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NORDRHEIN-WESTFALEN/1887: Porträt - Özlem Alev Demirel, Die Linke (Li)


Landtag intern 12/2011
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Porträt: Özlem Alev Demirel (Linke)

Von Andreas Wyputte


Für andere engagiert hat sich Özlem Alev Demirel früh: "Schon in der dritten Klasse war ich Klassensprecherin", erzählt die 27-Jährige und lacht. Heute ist sie die jüngste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundesrepublik: Seit Juni managt Demirel das Tagesgeschäft der Fraktion der Linken im Landtag - und ist so mit unter 30 bereits beratendes Mitglied im Ältestenrat.

Ihr Vorgänger Ralf Michalowsky habe für einen "Generationswechsel" plädiert: So begründet Demirel ihren Aufstieg in den Fraktionsvorstand nur ein Jahr nach Einzug der Linken in das Düsseldorfer Parlament. Doch in Zeiten, in denen SPD und Grüne beim "Schulfrieden" mit der CDU und beim "Stärkungspakt" für klamme Kommunen mit der FDP regiert, die Linke aber gegen die späte Verabschiedung des Landeshaushalts klagt, steht die Kölnerin auch persönlich für das Ende der faktischen Tolerierung der Minderheitsregierung von SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft durch die Linkspartei: Demirel sympathisiert mit der Parteiströmung der "Antikapitalistischen Linken" (AKL). Bei den Grünen wäre sie früher "Fundi" genannt worden.

"Antikapitalismus ist als Position innerhalb der Linken wichtig", sagt Demirel, die sich selbst als Marxistin begreift. Eine Mitarbeit bei SPD oder Grünen sei für sie deshalb nie in Frage gekommen: Die SPD betrachte sie spätestens seit der Hartz-Gesetzgebung als "Ex-Arbeiterpartei". Und die Grünen? "Die waren 'mal eine Friedenspartei", schnaubt Demirel, die an der Universität Bonn Politik, Komparatistik und Verfassungs-, Wirtschaftsund Sozialgeschichte studiert hat und gerade an ihrer Magisterarbeit schreibt, mit Blick nicht nur auf den Jugoslawien-Einsatz der Bundeswehr.

"Ich habe sehr jung erfahren, dass man sich wehren muss", sagt Demirel: Schon vor ihrer Geburt im türkischen Malatya 1984 sei ihr Vater als Kommunist politischer Verfolgung durch die putschenden Militärs ausgesetzt gewesen. 1989 zog die Familie nach Deutschland - zunächst nach Bielefeld, wo bereits der Großvater in einer Lederfabrik arbeitete. Neun Jahre später zog sie mit ihrem Vater und den beiden älteren Brüdern nach Köln. Ihr Abitur machte sie dort 2004 - die drei Generationen der Familie Demirels, deren Großvater Analphabet war, stehen für eine Bildungskarriere par excellence. Der diskriminierungsfreie Zugang zu möglichst hohen Bildungsabschlüssen sei eine Frage der Gerechtigkeit, findet die Linke - und doch noch immer eine Illusion: "Noch heute landen die Kinder von Arbeitern und Migranten auf der Hauptschule, aus Akademikerfamilien dagegen standardmäßig auf dem Gymnasium", klagt sie. Überhaupt, Gerechtigkeit: "Die Ungerechtigkeit zu bekämpfen, faire Lebensbedingungen für alle Menschen zu schaffen, ist meine Motivation", schreibt Demirel schon auf ihrer eigenen Homepage im Internet. Immer wieder begründet die kommunalpolitische Sprecherin der Linksfraktion ihr politisches Engagement mit diesem Motiv - und definiert Gerechtigkeit mit Marx: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen." Wegen der "ökonomischen Voraussetzungen", also der Verteilung von Eigentum und Vermögen, seien die Menschen eben nicht gleich. "Die Freiheit, die uns propagiert wird, ist keine", glaubt sie.

Schon fünf Jahre vor dem Abitur saß Demirel deshalb im Landesvorstand der LandesschülerInnenvertretung. In Köln organisierte sie Demonstrationen gegen Rechtsextreme ebenso mit wie den Bildungsstreik gegen Studiengebühren oder Blockaden des sogenannten "Anti-Islamisierungskongresses" der Rechtspopulisten von "Pro Köln". Über eine offene Liste wurde sie 2004 Mitglied der Linksfraktion im Rat der Domstadt - Parteimitglied war sie da noch nicht: Während des Vereinigungsprozesses von WASG und PDS sei sie in beide Parteien eingetreten, erzählt sie: "Ich wollte so deutlich machen, dass hier etwas wirklich Neues entsteht."

Umso genervter reagiert Demirel, die sich selbst als "Deutsche mit kurdischen Wurzeln aus der Türkei" beschreibt, auf Fragen nach der DDR- Vergangenheit der Linken: "Absurd" sei eine solche Argumentation, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin, die nach dem Mauerfall eingeschult wurde - schließlich stammten alle Abgeordnete ihrer Fraktion aus Nordrhein-Westfalen: "Was zum Teufel haben wir noch mit der DDR zu tun?"


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Quelle:
Landtag intern 12 - 42. Jahrgang, 07.12.2011, S. 15
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012