein sollte.

Frage: Ich würde ganz gern noch einmal auf die Gesetzesverschärfungen zurückkommen und habe zwei Fragen vor allem an Herrn Dimroth, aber auch an das Justizministerium: Herr Dimroth, Ihr Minister hat heute ja noch einmal angekündigt, er wolle sich mit Herrn Maas sehr schnell über das einigen, was getan werden soll. Er selber und auch Herr Maas finden Gesetzesverschärfungen ja richtig. Können Sie da einen Zeitplan nennen? Soll das innerhalb dieser Woche passieren, hat das Gespräch darüber, was man tun will, schon stattgefunden?

Zweitens. Nachdem sich die Kanzlerin am Wochenende sehr optimistisch geäußert hat, dass man auch das Asylpaket II und die letzten Änderungen sehr schnell verabschieden könne: Passiert das noch in dieser Woche? Woran hakt es noch genau? Es gibt ja einige Vorwürfe, dass Ihr Minister unter anderem den Familiennachzug auf alle Syrer ausweiten wolle, und es heißt, das sei einer der Knackpunkte. Stimmt das?

Dimroth: Vielen Dank. - Einen konkreten Zeitplan kann ich Ihnen nicht nennen. Wie Sie sich denken können, gibt es in so einer Phase zwischen allen Beteiligten und relevanten Playern regelmäßig Kontakte und Gespräche. Auch darüber möchte ich hier jetzt im Einzelnen keine Wasserstandsmeldungen mitteilen; das werden Sie sicherlich auch verstehen. Insofern ist es mir auch nicht möglich, Ihnen jetzt tagesgenau einen Zeitplan zu nennen, wer sich bis wann worauf geeinigt haben wird. Das liegt auch ein Stück weit in der Natur der Sache, wenn sozusagen konstruktive Gespräche stattfinden, die sich auf ein gewisses Ziel vereinbart haben, aber auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels durchaus noch relevanter Diskussionsbedarf besteht.

Insofern bleibt es dabei: Ich kann Ihnen leider kein Datum nennen. Ich glaube, alle, die sich in der Bundesregierung dazu geäußert haben, haben sich in dem Sinne geäußert, dass das jetzt schnell gehen soll. Diese Hoffnung hat auch der Bundesinnenminister, aber eine Prognose, ob das noch in dieser Woche oder in der nächsten passiert, kann ich hier nicht abgeben.

Selbiges gilt im Prinzip auch für das sogenannte Asylpaket II. Da kommt hinzu, dass, wie Sie wissen, auf verschiedenen Ebenen nicht nur innerhalb der Bundesregierung gesprochen wird. Auf Ihre ganz konkrete Frage, ob der Bundesinnenminister nunmehr vorhabe, sozusagen über das hinaus, was die Parteivorsitzenden beschlossen haben, Vorschläge zum Thema Familiennachzug einzubringen: Das kann ich ganz klar dementieren.

Zusatzfrage: Kann es einen Zusammenhang geben zwischen der Gesetzesverschärfung und dem Asylpaket II? Kann es also sein, dass man versucht, diese Änderung noch mit in das Paket hineinzubekommen, oder ist das ausgeschlossen?

Dimroth: Ausgeschlossen ist sicherlich nichts. Allerdings ist es nach meinem Kenntnisstand so, dass das getrennt voneinander beraten werden soll. Aber auch das ist sicherlich nicht in Stein gemeißelt. Wenn man jetzt in diesen Gesprächen zu der Auffassung kommt, dass es - aus welchen Gründen auch immer - möglicherweise sinnvoll ist, das miteinander zu verquicken, dann wird das sicherlich geschehen.

Frage: Noch eine Frage zum Thema Änderungen im Sexualstrafrecht: Herr Scholz, Sie sagten, der Gesetzentwurf sei vom Sommer vergangenen Jahres. Jetzt hat es die Vorfälle in Köln gegeben. Enthält dieser Gesetzentwurf tatbestandlich auch das sogenannte Angrabschen, sexuelle Belästigung und die Überrumplungsversuche, die es dort gegeben hat?

Scholz: Einleitend vielleicht noch einmal das, was ich eben schon gesagt habe: In der Tat, der Referentenentwurf ist aus dem Juni 2015; die Versendung an Länder und Verbände hat vor den Vorfällen in Köln am 23. Dezember stattgefunden.

Ganz allgemein kann man zu den Inhalten des Entwurfs vielleicht sagen, dass damit Strafbarkeitslücken geschlossen werden sollen und dass künftig mit den dort vorgesehenen Straftatbeständen auch Fälle strafrechtlich erfasst werden sollen, in denen der Täter für die sexuelle Handlung ein Überraschungsmoment ausnutzt. So etwas ist dort vorgesehen. Ich bitte aber um Verständnis, dass ich, was jetzt konkret die Bezugnahme zu den Vorfällen in Köln und anderswo angeht, dazu nichts sagen kann, weil mir keine Erkenntnisse darüber vorliegen, wie Handlungsabläufe da stattgefunden haben und wie sich das genau zugetragen hat.

Zusatzfrage: Gibt es nach den Vorfällen in Köln und auch nach den Beschlüssen der CDU denn schon - ich sage es einmal ganz vorsichtig - Vorüberlegungen, diese bereits im Entwurf gefassten Tatbestände zu erweitern, um eben auch Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung noch konkreter und vielleicht auch weitgehender zu fassen?

Scholz: Ich kann Ihnen dazu das sagen, was ich gerade eben zu den Tatbeständen, die im Entwurf vorgesehen sind, ausgeführt habe. Ansonsten muss ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns jetzt in einer Ressortabstimmung befinden. Da ist es üblich, dass man hier zu weiteren Details und Inhalten zunächst einmal keine weiteren Ausführungen macht.

Frage: Herr Dimroth, ich würde ganz gerne noch einmal auf den Attentäter von Paris zurückkommen: Wir haben gerade über Informationsaustausch in Europa gesprochen. Können Sie vielleicht noch einmal sagen, wo Ihrer Ansicht nach Informationslücken in Deutschland bestehen? Dieser Mann hat ja sozusagen eine Spur des Verbrechens durch Deutschland gezogen, saß in diversen Gefängnissen und konnte dann trotzdem bis Paris gelangen. Wie konnte das Ihrer Ansicht nach passieren?

Dimroth: Vielen Dank für die Frage. - Ehrlich gesagt kann ich zu größten Teilen dieser Frage nicht so richtig viel beitragen, weil das natürlich Gegenstand der jetzt bei dem LKA Nordrhein-Westfalen laufenden Aufklärungsarbeiten ist, insbesondere die Frage der Straffälligkeit und der Identität beziehungsweise der verschiedenen Identitäten, die - nach all dem, was man dazu liest - dieser Mensch in seiner Zeit in Deutschland angegeben hat. Deswegen kann ich jetzt - da bitte ich um Verständnis - keine abschließende Bewertung dieses Sachverhalts vornehmen, insbesondere solange der Sachverhalt noch nicht feststeht; ich glaube, das erklärt sich von selbst.

Ich hatte gerade aber schon ausgeführt, dass es - aus unserer Sicht jedenfalls - da, wo auch Bundeskompetenzen berührt sind, ein sehr relevanter Punkt ist, dass alle am Verfahren beteiligten Behörden - und das ist gegebenenfalls eben auch die Polizei - auf einen zentralen Datenstand zugreifen können, was das Asylverfahren oder das Verfahren bei der Prüfung um Flüchtlingsschutz anbetrifft, und dass wir sehr stark davon überzeugt sind, dass mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz genau hier an der richtigen Stelle angesetzt wird und Verbesserungen vorgesehen sind, die in der Zukunft dann auch zum Tragen kommen. Aber noch einmal: Was hier jetzt konkret von wem - von welcher Polizeidienststelle oder wie auch immer - möglicherweise früher hätte erkannt werden müssen, erschließt sich mir nicht.

Der Fall in Paris hat ja, wenn man so will - jedenfalls möglicherweise, auch das ist sicherlich noch nicht abschließend -, wiederum einen Bezug zum internationalen Terrorismus. Da sind wir dann wieder bei dem altbekannten Thema Informations- und Datenaustausch innerhalb Europas. Diesbezüglich ist in den letzten Monaten - und jetzt möchte ich beinahe sagen: Jahren - sehr viel geschehen. Das Thema ist immer wieder adressiert worden, gerade auch von Deutschland und Frankreich auf europäischer Ebene, um hier identifizierte Lücken zu schließen. Wir sind hier der Auffassung, dass die geltenden europarechtlichen Regelungen weitestgehend ausreichen und es hier darum geht, dass nun auch alle Mitgliedstaaten die vorhandenen Instrumente voll ausschöpfen und nutzen. Da gibt es sicherlich noch Verbesserungspotenziale, aber wir sehen jedenfalls im Moment nicht - insbesondere, was das Schengener Informationssystem anbetrifft -, dass es da rechtliche Lücken gäbe, die wir jetzt mit entsprechender europäischer Gesetzgebung schließen müssten.

Zusatzfrage: Um noch einmal auf den Informationsaustausch in Deutschland zurückzukommen: Ist das ein technisches Problem, ist das ein Problem des Mangels an politischem Willen? Über Informationsaustausch im Sicherheitsbereich wird schließlich in verschiedenen Facetten seit Jahren geredet.

Dimroth: Ich kann mich in Bezug auf den konkreten Sachverhalt, Herr Decker, leider nur wiederholen: Das kann man, glaube ich, erst dann bewerten - und dann vermutlich zunächst auch einmal die dafür zuständigen Stellen, aber vielleicht auch wir -, wenn der Sachverhalt abschließend feststeht.

Was ganz grundsätzlich zu beobachten ist - diese Bemerkung sei mir vielleicht erlaubt -, ist, dass die Polizei sozusagen immer zwischen zwei Vorwürfen steht: Entweder, sie trägt vor, dass sie mehr Erkenntnismöglichkeiten braucht; dann wird das in der Regel hinterfragt mit hinreichendem Bedarf und entsprechenden datenschutzrechtlichen Überlegungen, von denen natürlich jede einzelne ihre volle Berechtigung hat. Auf der anderen Seite ist man, wenn Sachverhalte bekanntwerden, doch relativ schnell mit dem Urteil dabei, dass die Polizei hier geschlafen habe. Deswegen bitte ich da ein bisschen um Verständnis und vielleicht auch ein bisschen um eine differenzierte Betrachtung. Selbstverständlich sind beispielsweise bestimmte Datenübermittlungen schlichtweg aufgrund bestehender datenschutzrechtlicher Vorschriften in Deutschland nicht möglich. Ich möchte das aber nicht herunterbrechen auf diesen Fall. Noch einmal: Dafür ist der Sachverhalt, glaube ich, noch zu frisch. Aber ganz grundsätzlich ist natürlich immer diese Schnittstelle genau zu betrachten, und da ist vielleicht etwas mehr Gelassenheit bei der Betrachtung geboten, wenn man sich erinnert, dass dahinter in der Regel auch wichtige Rechtsgüter - nämlich hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - stehen, die dann zu entsprechender Ausfertigung auch im einfachen Recht geführt haben.

Frage : Stichwort Rechtsextremismus und der Bericht der "Süddeutschen Zeitung" heute - das liegt ja thematisch auf einem ähnlichen Level. Da heißt es, dass gegen 400 Rechtsextremisten die Haftbefehle nicht vollstreckt werden. Auch das ist ja ein Thema, das uns seit Jahren beschäftigt. Die Zahl war vor einiger Zeit sogar geringer und ist noch einmal um 30 Prozent gestiegen. Die Frage ist im Grunde noch einmal dieselbe: Wie kann das sein?

Dimroth: Vielen Dank - ich befürchte, auch diese Frage geht an mich, und ich kann vielleicht ein Stück weit zur Aufklärung beitragen.

Zunächst ist es so: Die Zahlen, die Sie nennen, stammen aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage, die federführend im Bundesministerium des Innern bearbeitet wurde. Die Zahlen sind richtig, die Zahlen sind besorgniserregend. Das kann für uns nur zu dem Schluss führen, dass wir die zuständigen Justizbehörden insbesondere in den Ländern auffordern, hier gegebenenfalls bestehende Defizite abzuschmelzen.

Ich möchte aber zu den Zahlen noch etwas sagen, denn das kommt auch in der Berichterstattung deutlich zu kurz. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Es gibt 466 nicht vollstreckte Haftbefehle, und von diesen 466 wenden sich 372 gegen sogenannte rechtsmotivierte Täter. Jeder einzelne ist sicherlich einer zu viel; das ist zweifelsohne richtig. Dennoch gehört zum Gesamtbild dazu, dass wir bei diesen 372 Tätern insgesamt in 70 Fällen von politisch motivierten Straftaten reden, die zu diesen Haftbefehlen geführt haben. Das soll schlichtweg nur erläutern: Es sind mitnichten etwa 372 Straftaten, die in dem politisch motivierten Kriminalitätsbereich rechts zu verorten sind, die jetzt Ausgangspunkt für diese Haftbefehle sind. Vielmehr ist das - das können Sie auch der Antwort auf die Anfrage entnehmen - eine bunte Mischung: von einfachen Diebstählen, ausgelassenen Unterhaltsverpflichtungszahlungen bis hin zu Körperverletzungsdelikten ohne politischen Hintergrund, aber auch - ich will das gar nicht verschweigen, aber das gehört eben zum Gesamtbild dazu - politisch motivierte Kriminalität. Das sind aber eben 70 von 372 Fällen, insofern ergibt das schon noch einmal ein anderes Bild.

Nichtsdestotrotz ist das besorgniserregend, und alle an den Verfahren beteiligten Stellen sollten sich bemühen, dieses Defizit abzustellen. Aber noch einmal: Es geht nicht in dieser Dimension um Haftbefehle wegen politisch motivierter Kriminalität; vielmehr geht es um eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Delikten, und nur in einem kleinen Bereich tatsächlich um politisch motivierte Kriminalität.

Frage: Können Sie uns dazu die Drucksachennummer nennen, wenn Sie die bei der Hand haben sollten?

Als Lernfrage: Wenn jetzt ein Rechtsextremist seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommt, wieso wird das dann statistisch überhaupt als rechtsmotivierte Tat erfasst?

Dimroth: Wird es nicht. Es gibt sozusagen verschiedene Kategorien. Einmal geht es darum: Wie viele offene Haftbefehle gibt es? Zum anderen geht es um die Frage: Wie viele davon richten sich gegen Personen, die als Personen bekannt sind, die sozusagen in dem politisch motivierten Kriminalitätsphänomen rechts schon einmal aufgefallen sind? Und dabei kommt diese sehr hohe Zahl heraus.

Zusatzfrage: Sie legen also zwei Statistiken oder zwei Kriterien übereinander?

Dimroth: Danach ist in der Frage konkret gefragt, deswegen wird dazu geantwortet - wahrheitsgemäß und auch abschließend. Man muss dann aber schon noch einmal binnendifferenzieren - und auch das ist in der Antwort enthalten -, wie viele der Straftaten, die zu Haftbefehlen führen, selbst politisch motiviert sind, oder ob das eben welche aus allgemeinen Kriminalitätsbereichen sind. Das ist auch nicht gut - das hatte ich auch schon gesagt -, aber eben doch etwas anderes.

Als Drucksachennummer ist jedenfalls hier im Entwurf die 12224 genannt; das kann ich aber - sollte die offizielle Nummer davon abweichen - gerne noch einmal nachreichen.

Zusatzfrage: Noch einmal zum Thema Flüchtling, und zwar zum Thema Wohnortzuweisung: Es hat eine Ankündigung gegeben, dass man das jetzt auch gesetzlich regeln und die Freizügigkeit der Asylbewerber und Flüchtlinge einschränken wolle. Können Sie dazu etwas Näheres sagen? Ich glaube, der Kanzleramtsminister hatte sich dazu geäußert, aber ich nehme an, das liegt auch im Bereich des Innenministeriums. Was ist da geplant, warum ist das nötig und was sind die Vorteile und Nachteile?

StS Seibert: Wir hatten hier ja schon - beziehungsweise die Kollegen hatten hier schon - ausführlich dargestellt, dass wir innerhalb der Bundesregierung in intensiven Gesprächen zum Asylpaket II sind und dass wir bei allen Teilnehmern an diesen Gesprächen den festen Willen spüren, hier zügig voranzukommen; deswegen besteht auch ein gewisser Optimismus, dass es demnächst zu einer Einigung kommt. Es wird in der Tat intensiv geprüft, ob Wohnsitzauflagen, wie sie schon für Asylbewerber existieren, auch auf anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte ausgedehnt werden sollten - im Einklang mit Unionsrecht -, solange diese Menschen Sozialleistungen erhalten. Die Argumente dafür sind am Wochenende unter anderem vom Kanzleramtschef, aber auch von anderen Mitgliedern der Bundesregierung benannt worden. Das ist also Teil der Gespräche, die wir führen. Mehr möchte ich hier nicht dazu ausführen.

Zusatzfrage: Darf ich vielleicht trotzdem noch eine Nachfrage dazu stellen?

Vorsitzender Mayntz: Bitte.

Zusatzfrage: Es gab ja schon einmal ein Gesetz, das die Freizügigkeit von Spätaussiedlern eingeschränkt hat. Ist dieses Gesetz, das es nicht mehr gibt, möglicherweise auch Grundlage für eine Neuregelung bezogen auf Flüchtlinge und anerkannte Asylbewerber?

StS Seibert: Ich kann wirklich nur sagen, dass wir das Thema Wohnsitzauflagen prüfen. Dazu hat es ja auch mehrere Stellungnahmen von Politikern der Bundesregierung gegeben. Es gibt Gründe, das zu prüfen, und wir sind im Gespräch. Wie diese Prüfung ausgeht und wie das dann möglicherweise formell gefasst wird, werden wir sehen - das werden wir jetzt nicht im Einzelnen diskutieren.

Frage: In den vergangenen Tagen hat es schon einige gewalttätige Übergriffe gegen Migranten gegeben, die möglicherweise eine Reaktion auf die Angriffe in Köln waren. Der Zentralrat der Muslime hat auch davon gesprochen, dass auf ihn jetzt eine Welle der Hassanrufe zugerollt sei.

Herr Seibert, wie steht die Bundesregierung zu diesen Reaktionen?

Herr Dimroth, gibt es irgendwelche Pläne, die Sicherheit vor Moscheen zu erhöhen oder Ähnliches?

StS Seibert: Es versteht sich von selbst, dass die Bundesregierung jeden Fall von Gewalt gegen Flüchtlinge, von Gewalt gegen Asylbewerber ablehnt. Wir haben über mögliche strafrechtliche und politische Konsequenzen aus den unerträglichen Straftaten der Silvesternacht in Köln gesprochen. Diese Gespräche werden jetzt intensiv weitergeführt. Nichts entschuldigt solche Taten wie die, von denen Sie gerade berichten.

Dimroth: Auch der Bundesinnenminister hat sich zu dem Grundproblem bereits mehrfach geäußert und sehr klar gemacht, dass es in der Aufarbeitung solcher Sachverhalte wie dem von Köln natürlich keinerlei Tabus bei der offenen Ansprache des Geschehenen und bei der offenen Information der Öffentlichkeit geben darf. Aber gleichzeitig - das ist mindestens so wichtig - darf es auch zu keiner Generalvorverurteilung oder Generalverurteilung von Flüchtlingen führen, sondern es ist strikt zu vermeiden, dass durch entsprechende Agitation generelle Vorurteile aufgebaut oder schon vorhandene als bestätigt dargestellt werden und auf diesem Grund dann tatsächlich Hass und Gewalt entsteht. Sicherlich ist es das Gebot der Stunde, dass man hier die Kraft zur Differenzierung aufbringt.

Was Ihre Frage zur Sicherheit von Moscheen anbetrifft, kann ich sagen, dass für die konkrete Sicherheit von Einrichtungen jedweder Art im Grundsatz die Bundesländer zuständig sind. Insofern gehe ich davon aus, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, sobald bei den entsprechenden Stellen Erkenntnisse auflaufen, dass von einer abstrakt höheren Gefahr auszugehen ist.

StS Seibert: Ich will noch einmal daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin mehrfach von der großen Zahl, von der großen Mehrheit der unbescholtenen Flüchtlinge gesprochen hat. Denen gilt unser Schutz. Auch an sie müssen wir bei der Aufarbeitung solcher Straftaten wie den Straftaten von Köln denken. Es ist vollkommen richtig: Die gesamte Wahrheit über das, was in dieser Nacht passierte, muss auf den Tisch. Es ist vollkommen richtig, dass da kein Detail unterschlagen werden darf. Es ist auch vollkommen richtig, dass man sich fragen muss, ob schon bestehende Gesetze ausreichend angewendet und vollzogen werden, und dass man sich auch fragen muss - wie es die Bundesregierung jetzt tut -, ob Gesetze, die bei der Ahndung solcher Taten vielleicht nicht ausreichen, verändert werden müssen.

All das tun wir, um unsere Bevölkerung in Deutschland zu schützen. Diesen Sicherheitsanspruch haben die Bürger und Bürgerinnen. Wir tun es aber auch im Hinblick auf die große Mehrzahl der unbescholtenen Flüchtlinge, die hier bei uns im Land Schutz vor Bomben und Krieg suchen und diesen Schutz auch finden sollen und die sich hier den Regeln und Werten unseres Landes anzupassen bereit sind.

Frage : Eine kurze Nachfrage zur Verschärfung des Sexualstrafrechts. Herr Seibert, verschiedentlich wird berichtet, dass die Pläne, im Grunde genommen, bisher im Kanzleramt blockiert worden seien. Können Sie dazu etwas sagen?

StS Seibert: Hier ist schon dargestellt worden, dass der Entwurf des Justizministeriums zur Änderung der Strafvorschriften gegen Vergewaltigung jetzt in der Ressortabstimmung ist. Diese läuft. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Wir berichten üblicherweise weder über die verschiedenen Phasen bis zu einer Ressortabstimmung noch über Einzelheiten der Ressortabstimmung.

Frage : Eine Verständnisfrage. Habe ich Herrn Scholz richtig verstanden, dass die Ressortabstimmung jetzt abgeschlossen und der Entwurf zur Anhörung an Verbände und so weiter versandt worden ist?

Dimroth: Die Ressortabstimmung läuft weiter. Das findet parallel statt.

Frage: Ich habe zunächst an das Auswärtige Amt eine Frage zum deutsch-polnischen Verhältnis. Frau Chebli, der deutsche Botschafter wurde wegen angeblicher antipolnischer Äußerungen deutscher Politiker ins polnische Außenministerium eingeladen. Das Gespräch fand vor zwei Stunden statt. Was ist Ihre Position? Teilen Sie diese Kritik? Oder weisen Sie sie zurück?

Chebli: Es ist richtig, dass der Botschafter seitens des polnischen Außenministers am Samstagabend zu einem informellen Gespräch eingeladen worden ist. Beide pflegen einen ohnehin engen, sehr regen Austausch, der sich auch jenseits formeller Gesprächskanäle einordnen lässt. Ein formeller Antrittsbesuch des Botschafters war für diese Woche sowieso vorgesehen.

Wie es häufig der Fall ist, bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass wir aus internen Gesprächen nicht zitieren und ich Ihnen dazu keine Einzelheiten geben kann. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es ein sehr konstruktives, sehr partnerschaftliches Gespräch war, in dem beide Seiten vorgetragen haben, dass sie an der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen interessiert sind und diese Beziehungen auch weiter positiv entwickeln wollen, gerade angesichts der drängenden gemeinsamen Probleme in Europa.

Ich möchte einen Satz "unter drei" sagen. Denn ich denke, er hilft, die vielen Fragen, die Sie haben, und vielleicht auch Irritationen, die es gibt, klarzustellen.

Vorsitzender Mayntz: Dann sind wir "unter drei".

(Es folgt ein Teil "unter drei")

Vorsitzender Mayntz: Wir kehren auf "unter eins" zurück.

Frage: Frau Chebli, der polnische Außenminister appellierte nach dem Gespräch an die deutschen Politiker, nach Polen zu kommen, um mit eigenen Augen zu sehen, dass der Zustand der Demokratie gut ist.

Wäre es nicht sinnvoll, dass der deutsche Außenminister so schnell wie möglich diese Reise nach Warschau macht? Seit dem Besuch seines polnischen Partners in Berlin ist viel Zeit vergangen. Wird eine solche Reise geplant?

Chebli: Ja, klar. In der Tat plant der Außenminister natürlich, in naher Zukunft nach Polen zu reisen. Das hatte ich vorhin zu sagen vergessen. Bei dem Gespräch zwischen dem Botschafter und dem Außenminister ist das auch zum Gespräch gekommen. Der polnische Außenminister hat seine Einladung an den Außenminister wiederholt. Wir kommen ihr natürlich sehr gern und in sehr naher Zukunft nach. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann ich kein Datum nennen.

Zusatzfrage: Die beiden Länder Polen und Deutschland sollten in diesem Jahr eigentlich den 25. Jahrestag des Nachbarschaftsvertrages feiern. Stattdessen werden solche Äußerungen gemacht. Die Stimmung hat sich getrübt. Was kann Berlin dagegen tun? Könnten Sie uns eine allgemeine Einschätzung des derzeitigen Standes der Beziehungen geben?

StS Seibert: Ich sage gern noch einmal, was unsere Überzeugungen sind. Wir haben es hier mehrfach dargestellt. Deutsche und Polen sind Nachbarn, Partner und Freunde, so eng wie in unserer Geschichte noch nicht. Genau das möchten wir bewahren, fortsetzen und, wo immer möglich, auch vertiefen. Das ist unser Interesse. Deswegen sind wir überzeugt, dass es gut ist, miteinander zu reden, vielleicht mehr als übereinander. Dazu hat der Gesprächstermin des deutschen Botschafters in Warschau heute eine gute Gelegenheit gegeben.

Was die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin betrifft, so hat sie Ministerpräsidentin Szydlo eingeladen. Sie hat diese Einladung angenommen. Wir sind jetzt dabei, einen Besuchstermin von Frau Szydlo vorzubereiten, den wir Ihnen dann wie immer rechtzeitig bekanntgeben werden. Das wird dann auch eine Gelegenheit sein, um alle Fragen des deutsch-polnischen bilateralen Verhältnisses wie auch des polnischen Engagements in der EU miteinander zu besprechen, so wie es unter Nachbarn, Partnern und Freunden sein soll.

Frage: Gleichwohl gibt es die Äußerungen, die vom polnischen Außenminister bei dieser Einladung zum Kaffee als polenfeindliche Äußerungen bezeichnet worden sind. Wie stehen Sie zu diesen Äußerungen, die meistens von deutschen Europapolitikern kommen, aus dem Kopf zitiert: "putinähnliche Demokratie" oder "staatsstreichartige Zustände"? Distanzieren Sie sich davon irgendwie? Oder finden Sie das eigentlich auch, dürfen es aber nicht so sagen? Wie stehen Sie zu diesen Äußerungen?

StS Seibert: Was die Haltung der Bundesregierung betrifft, so haben ich gerade versucht, sie Ihnen zu erklären. Ansonsten ist es wirklich eine gute und sinnvolle Übung, dass wir die Äußerungen europäischer Politiker - übrigens welcher Nationalität auch immer - und auch Äußerungen deutscher Politiker beispielsweise aus dem Deutschen Bundestag hier nicht bewerten. Das ist unsere grundsätzliche Haltung dazu.

Aber ich habe Ihnen dargelegt: Die Bundesregierung ist an einer Fortsetzung und auch Vertiefung dieses engen, guten deutsch-polnischen Verhältnisses, dieser engen Zusammenarbeit interessiert. Darauf werden wir unsere Gespräche ausrichten. Mit dieser Haltung wird die Bundeskanzlerin auch in das Gespräch mit Frau Szydlo gehen.

Chebli: Vielleicht ein Zusatz, weil sich der Minister vor Kurzem in einem Interview auch zu Polen geäußert hat. Er hat da gesagt: Ich wünsche mir, dass es gelingt, eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, in der wir offen und ehrlich auch kritische Fragen ansprechen können. Wir wollen den Diskurs, die Diskussionen und das, was wir einander zu sagen haben, nicht über die Medien und in der Öffentlichkeit führen und tun. Das gehört sich nicht.

Das, was wir einander zu sagen haben, sagen wir unserem Partner - einem der engsten Partner, die wir haben - natürlich in den Gesprächen, die wir miteinander führen. So war es beim Gespräch des deutschen Außenminister und des polnischen Außenministers, das geführt wurde. So wird es auch zukünftig in den vielen Gesprächen sein, die wir im Übrigen nicht nur auf Außenministerebene führen. Im Auswärtigen Amt gibt es hervorragende Kontakte zu Vertretern der polnischen Regierung. Unser Botschafter hat wunderbare Gesprächskanäle, die er nutzt und die wir nutzen können. Weil das Fundament, auf dem die Partnerschaft beruht, so stark und solide ist, können wir auch sehr kritische Fragen ansprechen.

StS Seibert: Da, wo es Fragen an die neue polnische Regierung gibt, ist es im Übrigen auch ganz richtig und der übliche europäische Weg, dass die Europäische Kommission in ihrer Funktion als Hüterin der Verträge diese Fragen im Dialog mit der polnischen Regierung aufgreift. Das ist der richtige und notwendige europäische Weg, wie er im Übrigen auch mit vielen anderen Mitgliedsstaaten beschritten wird.

Zusatzfrage: Das ist die Aufgabe der Europäischen Kommission. Aber unterstützt die Bundesregierung ein solches mögliches Rechtsstaatsverfahren? Sehen Sie Grund für ein solches Rechtsstaatsverfahren?

StS Seibert: Wir verfolgen die innenpolitischen Ereignisse in Polen aufmerksam. Ich sehe trotzdem keinen Anlass, sie für die Bundesregierung zu kommentieren. Wo es Fragen gibt, werden sie von der Europäischen Kommission gestellt und mit der polnischen Regierung besprochen.

Frage: Herr Seibert, hat auch die Bundesregierung diese Fragen zur Rechtsstaatlichkeit der neuen polnischen Regierung?

StS Seibert: Ich wiederhole noch einmal: Das ist keine bilaterale Frage, sondern eine Frage, die die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge mit dem EU-Mitgliedsstaat Polen zu klären hat - wenn es Fragen gibt. Ich höre, dass das Gespräch beidseitig aufgenommen worden ist. Das ist richtig.

Zusatzfrage: Ich kenne die Haltung der Europäischen Kommission. Aber ich würde gern auch die Haltung der Bundesregierung hören. Hat auch die Bundesregierung Fragen zur Rechtsstaatlichkeit Polens?

StS Seibert: Diese Gespräche sind jetzt von der Europäischen Kommission zu führen. Das tut die Europäische Kommission in einer ihrer zentralen Zuständigkeiten, nämlich als Hüterin der Verträge. Das ist übrigens auch nichts Besonderes. Darin sollten wir sie unterstützen. Jetzt werden wir den Verlauf dieser Gespräche abwarten.

Zusatzfrage: Aber heißt das, die Bundesregierung hat jetzt keine Meinung dazu?

StS Seibert: Das heißt, dass ich keinen Anlass sehe, Maßnahmen der polnischen Regierung von hier aus zu kommentieren, und dass ich es richtig finde, dass Fragen auf europäischer Ebene gestellt und dann auch miteinander besprochen werden.

Zusatzfrage: Eine konkrete Frage zu einer konkreten Äußerung: Unionsfraktionschef Volker Kauder hat heute im "Spiegel" im Zusammenhang mit Polen gesagt: "Wenn Verstöße gegen die europäischen Werte festzustellen sind, müssen die Mitgliedsstaaten den Mut zu Sanktionen haben."

Die Kanzlerin gehört zu dieser Fraktion. Teilt die Kanzlerin Herrn Kauders Meinung?

StS Seibert: Ich habe hier für die Kanzlerin gesprochen und Ihnen auch gesagt, dass es bei uns Usus ist, dass wir Äußerungen aus dem parlamentarischen Raum hier nicht kommentieren.

Zusatzfrage: Aber heißt das, dass die Kanzlerin mit der Äußerung von Herrn Kauder nicht einverstanden ist?

StS Seibert: Das heißt, dass ich hier für die Kanzlerin und die Bundesregierung als solche gesprochen haben.

Frage: Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, wonach Wirtschaftssanktionen gegenüber Polen verhängt werden sollten?

StS Seibert: Nein.

Frage: Ich will direkt da anknüpfen, gerade was die Kontakte nach Polen angeht. Herr Seibert, gibt es umgekehrt auch schon Planungen, dass die Bundeskanzlerin irgendwann in diesem Jahr oder in naher Zukunft nach Polen reist? Oder ist klar, dass die Abfolge so sein wird, dass erst die polnische Ministerpräsidentin hierher kommt?

Frau Chebli, vielleicht können Sie uns sagen, ob es am Weimarer Dreieck, mit dem man ja große Hoffnungen verbunden hatte, konkrete Planungen gibt, ganz konkrete Dinge anzupacken. Oder wartet man erst einmal, bis die EU-Kommission die Rechtsstaatlichkeitsprüfung für Polen abgeschlossen hat?

StS Seibert: Ich kann hier keine Reisepläne konkreter Art bekanntgeben. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, den Besuch von Ministerpräsidentin Szydlo hier in Deutschland vorzubereiten. Das ist zunächst einmal der nächste deutsch-polnische Schritt auf dieser hohen Ebene.

Chebli: Was das Weimarer Dreieck angeht, so warten wir nicht auf die Kommissionsergebnisse. Aber ich kann Ihnen gegenwärtig keine konkreten Planungen zu einem Treffen des Weimarer Dreiecks mitteilen. Dieses Format hat der Minister von Beginn seiner Amtszeit an gefördert und als zentrales Format in Anspruch genommen. Es gab mehrere Treffen. Dieses Format soll natürlich auch jetzt am Leben erhalten werden.

Zusatzfrage: Herr Seibert, von dem Europapolitiker Lambsdorff kommt der Vorwurf, dass mit Polen anders umgegangen werde als mit Ungarn. Mit Ungarn sei auch die Bundeskanzlerin wesentlich zurückhaltender umgegangen, weil die Partei Fidesz von Orbán zur Europäischen Volkspartei gehört. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?

StS Seibert: Was ich dazu sage, ist das, was ich vorhin schon gesagt habe: Ich werde hier nicht Äußerungen einzelner EU-Politiker gleich welcher Nationalität, auch nicht deutscher EU-Politiker kommentieren. Ich denke, aus den Äußerungen von Frau Chebli und mir ist sehr klar geworden, mit welcher Herangehensweise wir das deutsch-polnische Verhältnis nicht nur bewahren, sondern sogar noch ausbauen wollen, und dass das ein Thema der kommenden Gespräche mit der polnischen Regierung sein wird. Mehr ist dazu aus unserer Sicht jetzt nicht zu sagen.

Frage: Herr Seibert, vielleicht können Sie einmal kurz allgemein darlegen, wie aus Sicht der Bundesregierung das Verfassungsgericht und die Struktur öffentlich-rechtlicher Medien in einem europäischen Rechtsstaat auszusehen hat?

StS Seibert: Ich fürchte, das sind sehr grundsätzliche Ausführungen, die uns sehr weit aus dem tagesaktuellen Bereich herausbringen. Ich halte es nicht für sinnvoll, das jetzt und hier zu erörten.

Wichtig ist: Es gibt europäische Werte und auch eine europäische Rechtsordnung, mit der vereinbar sein muss, was in einzelnen Mitgliedsstaaten geschieht. Das kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, aber den europäischen Werten und der europäischen Rechtsordnung muss Genüge getan sein. Das ist dazu zu sagen. Unterschiedliche Mitgliedsstaaten haben da sehr unterschiedliche Wege beschritten.

Frage: Frau Chebli, eine kurze Frage bezüglich der Einladung von Herrn Nikel. Das Außenministerium in Warschau hat, was dieses informelle Treffen angeht, eine ganz formelle Pressemitteilung herausgegeben. Wie ist diese Einladung im Auswärtigen Amt erfolgt?

Chebli: Ich habe ja gesagt, dass es eine Pressemitteilung gab. Ich glaube, nach beiderseitigem Verständnis war es so, dass das keine Einbestellung war. Wir haben diese Einladung bekommen, und ich habe Ihnen "unter drei" gesagt, wie diese Einladung erfolgt ist. Vor dem Hintergrund ist der Austausch gut, wichtig und richtig, um gerade in dieser Zeit miteinander zu sprechen. Das kann man befürworten, und das ist wichtig. Vor dem Hintergrund haben wir erst einmal gesagt, dass wir das Gespräch abwarten. Da das Gespräch konstruktiv und vertrauensvoll gelaufen ist, denken wir, dass auch künftig direkte Gespräche das Beste für die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind. Je mehr Gespräche wir haben, desto besser ist es, wenn beide Seiten noch einmal den Willen unterstreichen, dass sie an einer Fortentwicklung der Beziehungen weiter arbeiten wollen, wie das heute bei dem Gespräch der Fall war. Das können wir nur begrüßen.

Zusatzfrage: Wie kann ich das genau verstehen? Das heißt, dass es bisher nicht genug direkte Gespräche gab?

Chebli: Doch, klar. Der Außenminister selbst hat mit seinem Amtskollegen gesprochen. Wir sind ständig und permanent auf allen Ebenen und Kanälen mit der polnischen Regierung und verschiedenen Akteuren der polnischen Regierung im Gespräch, auch vor dem Hintergrund der Festlichkeiten zum 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Es gibt keinen Mangel an Gesprächen. Es ist aber gut, wenn man diese noch weiter intensiviert. Mehr Gespräche können ja nie schaden.

Frage : Frau Chebli, eine Frage zu Saudi-Arabien. Es gab am Wochenende Medienberichte, dass Bundesaußenminister Steinmeier nächsten Monat nach Saudi-Arabien reisen wird, um an einem sogenannten Kulturfestival, das von der Nationalgarde Saudi-Arabiens gesponsert wird, teilzunehmen.

Eine zweite Frage an das Wirtschaftsministerium. Es gab auch Medienberichte, wonach deutsche Firmen Blend- und Splittergranaten nach Saudi-Arabien geschickt haben, die zur Niederschlagung der Proteste in Saudi-Arabien, aber auch in Bahrain benutzt worden sind. Haben Sie dazu irgendwelche eigenen Erkenntnisse?

Chebli: Zu der Teilnahme des Bundesaußenministers am Janadriyah-Festival: Es ist in diesem Fall wie auch in der Vergangenheit so, dass wir Reisen des Bundesaußenministers dann ankündigen, wenn sie feststehen. Es gab den einen oder anderen Vorschlag des einen oder anderen Außenpolitikers für den Minister, wie er sich zu verhalten hat. Diese Vorschläge, die sicherlich alle nur gut gemeint waren, haben wir auch zur Kenntnis genommen.

Ehrlich gesagt macht sich der deutsche Außenminister in der gegenwärtigen sehr angespannten Lage weniger Sorgen um ein Kulturfestival als darum, wie man es schafft, zu einer Deeskalation zu kommen, wie man das Gespräch zwischen den Akteuren - vor allem mit Saudi-Arabien und Iran - führen kann, um zu verhindern, dass sich die Eskalationsspirale nicht weiter dreht.

Es ist doch klar, dass, wenn ein Außenminister in dieser Zeit in die Region fliegt, hinsichtlich jeder Reisephilosophie weder innenpolitische Probleme noch regionale Spannungen ausgeklammert werden können. Im Gegenteil. Natürlich steht in der jetzigen Lage bei allen Kontakten, die wir in der Region haben, die Frage im Mittelpunkt, wie eine weitere Eskalation verhindert werden kann und wie Spannungen abgebaut werden können. Vor allem muss es darum gehen - das ist unser größtes Interesse -, wie wir die mühsam begonnen Friedensgespräche in Syrien aufrechterhalten, wie wir es schaffen, dass sie nicht gefährdet werden, damit die Menschen endlich eine Chance haben, dass das Blutvergießen in Syrien gestoppt wird.

Der Bundesaußenminister hat letzte Woche sowohl mit seinem saudischen Amtskollegen als auch mit dem iranischen Amtskollegen gesprochen. Er hat aber auch mit dem amerikanischen Außenminister geredet. Gemeinsam ist man der Meinung, dass man an den Wiener Gesprächen zu Syrien festhalten will. Natürlich steht für die nächsten Tage das Thema "Saudi-Arabien, Iran, Konfliktentschärfung und Abbau von Spannungen" im Fokus des Außenministers. Wir werden weiterhin die Gespräche mit den Akteuren suchen. Diesem Thema werden wir sicherlich größte Aufmerksamkeit widmen.

Vorsitzender Mayntz: Möchte das Wirtschaftsministerium noch ergänzen?

Alemany: Das Wirtschaftsministerium möchte ergänzen, und ich kann es auch ganz kurz machen.

Unser Minister hat sich vor Kurzem - ich meine, es war am 4. Januar - öffentlich geäußert und noch einmal den restriktiven Rüstungsexportkontrollkurs gegenüber Saudi-Arabien bekräftigt. Er hat erwähnt, dass wir keine Waffen, wie zum Beispiel Kampfpanzer, Sturmgewehre oder auch die Zulieferung von Komponenten zu solchen Produktionen, genehmigen und dass wir uns, wie bisher auch immer, die Lage vor Ort und die Lage der Menschenrechte genau anschauen. Das wird auch weiterhin entsprechend restriktiv gemacht.

Zu dem Medienbericht vom Wochenende, der hier angesprochen wurde: Es liegen uns keine Erkenntnisse zum Einsatz deutscher Munition in Saudi-Arabien vor. Es wurde zum einen von Splittergranaten beziehungsweise Munition dafür gesprochen. So eine Art Munition wird von einem österreichischen Unternehmen hergestellt, das ein Tochterunternehmen der Rheinmetall AG ist. Derartige Ausfuhren würden aber, wenn es sie denn gegeben hat, von der österreichischen Regierung ausgesprochen. Ob das diese Munition wäre, über die berichtet wurde - und wenn ja, in welchem Umfang -, wäre bei den österreichischen Behörden zu erfragen.

Das Zweite im Bericht erwähnte sind Blend- und Knallgranaten. Hier muss ich zur Einordnung erklären, dass es sich nicht um Waffen oder Rüstungsgüter handelt. Daher gibt es auch keine entsprechende Genehmigungspflicht dafür. Dazu gab es schon im Jahr 2015 eine parlamentarische Anfrage und eine entsprechende Antwort, nämlich Nr. 102. Hier handelt es sich vielmehr um Polizeiausrüstung, die oft bei Geiselbefreiungen und der Erstürmung von Gebäuden verwendet wird. Wir sind nicht in Kriegswaffengenehmigungspflichten involviert, aber es ist nicht so, dass das in Deutschland nicht geregelt wäre. Hier ist das Sprengstoffgesetz einschlägig. Dieses unterliegt aber dem BMI, und so gesehen würde ich, was nähere Detailanfragen dazu angeht, dem Kollegen das Wort geben.

Zusatzfrage : Frau Chebli, eine Nachfrage zum Stichwort Entspannung oder Konfliktentschärfung. Sollte der Minister nach Saudi-Arabien fliegen, würde das bedeuten, dass er auch den Iran besuchen würde oder ist das ausgeschlossen?

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ist heute in Teheran. Gab es im Vorfeld der Reise irgendwelche Gespräche mit Ihrem Ministerium, vielleicht in Form einer Nachricht, dass er vielleicht versucht, bei diesem Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu vermitteln?

Chebli: Zu Ihrer Frage, ob der Minister in den Iran fliegt und ob wir das ausschließen: Wir schließen überhaupt nichts aus. Ich kann Ihnen aber auch nichts Konkretes dazu sagen. Wie gesagt, wenn die Reise ansteht, kündigen wir sie an. Das kann ein Stopp in Saudi-Arabien sein; das können mehrere Stopps in der Region sein; das kann Iran sein. Das kann ich nicht sagen. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine konkreten Planungen bekanntgeben.

Ich möchte gerne noch einmal wiederholen: Die Reise eines Außenministers in dieser Zeit in die Region würde natürlich als Fokus die Spannungen haben, die es gibt. Die Reise würde den Fokus haben, dass wir versuchen würden, Konflikte zu entschärfen, zu deeskalieren und vor allem beide Seiten dazu zu bewegen, weiter konstruktiv an den Wiener Vereinbarungen festzuhalten.

Was die Reise von Herrn Schröder angeht: Ja, wir wissen von dieser Reise. Das ist eine Reise, die übrigens vom Nah- und Mittelost-Verein organisiert wird. Deshalb würde ich Sie, auch an diesen Verein verweisen. Dieser hat die ganze Planung übernommen. Unsere Botschaft leistet, wie sie es auch sonst auch tut, wenn Delegationen in die jeweiligen Länder fahren, im üblichen Rahmen logistische Unterstützung.

Zusatzfrage : Es gab keine Gespräche im Vorfeld mit Herrn Schröder?

Chebli: Gespräche auf welcher Ebene?

Zusatzfrage : Gespräche im Vorfeld zwischen dem Bundesaußenminister und Herrn Schröder.

Chebli: Das kann ich weder bestätigen noch kann ich das verneinen. Ich weiß es nicht.

Frage: Herr Seibert, zu der möglichen Saudi-Arabien-Reise des Bundesaußenministers. Es hat ja früher schon einmal Differenzen zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt gegeben, was eine Syrien-Reise von Herrn Steinmeier anging. Deswegen hätte ich jetzt ganz gerne gewusst, ob die Bundeskanzlerin Vorbehalte hätte, wenn Herr Steinmeier zu dieser Kulturkonferenz führe oder ob sie eine solche Reise unterstützen würde.

StS Seibert: Was eine Reise angeht, die noch gar nicht feststeht und aus heutiger Sicht noch hypothetisch ist, werde ich auch keine Haltung der Bundesregierung oder der Bundeskanzlerin äußern. Ich will nur sagen, dass bezüglich der Einschätzung unserer Beziehungen zu Saudi-Arabien und der Bedeutung, die Saudi-Arabien in der Region hat, die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister ganz auf einer Linie liegen und eine Saudi-Arabien-Politik verfolgen.

Chebli: Ich möchte gerne noch einen Punkt zu dem Festival selbst sagen. Ich habe die Diskussion am Wochenende gehört und auch, wie dieses Janadriyah-Festival wahrgenommen wird. Das Janadriyah-Festival ist, glaube ich, die einzige kulturelle Großveranstaltung, die dieses Land durchführt. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten zum Austausch. Es gibt wahnsinnig viele junge Menschen, die dieses Festival auch als Gradmesser dafür nehmen, wie weit sich das Land öffnet beziehungsweise geöffnet hat. Für viele Menschen ist dieses Festival mehr als nur ein Folklorefestival, wie das hier dargestellt wird, sondern für sie bedeutet es, in einen tieferen kulturellen Austausch mit Leuten aus dem Westen zu kommen, den sie vielleicht sonst nicht haben oder für den es sonst nicht so viele Gelegenheiten gibt.

Wir im Auswärtigen Amt sind unabhängig davon, ob der Minister daran teilnimmt und unabhängig davon, wie wir die Diskussion jetzt wahrgenommen haben, davon überzeugt. Der Minister hat in seiner ersten Amtszeit schon sehr viel Energie und Zeit in das Thema auswärtige Kulturpolitik gesteckt; ich glaube, das darf man gerade mit Ländern, mit denen es nicht nur Übereinstimmung gibt, nicht unterschätzen. Das ist bei Saudi-Arabien ganz klar der Fall. Es gibt viele Bereiche, wo wir unterschiedlicher Meinung sind und in denen wir unterschiedliche Vorstellungen haben, wie Gesellschaft funktioniert und wie bezüglich unserer Wertevorstellungen, die nicht unbedingt mit denen zusammenpassen, bestimmte Werte gelebt werden. Dieser Kulturaustausch ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Außenpolitik, weil wir so vielleicht mehr von der anderen Seite verstehen, aber auch vielleicht mehr Verständnis dafür schaffen, welche Werte wir haben. Ich glaube, gerade Regionen wie der Nahe Osten, wie Saudi-Arabien, die von Krisen und Konflikten geplagt sind, ist der Kulturaustausch von unschätzbarem Wert. Ich glaube, das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man dieses Janadriyah-Festival ein bisschen so abtut, als würde Herr Steinmeier dorthin fahren, um Friede, Freude, Eierkuchen zu machen. Ich glaube, da wäre ich nicht nur vorsichtig, sondern es ist gut, einmal mit einer anderen Brille auch auf solche Veranstaltungen zu schauen.

Dimroth: In Bezug auf die Frage der von Ihnen genannten Güter und einer möglichen Regulierung ist insoweit richtig, was die Kollegin sagte, dass nämlich für das Sprengstoffrecht das BMI zuständig ist. Selbiges regelt tatsächlich den Zu- und Umgang mit explosionsgefährdeten Stoffen sowie Fragen der Produktsicherheit, aber eben gerade nicht seinen Regelungsgegenstand, also die Ausfuhr solcher Stoffe. Der Sinn und Zweck des Sprengstoffrechts ist, den Umgang möglichst sicher so zu gestalten, dass Dritte von diesen gefährlichen Gütern keinen Schaden nehmen. Aber sein Gegenstand ist gerade eben nicht die Frage der Ausfuhr.

Frage : Frau Chebli, Sie haben gerade noch einmal das Festival angesprochen. Es geht ja nicht um das Festival an sich, sondern es geht darum, dass ein Zeitpunkt ausgewählt wird, wo beide Länder am Rande einer militärischen Eskalation sind. Der iranische Außenminister hat heute in einem Interview mit der "New York Times" gesagt, dass die Geduld der Iraner, was die Zurückhaltung betreffe, auch nicht unendlich sei. Das heißt, es besteht eine reale Gefahr. Die Wahrnehmung im Iran ist, dass, wenn der Außenminister nach Saudi-Arabien reist, er sich in diesem Konflikt auf die Seite Saudi-Arabiens stellt. Im Oktober hat der Bundesaußenminister beide Länder besucht. Er hat akribisch darauf geachtet, dass er keines der beiden Länder vor den Kopf stößt. Der Zeitplan war fast identisch, sprich er hat fast genauso viel Zeit in Teheran wie in Riad verbracht. Noch einmal meine Frage: Warum gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt?

Chebli: Sie tun ja so, als wenn hier schon irgendetwas angekündigt wurde, was das Festival angeht. Ich habe meine Äußerungen ehrlich gesagt nur deswegen gemacht, um ein bisschen die Luft herauszulassen, was dieses Festival insgesamt angeht. Es ging mir nicht um die Teilnahme des Ministers. Weil ich Ihnen zustimme, wenn Sie sagen, die Situation sei gerade zwischen beiden sehr angespannt - das sind ja auch meine Worte -, habe ich auch gesagt, dass bei jeder Reise eines Außenministers in die Region in der jetzigen Lage natürlich im Mittelpunkt nicht die Kultur stehen wird, sondern der Versuch, zwischen den beiden Staaten nicht zu vermitteln - das Wort ist nicht das richtige -, sondern den Konflikt zu entschärfen und zu deeskalieren, weil es in unserem ureigenen Interesse ist, dass das, was wir zum Beispiel an Kraft und Zeit in die Syrien-Verhandlungen gesteckt haben, nicht aufs Spiel gesetzt wird. Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, weil wir natürlich sehen, dass gerade jetzt die Lage sehr angespannt ist.

Sie zitieren den iranischen Außenminister. Gestern gab es das Treffen der GCC und der Arabischen Liga. Man sieht, dass sich beides gerade sehr hochschaukelt. Es ist wichtig, dass sich diese Eskalationsspirale nicht weiter dreht, sondern dass wir zu einer Deeskalation kommen. Dazu möchte der Außenminister natürlich seinen Beitrag leisten. Deswegen hat er mit beiden Seiten telefoniert, und deswegen werden wir in den nächsten Tagen ganz massiv Gespräche mit den Akteuren vor Ort suchen. Deshalb werden die Themen Deeskalation und Entspannung in den nächsten Tagen für den Außenminister auch im Mittelpunkt stehen. Das ist doch klar.

Frage : Eine kurze Nachfrage zum Thema Flüchtlinge und Stichwort Türkei. Herr Seibert, das Kanzleramt hat am Wochenende angesprochen, dass die drei Milliarden Euro, die der Türkei zugesagt wurden, noch nicht bereitstehen. Können Sie kurz erläutern, woran es aus Sicht der Bundesregierung hakt? Gibt es Länder, die sich dieser Zahlung verweigern? Wie ist da der Stand?

StS Seibert: Das kann ich Ihnen hier nicht im Einzelnen aufdröseln. Es gibt den generellen Beschluss des Europäischen Rates, die Türkei, die bei der gemeinsamen Arbeit an der Flüchtlingskrise in mehrfacher Hinsicht ein Schlüsselland ist, mit diesen drei Milliarden Euro zu unterstützen. Dieses muss auf den üblichen europäischen Wegen nun noch sozusagen in eine konkrete Handlung überführt werden. Es muss noch festgelegt werden, aus welchen Töpfen und in welchen Zeiträumen das geleistet wird.

Die Europäische Kommission ist dabei, mit der Türkei diejenigen Projekte für Flüchtlinge in der Türkei zu identifizieren, denen dieses Geld zugutekommen soll. Das heißt, wir sind im vollen Prozess. Die Kanzlerin hat darauf hingewiesen, dass es natürlich auch notwendig ist, dass Europa - ich sage es einmal so - dabei zu Potte kommt, damit auch von der Türkei das erwartet werden kann, was wir im Rahmen dieser Vereinbarung von ihr erwarten. Wir sind aber im vollen Prozess.

Montag, 11. Januar 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 11. Januar 2016
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/01/2016-01-11-regpk.html;jsessionid=F16A370B478754B22DD3164442D903A2.s4t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2016

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