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NORDRHEIN-WESTFALEN/1958: Landesregierung legt Sozialbericht vor - Debatte über Konsequenzen (Li)


Landtag intern 12/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Alle gegen Armut
Landesregierung legt Sozialbericht vor - Debatte über Konsequenzen
Plenarbericht

Von Christoph Weißkirchen



30. November 2012 - In Analyse und Bewertung vielfach einig, bei den zu ergreifenden Maßnahmen uneinig: Die Unterrichtung der Landesregierung über den Sozialbericht 2011 führte im Landtag zu einer Grundsatzdebatte über die Ausrichtung unseres Sozialstaats. Im Mittelpunkt aller Fraktionen: die nachhaltige Bekämpfung der Kinderarmut.


Als "erschreckend" wertete Sozialminister Guntram Schneider (SPD) die Befunde des aktuellen Sozialberichts. Trotz Wirtschaftswachstums wachse die Armut, Ungleichgewichte nähmen zu. Und trotz positiver Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung werde die Gruppe derer, die nicht an dieser Entwicklung teilhabe, größer, ihre Lage verfestige sich. "Die Politik ist hier in der Pflicht. Wir müssen Gerechtigkeit anstreben", rief Schneider aus und kündigte Bundesratsinitiativen zur höheren Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften, zur Anhebung des Spitzensteuersatzes und zur Bekämpfung von Steuerflucht an. Im kommenden Jahr wolle die Landesregierung ein umfassendes Handlungskonzept gegen Armut und soziale Ausgrenzung erarbeiten.

"In Deutschland geht etwas schief", unterstrich für die SPD Michael Scheffler. Reichen ginge es immer besser, Armen immer schlechter. Jedes fünfte Kind lebe in einem einkommensarmen Haushalt. Finanzielle Armut gehe dabei häufig mit Bildungsarmut einher, was wiederum den "Teufelskreis" der Armut verfestige. Daher sei der Ansatz der Landesregierung "Kein Kind zurücklassen" der einzig richtige Weg. Grundsätzlich sei die Einführung einer Kindergrundsicherung von 536 Euro im Monat notwendig. Als Grund für Armut benannte der SPD-Sprecher vor allem die Erwerbsarmut durch Niedriglöhne. Der im Tariftreue- und Vergabegesetz festgeschriebene Mindestlohn von 8,62 Euro müsse flächendeckend und branchenübergreifend ausgestaltet werden.

"Es gibt offenbar Strukturen, aus denen von Armut betroffene Menschen aus eigener Kraft nicht mehr herauskommen", konstatierte auch Peter Preuß (CDU). Zum Aufbrechen dieser Strukturen sei eine bessere Vernetzung sozialer Infrastruktur notwendig. Der Sozialbericht benenne als Gründe für die Armut Arbeitslosigkeit, geringe Qualifizierung und die Verschuldung öffentlicher Haushalte. Die Bekämpfung der Armut gelinge aber nicht durch ideologische Auseinandersetzungen über Umverteilung von Vermögen, Mindestlohn und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung böten auch die Chance auf Zusatzverdienst, Qualifizierung und Einstieg in den Arbeitsmarkt. Missbrauch dieser Instrumente müsse bekämpft werden.

"Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde", betonte Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE). Doch hier stünden wenigen "Superreichen" immer mehr einkommensschwache Menschen gegenüber. Risiken für Armut seien laut Sozialbericht unter anderem Migrationshintergrund, Alter, Jugend und Behinderung. Schon Kinder würden durch Ausgrenzung daran gehindert, in der Schule gute Leistungen zu erbringen. Auch würden viele Jobs so schlecht bezahlt, dass die Menschen davon nicht leben könnten. Dies betreffe mittlerweile schon gut ausgebildete Fachkräfte. "Armut grenzt aus. Armut macht krank. Armut macht einsam", so die Analyse der GRÜNEN. Die präventive Politik der Landesregierung sei richtig, um hohe Kosten in der Zukunft zu vermeiden.

"Für die FDP ist klar: Menschen, die von Armut betroffen sind, brauchen unsere Unterstützung und verdienen unsere Solidarität", erklärte Ernst-Ulrich Alda für seine Fraktion. Relative Einkommensarmut bedeute, dass man über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfüge. Diese Grenze habe im Jahr 2010 bei einer Familie mit zwei Kindern bei 1.711 Euro pro Monat gelegen. Die Armutsrisikoquote schwanke regional zwischen rund 11 und 18 Prozent. Vor diesem Hintergrund warnte Alda vor einer "Politik der Deindustrialisierung" sowie vor "Hilfen mit der Gießkanne". Notwendig sei eine Politik, die die Schwächeren ertüchtige und stärke sowie den Menschen zutraue, bei angemessener Unterstützung aus der Armutssituation herauszufinden.

"Armut in einem reichen Land ist nicht tolerierbar", betonte Olaf Wegner (PIRATEN). Der vorgelegte Bericht sei eine "Bankrotterklärung": Die Zahl der Arbeitslosen sinke und trotzdem nehme die Armut weiter zu. Dies liege vor allem an einer deutlichen Ausweitung des Niedriglohnsektors, was eine Abwärtsspirale mit dem Risiko von Altersarmut bedeute. Wenn Wachstum und Vollbeschäftigung nicht mehr zur Überwindung von Armut führten, brauche man aber neue Modelle: die Einführung eines bedingungslosen, existenzsichernden Grundeinkommens. Als erste Schritte forderte Wegner, die Sanktionen bei Hartz IV abzuschaffen und den Bildungsbereich deutlich aufzustocken. Dafür seien die reichsten zwei Prozent der Bevölkerung stärker zu belasten.

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Quelle:
Landtag intern 12 - 43. Jahrgang, 12.12.2012, S. 7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2013