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NORDRHEIN-WESTFALEN/2115: Flüchtlinge - Heime oder doch besser Wohnungen? (Li)


Landtag intern 5/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Kein Königsweg
Flüchtlinge: Heime oder doch besser Wohnungen?

Von Christian Wolf



6. Mai 2014 - Sie kommen aus Syrien, Afrika oder Afghanistan und suchen Asyl: Flüchtlinge. In letzter Zeit steigen die Zugangszahlen und daher rückt der Umgang mit den Hilfesuchenden in den Fokus. In einer gemeinsamen Sitzung von Innen-, Kommunal- und Integrationsausschuss haben Fachleute über eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme in NRW diskutiert. Zum zentralen Streitpunkt entwickelte sich die Frage nach zentralen oder dezentralen Unterbringungen sowie deren Kosten. Grundlage der Anhörung war ein Antrag der PIRATEN-Fraktion (Drs. 16/4164).


In ihrem Antrag kritisiert die PIRATEN-Fraktion, dass das Land mit dem aktuellen Flüchtlingsaufnahmegesetz seiner humanitären und rechtlichen Verantwortung gegenüber Flüchtlingen nicht ausreichend Rechnung trage und keinerlei Vorschriften für deren Versorgung mache. Die Fraktion fordert Deutschkurse von Anfang an, eine dezentrale Unterbringungen in Wohnungen, flüchtlingsspezifische soziale Betreuung sowie Internet- und Computerarbeitsplätze in ausreichender Zahl in sämtlichen Unterbringungen.

Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände sprachen sich gegen solche Mindeststandards aus, die vom Land vorgeschrieben würden. "Lassen Sie uns bitte diese Freiheit", sagte Dr. Manfred Wichmann vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen. In den Kommunen herrschten unterschiedliche Gegebenheiten, zu denen keine zentralistischen Vorgaben passten. Genauso äußerte sich Jörg Süshardt vom Städtetag Nordrhein-Westfalen. Die Entscheidung über die Unterbringung könne vor Ort besser gefällt werden. "Einen Königsweg gibt es unserer Überzeugung nach nicht", sagte er. Sollte es dennoch zu einer landesweiten Regelung kommen, müsse eine Sache klar sein: "Das Land muss uns dann die entstehenden Kosten eins zu eins bezahlen", sagte Wichmann. Schon jetzt deckten die Landespauschalen nicht ansatzweise die Kosten der Kommunen.

Auch was eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen angeht, stellten sich die Verbandsvertreter gegen eine gesetzliche Vorgabe. Damit sei ein erheblich größerer Kostenaufwand verbunden als bei Gemeinschaftseinrichtungen, hieß es. Zudem erschwere sie die Betreuung und Beratung der Flüchtlinge, da Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dann längere Anfahrtswege hätten.

Dieser Darstellung widersprachen die Fachleute einzelner Städte. So verwies die Kölner Beigeordnete Henriette Reker darauf, dass laut den vor Jahren in der Stadt beschlossenen Leitlinien Flüchtlinge vorrangig mit Wohnungen versorgt und klassische Wohnheime im besten Fall aufgegeben werden sollten. In den vergangenen zehn Jahren seien 3.400 Betroffene in Wohnungen vermittelt worden. In der Praxis könnten die Leitlinien allerdings nicht immer eingehalten werden, da der Wohnungsmarkt in Köln extrem angespannt sei. "Es gibt kaum Angebote für den Ankauf oder die Anmietung von Wohnungen", sagte Reker.


Vorgaben und Kosten

Hans-Jürgen Lemmer, Integrationsbeauftragter in Wuppertal, erklärte für seine Stadt, dass man sich dort an der dezentralen Unterbringung orientiere. Ein Grund seien die geringeren Kosten gegenüber Gemeinschaftsunterkünften. Während in den zwei größten Übergangsheimen die monatlichen Kosten der Unterbringung bei etwa 24 Euro pro Quadratmeter lägen, betrage bei der Anmietung von Privatwohnungen die Obergrenze der zu bewilligenden Kaltmiete 4,85 Euro pro Quadratmeter. Zudem entfielen die in Gemeinschaftsunterkünften oftmals auftretenden Konflikte zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern.

Eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme zumindest in Teilen hielt Bodo Klimpel, Bürgermeister in Haltern am See, für sinnvoll. So sei es äußerst wichtig, den Flüchtlingen einen Zugang zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen zu ermöglichen und die Landeserstattung an die tatsächlichen Kosten anzupassen. Eine flächendeckende Ausstattung mit Computern und Internet sei hingegen "wenig sinnvoll". Die Ausarbeitung von Soll-Vorgaben statt normativer Vorschriften brachte Angelika Maria Wahrheit ins Spiel. Es dürfe nicht länger dem Zufall obliegen, wie Flüchtlinge untergebracht würden, sagte die Beigeordnete der Stadt Bonn.

Aus Sicht des Flüchtlingsrates Nordrhein-Westfalen leben momentan zu viele Menschen in Gemeinschaftsunterkünften. Mit ihnen verfolgten Kommunen das Ziel, potenzielle Flüchtlinge abzuschrecken, sagte Birgit Naujoks. Einsparungen, die durch die dezentrale Unterbringung entstünden, könnten in den Ausbau der Sozialbetreuung fließen. Mit Verweis auf eine ähnliche Entwicklung in Baden-Württemberg sprach Jürgen Blechinger, evangelischer Oberkirchenrat aus Karlsruhe, von "erheblichen Fortschritten", die sich aus Mindeststandards ergäben.

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Quelle:
Landtag intern 5 - 45. Jahrgang, 14.5.2014, S. 19
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2014