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NORDRHEIN-WESTFALEN/2137: Anhörung zur Zukunft des Nahverkehrs (Li)


Landtag intern 7/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Abgehängt?
Anhörung zur Zukunft des Nahverkehrs

Von Christoph Weißkirchen



3. Juni 2014 - In einer Anhörung im Verkehrsausschuss waren sich alle Sachverständigen einig: Notwendig seien erstens ein leistungsfähiger öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), zweitens Anstrengungen, um zumindest den Erhalt zu sichern, und drittens eine stärkere Verantwortung des Bundes. Grundlage für die Anhörung war ein Antrag der PIRATEN.


"Da wird ein bisschen was angestrichen und das nennt man dann Renovierung." Mit dieser Beschreibung der aktuellen Lage des ÖPNV durch Volker Wente (Verband deutscher Verkehrsunternehmen) stimmten alle Sachverständigen überein. Ihr Fazit: Es muss mehr investiert werden, um die Menschen von der Straße in Busse und Bahnen zu bewegen. Schon heute sei es so, dass ohne ÖPNV die Städte vor Blech überquellen würden, erläuterte Dr. Karl-Georg Schroll (Mobil mit Plan Verkehrs-Consult, Trier).

Daher bestand in einer weiteren Feststellung Einigkeit unter den Experten: Notwendig sei ein leistungsfähiger ÖPNV vor allem in der Fläche. Auf dem Land seien die Menschen auf Pendelmöglichkeiten in die Ballungsgebiete angewiesen, so Dr. Markus Faber (Landkreistag). Dort seien aber auch leistungsfähige Möglichkeiten des Gütertransports notwendig, verwies er auf Zentren der industriellen Produktion im ländlichen Raum.

Gerade hier aber sei der ÖPNV häufig abgeschnitten, so Schroll. Er sei eine freiwillige Aufgabe, die die sowieso schon klammen Kommunen nichts kosten dürfe. Dabei stelle es sich als Problem heraus, dass die Kosten für den ÖPNV offen sichtbar seien, während die Kosten für den motorisierten Individualverkehr in vielen kommunalen Haushaltstiteln versteckt blieben. Vor diesem Hintergrund plädierte er dafür, den ÖPNV als kommunale Pflichtaufgabe zu definieren.

In der Regel sei gerade der Verkehr mit U- und S-Bahnen in den Städten als "Insellösung" angelegt, ergänzte Lothar Ebbers (Pro Bahn e. V. NRW). In einigen Städten wie Düsseldorf existierten sogar zwei unterschiedliche Netze nebeneinander. Und die Misere werde größer: Aufgrund steigender Trassen- und Schienenentgelte, die an die Deutsche Bahn abzuführen seien, stehe weniger Geld für Investitionen zur Verfügung. Und über die Bahn fließe das Geld dann weiter an den Bund.

Leben von der Substanz

Sprach Faber noch von "Engpässen", meinte Wente: "Wir leben zurzeit von der Substanz." Der Zeitwert der Anlagen sei in den letzten Jahren um rund 10 Prozent zurückgegangen. Und angesichts der derzeitigen politischen Vorgaben befürchtete er einen Baustillstand für rund zehn Jahre, denn geplant werde wohl erst wieder nach dem Jahr 2019.

Dabei sei Nordrhein-Westfalen auch eines der wichtigsten Transitländer, betonte Dr. Norbert Reinkober (Zweckverband Nahverkehr Rheinland) und warnte: "Wir werden durch Köln bald nichts mehr durchbringen." Er forderte, die Maßnahmen in der Verkehrsinfrastruktur an den größten Engpässen statt an den ärmsten Kommunen auszurichten.

Die Verkehrsinfrastruktur müsse sich an den Zielen der Energie- und Klimapolitik ausrichten, trat demgegenüber Prof. Heiner Monheim (Institut für Raumentwicklung raumkom) für eine Ausweitung des Blicks ein. Man müsse "Lawinen" von der Straße hin zum öffentlichen Nahverkehr bewegen. Jener müsse sich daher zum "Jedermannverkehr" entwickeln. Mit dieser Aufgabe seien aber die Städte und Dörfer überfordert, die eigentlich die Hauptakteure der neuen Verkehrspolitik sein sollten. Konkrete Erweiterungsmöglichkeiten sah Monheim in der Reaktivierung stillgelegter Trassen in der Fläche. Statt Kahlschlag brauche man auch im ländlichen Raum Angebote mit S-Bahn-ähnlicher Qualität.

Woher das hierfür notwendige Geld denn kommen solle, wollten die Abgeordneten in Nachfragen von den Experten wissen. Diese betonten nicht nur die Verantwortung des Landes, sondern auch des Bundes. Gegenwärtig, so Faber, erhalte NRW vom Bund nur 15,76 Prozent der Regionalisierungsmittel, obwohl hier 21,8 Prozent der Bundesbevölkerung lebten. Ziel müsse daher eine Gleichbehandlung mit den anderen Bundesländern sein. Das mache rund 450 Millionen Euro pro Jahr aus, bezifferte Wente die Größenordnung. Er kritisierte auch die vom Bund zusätzlich bereitgestellten 5 Milliarden Euro: Damit würden letztlich nur bestehende Projekte vor allem bei den Bundesstraßen finanziert, für die Verkehrsinfrastruktur im ländlichen Raum hingegen bleibe wenig übrig. Die Länder müssten grundsätzlich die Bittstellerrolle ablegen und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur als nationale Aufgabe einfordern, verlangte Monheim.

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Quelle:
Landtag intern 7 - 45. Jahrgang, 11.7.2014, S. 17
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2014