Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE

NORDRHEIN-WESTFALEN/1931: Portrait - Landtagspräsidentin Carina Gödecke (Li)


Landtag intern 7/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Portrait: Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD)

Von Peter Jansen



Das Büro neben dem Plenarsaal ist größer als manche Zwei-Zimmer-Wohnung in ihrer Heimatstadt Bochum, von der Fensterflucht hat man einen schönen Blick auf den träge vorbeifließenden Rhein. Manchmal kann es Carina Gödecke, die neue Landtagspräsidentin, noch nicht wirklich fassen, dass sie, Tochter einer Arbeiterfamilie aus dem Ruhrgebiet, jetzt hier ihren Arbeitsplatz hat, dass sie zur obersten Repräsentantin von 237 Abgeordneten gewählt ist, zur Vorgesetzten von rund 300 Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, dass die Ministerpräsidentin und deren Kabinettsmitglieder vor ihr den Eid auf die Verfassung ablegen mussten.

"Ich bin nicht mehr nur Carina Gödecke, 53 Jahre alt und Großmutter von fünf Enkelkindern", sagt sie dann, um sich selbst ihrer Rolle immer wieder zu vergewissern, "ich bin zu einer Institution geworden."

Mehr Veränderung will sie allerdings nicht zulassen, die Menschen sollen sie so erleben, wie sie ihnen im Wahlkampf begegnet, offen, unkompliziert, ohne Allüren. In vielen Punkten weist ihre Laufbahn verblüffende Parallelen mit dem Werdegang von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf, der Tochter einer Straßenbahnerfamilie aus dem wenige Kilometer entfernten Mülheim/Ruhr. Gödecke spricht, obwohl in Hessen geboren, die Sprache des Ruhrgebiets. Sie ist nicht eitel und statusbewusst, sie muss nicht in der ersten Reihe sitzen, obwohl ihr oft gar nichts anderes übrig bleibt. Sie macht, wie sie es selbst in der Sprache ihrer Heimat ausdrückt, "kein Gedöns". Dabei kommt ihr ihre Herkunft aus einer durch und durch sozialdemokratisch geprägten Familie zugute. Der Vater, ein Opel-Arbeiter, hatte schon in ihrer Geburtsstadt Groß-Gerau für die SPD im Rat gesessen, die Mutter war in der IG Metall engagiert. Nach dem Umzug nach Bochum Anfang der 1960er-Jahre, wo Vater Gödecke das neue Opel-Werk mit aufbaute, wurden beide Elternteile in den Rat der Ruhrstadt gewählt. Tochter Carina war das erste Familienmitglied, das ein Gymnasium besuchen konnte, eine Art Lyzeum für die höheren Töchter der Stadt. Das war für das Arbeiterkind nicht immer ganz einfach: "Ich wurde nicht mit der Bratsche in der Hand geboren. Bei uns wurde 'Brüder, zur Sonne, zur Freiheit' gesungen."

Doch das zierliche blonde Mädchen biss sich durch, wie sie überhaupt zu ihren wichtigsten Eigenschaften "Steherqualitäten" zählt. Es blieb nicht aus, dass sie schon früh im Elternhaus mit praktischer Politikarbeit konfrontiert wurde, da wurde am Esstisch über Kommunalpolitik und den nächsten Wahlkampf diskutiert, da halfen die Kinder auch mal mit und steckten Flugblätter der SPD in die Briefkästen in ihrem Viertel. Als junges Mädchen stand für Carina Gödecke fest, dass sie selbst nie in eine Partei eintreten würde, "die nimmt einem ja die Eltern weg", klagte sie bei ihren Freundinnen. Doch mit 16 hatte sie sich anders entschieden, da wollte sie ein eigenes Parteibuch. Ihr Vater stimmte zu, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Schule absoluten Vorrang hat. "Erst machst du das Abitur, bevor du eine Funktion übernimmst", gab er seiner Tochter mit auf den Weg.

Zur rechten Zeit am rechten Ort

Carina Gödecke hielt sich dran und absolvierte nach und nach die Ochsentour der Parteikarriere. Erst übernahm sie die Aufgaben, die niemand machen wollte, sie kassierte die Beiträge, sie führte in den Vorstandssitzungen Protokoll. Dann wurde sie erst zur stellvertretenden, dann zur Ortsvereinsvorsitzenden gewählt, 1989 - da war sie gerade 31 Jahre alt - als drittes Mitglied der Familie auch in den Rat der Stadt. Ihre Wahl in den Landtag verdankt sie der Neuordnung der kommunalen Führungsebene: Weil der damalige Bochumer Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber als Stadtoberhaupt nicht mehr dem Landtag angehören konnte, wurde ein Wahlkreis frei und Carina Gödecke konnte antreten.

Viele Zufälle hätten bei ihrer politischen Karriere eine Rolle gespielt, sie sei halt immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Dass sie mit Kompetenz, Einsatz und Intelligenz auch meist das Richtige gemacht hat, verschweigt sie aus Bescheidenheit. Als sie nach ihrer Wiederwahl im Jahr 2000 beim damaligen Fraktionsvorsitzenden Edgar Moron vorstellig wurde und verlangte, jetzt müsse eine Frau aus dem Bezirk Westliches Westfalen auf einen Stellvertreterposten gewählt werden und die Parlamentarierinnen hätten sie vorgeschlagen, hatte sie keinen Erfolg. Moron hatte anderes mit ihr im Sinn: Carina Gödecke wurde Parlamentarische Geschäftsführerin und blieb auf diesem Posten zehn Jahre - so lange wie niemand vorher und, wie sie glaubt, auch niemand nach ihr.

Nach den ersten Sitzungswochen als Landtagspräsidentin ist von Lampenfieber nichts mehr zu spüren. Souverän, freundlich, aber auch bestimmt, wies sie Kraft nach ihrer Wiederwahl zur Ministerpräsidentin darauf hin, dass es ihr selbstverständlich frei stünde, auf ihrem Abgeordnetenstuhl Platz zu nehmen, dass sie sich jetzt aber wieder in der Regierungsbank neben dem Präsidentenpodest niederlassen könne. Gödecke wirbt für ein selbstbewusstes Parlament und verweist auf zahlreiche Entscheidungen oberster Gerichte des Bundes und der Länder, die die Position von Bundestag und Landtagen gegenüber den jeweiligen Regierungen deutlich gestärkt haben. Als langjährige Gewerkschafterin hat sie dafür ein Beispiel aus der Arbeitswelt: So wie es für jede Unternehmensführung gut ist, wenn ihr ein starker Betriebsrat gegenübersteht, so ist es für jede Regierung gut, wenn sie ein starkes Parlament als Gegenüber hat.

Mit etwas mehr Freizeit, von denen sie nach den zehn arbeitsintensiven Jahren als Parlamentarische Geschäftsführerin geträumt hat, wird es in diesem Jahr wohl nichts mehr werden. Das sieht man, wie sie sorgenvoll gesteht, mittlerweile ihrem Garten an, den sie zwar sehr liebt, in dem es aber derzeit ganz schlimm aussieht. Vielleicht können dann die Enkelkinder - das älteste ist sieben - beim Unkraut jäten helfen.

*

Quelle:
Landtag intern 7 - 43. Jahrgang, 05.07.2012, S. 11
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-25 45, -21 07, -23 09
Telefax (0211) 884-35 51
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2012