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NORDRHEIN-WESTFALEN/1895: Die "Koalition der Einladung" hält durch (Li)


Landtag intern 13/2011
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Minderheit findet Mehrheiten
Die "Koalition der Einladung" hält durch

Von Jürgen Knepper


2011, das erste volle Jahr unter einer rot-grünen Minderheitsregierung in NRW. Einige der Herausforderungen: Haushalten in Krisenzeiten, Energie- und Umweltpolitik gestalten angesichts einer bundesweiten "Energiewende", die geeigneten Bildungsangebote bereitstellen vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. Ohne eigene Mehrheit im Parlament erweist sich das neue Regierungsbündnis stabiler, als von manchem erwartet. Die Situation rückt das Landesparlament noch stärker in den Mittelpunkt des Geschehens. So finden der Haushalt mit Hilfe der Linken, der "Schulkompromiss" mit der CDU und die Finanzspritze für die Kommunen mit der FDP eine Mehrheit.



JANUAR

Die Landesregierung unterrichtet den Landtag über die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofs zum Nachtragshaushalt 2010. Während die Opposition den Richterspruch als Sieg wertet, weil er der Schuldenaufnahme Grenzen setzt, sieht Ministerpräsidentin Hannelore Kraft den Nachtragsetat als die "Endabrechnung von Schwarz-Gelb".

Nach Dioxinfunden in Futtermitteln wollen Bund und Länder in einem Aktionsplan die Produktionsabläufe für Industriestoffe und LeJanuar Die Landesregierung unterrichtet den Landtag über die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofs zum Nachtragshaushalt 2010. Während die Opposition den Richterspruch als Sieg wertet, weil er der Schuldenaufnahme Grenzen setzt, sieht Ministerpräsidentin Hannelore Kraft den Nachtragsetat als die "Endabrechnung von Schwarz-Gelb". Nach Dioxinfunden in Futtermitteln wollen Bund und Länder in einem Aktionsplan die Produktionsabläufe für Industriestoffe und Lebensmittel trennen. Der grüne Umweltminister sieht darin einen "Wendepunkt" und fordert mehr nachhaltige, tierfreundliche und ökologische Produktionsverfahren. Die Opposition dagegen: Mit mehr "Öko" seien 18 Millionen Menschen nicht zu ernähren.

FEBRUAR

Die Enquetekommission "Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzinvestoren auf den Wohnungsmärkten in NRW" konstituiert sich.

Ende des Monats beginnt der Marathon der drei Lesungen des Haushalts 2011. Die Regierungsseite verteidigt in der ersten Lesung 7 Milliarden Euro neue Schulden als "Zukunftsinvestitionen" und "Vorsorge für die Familien, Kinder, Städte und Gemeinden". Die Opposition nennt dies eine "verheerende Schuldenpolitik", die "Kinder und Kindeskinder abzustottern" hätten.

MÄRZ

Der Tsunami und die Atomkatastrophe von Fukushima beschäftigen den Landtag in einer Sondersitzung. Die Abgeordneten gedenken in einer Schweigeminute der Opfer. Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg spricht dem japanischen Generalkonsul das Mitgefühl des Landes aus. Ministerpräsidentin Kraft fordert, dass auf europäischer Ebene über einen Ausstieg aus der Atomenergie diskutiert werden solle. Die CDU warnt vor einem "parteipolitischen Missbrauch" der Katastrophe. Die FDP will keinen "deutschen Sonderweg", während die Linke die Stilllegung aller deutschen Meiler verlangt. Erneuerbare Energien hätten ein wesentlich geringeres Risiko, meinen die Grünen, sie sollten noch schneller ausgebaut werden.

Eine Islamdebatte wird durch eine Landesstudie in Gang gesetzt, die der Integrationsminister dem Landtag vorlegt. Ihr Titel: "Muslimisches Leben in NRW". Die CDU mahnt an, dass der Entwurf für ein Integrationsgesetz in NRW immer noch fehle. Nicht die Glaubenszugehörigkeit, sondern Bildung und soziale Herkunft seien das Problem, meinen die Grünen. Die Linken urteilen: Die Studie belege, dass es die Kategorie "Muslim" nicht gebe.

APRIL

Der neue Windkrafterlass der Landesregierung liegt im Umweltausschuss geladenen Fachleuten zur Erörterung vor. Zwar wollen alle mehr Strom aus erneuerbaren Energien, jedoch sehen sie Nachbesserungsbedarf beim Erlass: etwa mehr Rücksicht auf Anwohnerinteressen und die kommunale Selbstverwaltung.

Die CDU steht abseits, als der Landtag darüber abstimmt, ob es bei der von Schwarz-Gelb abgeschafften Stichwahl bei der Bürgermeister-, Oberbürgermeister- und Landratsamt-Wahl bleibt. Die anderen Fraktionen führen sie wieder ein.

Mitte des Monats nimmt der Etatentwurf für 2011 die zweite Hürde. Wichtigste Veränderung im Vergleich zur zweiten Lesung: Nach Beratung in den Fachausschüssen ist die Neuverschuldung von ursprünglich 7,1 auf 4,8 Milliarden Euro gesunken. Die CDU-Fraktion fordert ebenso wie die FDP weitere Einsparungen. Die Linke will höhere Ausgaben quer durch alle Ressorts. Abstimmungsergebnis: SPD und Grüne pro, CDU und FDP contra, die Linke nimmt an der Abstimmung nicht teil bzw. enthält sich.

MAI

Die Duisburger Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten beschäftigt auf Antrag der Linken erneut den Landtag. Die Fraktion verlangt, die Tragödie vom Juli 2010 endlich aufzuklären. Der Innenminister betont, die Polizei habe ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt. Die CDU spricht sich gegen "ungesicherte Theorien, Spekulationen und Vorverurteilungen" aus. Der SPD-Sprecher mahnt, das Parlament solle den Angehörigen zur Seite stehen. Wer den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht traue, solle einen Untersuchungsausschuss fordern, meinen die Grünen.

Der Landtag ebnet den Weg, um die Abwahl von Bürgermeistern zu erleichtern. Bis dato mussten die kommunalen Räte mit Zweidrittel-Mehrheit die Weichen für eine Abstimmung durch die Bürgerinnen und Bürger stellen. Eine zu hohe Hürde, findet die antragstellende Links-Fraktion.

JUNI

Der Bundespräsident besucht den Landtag. Gesprächspartner von Christian Wulff sind nicht nur die Landespolitiker, sondern auch Schülerinnen und Schüler, die am Informationsprogramm des Landtags teilnehmen.

Kurswechsel bei der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst: Während Schwarz-Gelb die Mitbestimmungsrechte der Personalräte beschränkt hatte, meint der Innenminister, Demokratie höre nicht an der Bürotür auf. Gegen die Stimmen von CDU und FDP nimmt der Landtag ein Gesetz an, das über die ursprünglichen Regelungen vor der Änderung im Jahr 2007 hinausgeht.

JULI

Drei Tage lang debattieren beim vierten Jugend-Landtag junge Menschen aus allen Regionen Nordrhein-Westfalens. Im Mittelpunkt diesmal der zunehmende Alkoholkonsum Jugendlicher und der Wunsch, verpflichtende Tage zur Berufsfindung an Schulen gesetzlich einzuführen. Hierüber diskutieren die 181 jungen Leute das Für und Wider im Plenum, in Ausschüssen, Fraktionssitzungen und Expertenanhörungen.

Nach jahrzehntelangem Meinungsstreit über die Ausgestaltung des Schulwesens, vor allem über die Rolle der Hauptschule, verkünden SPD, Grüne und CDU gemeinsam den Schulkonsens, der dann im Herbst vom Landtag beschlossen wird. Zukünfig kommt neben Gymnasium, Gesamt- und Hauptschule eine neue Schulform, die Sekundarschule, hinzu. Zudem wird das gegliederte Schulsystem mit integrierten Schulformen durch die Landesverfassung abgesichert, die Bestandsgarantie der Hauptschule hingegen gestrichen.

Ebenfalls vom Plenum abgesegnet: die Revision des Kinderbildungsgesetzes. Sie bringt die Beitragsfreiheit des dritten Kindergartenjahres und im Oktober eine weitere Debatte über ein von den Oppositionsfraktionen kritisiertes "Chaos" bei der Umsetzung.

Ein Kapitel NRW ist Geschichte: Mit Mehrheit von CDU, SPD und Grünen verabschiedet der Landtag einen Restrukturierungsplan, der die Aufspaltung der WestLB bedeutet.

AUGUST

Die Sommerpause wird zu einem Sicherheits-Check genutzt: Techniker überprüfen Lautsprecher, Rauchmelder und die über 300 Deckenleuchten im Landtagsgebäude.

SEPTEMBER

In einer Aktuellen Stunde erörtern die Abgeordneten das neue Steuerabkommen des Bundes mit der Schweiz. Die Debatte erstreckt sich zwischen "Ablasshandel für Steuerhinterzieher" und "pragmatischem Verhandlungserfolg".

Ende des Monats bildet sich der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur möglichen Korruptionsaffäre beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) des Landes. Einige Projekte - darunter das geplante Landesarchiv in Duisburg - sind Anlass zu näherer Prüfung.

OKTOBER

Hunderttausende besuchen den sechsten NRW-Tag, der zusammen mit der Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Bonn stattfindet. Dort präsentiert auch der Landtag sich und seine Arbeit. Viele Abgeordnete stehen den Bürgerinnen und Bürgern Rede und Antwort.

Der öffentlich gewordene Einsatz eines "Bundestrojaners" beschäftigt den Innenausschuss. Der zuständige Minister berichtet über die Anwendung in NRW. So habe es zwei Fälle gegeben, eine dritte Aktion laufe derzeit. Es sei dabei um die Bekämpfung von Drogenkriminalität gegangen; die Polizei habe auf richterliche Anordnung gehandelt.

Bis zum Jahr 2030 will NRW den Ausstoß von Treibhausgasen um 80 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 verringern. Das sieht der Entwurf der Landesregierung für ein Klimaschutzgesetz vor, der von den Abgeordneten in einer ersten Beratung diskutiert wird. Die Opposition wertet den Entwurf als unausgewogen, industriefeindlich und unverbindlich. Das rot-grüne Regierungslager betont dagegen die Verantwortung und Vorbildfunktion des Landes: NRW als Energieland Nummer 1 wolle in Zukunft auch das Klimaschutzland Nummer 1 werden.

NOVEMBER

Das Integrationsgesetz liegt vor. Im Integrationsausschuss begutachten Fachleute den Entwurf der Landesregierung. Kern ist die Einrichtung von Kommunalen Integrationszentren, zu denen sich die 27 vorhandenen Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien weiterentwickeln sollen.

Als Anschlag auf die Demokratie wertet Innenminister Jäger in der Plenarsitzung die Morde der rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle. Er verlangt zudem Klarheit über mögliche Verbindungen der Verfassungsschutzbehörden zu Neonazis. Sprecher aller Fraktionen äußern ihr Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen. Auch ein mögliches Verbot der NPD kommt erneut zur Sprache. Die Links-Fraktion fordert die Auflösung des Verfassungsschutzes.

DEZEMBER

Wichtige Entscheidung in Sachen direkte Demokratie: Der verabschiedete Gesetzentwurf zur Stärkung der Bürgerbeteiligung räumt einige Hürden beiseite, an denen Bürgerbegehren in der Vergangenheit öfter gescheitert sind.

Der Landtag verabschiedet in zweiter Lesung den "Stärkungspakt Stadtfinanzen" zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung. Nach dem Gesetzentwurf der Regierung sollen die betroffenen Kommunen über zehn Jahre lang jährlich 350 Millionen Euro als Finanzhilfe erhalten. Im Gegenzug dazu müssen sich die teilnehmenden Gemeinden verpflichten, in absehbarer Zukunft jeweils ausgeglichene Haushalte vorzulegen (siehe Seite 5).

Die Prüfung privater Abwasseranlagen soll ausgesetzt und neu geregelt werden. Ein entsprechender Antrag der FDP fand mit den Stimmen von CDU und Linken im Umweltausschuss eine Mehrheit (siehe hierzu Seite 18).

In den beiden letzten Sitzungen des Jahres berät der Landtag in erster Lesung den von der Landesregierung vorgelegten Haushalt fürs Jahr 2012. Er hat ein Volumen von 58,1 Milliarden Euro und sieht eine Neuverschuldung von 3,97 Milliarden Euro vor.


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Quelle:
Landtag intern 13 - 42. Jahrgang, 21.12.2011, S. 10-11
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Eckhard Uhlenberg, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2012