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NORDRHEIN-WESTFALEN/2033: Kommunen - Zukünftig nur noch Landesmittel nach Bedarf? (Li)


Landtag intern 8/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Plenum
Umstrittener Maßstab
Kommunen: Zukünftig nur noch Landesmittel nach Bedarf?

Von Sonja Wand



19. September 2013 - Wie viel Geld brauchen die Kommunen wirklich, fragte im Kommunalausschuss die FDP. Auf ihren Antrag (Drs. 16/2883) hin soll das Land untersuchen lassen, wie hoch der tatsächliche Finanzbedarf der Städte und Gemeinden sei. In einer Anhörung bezogen Fachleute Stellung.


Bisher werde nur ein fiktiver Wert statistisch ermittelt und eine vom Land festgelegte Gesamtsumme, bemessen nach den Einnahmen des Landes, nach den Regeln des Gemeindefinanzierungsgesetzes (GFG) auf die Kommunen in NRW verteilt. Nicht nur diese Regeln gehörten überarbeitet, sondern auch, dem vorausgehend, eben die Feststellung des realen Bedarfs an Geld, das die Kommunen benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Damit soll der kommunale Finanzausgleich insgesamt gerechter gestaltet werden.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen hielten die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf der Städte und Gemeinden für berechtigt. Allerdings habe es in Thüringen, wo der Bedarf ermittelt worden sei und nun auf dieser Basis Geld vom Land fließe, keineswegs zu einer Befriedung geführt; viele Kommunen seien vor Gericht gezogen.

Wenn jedenfalls eine Bedarfserhebung gemacht werden solle, dann müsse solches erstens auch verfassungsrechtlich verankert werden und zweitens ebenso für das Land und seine Aufgaben erfolgen, betonte etwa Dr. Dörte Diemert vom Städtetag Nordrhein-Westfalen. Claus Hamacher vom Städte- und Gemeindebund NRW bzw. dem nordrhein-westfälischen Landkreistag betonte, es müsse endlich einmal festgestellt werden, wie viel Geld die Kommunen real bräuchten. Hamacher sprach sich wie Diemert aber auch dafür aus, eine finanzielle Mindestausstattung der Kommunen unabhängig von den Einnahmen des Landes in der Verfassung festzuschreiben.

Auch Matthias Wohltmann vom Deutschen Landkreistag hielt eine Bedarfsfeststellung zwar für schwierig, aber möglich, auch für notwendig und verfassungsmäßig geboten. Denn die Aufgaben der Kommunen müssten die Ausgaben bestimmen, nicht umgekehrt. Er wies auf die Gleichwertigkeit der Aufgaben des Landes einerseits und der Kommunen andererseits hin und forderte, wenn das Land mehr Einnahmen als erwartet habe, müssten die Kommunen gleichermaßen davon profitieren.


Symmetrische Pleite?

Anderer Meinung war der Wissenschaftler Prof. Dr. Janbernd Oebbecke von der Universität Münster. Er hielt eine objektive wissenschaftliche Darstellung der tatsächlichen Bedarfe für nicht möglich. Zudem wäre der Aufwand unverhältnismäßig hoch. Darüber hinaus bezweifelte er den Sinn einer Bedarfserhebung, denn mehr Geld sei schlicht nicht da.

Es gebe keinen Anspruch der Kommunen auf eine Mindestausstattung ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Landes, meinte der Münchener Jurist Prof. Dr. Stefan Korioth. Zudem seien die Erfahrungen aus Thüringen nicht besonders ermutigend. "Wenn man Neuland betritt, muss man sich darauf einstellen, dass man ein lernendes System installiert", hielt ihm Gerhard Micosatt von der Forschungsgesellschaft für Raumfinanzpolitik aus Bottrop entgegen. Natürlich müsse man das System nach den ersten Erfahrungen anpassen. Das Land NRW spreche immer nur von angemessener Finanzausstattung der Kommunen, nicht aber von aufgabenangemessener Finanzausstattung. Da sei es kein Wunder, dass die Finanzierung von Aufgaben nicht gewährleistet sei.

Prof. Dr. Thiess Büttner, Volkswirt aus Nürnberg, begründete, warum aus seiner Sicht eine Bedarfserhebung nicht funktionieren könne: Der öffentliche Sektor verkaufe seine Leistungen nicht. Dies mache eine Bewertung schwierig. Wenn also jemand bewerten wolle, wie viel Geld die Kommunen für ihre Aufgaben bräuchten, dann müsste er jede einzelne Aufgabe definieren, ausgestalten und ihre Umsetzung bestimmen - genau das aber führe die kommunale Selbstverwaltung ad absurdum.

Wenn der Bedarf der Kommunen ermittelt werde, sei auch der des Landes zu ermitteln - auf diesen Punkt kam noch einmal der Wissenschaftler Prof. Dr. Thomas Döring zu sprechen. Wenn man beide Bedarfe ermittle, komme man wieder beim Anfang heraus: Beiden Ebenen fehle es an Geld; der gemeinsame Topf reiche nicht für beide - "symmetrische Pleite" von Land und Kommunen nannte das Micosatt.

Mario Hesse von der Universität Leipzig beschrieb Bedingungen, unter denen eine Bedarfsmessung möglich sei: So würden in Thüringen den Kommunen die Kosten für ihre Pflichtaufgaben vollständig erstattet, für freiwillige Aufgaben gebe es 60 Prozent. Deshalb sei die erste Frage sowohl für das Land als auch für die Kommunen, ob dieser Weg wirklich gewollt sei. Ebenso müsse bedacht werden, welche Konsequenzen eine bedarfsorientierte Finanzierung für Kommunen hätte, falls sich die Einnahmeseite des Landes positiv entwickele: Dann würden die Kommunen, anders als derzeit, davon nicht mehr profitieren.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 44. Jahrgang, 25.9.2013, S. 18
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2013