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PRESSEKONFERENZ/1634: Kanzlerin Merkel und der polnische Ministerpräsident Morawiecki, 19.03.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Warschau - Montag, 19. März 2018
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)


MP Morawiecki: Vielen Dank! Ich bin sehr glücklich, dass ich Sie heute hier in Warschau begrüßen darf. Ich habe Sie zur erneuten Wahl zur Bundeskanzlerin von Deutschland beglückwünscht, und wir freuen uns sehr, dass wir in ihrer Person eine Regierungschefin haben, die unser Freund ist, eine gute Partnerin und gute Freundin Polens ist. Wir können unsere Arbeit bezüglich der Lösung der europäischen und der bilateralen Probleme weiter fortsetzen, aber auch der Probleme, die noch weiter gehen, nämlich der weltweiten Probleme.

Ich freue mich sehr, dass die deutsch-polnische Partnerschaft entsprechend auch im Koalitionsvertrag Berücksichtigung gefunden hat. Polen ist auch bereit, diese Partnerschaft mit Inhalten zu füllen, sowohl bilateral als auch im internationalen Kontext.

Wir sind der Auffassung, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen unseren Staaten absolut notwendig ist, um eine sehr gute Zusammenarbeit in ganz Europa zu gewährleisten, und zwar angesichts der neuen Agenda für die Zeit nach 2019, also nach dem Brexit, aber auch im Rahmen der Ausarbeitung eines neuen Finanzrahmens sowie im Rahmen der Digitalpolitik, der Sicherheitspolitik beziehungsweise auch der Industriepolitik. Auch die jüngsten protektionistischen Maßnahmen, die es weltweit gegeben hat, haben wir beide als etwas sehr Beunruhigendes kommentiert.

Wir haben auch über den Giftgasanschlag in Salisbury gesprochen, und wir sind so verblieben, dass es vor allem einer entschlossenen Antwort der Europäischen Union bedarf. Wir erwarten, dass in den Schlussfolgerungen des Rats auch dieses Thema entsprechend berücksichtigt werden wird.

Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass im Koalitionsvertrag auch der Wille zur Fortsetzung des Weimarer Dreiecks bekundet wird. Wir sind Befürworter der Nutzung dieser Plattform zur Besprechung der wichtigsten Themen der europäischen Agenda. Wir hoffen sehr, dass es zu einem baldigen Treffen des Weimarer Dreiecks kommen wird.

Wir haben uns auch sehr positiv über die wirtschaftliche Zusammenarbeit unserer beiden Staaten geäußert. Der Handelsaustausch spielt hierbei eine Vorbildrolle. Wir haben einen Handelsumsatz in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro. Das sind Rekordzahlen. Diese Konvergenz zwischen der polnischen und der deutschen Volkswirtschaft, die natürlich viel, viel besser entwickelt ist - heute, nach mehr als 20 Jahren, ist sie immer noch viel weiter entwickelt -, gibt es schon.

Ich habe der Frau Bundeskanzlerin auch die wichtigsten Ansätze der Wirtschafspolitik unserer Regierung vorgestellt. Wir wollen das Wirtschaftswachstum natürlich mit der Wahrung der wichtigsten Mechanismen des Binnenmarkts verknüpfen. Wir haben über die Entsenderichtlinie sowie über die Dienstleistungsfreiheit als einen Mechanismus zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Binnenmarkt gesprochen. Ich habe in diesem Kontext die Bedeutung der europäischen Solidarität hervorgehoben, auch im Kontext der Arbeit an der neuen finanziellen Vorausschau. Wir sprechen uns dafür aus, dass die Beiträge der einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund der Lücken, die aufgrund des Brexit entstehen werden, erhöht werden, obwohl wir der Auffassung sind, dass Großbritannien vielleicht in einer bestimmten Form weiterhin am europäischen Haushalt partizipieren sollte. Wir sind auch dafür, dass die gemeinsame Strukturpolitik aufrechterhalten wird.

Im Kontext der europäischen Zukunft waren wir uns einig, dass es eine Schlüsselaufgabe ist, die Einheit der Europäischen Union beizubehalten, und zwar dadurch, dass wir uns auf die Erwartungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger konzentrieren, und dadurch, dass wir uns auch auf die praktische Seite des Funktionierens der Europäischen Union konzentrieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen den eigentlichen Mehrwert der Europäischen Union erkennen. Stabilität und Sicherheit sind die wichtigsten Elemente, die von den Bevölkerungen erwartet werden, und diese Themen kommen bei den Wahlen in den Mitgliedstaaten zum Ausdruck.

Auch im Bereich der Migrationspolitik haben wir unsere Positionen vorgestellt und uns hierüber ausgetauscht. Wir haben unterstrichen, dass es notwendig ist, gemeinsame Asylregeln auszuarbeiten, die heute sehr unterschiedlich sind. Wir schauen darauf, dass wir die Spannungen zwischen den Ländern an der Peripherie der Europäischen Union abbauen. Wir haben auch darauf hingewiesen, dass wir im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg viele Flüchtlinge aus Zentralasien, aus Tschetschenien und aus der Ukraine aufnehmen.

Polen hat auch einen wesentlichen Anteil an den Hilfsinstrumenten und einen Beitrag übernommen. Wir haben 50 Millionen Euro in die Europäische Investitionsbank einbezahlt. Es bedarf in der nächsten finanziellen Vorausschau eines großen Unterstützungssystems. Die Angel und nicht der Fisch soll den verschiedenen Bevölkerungen gegeben werden, den Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Ich habe der Frau Bundeskanzlerin auch versichert, dass wir gegenüber dem Dialog aufgeschlossen sind, was die Kommission und die verschiedenen europäischen Einrichtungen angesichts der Debatten, die es hier gibt, anbelangt.

Zu den bilateralen Beziehungen: Wir haben uns hier über verschiedene wirtschaftliche Fragen unterhalten. Die Wirtschaft entwickelt sich sehr gut. Der Handelsaustausch ist hervorragend, wie ich bereits gesagt habe. Ich möchte mich auch sehr dafür bedanken, dass wir vielleicht - die Frau Bundeskanzlerin hat uns das vorgeschlagen - auf eine symbolische Art und Weise an einem Wirtschaftsevent teilnehmen, das unsere Interessensgemeinschaft hier noch zusätzlich hervorheben wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank auch an die deutsche Delegation, dass Sie so schnell nach Vereidigung der Bundesregierung gekommen sind! Herzlich willkommen, Frau Bundeskanzlerin, herzlich willkommen, deutsche Delegation! Ich freue mich, dass wir bereits jetzt, in diesem kurzen Gespräch, auf sehr wichtige Fragen eingegangen sind. Beim Abendessen können wir das Ganze noch vertiefen. Vielen Dank!

BK'in Merkel: Sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Mateusz Morawiecki, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir die Gelegenheit haben, so kurz nach meiner Wiederwahl heute unserem Nachbarn Polen einen bilateralen Besuch abzustatten. Mir war das sehr wichtig, und die gesamte deutsche Regierung möchte die guten nachbarschaftlichen Beziehungen pflegen und stärken. Sie haben darauf hingewiesen, dass das auch im Koalitionsvertrag verankert ist, aber es wird auch in die Tat umgesetzt. So war der Bundesaußenminister schon vergangene Woche hier in Polen, und heute bin ich hier. Wir wollen damit zeigen, dass wir, selbst wenn wir manchmal auch nicht ganz einfache Gespräche haben, uns als Nachbarn eng verbunden sind, die Beziehungen entwickeln wollen und vor allen Dingen auch voranschreiten wollen.

Ein positiver Teil unserer Beziehungen sind mit Sicherheit die sehr engen wirtschaftlichen Beziehungen. Ein Handelsaustausch von 110 Milliarden Euro ist ein Rekord, und ich glaube, wir haben hier sogar noch weiteres Potenzial. Deshalb freue ich mich, dass wir auch vereinbart haben, im Zusammenhang mit den nächsten Regierungskonsultationen auch einmal unsere Wirtschaft zusammenbringen, um auch symbolisch zu danken und zu überlegen, wo wir etwas noch besser machen können; denn jede Art von Wirtschaftsaustausch bedeutet natürlich letztlich auch Kontakte von Menschen untereinander.

Ich freue mich auch sehr, dass wir uns jetzt bald mit der Finanzierung der Begegnungsstätte Kreisau beschäftigen wollen; denn es ist einer der Orte, an denen wir gerade angesichts der sehr schwierigen Geschichte, die unsere beiden Länder miteinander haben, in die Zukunft schauen können. Mir persönlich ist das sehr, sehr wichtig - gerade auch, dass unsere Jugend mit diesen Fragen befasst wird, immer wieder auch diskutiert und zusammenkommt. Wir unterstützen auch sehr das Format des Weimarer Dreiecks und werden uns mit dafür einsetzen, dass in diesem Rahmen Formate zustande kommen können.

Auch was unsere bilateralen Beziehungen anbelangt, haben wir gemeinsame Interessen, und zwar zum einen innerhalb der Europäischen Union, aber auch mit Blick auf die außenpolitischen Anstrengungen. Hier haben wir beide heute in gleichem Maße den Einsatz von Nervengift in Großbritannien verurteilt. Auch ich hatte mit der britischen Premierministerin gesprochen, und wir stehen hier an der Seite Großbritanniens. Ich denke, es ist selbstverständlich, dass wir auch beim nächsten Europäischen Rat, der in dieser Woche, am Donnerstag, beginnen wird, mit Theresa May noch einmal darüber sprechen und möglichst auch gemeinsame und klare Schlussfolgerungen treffen werden.

Im Zusammenhang mit Großbritannien haben beide Länder - auch Deutschland - das Interesse, in Zukunft gute, freundschaftliche, enge Beziehungen mit Großbritannien zu haben, auch wenn Großbritannien sich entschieden hat, die Europäische Union zu verlassen. Deshalb ist die Nachricht, dass heute die Einigung über eine Übergangsphase gelungen ist, sicherlich eine gute Nachricht für unsere beiden Länder. Wir werden jetzt ja auch in die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Union eintreten, und hier haben wir die feste Absicht, eng zusammenzuarbeiten.

Die Europäische Union hat bis Juni insbesondere verschiedene Aufgaben zu erledigen. Hierbei geht es zum einen um den Versuch - und ich hoffe, einen erfolgreichen Versuch -, ein gemeinsames europäisches Asylsystem auszuarbeiten. Ich hoffe, dass wir hierfür Wege finden. Sie haben heute noch einmal betont, dass auch Polen Flüchtlinge aufnimmt und so - auch wenn sie vielleicht geografisch aus anderen Ländern kommen - seinen Beitrag leistet. Wir sind uns einig, dass die Arbeit der Grenzschutzagentur Frontex gestärkt werden muss, und wir haben auch außerhalb der Europäischen Union gemeinsame Projekte zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Dass wir den illegalen Schleppern und Schleusern das Handwerk legen wollen, versteht sich von selbst. Das heißt, wir müssen an guten Perspektiven in den Ländern arbeiten, aus denen heute noch Flüchtlinge kommen.

Mit Blick auf die Ukraine haben wir eine vollkommen gleiche Sichtweise, und auch das beschäftigt uns in der Europäischen Union immer wieder. Es gibt leider noch keine sichtbaren und großen Fortschritte im Zusammenhang mit dem Minsker Abkommen. Auf solche Fortschritte werden wir gemeinsam weiter drängen.

Wir haben dann das Thema der Bankenunion miteinander besprochen. Hier arbeiten Polen und Deutschland auch sehr auf einer Linie. Ich glaube, diese Arbeit können wir auch gut fortsetzen.

Es geht natürlich auch um die gemeinsame Verteidigungspolitik innerhalb der Europäischen Union. Auch hier gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung darüber, die Verteidigungspolitik in der Europäischen Union nicht gegen die Nato, sondern als Stärkung der Nato zu gestalten; auch das ist für uns wichtig.

Es gab auch eine sehr kohärente Sichtweise mit Blick auf die Androhung von Zöllen und protektionistische Maßnahmen. Der deutsche Wirtschaftsminister ist zum Beispiel heute in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Kommission wird sprechen, und wir werden alles unternehmen, um hier Lösungen zu finden. Unsere beiden Länder bekennen sich aber eindeutig zum Freihandel; wir glauben, dass wir davon alle profitieren können und dass Protektionismus uns insgesamt nicht weiterführt.

Wir können nachher das Gespräch noch fortsetzen. Ich freue mich, dass ich im Anschluss auch die Möglichkeit habe, Präsident Duda zu sehen und mit ihm ein kurzes Gespräch zu führen.

Insofern hoffe ich und glaube ich, dass diese neue Bundesregierung jetzt mit neuem Elan an den deutsch-polnischen Beziehungen arbeiten kann. Von unserer Seite, der deutschen Seite aus wünschen wir uns sehr gute, intensive, freundschaftliche Beziehungen. Das wird zum Wohle Europas und zum Wohle unserer beiden Länder sein.

Frage: Eine Frage an Premierminister Morawiecki: Morgen läuft die Frist ab, die die EU-Kommission für die Beantwortung der Frage gesetzt hat, ob Sie die drei Gesetze zum Obersten Gericht, zum Justizrat und zu den allgemeinen Gerichten zurücknehmen, ob das Verfassungsgericht wieder unabhängige Leiter bekommt und ob nicht veröffentlichte Grundsatzurteile veröffentlicht werden. Was antworten Sie Brüssel?

Frau Bundeskanzlerin, haben Sie auch darüber gesprochen? Was passiert, wenn die Regierung von Herrn Morawiecki sagt, dass alles so bleibt, wie es ist?

MP Morawiecki: In diesem Kontext führen wir einen sehr belebten Dialog mit unseren Partnern von der Europäischen Kommission. Ich habe zwei längere Treffen mit Herrn Vorsitzenden Juncker absolviert, einmal habe ich mich mit dem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Timmermans, getroffen, und auch beim anstehenden Europäischen Rat werde ich darüber sprechen.

Wir vertreten im Kontext dieser großen Themen die Überzeugung, dass es in Polen großer Veränderungen in der Justiz bedarf. Es geht also um die Steigerung der Unabhängigkeit der Richter zur Verbesserung der Objektivität und der Qualität der Justiz. Natürlich wissen wir um die Zweifel im Rahmen der Empfehlung Nummer 4; es gibt auch noch weitere Empfehlungen. Wir haben ein Weißbuch vorgelegt und werden bis zum 20. März unsere ausführlichen Antworten auf all diese Zweifel und Fragen der Europäischen Kommission liefern.

Im Kontext der Gespräche, die es jetzt gibt, kann ich Folgendes sagen: Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, dass wir uns hier einig werden. Natürlich braucht es ein Verständnis auf beiden Seiten. Wir zeigen gewisse Fehler und Probleme - und das ist eine sehr delikate Bezeichnung - in der Justiz auf. Natürlich gibt es Emotionen auf beiden Seiten. Wir schauen darauf, dass wir diese Emotionen minimieren. Wir haben jetzt einen sehr konstruktiven Dialog. Ich bedanke mich bei Herrn Juncker, dass auf der Seite der Europäischen Union auch Verständnis für unsere unterschiedlichen Belange und für die verschiedenen Charakteristika vorhanden ist.

Was das Spezifikum unseres Justizsystems angeht, so werden die nächsten zwei Wochen sehr wichtig sein, um wirklich eine konstruktive Übereinstimmung zu erreichen.

BK'in Merkel: Ich kann von meiner Seite aus nur sagen: Da die Gespräche ja jetzt gerade sehr intensiv mit der Kommission geführt werden, hoffen wir von deutscher Seite aus natürlich, dass sich dort auch Lösungen auftun. Wir werden uns natürlich weiter informiert halten. Aber für mich wäre es sehr erfreulich, wenn die Kommission uns dann auch sagen könnte, dass diese Gespräche erfolgreich gewesen sind.

Frage: Gibt es, was diesen Doppelagenten angeht, auf den ein Anschlag verübt wurde, die Möglichkeit für einen Dialog mit Polen? Was soll in dieser entschlossenen Antwort enthalten sein, die man diesbezüglich liefert?

MP Morawiecki: Wir sprechen uns dafür aus, dass es eine entschlossene Antwort der gesamten Europäischen Union ist. Der Anschlag hat in einem Mitgliedsland der Europäischen Union und im Hoheitsgebiet eines Nato-Mitglieds stattgefunden. Wir sind der Auffassung, dass hier eine harmonisierte und solidarische Antwort nötig ist, damit der russische Aggressor weiß, dass er sich eine solche Politik des Angreifens von Nato-Mitgliedern, von EU-Mitgliedern nicht erlauben darf. Wir werden sicherlich beim EU-Gipfel über meinen Vorschlag diskutieren - das habe ich auch mit der Frau Bundeskanzlerin besprochen -, dass dies in den vereinbarten Konklusionen des Gipfels berücksichtigt wird.

BK'in Merkel: Ich möchte mich dem voll anschließen. Wir sind, wie gesagt, der Meinung, dass es sehr ernsthafte Hinweise darauf gibt, dass Russland damit etwas zu tun hat. Es ist jetzt an Russland, zu zeigen, dass das nicht der Fall ist. Ich begrüße, dass Großbritannien die Dinge transparent der Organisation für das Verbot chemischer Waffen übergibt. Ich glaube, wir werden diesbezüglich zu starken und gemeinsamen Schlussfolgerungen auf dem Europäischen Rat kommen. Deutschland wird sich jedenfalls dafür einsetzen.

Frage: Meine Frage richtet sich sowohl an den Ministerpräsidenten als auch an die Frau Bundeskanzlerin Es geht um den künftigen Finanzrahmen der Europäischen Union. Soll die Zuteilung von Mitteln im Zusammenhang mit diesem Finanzrahmen an die Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden? Nach welchen Kriterien könnte man dabei vorgehen? Könnte zum Beispiel die Initiierung eines Artikel-7-Verfahrens schon ein Grund sein, diese Verknüpfung herzustellen?

Soll außerdem die Aufnahme von Flüchtlingen ein Kriterium für die Zuteilung von Mitteln im Rahmen des EU-Finanzrahmens sein?

BK'in Merkel: Ich hoffe - das habe ich ja eben gesagt -, dass die Frage des Artikel-7-Verfahrens zwischen der Kommission und Polen geregelt werden kann. Die Gespräche laufen ja jetzt, und deshalb brauchen wir überhaupt keine Spekulationen. Wir werden alle Hände voll zu tun haben, überhaupt einen mittelfristigen Finanzrahmen aufstellen zu können. Das wird eine extrem schwierige Aufgabe sein, weil uns natürlich durch den Austritt Großbritanniens Mittel fehlen, weil die Aufgaben eher mehr geworden sind und weil wir natürlich auch Länder wie Polen, die diese Mittel sehr effizient einsetzen, stärken wollen.

Ich muss sagen: Nach den Gesprächen, die wir jetzt geführt haben, bin ich optimistischer, wenn ich auch noch nicht optimistisch bin. Aber vielleicht schaffen wir es ja auch im Zusammenhang mit dem europäischen Asylsystem, vernünftige Lösungen zu finden, die allen Belangen Rechnung tragen, und dann muss man sich auch mit dieser Frage nicht beschäftigen. Es ist unstrittig, dass manche Länder sehr von den Flüchtlingsfragen betroffen sind. Ich nenne jetzt gar nicht Deutschland, sondern ich nenne jetzt zum Beispiel Italien, das ja nichts dafür kann, dass in Libyen eine völlig instabile Struktur vorhanden ist und das natürlich mit der Frage der Grenzsicherung noch einmal in ganz anderer Weise konfrontiert ist. Wir wollen Italien dabei mit allen Kräften stützen. Man kann sich dann ja auch überlegen, ob man Ländern, die diese Außenlage haben, Lasten, die sie tragen, in einer mittelfristigen Vorausschau in bestimmter Weise bevorzugt anrechnet.

Es ist vieles im Fluss. Jetzt müssen wir erst einmal schauen, ob wir bis Juni ein gemeinsames europäisches Asylsystem hinbekommen - die Kommission wird ja erst im Mai den Haushalt und Ende Mai die Strukturverordnung vorlegen, und man wird überhaupt erst im Juni wissen, wie die Vorstellungen der Kommission sind -, und dann reden wir über Finanzen.

MP Morawiecki: Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, hat die Frau Bundeskanzlerin schon sehr ausführlich geantwortet. Ich stimme voll mit dem überein, was sie gesagt hat.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage darf ich Folgendes sagen: Natürlich liegt uns viel daran, dass solche gemeinsamen Systeme und Mechanismen ausgearbeitet werden, die von allen akzeptiert werden und die auch Solidarität zeigen. Ein solches Programm kann auch sehr viel kosten. Das sollten gemeinsame finanzielle Anstrengungen sein, die dem gewidmet sind. Wir möchten unsere Partner bitten, dass gewisse Sensibilitäten entsprechend berücksichtigt werden, dass man die interne Souveränität respektiert, dass man respektiert, wer von wem aufgenommen werden möchte und was die Grundsätze für die Aufnahme sind.

Es gilt das, was auch die Frau Bundeskanzlerin vorhin gesagt hat: Wir sind der Auffassung, dass Frontex hier verstärkt funktionieren sollte, um eben die Außengrenzen schützen zu können. Wir sind auch der Auffassung, dass das gesamte Asylsystem, das Migrationssystem und das Flüchtlingsaufnahmesystem in Europa umgebaut und neu aufgestellt werden müssen. Wir möchten bei dieser Neuausgestaltung mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten, und zwar auf eine sehr enge Art und Weise.

Frage: Eine Frage zur Zukunft der Europäischen Union, Frau Bundeskanzlerin, und zwar im Zusammenhang mit dem Ende der Legislaturperiode verschiedener Institutionen: Was ist die Zukunft? Können wir von einer gemeinsamen Agenda für Europa sprechen?

BK'in Merkel: Ja, ich glaube, wir können das. Dort, wo wir das nicht haben, müssen wir daran arbeiten. Mir liegt die Zukunft Europas sehr am Herzen, und zwar eines Europas der 27 Mitgliedstaaten und nicht nur eines Europas der Eurozone oder einer anderen Gruppe. Ich glaube, angesichts der Situation um uns herum auf der Welt verstehen wir doch alle, dass wir unsere Stimme nur machen können, wenn wir miteinander ein starkes Bündnis eingehen und unsere Anliegen auch weltweit gemeinsam vorbringen. Das erfordert eine gewisse Sensibilität den jeweiligen Empfindungen gegenüber. Das erfordert die Fähigkeit, den Wunsch und die Bereitschaft, auch Kompromisse zu suchen. Ich glaube, das ist auch vorhanden.

Natürlich ist die Europäische Union nicht irgendein Bündnis, sondern ein Bündnis, das auf Rechtsstaatlichkeit beruht, das auf Demokratie beruht. Deshalb sage ich: Ich werde alles daransetzen - das gilt für die ganze Bundesregierung, für die neue Bundesregierung -, dass wir in Europa eine gemeinsame Agenda haben. Dabei müssen wir an einigen Stellen besser werden. Aber wenn ich einmal an die strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Verteidigungspolitik denke, dann ist es so, dass wir das über Jahrzehnte nicht geschafft haben. Ich glaube, dass wir angesichts neuer Herausforderungen, neuer Bedrohungen eine gute gemeinsame Politik entwickeln können. Wir können eine gute gemeinsame Politik gegenüber Afrika entwickeln; wir müssen gegenüber Russland eine gemeinsame Politik entwickeln, auch gegenüber China. Wir werden bei der Europawahl für ein starkes und einheitliches Europa eintreten.

Montag, 19. März 2018

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem polnischen
Ministerpräsidenten Morawiecki in Warschau am 19. März 2018
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/03/2018-03-19-pk-merkel-morawiecki.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2018

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