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NORDRHEIN-WESTFALEN/2113: Rechtschreibdefizite - Kompetente Lehrkräfte gefragt (Li)


Landtag intern 5/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Rechtschreibdefizite: Kompetente Lehrkräfte gefragt
Fachleute fordern bessere Aus- und Fortbildung für Grundschullehrende

Von Daniela Braun



7. Mai 2014 - Viele Wege führen bekanntlich nach Rom und vermutlich ebenso viele zu einer guten Rechtschreibung. Welcher Weg beschritten wird, obliegt den Lehrkräften und Schulen. Doch stehe die Methode "Lesen durch Schreiben" nach dem Pädagogen Reichen in der Kritik, so die FDP in einem Antrag (Vorlage 16/4029). Fehler würden dabei zunächst nicht korrigiert, was zunehmend zu katastrophalen Rechtschreibdefiziten führe. Im Schulausschuss haben sich Fachleute damit beschäftigt. Ihr Fazit: Auf dem Weg zu einer guten Rechtschreibung komme es entscheidend auf die Kompetenz der Lehrkräfte an.


Manche Kinder könnten nach der Grundschule keine verständlichen Texte verfassen. Zu lange hätten sie gehört "Schreibe, wie Du sprichst", bemängelte Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen von der Uni Potsdam. In der Tat gebe es zu viele Kinder, die nicht gut genug lesen und schreiben könnten, stimmte Prof. Dr. Hans Brügelmann vom Grundschulverband zu. Allerdings sei Schreiben mehr als Rechtschreibung. Und dass sich letztere verschlechtert habe, sehe er empirisch nicht ausreichend belegt. Auch zum Vergleich unterschiedlicher Methoden, wie etwa der von Reichen, fehlten experimentell kontrollierte Studien, betonte Schründer-Lenzen: "Das dauert und kostet sehr viel Geld."

Zentraler Bestandteil der Reichen-Methode aus den 70er-Jahren ist eine Anlauttabelle. Diese stellt den Klang einzelner Buchstaben anhand von Bildern dar. So sollen die Kinder möglichst schnell Texte verfassen können.

Anlauttabellen gebe es zuhauf, sagte Wolfgang Steinig, Professor an der Uni Siegen. Es komme darauf an, wie man mit ihnen umgehe und dass man sie nicht langfristig zentral nutze. So berichteten auch die Lehrerinnen Maren Reimann aus Dortmund und Katja Hellmann aus Minden von ihrer Arbeit mit dem Instrument. Der Wunsch der Kinder sei es, zügig Lesen und Schreiben zu lernen. Das könnten sie nur, wenn ihnen - wie mit der Tabelle möglich - gleich alle Buchstaben zur Verfügung stünden.

"Ganz klar ist aber auch, dass Kinder an Rechtschreibnormen herangeführt werden müssten", ergänzte Reimann. Freischreiben und Rechtschreibarbeit gingen Hand in Hand. Wann die Tabelle wegfallen könne, entscheide sich individuell. Kinder seien da unterschiedlich weit, bestätigte Prof. Dr. Erika Brinkmann von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Sie sprach sich zudem für modellhafte Korrekturen aus, die parallel zu der fehlerhaften die richtige Schreibweise aufzeigten.

Die geschilderten Beispiele seien gut gelebte Praxis und weit entfernt von der reinen "Lesen durch Schreiben"-Lehre, lobte Schründer-Lenzen. Nach Aussage von Reichen passiere das Schreiben lernen von selbst ohne jegliche Systematik. "Zum Glück werden diese Statements von ihm mittlerweile in der Unterrichtspraxis auch anders wahrgenommen", meinte die Wissenschaftlerin. Es sei Konsens, dass alle Kinder von Anfang an die Einsicht in rechtschreibliche Prinzipien bräuchten.


Methodenmix

Auch Prof. Dr. Stefan Jeuck von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg betonte, er kenne niemanden, der rein nach "Lesen durch Schreiben" unterrichte. Der Mix von Methoden sei die Regel. Daher mache es auch keinen Sinn, eine Methode isoliert ins Zentrum der Rechtschreibdiskussion zu stellen. Auch das Verbot einer Methode bewerteten die Sachverständigen als nicht zielführend.

Vielmehr komme es darauf an, dass die Lehrkräfte die Stärken und Schwächen der Ansätze kennten, so Brügelmann. Dabei müsse man sie unterstützen, genauso wie bei der Fähigkeit, Kinder individuell zu fördern. Denn, so betonte Steinig: "Das sind Forderungen, die nicht jede Lehrerin und jeder Lehrer erfüllen kann."

Eng damit verknüpft ist nach Auffassung der Fachleute die Qualität der Aus- und Fortbildung. "Das ist für mich der Schlüssel für erfolgreiche Schule", war Jeuck überzeugt und forderte mehr Geld für die Sparte. Es reiche nicht aus, nur das Studium zu verlängern, auch die Qualität müsse steigen, so Prof. Dr. Ursula Bredel von der Uni Hildesheim. Auch Schründer-Lenzen stellte fest, die Lehrkräfte seien für das Vermitteln von Sprache in ihrer gesamten Komplexität häufig nicht vorbereitet.

Gerade Berufsanfänger bräuchten eine stärkere Begleitung, mahnte Brügelmann. Baldur Bertling vom Grundschulverband NRW sprach sich dafür aus, den Betrieb so zu organisieren, dass die Lehrkräfte mehr Zeit hätten, sich untereinander zu beratschlagen. Denn, so seine Überzeugung aus 40 Jahren Lehrerzeit, es komme nicht immer und nur auf die einzelne Lehrkraft an, sondern darauf, wie gut die Lehrer untereinander kooperierten.

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Quelle:
Landtag intern 5 - 45. Jahrgang, 14.5.2014, S. 17
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2014