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NORDRHEIN-WESTFALEN/2008: Fachleute über die Zukunft des Verfassungsschutzes (Li)


Landtag intern 5/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Neu ausrichten oder abschaffen?
Fachleute über die Zukunft des Verfassungsschutzes
Ausschussbericht

Von Christoph Weißkirchen



2. März 2013 - Es gibt Methoden, die der Staat zur Informationsbeschaffung nicht nutzen darf. Wo die Grenzen sind, wie viel Kontrolle nötig und wie viel Öffentlichkeit möglich ist, dies erörterten Fachleute in einer gemeinsamen Anhörung von Haupt- und Innenausschuss mit Blick auf die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes vor dem Hintergrund zweier vorliegender Gesetzentwürfe.


Grundlage war ein Gesetzentwurf der Landesregierung (Drs. 16/2148), die einen "kontrollierten, modernen, transparenten und gleichzeitig effektiven Verfassungsschutz" mit verstärkter parlamentarischer Kontrolle anstrebt. Die PIRATEN fordern in einem weiteren Gesetzentwurf (Drs. 16/2135), die G10-Kommission auf vier Beisitzer und fünf Stellvertreter zu vergrößern. Die FDP wiederum tritt in einem Antrag dafür ein, Defizite in der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zu unterbinden und die parlamentarische Kontrolle durch den Landtag zu stärken.

Deutschland habe eine wehrhafte Demokratie, und ein Verfassungsschutz gehöre dazu, meinte Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff (Europa-Universität Frankfurt/Oder). Dabei sei die Abwehr von Gewalt in erster Linie Aufgabe der Polizei. Der Verfassungsschutz müsse schwerpunktmäßig im Vorfeld arbeiten. Im Gesetzentwurf der Landesregierung werde die Transparenz in kleinen Schritten erweitert. Dies sah auch Prof. Dr. Lothar Michael (Universität Düsseldorf) so. Der Gesetzentwurf gehe außerdem bei der Neuausrichtung der Befugnisse in die richtige Richtung.

Verfassungschutz und Polizei

Hinsichtlich der Kontrolldichte sei der Gesetzentwurf ein "Meilenstein" an Deutlichkeit und Ausführlichkeit, betonte Dr. Gunter Warg (FH des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl). Der Verfassungsschutz dürfe allerdings nicht "auf seinen Erkenntnissen sitzenbleiben", sondern müsse diese der Strafverfolgung zur Verfügung stellen. Daher sei es notwendig, dass er auch im gewaltbereiten Umfeld aktiv sei.

Dabei müsse der Verfassungsschutz aber das Trennungsgebot gegenüber der Polizei beachten, forderte der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW, Ulrich Lepper. Nach seiner Wahrnehmung sei auch die Polizei zunehmend im Vorfeld tätig. Dies müsse der Verfassungsschutz beachten. Außerdem habe er die wichtige Rolle, die Landesregierung zu beraten.

Welche legitimen Aufgaben der Verfassungsschutz dann noch habe, fragte Johann-Albrecht Haupt (Humanistische Union, Hannover). Zum einen sei die Polizei für die Gefahrenabwehr zuständig, zum anderen gelte die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel sei zudem im Grundgesetz nicht vorgeschrieben, ergänzte Dr. Heiko Stamer (Bürgerrechtsaktivist im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Berlin). Deren Erfolge könne er jedenfalls nicht erkennen, eher Misserfolge, wie die laufenden Untersuchungen zum NSU-Terror zeigten.

Ein weit gefasster Gewaltbegriff könne mit dem Grundrecht der Gedankenfreiheit kollidieren, meinte auch Dr. Burkhard Hirsch (Bundesminister a. D.). Es sei daher nicht unbedingt richtig, Straftatbestände immer mehr in das sogenannte Vorfeld zu verlagern und das eigentliche Tätigkeitsfeld des Verfassungsschutzes zu verkleinern.

Datenweitergabe

Ein spezieller Punkt der Anhörung war die Präzisierung bei der Weitergabe von Daten. Der Verfassungsschutz müsse in bestimmten Fällen Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben; allerdings müsse er selbst entscheiden, wann diese Fälle gegeben seien, erläuterte Hirsch. Hier forderte er wie auch Wolff klare Anweisungen seitens des Gesetzgebers. Insgesamt sei aber gerade in diesem Bereich eine verstärkte Sensibilisierung notwendig, so Lepper. Präzisere Regelungen forderten die Fachleute auch mit Blick auf Internet-Recherche und Online-Durchsuchungen; der vorliegende Gesetzentwurf sei hierfür jedenfalls nicht ausreichend.

V-Leute

Weit auseinander gingen die Meinungen in Bezug auf angeworbene Informanten (V-Leute). Wenn der Verfassungsschutz ein wichtiges Instrument der Gefahrenabwehr sei, seien V-Leute zwingend erforderlich, erklärten Wolff und Warg. Zu deren Schutz befürworteten sie auch eine bestimmte Straffreiheit. V-Leute ja, aber ohne Verstoß gegen Gesetze, meinten dagegen Hirsch und Lepper. Außerdem müsse bei der Verarbeitung der Daten deutlich werden, wer die Daten erhoben habe. VPersonen hätten zum Teil eine höchst zweifelhafte Reputation, er könne keine Vorteile durch sie erkennen, meinte dagegen Haupt. Die GRÜNEN-Forderung nach Verzicht auf V-Leute sei richtig, gehe aber nicht weit genug, so Stamer. Seine Forderung: den Verfassungsschutz abschaffen.

Es müsse für jeden einen geschützten Kernbereich geben, waren sich dann wieder alle Fachleute hinsichtlich der Privatsphäre ebenso einig wie über eine mangelnde Eignung des Verfassungsschutzes für eine breitere Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem forderten sie eine wirksame Kontrolle des Verfassungsschutzes durch ein parlamentarisches Gremium, wobei die Meinungen wiederum darüber auseinandergingen, inwieweit hier Öffentlichkeit zugelassen werden sollte.

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Quelle:
Landtag intern 5 - 44. Jahrgang, 15.5.2013, S. 15
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2013