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PRESSEKONFERENZ/1258: Kanzlerin Merkel und der argentinische Präsident Macri, 05.07.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut

Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - 5. Juli 2016

Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem argentinischen Präsidenten Macri

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der argentinische Staatspräsident Mauricio Macri heute bei uns zu Gast ist. Wir haben die Wahl in Argentinien sehr aufmerksam verfolgt und sagen heute ein herzliches Willkommen zu dem ersten offiziellen Deutschland-Besuch!

Wir haben eben sehr intensiv über die bilateralen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gesprochen, aber natürlich auch über die Situation in Argentinien. Der Präsident hat in kurzer Zeit nach der Amtsübernahme wichtige Pflöcke eingeschlagen - die Vereinbarung mit dem Pariser Club, die Vereinbarung mit den Hedgefonds -, was die Öffnung Argentinien zur Welt wieder möglich macht. Wir haben über Altfälle im Zusammenhang mit der Hermes-Kreditvergabe gesprochen, die wir auch lösen werden. Insofern steht einer intensiveren deutsch-argentinischen Kooperation nichts im Weg, und ich glaube, auch das Programm dieses Besuches hat deutlich gemacht, welche Chancen sich daraus ergeben.

Wir haben darüber gesprochen, wie wir die wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessern und intensivieren können, und sehen auch mit Respekt den Reformkurs, den der Präsident eingeschlagen hat. Wir wissen, dass gerade die Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Energiebereich oder anderen Bereichen erst einmal auch ein harter Einschnitt für Menschen sein kann, die nicht so ein hohes Einkommen haben; aber mittelfristig und langfristig zahlen sich solche Reformen natürlich aus. Deshalb wünschen wir und wünsche ich dem Präsidenten auch sehr viel Erfolg bei diesen Bemühungen, durch eine starke Wirtschaft dann auch Arbeitsplätze entstehen zu lassen und sich Chancen gerade auch für junge Menschen in Argentinien zu erarbeiten.

Wir können dies durch bilaterale Wirtschaftsbeziehungen. Es gibt gute Anknüpfungspunkte, es gibt deutsche Unternehmen, die in Argentinien seit Jahr und Tag tätig sind und die auch das Thema berufliche Ausbildung dort noch einmal stärken können. Wir haben vereinbart, dass wir sowohl bei der Modernisierung der Infrastruktur dabei sein wollen - das hat heute in den Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsminister und auf dem Wirtschaftsforum auch eine Rolle gespielt -, dass wir im landwirtschaftlichen Bereich sicherlich Kooperationen suchen können und dass wir beim Ausbau erneuerbarer Energien - wie auch insgesamt beim Thema Klima und Energie - sehr gut zusammenarbeiten können.

Wir sind offen für die Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen, die jetzt wieder in Gang gekommen sind, und wir haben natürlich auch über die Situation insgesamt in Lateinamerika, über die internationalen Herausforderungen sowie auch über die Themen, die hier bei uns in Europa von Belang sind - also das Referendum in Großbritannien und den weiteren Weg der Europäischen Union -, gesprochen.

Unsere beiden Länder sind Mitglieder bei den G20. Ich habe den Präsidenten natürlich zum G20-Treffen nach Deutschland eingeladen. Wir werden uns in China beim diesjährigen G20-Treffen wiedersehen und haben vereinbart, dass wir auch in diesem Zusammenhang sehr eng miteinander zusammenarbeiten.

Noch einmal herzlich willkommen und viel Erfolg in Ihrer Arbeit!

P Macri: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin! Es ist eine Freude, Deutschland wieder einmal zu besuchen. Ich bin schon oft hier gewesen - als Unternehmer, auch zum Thema Fußball und auch als Bürgermeister von Buenos Aires, einer Partnerstadt von Berlin. Auch meine Kinder mögen Berlin und lieben die Kulturszene hier total. Danke für die Gastfreundlichkeit und danke auch für die Chance, die sich jetzt eröffnet!

In Argentinien hat es einen wichtigen politischen Wandel gegeben. Es besteht der Wille zur Weltintegration, also dazu, auch ein Teil der Weltagenda zu werden. Europa hat seine Systeme, Amerika hat seine System und Lateinamerika auch, aber wir glauben, dass wir, wenn wir die Beziehungen mit neuen Netzwerken ausbauen, eine neue Zukunft bauen werden. Wir glauben, dass das schon angefangen hat. Wir setzen nicht auf Isolation, sondern eher auf Integration.

Deutschland hat durch Einwanderung und mit Unternehmen schon immer eine sehr starke Präsenz in Argentinien gehabt. Argentinien braucht jetzt Austausch, braucht Investitionen. Wir setzen auf das Abkommen zwischen INTI und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Wir hoffen, dass das auch positive Einflüsse auf die gesellschaftliche Ebene hat. Wir schlagen einen neuen Kurs in Argentinien ein, auf dem auch die angewandte Wissenschaft wichtig ist. Wir haben auch viele Hoffnungen, was die Partnerschaft zwischen der Deutschen Post und der argentinischen angeht; wir sehen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in diesem Bereich. Wir haben auch Abkommen im Bereich des Gesundheitswesens, im Transportbereich und im Sozialbereich unterzeichnet; das ist alles sehr positiv.

Wir bewundern die Fähigkeit Deutschlands zur Innovation, zu intensiver Arbeit, und wir hoffen, dass die über 1200 kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen in Argentinien investieren und Vereinbarungen mit den argentinischen Unternehmen treffen, wenn die Konflikte der Vergangenheit geregelt worden sind. Wir sind uns sicher, dass die deutschen Institutionen, Institute und Unternehmen viel in Argentinien leisten können. Wir glauben, es besteht viel Raum für Wachstum und Kooperation.

Die Agenda dieses Jahrhunderts bringt konkrete Themen mit sich. Wie Sie gesagt haben, müssen wir als Team arbeiten; das ist essenziell. Wir müssen auch gegen den Klimawandel arbeiten. Die erneuerbaren Energien sind ein sehr wichtiges Kapitel in diesem Bereich, wie auch der Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Terrorismus. Das sind globale Bedrohungen, und diese müssen wir gemeinsam bekämpfen.

Wir reisen noch nicht ab, weil wir heute Abend und auch morgen noch eine sehr intensive Agenda mit Unternehmen haben.

Vielen Dank noch einmal für den Empfang. Wir sehen uns bestimmt in China. Ich komme auf jeden Fall nach Hamburg.

Frage: Eine Frage an Bundeskanzlerin Merkel: Wie wird sich der "Brexit" Ihrer Meinung nach in den Beziehungen zwischen Deutschland, der Europäischen Union und dem Mercosur widerspiegeln? Wird das Konsequenzen für die Position der Europäischen Union und Deutschlands zu den Falklandinseln, den Malwinen, und auch in Bezug auf den Anspruch haben, den Argentinien erhebt, aber auch in Bezug auf die kommerziellen Bedingungen und Begünstigungen, die die Inseln jetzt haben?

An Präsident Macri: Es ist schon die zweite Jahreshälfte. Viele Argentinier hoffen auf Investitionen. Welche konkreten Schritte können Sie jetzt ankündigen, was Deutschland anbetrifft? Welche Investitionen kommen und wann?

BK'in Merkel: Ich will nur sagen, dass wir den Ausgang des Referendums in Großbritannien natürlich bedauern und dass wir jetzt als EU der 27 unseren Kurs weiterfahren werden. Für mich als deutsche Bundeskanzlerin hat sich die Einstellung zu den Handelsgesprächen im Zusammenhang mit dem Mercosur durch das Votum der britischen Bevölkerung nicht verändert.

Wie die verschiedenen Punkte der zukünftigen Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Union genau ausgestaltet sein werden, muss sich Großbritannien selber erst einmal überlegen und dann den Antrag nach Artikel 50 der EU-Verträge auf Austritt aus der Europäischen Union stellen. Daran wird sich dann eine Verhandlungszeit anschließen. Aber wir können jetzt nicht schon vier Schritte vorandenken, sondern wir müssen jetzt erst einmal abwarten, was in Großbritannien passiert und wann Großbritannien diesen Antrag stellt. Davon wird sehr viel abhängen.

Aber unsere Beziehung zu Lateinamerika - von deutscher Seite - verändern sich durch die Tatsache, dass Großbritannien in Zukunft nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein wird, nicht.

P Macri: Wir begrüßen das. Wir möchten schnelle Fortschritte in den Vereinbarungen zwischen der EU und dem Mercosur. Wir möchten auch ein argentinisches Problem lösen, und zwar die Frage der Kontingente für den Export von Biodiesel in die EU.

Was die zweite Jahreshälfte angeht, so haben wir Maßnahmen getroffen, einige davon sehr einschneidend, wie Frau Bundeskanzlerin erwähnt hat. Aber wir müssen diese Maßnahmen ergreifen, und wir müssen realistisch sein. Wir brauchen Energie. Ohne Energie kann sich ein Land nicht entwickeln.

Die Inflation wird in der zweiten Jahreshälfte fallen. Wir werden eine Erholung der Wirtschaft sehen. Natürlich war der Startpunkt nicht besonders einfach. Das kommt nicht von einem Tag auf den anderen. Aber wir machen jeden Tag kleine Schritte. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Das ist es, was zählt.

Frage: Eine Frage an den Präsidenten: Über den Mercosur wurde eben schon gesprochen. Argentinien galt sehr lange als Bremser bei den Verhandlungen mit der EU. Haben Sie den Eindruck, dass die Bremser nun auf der europäischen Seite sitzen - Frankreich etwa beim Thema Landwirtschaft? Großbritannien, das immer ein Verfechter von Freihandelsabkommen der EU war, tritt aus.

Frau Bundeskanzlerin, die EU-Kommission wird CETA nun doch als gemischtes Abkommen ansehen. Ist das ihrer Meinung nach nicht das Ende künftiger EU-Freihandelsabkommen, weil zu erwarten ist, dass dann auch über das Mercosur-Abkommen von den nationalen Parlamenten mit entschieden werden muss?

P Macri: Es mag sein, dass dieses Thema in der Vergangenheit etwas Zeit gebraucht hat. Aber Argentinien und alle Mercosur-Mitglieder sind bereit, Fortschritte bei den Verhandlungen zu machen. Natürlich ist die Landwirtschaft das schwierigste Kapitel. Für Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay ist das essenziell. In dem Sinne brauchen wir eine flexiblere Position der französischen Seite. Aber ich setze auf die Führungsfähigkeit Deutschlands.

BK'in Merkel: Wir diskutieren ja jetzt nicht zum ersten Mal über Freihandelsabkommen. Vor dem Lissabonner Vertrag waren die Investitionsfragen ja noch gar nicht auf der europäischen Ebene angesiedelt. Deshalb ist es kein Novum, dass auch nationale Parlamente über Freihandelsabkommen abstimmen müssen. Wie sich die Kommission heute entscheiden wird, müssen wir jetzt allerdings noch abwarten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, gestern hat Präsident Macri anerkannt, dass die wichtigste Hürde für den Fortschritt in den Verhandlungen zwischen EU und Mercosur die Landwirtschaft ist. Der Präsident hat Frankreich erwähnt. Hat die deutsche Regierung eine Roadmap, um diese Hürden zu beseitigen?

Herr Präsident, haben Sie während des Mittagessens die Möglichkeit besprochen, dass die deutsche Regierung die Kandidatur von Susana Malcorra für den Posten der Generalsekretärin der Vereinten Nationen unterstützt?

BK'in Merkel: Erst einmal freuen wir uns ja, dass sich auf der lateinamerikanischen Seite die Frage von Mercosur wieder intensiver stellt. Ich kann mich an viele Jahre erinnern, in denen ich immer nach Lateinamerika gefahren bin und gefragt habe, was nun mit Mercosur wird. Jetzt ist man plötzlich in eine aktive Phase eingetreten, und darüber freuen wir uns jetzt.

Zweitens glaube ich, man musste kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Landwirtschaft gerade in Bezug auf Argentinien nun eines der komplizierteren Themen ist. Das ist nicht nur in Frankreich so, sondern das ist auch in Deutschland so; unser Landwirtschaftsminister schaut auch sehr genau hin. Das wird ein sehr komplizierter Teil werden, weil Argentinien hier einfach seine Stärken hat. Es ist ja auch der Sinn eines Interessenausgleichs, dass die Verhandlungen über diese Kapitel besonders schwierig sein werden, aber man kann ja, nur weil sie schwierig sind, nicht sagen: Wir machen das nicht. - Insofern schauen wir uns das also alles in Ruhe an, identifizieren die Bereiche, schauen, wie weit die Ambition gehen kann, und dann werden wir weitersehen. Nachdem das Ganze nun viele Jahre geruht hat, werden wir sicherlich nicht in 14 Tagen ein Freihandelsabkommen abschließen können, sondern das wird auch eine gewisse Zeit dauern.

P Macri: Wenn Sie möchten, können Sie auch die zweite Frage beantworten!

BK'in Merkel: Nein.

P Macri: Dieses Thema haben wir während unseres Mittagessens nicht besprochen.

Frage: Herr Präsident, wie beurteilen Sie die nationalistischen Strömungen in den USA mit dem Präsidentschaftskandidaten Trump und in Großbritannien mit dem Votum der Bürger für einen Austritt aus der EU?

Frau Bundeskanzlerin, die Ungarn wollen nun im Oktober die Bevölkerung über die Flüchtlingsquoten für die EU-Staaten abstimmen lassen. Wie beurteilen Sie diese Abstimmung? Befürchten Sie dadurch eine weitere Spaltung der EU?

P Macri: Während unseres Mittagessens haben wir mit der Bundeskanzlerin die Frage der Ängste besprochen. Viele haben Angst und bevorzugen defensive Positionen. Aber es ist klar, dass die Welt Fortschritte macht, was die Integration angeht. Der einzige Weg ist Integration. Man muss technologische Innovation und Wandel akzeptieren. Ich glaube, die Zukunft hat mit mehr Netzwerken und nicht mit Mauern zu tun. Das heißt: Mehr Austausch, mehr Integration - das ist der einzig mögliche Weg. Allen, die eine andere Botschaft haben, kann ich sagen: Das würde die Bevölkerungen dazu verurteilen, dass es keinen Fortschritt gibt. Wir müssen bessere Chancen für unsere Bevölkerungen anbieten, und die erzielt man nur mit Integration.

BK'in Merkel: Es war uns ja bekannt, dass es in Ungarn ein Referendum über der Frage der Flüchtlinge geben wird. Jetzt ist das Datum veröffentlicht worden. Die Fragestellung ist ja dort so gewählt worden, dass es eine Antwort auf die jetzt schon herrschende Regierungspolitik geben wird. Die Meinung des ungarischen Ministerpräsidenten ist ja auch bekannt. Insofern erwarte ich mir von dem Referendum keine Veränderung der augenblicklichen Situation. - Danke schön!

Dienstag, 5. Juli 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und
dem argentinischen Präsidenten Macri am 5. Juli 2016 in Berlin
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/07/2016-07-05-pk-merkel-macri.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2016

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